Johann Heinrich Wilhelm Dietz
Johann Heinrich Wilhelm Dietz (* 3. Oktober 1843 in Lübeck; † 28. August 1922 in Stuttgart) war Verleger und Politiker der frühen deutschen Sozialdemokratie. Von 1881 bis 1918 war er mit einem Mandat für die SPD (bzw. bis 1890 deren Vorläuferpartei SAPD) im Reichstag des Kaiserreichs vertreten. Er begründete 1881 den J.H.W.-Dietz-Verlag.
Leben
Der Vater Johann Jochim Christian Dietz war Schneider und die Mutter Anna Catherine Elisabeth stammte aus ähnlichen Verhältnissen. Nach dem Abschluss der Schule absolvierte Dietz eine Buchdruckerlehre in Lübeck. Anschließend ging er als Drucker nach St. Petersburg. Dort gewann er einen ersten Einblick in die schwere wirtschaftliche Situation der russischen Arbeiterschaft. Auch hatte er dort erste Kontakte zu sozialistischen Kreisen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1866 war Dietz in Hamburg als Schriftsetzer und Faktor (Leiter einer Buchdruck-Setzerei) tätig. Gleichzeitig schloss er sich auch der sozialistisch orientierten Arbeiterbewegung an.
Dietz übernahm 1875 die Leitung des neu gegründeten Hamburg-Altonaer Volksblatts. Zwischen 1881 und 1918 vertrat er die Sozialdemokratie im Reichstag. Er war im Reichstagswahlkreis Freie und Hansestadt Hamburg 2 gewählt worden.
Unter dem Sozialistengesetz wurde Dietz am 27. Oktober 1880 aus Hamburg ausgewiesen und gründete am 31. Dezember 1881 den „Verlag J. H. W. Dietz“ in Stuttgart. 1884 gab Dietz wegen systematischer Polizeischikanen und fast täglicher Haussuchungen seine Druckerei in Stuttgart auf und beließ in Stuttgart nur das Verlagsgeschäft. Erst später ging man in Württemberg zu einer milderen Praxis des Sozialistengesetzes über.
Dietz betreute die Herausgabe des Briefwechsels von Karl Marx und Friedrich Engels und verlegte die Werke sozialdemokratischer Schriftsteller, u. a. von August Bebel, Eduard Bernstein, Ferdinand Lassalle und Franz Mehring. Während des Sozialistengesetzes, aber auch danach organisierte er den Vertrieb sozialistischer Literatur in Deutschland.
Ab 1883 erschien in seinem Verlag die theoretische sozialistische Zeitschrift Die Neue Zeit, die von Karl Kautsky herausgegeben wurde. Von 1892 bis 1917 erschien in seinem Verlag die sozialistische Frauenzeitschrift Die Gleichheit, die von Clara Zetkin herausgegeben wurde.
Dietz leistete Außerordentliches zur Verbreitung des Marxismus in der Sozialdemokratie. In zahlreichen innerparteilichen Kontroversen bezog er indessen stets auf Seiten des gemäßigten Parteiflügels Position. Zeitlebens auf Ausgleich bedacht, stand er ab den 1890er Jahren den Revisionisten nahe.
Sein ambitioniertes Verlagsprogramm finanzierte Dietz vor allem durch das weitverbreitete sozialdemokratische literarische Satireblatt Der Wahre Jacob, das er 1879 gemeinsam mit dem Journalisten Wilhelm Blos in Hamburg gegründet hatte und später in Stuttgart weiterführte.
1906 übernahm die SPD den Dietz-Verlag als zentralen Parteiverlag, was am verlegerischen Engagement von Dietz nichts änderte.
1916 überwies er seine sozialdemokratische Privatbibliothek der Deutschen Bücherei in Leipzig als Geschenk, wo sie den Grundstock der 1970 neu gegründeten Sammlung Sozialistica bildete, die jetzt Teil der Sammlungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums ist. »In diesem Bestand befinden sich zahlreiche wertvolle Erstdrucke und seltene Ausgaben der Werke von Karl Marx, Friedrich Engels, Ferdinand Lassalle, Franz Mehring, August Bebel, Maxim Gorki oder auch Lenins Was tun? in der in Stuttgart 1902 erschienenen russischsprachigen Erstausgabe.«[1]
Nach dem Tod von Johann Heinrich Wilhelm Dietz wurde der Verlag 1923 von Stuttgart nach Berlin verlegt, wo er 1924 mit dem zweiten großen sozialdemokratischen Parteiverlag, dem „Verlag der Buchhandlung Vorwärts“ (nicht zu verwechseln mit der Vorwärts-Druckerei) fusionierte.
Literatur
- Karl Kautsky: Heinrich Dietz. In: Die Neue Zeit Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. 32. Jg. 1. Band. Heft 1 vom 3. Oktober 1913, S. 1–8 (Digitalisat)
- Angela Graf: Angela Graf: Johann Heinrich Dietz – Verleger der Sozialdemokraten: biographische Annäherung an ein politisches Leben, [Berlin] 1996, DNB 950458058 (Dissertation HU Berlin 1996, 313 Blätter mit Illustrationen und graphischen Darstellungen, 30 cm, Teil der Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. Frankfurt am Main).
