Karl Dedecius
Karl Dedecius (* 20. Mai 1921 in Łódź; † 26. Februar 2016 in Frankfurt am Main[1]) war ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer polnischer, russischer und serbischer Literatur.
Leben
Karl Dedecius wurde als Sohn deutscher Eltern in der damaligen Vielvölkerstadt Łódź geboren, die zu jenem Zeitpunkt seit kurzem wieder Teil eines polnischen Staates war. Er besuchte das polnische Humanistische Stefan-Żeromski-Gymnasium und absolvierte dort am 18. Mai 1939 das Abitur. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen im Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst in den Reichsarbeitsdienst und dann in die Wehrmacht eingezogen. In der Schlacht von Stalingrad wurde er schwer verwundet und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Während dieser brachte er sich selbst Russisch bei:
„Ich lag im Krankenzimmer, und die Schwestern brachten mir Bücher, von Lermontow zum Beispiel. Ein Jahr lang lernte ich an Lermontow und Puschkin die kyrillische Schrift und die russische Sprache. Die Wachmänner baten mich anschließend, für sie Liebesbriefe zu verfassen, weil ich wie Puschkin schrieb.“[2]
Dedecius ging nach seiner Entlassung 1950 zu seiner Verlobten nach Weimar in die DDR.[3] Im Jahr 1952 flüchtete er aus politischen Gründen in die Bundesrepublik.[4] Dedecius wurde Angestellter bei der Versicherung Allianz AG. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit polnischer Kultur und Literaturübersetzungen, pflegte auch private Kontakte zu polnischen Schriftstellern. Dedecius hierzu:
„Erst als ich mich so eingerichtet hatte, und eine gewisse Stabilität im Leben erreichte, konnte ich anfangen, mich endlich auch mit Literatur zu beschäftigen, ausdauernd und systematisch, obwohl mein Beruf nebenbei gesagt gar nichts mit Schriftstellerei zu tun hatte.“[2]
In der Einleitung zur polnischen Ausgabe von Vom Übersetzen schrieb Jerzy Kwiatkowski: „Formal betrachtet könnte man sagen, dass dieses große Übersetzerwerk nach Feierabend entstanden ist, als Folge eines Hobbys“.[2]
Im Jahr 1959 erschien die erste von ihm herausgegebene Anthologie Lektion der Stille. In den folgenden Jahren übersetzte er „nach Feierabend“ so bekannte polnische Schriftsteller wie Zbigniew Herbert, Stanisław Jerzy Lec, Czesław Miłosz, Tadeusz Różewicz und Wisława Szymborska. Außerdem veröffentlichte er eigene Essays zu Literatur und Übersetzungstechnik. Seit 1967 war er Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.
Dedecius war 1979/1980 Initiator des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, dessen Direktor er bis Ende 1997 blieb, wobei er seine literarische Tätigkeit fortsetzte. Als Dedecius’ Hauptwerk gilt neben der 50-bändigen Polnischen Bibliothek, einem Kanon, der 1982 bis 2000 im Suhrkamp Verlag erschien, das siebenbändige Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts (1996–2000), dessen abschließender Band zugleich eine Art Autobiographie darstellt.
Sein persönliches Archiv, darunter Korrespondenzen mit polnischen Schriftstellern wie Zbigniew Herbert, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska oder Tadeusz Różewicz, übergab er im Jahre 2001 dem Karl Dedecius Archiv der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).
Ehrungen
Dedecius war der Inhaber mehrerer Ehrendoktorwürden sowie Träger zahlreicher Preise und Auszeichnungen:
- 1967: Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung
- 1977: Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
- 1985: Großes Bundesverdienstkreuz[5]
- 1985: Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis
- 1986: Hessischer Kulturpreis
- 1990: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels[6]
- 1994: Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern[5]
- 1995: Komtur mit Stern des Verdienstordens der Republik Polen
- 1997: Samuel-Bogumil-Linde-Preis
- 1997: Andreas-Gryphius-Preis der Künstlergilde Esslingen eV.[7]
- 1998: Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen
- 1999: Viadrina-Preis
- 2000: Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main
- 2000: Nikolaus-Lenau-Preis
- 2002: ein Gymnasium in Łódź mit zweisprachigem Zweig wird nach ihm benannt.[8]
- 2003: Orden des Weißen Adlers (Polen)[9]
- Seit 2003 verleiht die Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut den mit jeweils zwei Mal 10.000 Euro dotierten „Karl-Dedecius-Preis“ für polnische Übersetzer deutscher Literatur und für Übersetzer in der Gegenrichtung.
- 2004: Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen
- 2010: Deutscher Nationalpreis (gemeinsam mit Alfons Nossol, 1977 bis 2009 Bischof von Oppeln), mit der Begründung, Karl Dedecius habe sich „durch sein gesamtes Lebenswerk als Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland verdient gemacht, indem er den Deutschen den Zugang zu polnischer Kultur ermöglicht“ habe.[10]
- 2011: Ehrendoktorat der Europa-Universität Viadrina
- 2016: Der Vortragssaal des Deutschen Polen-Instituts im Darmstädter Residenzschloss wurde nach Dedecius benannt.
