Daniel Kahneman
Daniel Kahneman (hebräisch דניאל כהנמן ; * 5. März 1934 in Tel Aviv; † 27. März 2024[1]) war ein israelisch-US-amerikanischer Psychologe und Hochschullehrer, der 2002 mit Vernon L. Smith den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt.[2] Die zugrundeliegende ausgezeichnete Prospect Theory entwickelte er mit Amos Tversky.[3]
Leben
Daniel Kahneman entstammt einer jüdisch-litauischen Familie, die mehrere namhafte Rabbiner hervorgebracht hatte.[4] Anfang der 1920er Jahre wanderten seine Eltern aus Litauen nach Frankreich aus. Daniel Kahneman wurde in Tel Aviv geboren, als seine Mutter dort Verwandte besuchte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Juni 1940 floh die Familie aus Paris in die unbesetzte Zone Frankreichs, nach Juan-les-Pins.[5] Als deutsche Truppen am 11. November 1942 auch diese Zone besetzten, versteckte sich die Familie in Cagnes-sur-Mer und schließlich in einem Dorf bei Limoges.
1946 wanderte Kahneman nach Palästina aus. Er studierte Psychologie und Mathematik an der Hebräischen Universität Jerusalem. Nach den Examina im Jahre 1954 leistete er seinen dreijährigen Wehrdienst in der israelischen Armee, die ihn anschließend als Psychologen einstellte, um Tests zur Auswahl von Offizierbewerbern zu entwickeln. Ab 1958 studierte er Psychologie an der University of California und wurde 1961 promoviert. Von 1961 bis 1978 lehrte er an der Hebräischen Universität Jerusalem und von 1978 bis 1986 an der University of British Columbia; von 1986 bis 1994 war er Professor an der University of California, Berkeley. Seit 1993 hatte er die Eugene-Higgins-Professur für Psychologie an der Woodrow Wilson School für öffentliche und internationale Angelegenheiten der Princeton University inne.
Kahneman war in erster Ehe mit der Erziehungspsychologin Irah Kahneman[6] verheiratet. Seine zweite Ehe mit der Kognitionspsychologin Anne Treisman bestand von 1978 bis zu ihrem Tod im Jahr 2018. Kahneman hatte vier Kinder. Er starb am 27. März 2024 im Alter von 90 Jahren.[7]
Werk
Bekannt wurden vor allem seine Arbeiten zu Urteilsheuristiken und kognitiven Verzerrungen.[8][9] Steven Pinker nannte Kahneman den „wichtigsten lebenden Psychologen“.
Daniel Kahneman und Amos Tversky legten die Grundlagen der Verhaltensökonomik.[9] Sie entwickelten die Prospect Theory, um menschliche Urteile bei wirtschaftlichen Entscheidungen realistischer als im traditionellen Kosten-Nutzen-Modell und als Homo oeconomicus zu modellieren.[10] Ein Framing-Effekt sorgt dafür, dass Entscheidungen abhängig von äußeren Einflüssen getroffen werden: Bei der Wahl zwischen zwei Programmen gegen eine bedrohliche Seuche wurde einmal formuliert: Ein Programm rettet sicher 200 Menschen, das andere mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln alle 600. Die meisten waren für das erste Programm. Anders wurde formuliert: Bei einem Programm sterben 400 Personen, beim anderen mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel kein einziger. Die meisten wollten das zweite Programm. Die Schlussfolgerung ist: Die Menschen fürchten Verluste mehr, als dass sie Gewinne wertschätzen.[11]
Galten Kahneman und Tversky an der Hebräischen Universität anfangs als Rivalen, so legte sich das im Jahr 1969. Danach saßen sie häufig zusammen in einem Seminarraum. Tverskys Ehefrau sagte später, jene Beziehung sei intensiver gewesen als eine Ehe.[12]
2012 nahm er Stellung zur Reduplikationskrise der Sozialpsychologie, die eingetreten war, als viele Studien sich als nicht replizierbar erwiesen, und schlug ein Redupliationskarussell vor.
In einem Interview erklärte Kahneman 2013 den Gegensatz seines Ansatzes zur Chicagoer Schule und dass es darauf ankomme, ein Umfeld zu schaffen, „das einerseits die persönliche Freiheit gewährleistet und andererseits die Leute dazu bringt, Entscheidungen zu treffen, die sie später nicht bereuen“.[13]
2015 wurde Kahneman von der Wochenzeitschrift The Economist auf Rang 7 der weltweit einflussreichsten Ökonomen geführt.
Ehrungen (Auswahl)
- 1993: Wahl zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
- 1995: Ernest R. Hilgard Award der American Psychological Association (APA) für seinen Beitrag zur Allgemeinen Psychologie
- 1995: Warren Medal der Society of Experimental Psychologists
- 2001: Wahl zum Mitglied der National Academy of Sciences
- 2002: Wirtschafts-Nobelpreis (mit Vernon L. Smith)[2]
- 2004: Ehrendoktorwürde der philosophischen Fakultät der Universität Würzburg
- 2004: Wahl zum Mitglied der American Philosophical Society
- 2007: Wahl zum Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
- 2008: Wahl zum korrespondierenden Mitglied der British Academy[14]
- 2010: Leontief-Preis[15]
- 2012: Weltwirtschaftlicher Preis des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel[16]
- 2013: Presidential Medal of Freedom
- 2014: Ehrendoktorwürde der Yale University[17]
Schriften (Auswahl)
- An analytical model of the semantic differential. University of California, Berkeley 1961 (Dissertation).
