KZ Lety

Das Konzentrationslager Lety in Lety bei Písek (damals Zigeunerlager Lety, tschechisch Cikánský tábor v Letech, benannt) war von 1940 bis 1945 im Protektorat Böhmen und Mähren ein deutsches Konzentrationslager, in dem als „asozial“ Eingestufte, unter ihnen viele Roma, inhaftiert wurden und Zwangsarbeit zu leisten hatten. Eine große Zahl von Häftlingen überlebte die Lagerbedingungen nicht.

Ein Teil der Häftlinge wurde zwischen 1942 und 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Ab August 1942 firmierte Lety als eines von zwei „Zigeunerlagern“ im Protektorat, weshalb es als ein Vollzugsort des Genozids an den europäischen Roma (Porajmos) gewertet werden kann.

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KZ Lety

Geschichte

Noch vor der deutschen Besetzung des Landesteils der Tschechoslowakei am 15. März 1939, der nach Gebietsabtretungen und Sezession des Slowakischen Staates verbliebenen war, verabschiedete die tschechoslowakische Regierung am 2. März 1939 einen Erlass über „Arbeitslager“, in denen „Arbeitsscheue“ interniert werden sollten. Mit der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ wurde ab November 1939 das Herumziehen von Wohnsitzlosen verboten (Regierungserlass vom 28. April 1939). Der Bau der Lager geschah nach der Anordnung des Reichsprotektors Konstantin von Neurath vom 15. Juli 1940, wodurch die Verfügung 72/1939 der Regierung der Tschechoslowakei vom 2. März 1939 übernommen wurde.

Gedenktafeln auf dem Friedhof in Mirovice für die in Lety ermordeten Roma-Kinder

Viele tschechische Großgrundbesitzer nutzten die „Arbeitslager“-Gesetzgebung, um Zwangsarbeiter für ihre Anwesen zu bekommen. Nachdem im Dezember 1939 ein Schneesturm in dem rund 10.000 Hektar großen Wald der deutsch-tschechischen Familie von Schwarzenberg starke Schäden verursacht hatte, bemühten sich die Eigentümer um Zwangsarbeiter, um die erheblichen Mengen Bruchholz zu verwerten. Die Protektoratsverwaltung in Prag finanzierte daraufhin die Einrichtung eines Arbeitslagers in der Nähe des schwarzenbergschen Anwesens bei Orlík nad Vltavou. Daraus entwickelte sich das Lager Lety. Es unterstand tschechischer Leitung und hatte ausschließlich tschechisches Wachpersonal.[1]

Ab August 1940 hatte Lety den Status eines Arbeitsstraflagers. Häftlingskategorien waren neben Bettlern und Spielern „Müßiggänger“, „notorische Nichtstuer“ und „umherziehende Zigeuner“. Als „Zigeuner“ galten in soziografischer Perspektive nicht nur die von der tschechischen Mehrheitsbevölkerung als „Schwarze“ stigmatisierten Roma, soweit sie „umherzogen“, sondern auch „weiße“, „nach Zigeunerart umherziehende“ ethnische Tschechen. „Volksdeutsche“ durften dagegen grundsätzlich nicht in die Lager des Protektorats eingewiesen werden. Zwischen September 1940 und Dezember 1941 betrug der Anteil der als „Zigeuner“ Bezeichneten – Roma und Nichtroma – in Lety mit 290 Personen 13,6 Prozent der Häftlinge.[2]

Am 9. März 1942 übertrug die Protektoratsregierung den grundlegenden Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung von 1937 auf das besetzte Gebiet.[3] Eines von mehreren Lagern für die dort systematisierte Vorbeugehaft wurde Lety. In den Jahren 1942 bis 1944 wurden von diesen Lagern aus (neben Lety noch KZ Hodonín, Prag-Ruzyně, Pardubice, Brünn) insgesamt 14 Transporte angeblich „Asozialer“ zunächst nach dem KZ Auschwitz I, dann nach dem KZ Auschwitz-Birkenau durchgeführt. Der Anteil der als „asoziale Zigeuner“ Stigmatisierten ist von elf Transporten bekannt. Er betrug bei den Männern mit 140 Personen 19,9 Prozent, bei den Frauen mit 35 Personen 31,8 Prozent. Am 7. Dezember 1942 wurden 59 Männer und 32 Frauen aus dem Lager Lety nach Auschwitz deportiert, die ausschließlich als „Zigeuner“ – Roma und Nichtroma – kategorisiert waren. 70 von ihnen überlebten die ersten drei Monate der Verschleppung nicht.