Richard von Weizsäcker würdigte Karl Dedecius in seinen Erinnerungen: „Er, der in seinem Rang als Nachdichter und Übersetzer seinesgleichen sucht, hat uns eine fast vollständige Bibliothek der reichen polnischen Literatur in deutscher Sprache geschaffen.“[11]
Werke
- 1971: Deutsche und Polen. Botschaft der Bücher. Hanser, München, ISBN 3-446-11481-5.
- 1974: Überall ist Polen. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-36695-5.
- 1975: Polnische Profile. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-02570-8.
- 1981: Zur Literatur und Kultur Polens. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-02571-6.
- als Herausgeber: Polnische Pointen Satiren und kleine Prosa des 20. Jahrhunderts. Ullstein-Taschenbuch 20215, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981, ISBN 3-548-20125-3.
- 1986: Vom Übersetzen. Theorie und Praxis. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-37758-2.
- 1988: Von Polens Poeten. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-37979-8.
- 1990: Lebenslauf aus Büchern und Blättern. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-40309-5.
- 1996: Ost West Basar. Ansprachen Essays Würdigungen. Mit einem Geleitwort von Marion Gräfin Dönhoff. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Andreas Lawaty. Ammann, Zürich, ISBN 3-250-10283-0.
- 2000: Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Abt. V. Panorama. Ein Rundblick. Ammann, Zürich, ISBN 3-250-50005-4.
- 2002: Die Kunst der Übersetzung. Logos, Berlin, ISBN 3-8325-0000-6.
- 2006: Ein Europäer aus Lodz: Erinnerungen. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-41756-8.
- 2011: Meine polnische Bibliothek. Mit einem Vorwort von Stefanie Peter. Insel, Berlin, ISBN 978-3-458-17499-8.
Literatur
in der Reihenfolge des Erscheinens
- Elvira Grözinger, Andreas Lawaty (Hrsg.): Suche die Meinung: Karl Dedecius, dem Übersetzer und Mittler zum 65. Geburtstag. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1986, ISBN 3-447-02630-8.
- Winfried Lipscher (Übersetzer): Verleihung der Ehrendoktorwürde der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Lublin an Karl Dedecius am 14. Mai 1987. Katholische Universität Lublin 1987.
- Manfred Mack (Hrsg.): Karl Dedecius und das Deutsche Polen-Institut. Laudationes, Berichte, Interviews, Gedichte. Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 1991, ISBN 3-87390-098-X.
- Hubert Orłowski: Karl Dedecius. In: Marek Zybura (Hrsg.): …nie będzie nigdy Niemiec Polakowi bratem…? (= Bibliotek Odra). Okis, Wrocław 1995, ISBN 83-904842-0-X, S. 268–279.
- Deutsch in: Krzysztof Ruchniewicz, Marek Zybura (Hrsg.): „Mein Polen …“. Deutsche Polenfreunde in Porträts. Thelem, Dresden 2005, ISBN 3-937672-36-2, S. 291–312.
- Hubert Orłowski: Karl Dedecius (1921). In: Jan-Pieter Barbian, Marek Zybura (Hrsg.): Erlebte Nachbarschaft. Aspekte der deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert. Harrassowitz, Wiesbaden 1999, ISBN 3-447-04149-8, S. 293–302.
- Krzysztof A. Kuczyński: Karl Dedecius ambasador kultury polskiej w Niemczech. UŁ, Lódź 2000, ISBN 83-7171-373-8 (polnisch).
- Przemysław Chojnowski: Zur Strategie und Poetik des Übersetzens: eine Untersuchung der Anthologien zur polnischen Lyrik von Karl Dedecius. Frank & Timme, Berlin 2005, ISBN 3-86596-013-8 (Dissertation Universität Frankfurt an der Oder 2004, 298 Seiten).
- Piotr Sulikowski: Neologismus in der polnischen Dichtung: eine translatorische Analyse: besprochen anhand der Beispiele aus dem übersetzerischen Werk von Karl Dedecius (= Schriftenreihe Schriften zur vergleichenden Sprachwissenschaft, Band 1). Kovač, Hamburg 2007, ISBN 978-3-8300-3223-6.
- Paweł Bąk: Die Metapher in der Übersetzung. Studien zum Transfer der Aphorismen von Stanisław Jerzy Lec und der Gedichte von Wisława Szymborska (= Danziger Beiträge zur Germanistik, Band 20). Lang, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-631-55757-4.