- Attention and effort. Prentice Hall, New York 1973, ISBN 0-13-050518-8.
- mit Paul Slovic, Amos Tversky (Hrsg.): Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases. Cambridge University Press, New York 1982, ISBN 0-521-28414-7.
- Amos Tversky (Hrsg.): Choices, Values, and Frames. Cambridge University Press, New York 2000, ISBN 0-521-62749-4. mit
- Experienced utitily and objective happiness: A moment-based approach. In: Daniel Kahneman, Amos Tversky (Hrsg.): Choices, Values and Frames. New York 2000.
- als Hrsg. mit Edward Diener und Norbert Schwarz: Well-Being: The Foundations of Hedonic Psychology. Russell Sage Found, New York 2003, ISBN 0-87154-423-7.
- Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux, New York 2011, ISBN 978-0-374-27563-1.
- Deutsche Ausgabe: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler, München 2012, ISBN 978-3-88680-886-1.
- mit Olivier Sibony und Cass R. Sunstein: Noise: A Flaw in Human Judgment. William Collins, 2021, ISBN 978-0-00-830899-5.
- Deutsche Ausgabe: Noise. Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können. Siedler, München 2021, ISBN 978-3-8275-0123-3.
Literatur
- Michael Lewis: Aus der Welt. Grenzen der Entscheidung oder Eine Freundschaft, die unser Denken verändert hat. Campus, Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-593-50686-9.
- Maya Bar-Hillel: Daniel Kahneman: The psychologist who won a Nobel Prize in Economics for replacing Homo economicus with flesh-and-blood humans. In: PNAS. Band 121, Nr. 27, 2024, e2409646121, doi:10.1073/pnas.2409646121.
- Baruch Fischhoff: Daniel Kahneman (1934–2024). Pioneer in the psychology of judgment and decision-making. In: Science. Band 384, Nr. 6695, 2024, S. 515, doi:10.1126/science.adp6405.
- Eldar Shafir: Daniel Kahneman obituary: psychologist who revolutionized the way we think about thinking. In: Nature. Band 629, 2024, S. 526, doi:10.1038/d41586-024-01344-6.
Weblinks
- Persönliche Webseite an der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs
- Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 2002 an Daniel Kahneman (englisch)
- Vortrag über happiness (englisch)
- Daniel Kahneman: Curriculum Vitae. (PDF) In: princeton.edu. März 2024, abgerufen am 4. April 2024 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Daniel Kahneman, Nobel-winning economist, dies at 90. In: washingtonpost.com. 27. März 2024, abgerufen am 27. März 2024 (englisch).
- ↑ a b The Prize in Economic Sciences 2002. nobelprize.org, 12. Oktober 2002, abgerufen am 12. Oktober 2015 (englisch).
- ↑ Uwe Jean Heuser: Psychologie: Schreck der Ökonomen, Die Zeit, 21/2012
- ↑ Michael Lewis: Aus der Welt. Grenzen der Entscheidung oder Eine Freundschaft, die unser Denken verändert hat. Campus, Frankfurt am Main 2017, S. 48.
- ↑ Michael Lewis: Aus der Welt. Grenzen der Entscheidung oder Eine Freundschaft, die unser Denken verändert hat. Campus, Frankfurt am Main 2017, S. 47.
- ↑ Daniel Kahneman – Biographical. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2021. 21. Juni 2021. Abgerufen am 21. Juni 2021 (englisch).
- ↑ Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman ist gestorben. In: DiePresse.com. 27. März 2024, abgerufen am 27. März 2024.
- ↑ Oliver Burkeman: Daniel Kahneman: “We’re beautiful devices”, The Guardian, 14. November 2011
- ↑ a b Jens-Christian Rabe: Wahrheit und Erzählung. In: Süddeutsche Zeitung vom 26. Januar 2016, S. 9.
- ↑ Martin Tschechne: Daniel Kahneman und Amos Tversky – Wie zwei Psychologen unser Denken veränderten. Abgerufen am 25. Februar 2019.
- ↑ Stefanie Kara: Daniel Kahneman: Klüger irren. In: Die Zeit. 3. April 2024, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 11. April 2024]).
- ↑ Michael Lewis: How Two Trailblazing Psychologists Turned the World of Decision Science Upside Down. Abgerufen am 25. Februar 2019 (englisch).
- ↑ Valentin Ade, Dieter Bachmann: Eine Belohnung von Glück lässt sich nicht wirklich rechtfertigen. In: Basler Zeitung. 12. April 2013, abgerufen am 16. Juni 2013.
- ↑ Fellows: Daniel Kahneman. British Academy, abgerufen am 17. Oktober 2020.
- ↑ Leontief Prize for Advancing the Frontiers of Economic Thought. ase.tufts.edu, abgerufen am 12. Oktober 2015 (englisch).
- ↑ Daniel Kahneman. Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 26. Mai 2012; abgerufen am 17. Juni 2012.
- ↑ Biographies of the 2014 honorands bei der Yale University (yale.edu); abgerufen am 9. Juni 2014
Personendaten | |
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NAME | Kahneman, Daniel |
ALTERNATIVNAMEN | דניאל כהנמן (hebräisch) |
KURZBESCHREIBUNG | israelisch-US-amerikanischer Psychologe, Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften |
GEBURTSDATUM | 5. März 1934 |
GEBURTSORT | Tel Aviv |
STERBEDATUM | 27. März 2024 |
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