In Lety wurden insgesamt 1308 Menschen inhaftiert. „Körperliche Schwerstarbeit, mangelhafte Ernährung, unzureichende Bekleidung und eine enorme Überbelegung der ursprünglich nur für 300 Personen angelegten Wohnbaracken“ bewirkten den Tod von insgesamt 327 Häftlingen im Lager Lety.[4]

Erinnerungskultur

Denkmal auf dem Gelände des KZ Lety

1994 entdeckte der US-amerikanische Autor und Rom Paul Polansky in einem böhmischen Staatsarchiv den Nachlass der Lagerverwaltung. Die Publikation der Dokumente führte zu einem öffentlichen Skandal, denn es erwies sich, dass auf dem Gelände des ehemaligen und durchaus nicht vergessenen Lagers in unmittelbarer Nähe des Lagerfriedhofs eine Massenschweinemast betrieben wurde. Das Verlangen, den Betrieb zu schließen und das frühere Lagergelände als Holocaust-Schauplatz gemäß der Helsinki-Konvention über Todeslager aus dem Zweiten Weltkrieg zu respektieren, blieb wie jede andere Art von Widerspruch erfolglos. 1995 versprach Präsident Havel die Schließung, die aber nicht geschah. Stattdessen ließ die tschechische Regierung an einer wenig beachteten, weil schwer zugänglichen Stelle, an der ein Notfriedhof vermutet wird, einen Gedenkort schaffen, dem später ein privates orthodoxes Kreuz hinzugefügt wurde.[5]

1997 erstatteten 20 namhafte Vertreter des kulturellen Lebens Strafanzeige wegen Völkermordes gegen Unbekannt. Die Polizei ermittelte ein Jahr gegen den letzten noch lebenden Aufseher, nach dessen Tod das Verfahren eingestellt wurde. 1998 gründeten Roma ein Komitee für die Entschädigung des Roma-Holocausts (VPORH). Das Komitee veranstaltet seither Gedenkveranstaltungen und Seminare zur Geschichte und zur aktuellen Situation der Roma in der Tschechischen Republik. Es unterstützt Entschädigungsanträge und sammelt Dokumente. Im Jahre 2000 brachte das VPORH Gedenktafeln mit den Namen der Opfer auf dem Pfarrfriedhof des benachbarten Dorfs Mirovice an, auf dem ein großer Teil der Ermordeten liegt. 2001 errichtete das Komitee dort ein Denkmal für die Opfer der nationalsozialistischen Roma-Verfolgung, das erste in Böhmen. Gedenkinstallationen in Lety lehnte es angesichts des Schweinemastbetriebs ab.

Inzwischen beteiligte sich das Komitee an der Dauerausstellung in Auschwitz zum Genozid an den europäischen Roma, veranstaltete eine Ausstellung zum Lager Lety im Gebäude des Europäischen Parlaments, holte die englischsprachige Ausstellung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in die Nationalgalerie Prag und entwickelte eine Wanderausstellung zur „verlorenen Welt“ der tschechischen Roma, die in tschechischen Städten gezeigt wurde.[6]

Im August 2014 kam es zu einem Eklat, als der tschechische Parlamentsabgeordnete Tomio Okamura in einem Interview für das Portal ParlamentníListy.cz leugnete, dass es sich bei dem Lager um ein „Romani-Konzentrationslager“ gehandelt hätte. Es sei lediglich ein Lager für „Arbeitsscheue“ gewesen, die „nicht aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit interniert [wurden], sondern aufgrund ihrer Lebensweise als Zigeuner“. Zudem behauptete er, dass „die Opfer im Lager nicht Opfer eines Holocausts“ gewesen seien.[7] Dies rief eine Welle an Protesten hervor, u. a. auch durch hochrangige Politiker.[8]

Nachdem sich die Regierung Bohuslav Sobotka im Oktober 2017 mit dem Betreiber über einen Kauf der Schweinemast einigte, wurde das Gelände im Mai 2018 dem Staat übergeben. Derzeit läuft eine archäologische Untersuchung. Die Betriebsgebäude werden bis Ende des Jahres vollständig abgerissen. Die Planung und der Aufbau einer Gedenkstätte wird vom Museum der Roma-Kultur geleitet.[9][10] Die Eröffnung ist für den Frühling 2023 geplant.[11][veraltet]

