Kapazitätsreserve, Netzreserve, Sicherheitsbereitschaft

Die Begriffe Kapazitätsreserve, Netzreserve und Sicherheitsbereitschaft beschreiben drei Konzepte aus dem zum 30. Juli 2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz). Häufig werden diese Begriffe in den Medien und gelegentlich auch von offizieller Seite miteinander verwechselt und vermischt.

Netzreserve

Die Netzreserve ist in § 13d EnWG und in der Netzreserveverordnung[1] geregelt. Im Winter ist der Bedarf an elektrischer Energie in der Regel am höchsten. Im Norden Deutschlands kann aufgrund des Wetters mehr Energie durch Windkraftwerke produziert werden. Gelegentlich reicht das vorhandene Übertragungsnetz nicht aus, um den gesamten produzierbaren Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. Dann werden im Norden Windkrafträder abgeschaltet und/oder Kraftwerke heruntergefahren; im Süden werden Kraftwerke hochgefahren (Redispatching). Energiekonzerne haben Kraftwerke in Kaltreserve; sie haben jahrelang staatliche Gelder dafür gefordert, dass sie bestimmte Kraftwerke weiter in Kaltreserve halten und sie nicht endgültig stilllegen (Kapazitätsmarkt).

Kapazitätsreserve

Die Kapazitätsreserve ist in § 13e EnWG und in der Kapazitätsreserveverordnung[2] geregelt. Kraftwerke in der Kapazitätsreserve dienen dazu, Extremsituationen am Strommarkt auszugleichen. Kann am Strommarkt die Nachfrage unvorhersagbar nicht durch das Angebot gedeckt werden, so sind Kraftwerke aus der Kapazitätsreserve zu aktiveren, um kurzfristig ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen. Auch diese Kraftwerke stehen in der Regel still und werden nur bei Bedarf aktiviert. Wichtige Voraussetzung für eine Aufnahme in die Kapazitätsreserve ist eine Anlaufzeit von weniger als 12 Stunden, weshalb die meisten Kohlekraftwerke nicht für die Kapazitätsreserve geeignet sind. Die Kapazitätsreserve dient nicht dem Ausgleich von Lastspitzen, sondern lediglich einem Ausgleich von Angebotsschwankungen.

Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie dient die Reserve dazu, „nicht vorhersehbare und außergewöhnliche Extremsituationen am Markt abzufangen.“[3] Kraftwerke können sowohl an der Kapazitätsreserve als auch an der Netzreserve teilnehmen.

Im Februar 2020 erhielten die folgenden Blöcke (alle Erdgas) in einer Ausschreibung der Übertragungsnetzbetreiber einen Zuschlag über 1.056 Megawatt.[4] Die Reserveleistung ist für zwei Jahre vom 1. Oktober 2020 bis zum 30. September 2022 zu erbringen. Die Kraftwerksbetreiber erhalten dafür 68.000 Euro pro Megawatt und Jahr.

Sicherheitsbereitschaft

Im Zuge der Stilllegung von Kohlekraftwerken sollen die stillgelegten Kraftwerke zunächst in eine sog. Sicherheitsbereitschaft überführt werden. Während dieser Sicherheitsbereitschaft sind die Kraftwerke vorläufig stillgelegt und können nur in Extremsituationen wieder aktiviert werden. Nach 4 Jahren ist die Sicherheitsbereitschaft beendet und das Kraftwerk wird endgültig stillgelegt. Die folgenden acht Kraftwerksblöcke sind in die Sicherheitsbereitschaft überführt worden:

Sie stellen einen Anteil von 13 % an der installierten Braunkohleleistung.

Die Kraftwerke sollen während der Sicherheitsbereitschaft weiterhin durch den Stromkunden über die Netzentgelte finanziert werden, zunächst mit insgesamt 1,6 Milliarden Euro. Im Oktober 2019 wurden die letzten beiden Blöcke in die Sicherheitsbereitschaft überführt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde keiner der vorläufig stillgelegten Blöcke noch einmal in Betrieb genommen.[5][6]

Kraftwerke in der Sicherheitsbereitschaft dürfen nur aktiviert werden, wenn alle anderen Maßnahmen (Netzreserve, Kapazitätsreserve) fehlschlagen.

Kritik

Aus Sicht der Stadtwerke stellt die weitere Finanzierung der stillgelegten Braunkohlekraftwerke durch den Stromkunden eine massive Wettbewerbsverzerrung dar. Zudem können Braunkohlekraftwerke nur mit einer langen Vorlaufzeit angefahren werden um Grundlast bereitzustellen, weshalb sie nicht flexibel an die schwankende Stromnachfrage angepasst werden können.[7]

Die Sicherheitsbereitschaft wurde nach Druck durch die betroffenen Konzerne, die Gewerkschaften IG Bergbau, Chemie, Energie und Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) beschlossen. Die Europäische Kommission leitete aufgrund eines möglichen Verstoßes gegen das europäische Beihilferecht ein Verfahren (Artikel 108 Absatz 2 AEUV) gegen Deutschland ein.[8] Aufgrund der von Deutschland gemachten Verpflichtungszusagen zur Ausräumung von Bedenken, kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die Beihilferegeln mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar sind.[9] Ursprünglich sollte ein Nationaler Klimaschutzbeitrag eingeführt werden und Braunkohlekraftwerke, aufgrund der Tatsache, dass sie besonders viel CO2 emittieren, eine Abgabe für die Stromproduktion zugunsten von effizienteren Gaskraftwerken zahlen.[10]

Im Juli 2014 lehnte Sigmar Gabriel das Konzept einer Vergütung für stillstehende Kraftwerke noch ab („Was der Kapazitätsmarkt nicht werden kann, ist so was wie Hartz IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen“).[11][12]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Text der Netzreserveverordnung
  2. Text der Kapazitätsreserveverordnung
  3. BMWI, Strommarkt 2.0 - Ein Strommarkt für die Energiewende
  4. Kapazitätsreserve. In: netztransparenz.de. 28. Februar 2020, abgerufen am 29. Februar 2020.
  5. Energiewende: Millionen für ungenutzte Kohlekraftwerke. In: Spiegel Online. 2. März 2018 (spiegel.de [abgerufen am 2. November 2019]).
  6. D. T. S. Nachrichtenagentur: Teure Reservekraftwerke mussten noch nie eingeschaltet werden. 11. Oktober 2019, abgerufen am 2. November 2019 (deutsch).
  7. FAZ.net vom 14. September 2015: Zweifelhafte Hilfen
  8. ABl. L153 vom 15. Juni 2018, S. 143, Abschnitt 1 Abs. 1
  9. ABl. L153 vom 15. Juni 2018, S. 143, Art. 1
  10. sueddeutsche.de, Ärger an der Tagebaukante, 4. November 2015
  11. Handelsblatt.com, Ökostrom: Der Traum vom „Hartz-IV“ für Kraftwerke, 28. Juli 2014
  12. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Hartz IV vom Minister, 25. November 2015