Kapillarität (Oberflächenphysik)

Kapillarität ist in der Oberflächenphysik die Mechanik deformierbarer Grenzflächen zwischen zwei nicht mischbaren Phasen.[1] Hierbei können beide Phasen Flüssigkeiten sein; ebenso kann es sich um Grenzflächen zwischen einer Flüssigkeit und einem Gas handeln. Unter Kapillarität werden Phänomene zusammengefasst, die maßgeblich von der Oberflächenspannung der beteiligten kondensierten Phasen beziehungsweise der Grenzflächenenergie der deformierbaren Grenzfläche beeinflusst werden.

Gekrümmte deformierbare Grenzflächen

Häufig werden zwei fluide Phasen durch eine gekrümmte Grenzfläche getrennt. Beispiele für derartige gekrümmte Grenzflächen sind die Oberflächen von Menisken und Tropfen. Fluide tendieren zur hydrodynamischen Ausbildung gekrümmter Oberflächen, um ihr Oberflächen-Volumen-Verhältnis zu minimieren. Ein Beispiel hierfür ist die Umwandlung von Flüssigkeitsfäden in Ketten aus Tropfen durch die Plateau-Rayleigh-Instabilität.[2][3][4]

Über gekrümmte Grenzflächen zwischen zwei fluiden Phasen hinweg besteht eine Druckdifferenz. Dabei hat die konvex eingefasste Phase einen höheren Druck als die konkav eingefasste Phase. Die konvex eingefasste Phase kann dabei mit einem aufgeblasenen Luftballon verglichen werden, der seine Form nur durch den Überdruck im Inneren behält.[5] Die Druckdifferenz über die gekrümmte Grenzfläche hinweg wird als Laplace-Druck bezeichnet und durch die Young-Laplace-Gleichung mit der Grenzflächenenergie und den beiden prinzipiellen Krümmungsradien der gekrümmten Grenzfläche in Beziehung gesetzt. Die Kelvin-Gleichung beschreibt den Dampfdruck über einer gekrümmten Oberfläche.

Kapillare Transport-Phänomene

Kapillarität liegt mehreren grenzflächennahen Transport-Phänomenen zugrunde, die durch lokale Unterschiede der Grenzflächenspannung verursacht werden. Beispiele für kapillare Transportprozesse sind thermokapillare Konvektion (Marangoni-Effekt),[6][7] Solutokapillarität[7] sowie der Kaffeering-Effekt.[8][9] Das Verhalten elektrisch geladener Grenzflächen unter dem Einfluss eines tangentialen elektrischen Feldes bezeichnet man als Elektrokapillarität.[10]

Kapillarwellen

Kapillarwellen sind transversale mechanische Wellen, die in Form propagierender Schwingungen deformierbarer Grenzflächen auftreten. Die Eigenschaften von Kapillarwellen, wie etwa die Ausbreitungsgeschwindigkeit, werden maßgeblich durch die Oberflächenenergien der beteiligten kondensierten Phasen beziehungsweise den Grenzflächenenergien der deformierbaren Grenzflächen bestimmt.

Deformierbare Grenzflächen in Kontakt mit festen Oberflächen

Kapillarität spielt eine bedeutende Rolle für das Verhalten von Flüssigkeiten in Kontakt mit Oberflächen einer anderen kondensierten Phase. So werden Benetzungs- und Entnetzungs-Prozesse sowie Imbibition und der Kapillareffekt maßgeblich durch Kapillarität beeinflusst.

Kapillarkondensation

Kapillarität liegt auch der Kapillarkondensation zugrunde.

Sie tritt bei mineralischen Baustoffen etwa im Mikroporenbereich bei Porendurchmessern zwischen 2x 10−9 und 10−7 auf und beruht auf Verringerung des Sättigungsdampfdrucks über konkav gekrümmten Menisken nach dem Gesetz von Kelvin-Thomson.[11]

Siehe auch

  • Kapillarzahl

Einzelnachweise

  1. Pierre-Gilles de Gennes, Françoise Brochard-Wyart, David Quéré: Capillarity and Wetting Phenomena. Springer New York, New York, NY 2004, ISBN 1-4419-1833-7, Kap. "1 Capillarity: Deformable Interfaces", doi:10.1007/978-0-387-21656-0.
  2. Jens Eggers, Emmanuel Villermaux: Physics of liquid jets. In: Reports on Progress in Physics. Band 71, Nr. 3, 1. März 2008, ISSN 0034-4885, S. 036601, doi:10.1088/0034-4885/71/3/036601 (iop.org [abgerufen am 15. September 2023]).
  3. Alexander Nepomnyashchy: Droplet on a liquid substrate: Wetting, dewetting, dynamics, instabilities. In: Current Opinion in Colloid & Interface Science. Band 51, Februar 2021, S. 101398, doi:10.1016/j.cocis.2020.101398 (elsevier.com [abgerufen am 26. August 2023]).
  4. Ziv Golany, Inbal Weisbord, Mohammad Abo-Jabal, Ofer Manor, Tamar Segal-Peretz: Polymer dewetting in solvent-non-solvent environment- new insights on dynamics and lithography-free patterning. In: Journal of Colloid and Interface Science. Band 596, August 2021, S. 267–277, doi:10.1016/j.jcis.2021.02.092 (elsevier.com [abgerufen am 5. September 2023]).
  5. Hans-Jürgen Butt, Karlheinz Graf, Michael Kappl: Physics and Chemistry of Interfaces. Wiley-VCH, Weinheim 2003, ISBN 3-527-40413-9, 2.3 "Equation of Young and Laplace".
  6. Michael F. Schatz, G. Paul Neitzel: Experiments on Thermocapillary Instabilities. In: Annual Review of Fluid Mechanics. Band 33, Nr. 1, Januar 2001, ISSN 0066-4189, S. 93–127, doi:10.1146/annurev.fluid.33.1.93.
  7. a b Yuri S. Ryazantsev, Manuel G. Velarde, Ramón G. Rubio, Eduardo Guzmán, Francisco Ortega: Thermo- and soluto-capillarity: Passive and active drops. In: Advances in Colloid and Interface Science (= Dominique Langevin Festschrift: Four Decades Opening Gates in Colloid and Interface Science). Band 247, 1. September 2017, ISSN 0001-8686, S. 52–80, doi:10.1016/j.cis.2017.07.025.
  8. Robert D. Deegan, Olgica Bakajin, Todd F. Dupont, Greb Huber, Sidney R. Nagel, Thomas A. Witten: Capillary flow as the cause of ring stains from dried liquid drops. In: Nature. Band 389, Nr. 6653, 1997, ISSN 0028-0836, S. 827–829, doi:10.1038/39827.
  9. Dileep Mampallil, Huseyin Burak Eral: A review on suppression and utilization of the coffee-ring effect. In: Advances in Colloid and Interface Science. Band 252, Februar 2018, S. 38–54, doi:10.1016/j.cis.2017.12.008.
  10. Duane Johnson: Electrocapillary Flows. In: Interfacial Fluid Dynamics and Transport Processes. Band 628. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2003, ISBN 3-642-07362-X, S. 291–304, doi:10.1007/978-3-540-45095-5_14.
  11. Martin Krus: Feuchtetransport- und speicherkoeffizienten poröser mineralischer Baustoffe - Theoretische Grundlagen und neue Meßtechniken (PDF-Datei), S. 7, Doktorarbeit an der Fakultät Bauingenieur- und Vermessungswesen der Universität Stuttgart, 1995.