Siehe auch

Literatur

  • Guenter Lewy: Rückkehr nicht erwünscht – Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich. Propyläen Verlag, München 2001, ISBN 3-549-07141-8 (englischsprachiges Original: The Nazi persecution of the gypsies. Oxford University Press, 2000, ISBN 0-19-512556-8).
  • Paul Polansky: Black Silence – The Lety Survivors Speak (tschechisch Tíživé mlčení). G plus G, Prag 1998, ISBN 80-86103-13-7.
  • Ctibor Nečas: The Holocaust of Czech Roma. Aus dem Tschechischen übersetzt von Šimon Pellar. Prostor und Open Society Fund, Prag 1999, ISBN 80-7260-023-0 (tschechischer Originaltitel: Holocaust českých Romů. Prostor, Praha 1999, ISBN 80-7260-022-2).
  • Jana Horváthová (Hrsg.): Le romengro murdaripen andro dujto baro mariben = Genocida Romů v době druhé světové války = Genocide of Roma during World War Two. Sborník z mezinárodního odborného semináře, Pražská židovská obec, 27.5.2003. Slovo 21, Prag 2003, ISBN 80-239-3237-3 (tschechisch, englisch).
  • Ctibor Nečas: Sinti und Roma im Protektorat Böhmen und Mähren sowie in der Slowakischen Republik in den Jahren 1939–1945. In: Wacław Długoborski (Hrsg.): Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau 1943–1944 vor dem Hintergrund ihrer Verfolgung unter der Naziherrschaft. Verlag Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Oświęcim 1998, ISBN 83-85047-06-9, S. 178–190.
  • Paul Polansky: Living through it twice (tschechisch Dvakrát tím samým). G plus G, Prag 1998, ISBN 80-86103-11-0.
  • Markus Pape: A nikdo vám nebude věřit – dokument o koncentračním táborě Lety u Písku (deutsch Und keiner wird euch glauben – Dokument zum KZ des Lagers Lety u Písku). G plus G, Prag 1997, ISBN 80-901896-8-7.
  • Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“ (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte. Band 33; Teil von: Anne-Frank-Shoah-Bibliothek). Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1270-6 (Zugl.: Überarb. Habil.-Schrift Univ. Jena, 1995; Vorschau in der Google-Buchsuche ).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paul Polansky: Sinti und Roma in Tschechien während des Zweiten Weltkriegs und heute. In: pogrom / bedrohte Völker. Nr. 254: Sinti und Roma in Europa. Seit Jahrhunderten diskriminiert und ausgegrenzt. 3/2009, ISSN 0720-5058 (gfbv.it).
  2. Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“. Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1270-6, S. 219 ff. (Vorschau in der Google-Buchsuche )
  3. Abdruck des Grunderlasses Vorbeugende Verbrechensbekämpfung bei Wolfgang Ayaß (Bearb.): „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933–1945 (= Materialien aus dem Bundesarchiv. Heft 5). Koblenz 1998, Nr. 50, PDF-S. 218, ISBN 3-89192-072-5 (bundesarchiv.de (Memento vom 22. November 2016 im Internet Archive) [PDF; 2,2 MB]).
  4. Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“. Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1270-6, S. 222 (Vorschau in der Google-Buchsuche ).
  5. Paul Polansky: Sinti und Roma in Tschechien während des Zweiten Weltkriegs und heute. In: pogrom / bedrohte Völker. Nr. 254: Sinti und Roma in Europa. Seit Jahrhunderten diskriminiert und ausgegrenzt. 3/2009, ISSN 0720-5058 (gfbv.it).
    Jitka Gruntová: Proč jen Lety u Písku? (Memento vom 15. Januar 2010 im Internet Archive) In: gruntova.net (tschechisch, deutsch Warum nur Lety bei Písek?).
    Romani Rose in: Süddeutsche Zeitung. 2. August 2007.
    Lothar Martin: Eröffnet: Tschechien hat sein erstes Haus für nationale Minderheiten. In: Roma in der Tschechischen Republik. Radio Prag. 22. Juni 2007, abgerufen am 23. Juli 2022.
  6. Soweit nicht anders angegeben: Karl Kirschbaum: Das Lager Lety und seine Spätfolgen. In: Nevipe-Rundbrief des Rom e. V. Nr. 27. Oktober 2008, S. 1–4 (romev.de (Memento vom 28. August 2019 im Internet Archive) [PDF; 1,2 MB]).
  7. Ohromná ostuda, řekl kníže k věci, která trápí Romy. A Ransdorf mu připomněl tuto nehezkou věc z minulosti. In: ParlamentníListy.cz, 1. August 2014, abgerufen am 23. Juli 2022 (tschechisch).
  8. ryz (Zdeněk Ryšavý): Czech MP Okamura insults Romani victims of the Holocaust, media and politicians sharply criticize him. Übersetzung ins Englische von Gwendolyn Albert. In: Romea.cz, 4. August 2014, abgerufen am 23. Juli 2022.
  9. Martina Schneibergová: Wird Roma-Gedenkstätte in Lety endlich Realität? Der tschechische Staat übernimmt das Gelände des früheren Roma-KZ in Lety und wird dort eine Gedenkstätte errichten. In: Radio Prag. 3. April 2018, abgerufen am 23. Juli 2022.
  10. ČTK: Agpi předala státu vepřín v Letech, do konce roku bude zbourán. In: České noviny. ČTK, 3. April 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 3. April 2018; abgerufen am 23. Juli 2022 (tschechisch, deutsch Schweinemast an Staat verkauft. Bis Ende des Jahres wird sie abgerissen).
  11. Markéta Kachlíková, Jan Kopřiva: Leere Wiese im Wald der Erinnerungen: Gedenkstätte für ermordete Roma im KZ Lety. In: Radio Prague International. 11. August 2021, abgerufen am 23. Juli 2022: „Die Gedenkstätte wird zum Museum der Roma-Kultur in Brno / Brünn gehören. 2023 soll dort eine Gedenkstätte eröffnet werden.“

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