- Błażej Kaźmierczak: Dzieła Karla Dedeciusa wybór bibliograficzny adnotowany = Werke von Karl Dedecius: annotierte Auswahlbibliographie (= Scripta Caroli Dedecii, Band 1). Atut, Wrocław und Neiße-Verlag, Dresden 2009, ISBN 978-83-7432-530-1 (polnisch und deutsch).
- Die Botschaft der Bücher - Leben und Werk von Karl Dedecius. In: Ilona Czechowska, Krzysztof A. Kuczynski, Anna Malgorzewicz (Hrsg.): Studia Translatorica. [1. Auflage]. Band 9. Neisse Verlag, Dresden 2018, ISBN 978-3-86276-262-0 (ifg.uni.wroc.pl [PDF; 3,8 MB; abgerufen am 1. März 2023]).
Weblinks
- Literatur von und über Karl Dedecius im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Karl Dedecius in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Karl Dedecius im Literaturportal Bayern (Projekt der Bayerischen Staatsbibliothek)
- Przemysław Chojnowski: Karl Dedecius, 1921–2016. In: Germersheimer Übersetzerlexikon (UeLEX), 1. November 2018.
- Bibliographie Karl Dedecius: Übersetzungen im UeLEX
- Karl-Dedecius-Archiv in der Universitätsbibliothek an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder
- Deutsches Polen-Institut in Darmstadt
- Dankrede von Karl Dedecius zur Verleihung des Johann-Heinrich-Voß-Preises 1967
- Marion Gräfin Dönhoff: Beheimatet in Polen und Deutschland. Aus einer Laudatio auf Karl Dedecius, den Leiter des Deutschen Polen-Instituts. In: „Die Zeit“ Nr. 12/1986 vom 14. März 1986
- Marion Gräfin Dönhoff: Mittler zwischen schwierigen Nachbarn. In: „Die Zeit“ Nr. 21/1996 vom 17. Mai 1996
- Weitere ZEIT-Artikel über und zu Karl Dedecius
- Joanna Man: Der Fährmann. Karl Dedecius (1921–2016). Nachruf (PDF; 1,5 MB) in „Übersetzen“ Nr. 2/2016, S. 15
- Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ( vom 9. Juli 2010 im Internet Archive)
- Dedecius, Karl. Hessische Biografie. (Stand: 21. Oktober 2020). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Einzelnachweise
- ↑ Traueranzeige Karl Dedecius, FAZ, 2. März 2016.
- ↑ a b c Karl Dedecius ( vom 23. Mai 2006 im Internet Archive)
- ↑ Sag mir, wo die Deutschen sind - Erinnerungen der lodzer Deutschen. Gdzie są Niemcy z tamtych lat - wspomnienia łódzkich Niemców. Gemeinschaftswerk unter der Leitung Krystyna Radziszewska. Herausgeber - Wydawnictwo Literatura, Łódź 1999, S - 132, ISBN 83-87080-91-8.
- ↑ Zu den Motiven der Flucht siehe Przemysław Chojnowski: Zur Strategie und Poetik des Übersetzens: eine Untersuchung der Anthologien zur polnischen Lyrik von Karl Dedecius (Lit.), S. 48.
- ↑ a b Sabrina Hennig: Autorinnen & Autoren. Karl Dedecius. In: literaturportal-bayern.de, Bayerische Staatsbibliothek
- ↑ Friedenspreis 1990. Karl Dedecius. In: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Börsenverein des Deutschen Buchhandels, 1990, abgerufen am 1. März 2023.
- ↑ Andreas-Gryphius-Preis der KünstlerGilde e.V. Esslingen. In: KünstlerGilde. 9. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (deutsch).
- ↑ Ewa Kowalczuk:Nadanie imienia szkole ( vom 27. September 2007 im Internet Archive), in: gim43.scholaris.pl, Gimnazjum 43, Łódź, 17. Januar 2007 (polnisch)
- ↑ M.P. z 2003 r. nr. 42 poz. 628. 3. Mai 2003 (polnisch).
- ↑ Geehrt werden deutsch-polnische „Brückenbauer“. ( vom 14. Oktober 2013 im Internet Archive) (PDF, 85 kB) Pressemitteilung der Deutschen Nationalstiftung.
- ↑ Richard von Weizsäcker: Vier Zeiten. Erinnerungen. Siedler, Berlin 1997, S. 372.
Personendaten | |
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NAME | Dedecius, Karl |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Autor sowie Übersetzer polnischer und russischer Literatur |
GEBURTSDATUM | 20. Mai 1921 |
GEBURTSORT | Łódź |
STERBEDATUM | 26. Februar 2016 |
STERBEORT | Frankfurt am Main |
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Der Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Dr. Karl Dedecius, wurde in der Frankfurter Paulskirche mit dem diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
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Das Grab des deutschen Übersetzers und Schriftstellers Karl Dedecius und seiner Ehefrau Elvira Tabea geborene Roth auf dem Südfriedhof Frankfurt am Main.
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Karl Dedecius in Frankfurt am Main