- Christof Rieber: Das Sozialistengesetz und die Sozialdemokratie in Württemberg 1878–1890. Stuttgart 1984 (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 19/1 und 19/2).
- Brigitte Emig, Max Schwarz, Rüdiger Zimmermann: Literatur für eine neue Wirklichkeit. Bibliographie und Geschichte des Verlages J. H. W. Dietz Nachf. 1881–1981 und der Verlags Buchhandlung Vorwärts, Volksbuchhandlung Hottingen/Zürich, German Cooperative Print, & Publ. Co., London, Berliner Arbeiterbibliothek, Arbeiterjugendverlag, Verlagsgenossenschaft „Freiheit“, Der Bücherkreis. J. H. W. Dietz Nachfl., Berlin, Bonn 1981, ISBN 3-8012-0059-0.z
- Eberhard Hackethal: Dietz, Johann Heinrich Wilhelm. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Biographisches Lexikon. Dietz Verlag, Berlin 1970, S. 91–93.
- Georg Schöpflin: Johann Heinrich Wilhelm Dietz. Der Schöpfer und Organisator des sozialistischen Verlagsgeschäfts zum fünfundzwanzigsten Todestag am 28. August 1947. Mit Porträt. Dietz Verlag, Berlin 1947.
- Angela Graf: Wie alles begann. Von der Verlagsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik. In: Empor zum Licht! 125 Jahre Verlag J. H. W. Dietz Nachf. Seine Geschichte und seine Bücher 1881 - 2006. Dietz, Bonn 2006, ISBN 3-8012-0374-3, S. 13–57 Volltext online (PDF-Datei aus der digitalen Bibliothek der Friedrich Ebert Stiftung; kostenfrei, 45 Seiten, 176 kB)
- Gustav Schmidt-Küster (Hrsg.): Ein Leben für das poitische Buch. Ein Almanach zum 120. Geburtstag von Johann Heinrich Wilhelm Dietz, Mit Beiträgen von Erich Ollenhauer, Anni Geiger-Hof, Karl Kautsky und Heinrich Cunow nebst einer Bibliographie von Alexander Blase. J. H-. W. Nachf. Dietz, Hannover 1963.
- Christof Rieber: Das Sozialistengesetz. Die Kriminalisierung einer Partei. In: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.): Politische Gefangene in Südwestdeutschland (= Stuttgarter Symposion. Band 9), Silberburg, Tübingen 2001, S. 166–194, ISBN 3-87407-382-3.
- Max Schwarz: Seit 1881. Bibliographie des Verlages J. H. W. Dietz Nachfl. Verlag J. H. W. Dietz Nachfl., Berlin / Bonn-Bad Godesberg 1973, DNB 740097776.
- Hans Lülfing: Dietz, Johann Heinrich Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Duncker & Humblot, Berlin 1957, ISBN 3-428-00184-2, S. 706 (Digitalisat).
- Christof Rieber: J.H.W. Dietz (1843–1922). In: Siegfried Bassler: Mit uns für die Freiheit. 100 Jahre SPD in Stuttgart. 1987, S. 164–167.
Weblinks
- Johann Heinrich Wilhelm Dietz in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
- Literatur von und über Johann Heinrich Wilhelm Dietz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kurzeintrag mit Bild
- „Johann Heinrich Wilhelm Dietz - Verleger der Sozialdemokraten: biographische Annäherung an ein politisches Leben“ – von Angela Graf, 1996; mit Links zu den einzelnen Kapiteln (im online-Archiv – library.fes.de – der Friedrich-Ebert-Stiftung)
- Archiv der Johann Heinrich Wilhelm Dietz Papiere beim Internationalen Institut für Sozialgeschichte
- Biografie von Heinrich Dietz. In: Heinrich Best: Datenbank der Abgeordneten der Reichstage des Kaiserreichs 1867/71 bis 1918 (Biorab – Kaiserreich)
Einzelnachweise
- ↑ Jörg Räuber und Emily Löffler: Sammlung Sozialistica. Sozialistisch, revolutionär, radikal. In: Stephanie Jacobs (Hrsg.): Tiefenbohrung. Provenienzgeschichten aus dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2022, S. 258–266.
Personendaten | |
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NAME | Dietz, Johann Heinrich Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Verleger und Politiker, MdR |
GEBURTSDATUM | 3. Oktober 1843 |
GEBURTSORT | Lübeck |
STERBEDATUM | 28. August 1922 |
STERBEORT | Stuttgart |
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SPD Reichstagsfraktion 1889 (sitzend, von links nach rechts): Georg Schumacher, Friedrich Harm, August Bebel, Heinrich Meister, Karl Frohme; (stehend, von links nach rechts): Johann Dietz, August Kühn, Wilhelm Liebknecht, Carl Grillenberger, Paul Singer.
Autor/Urheber:
unbekannt
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Titelseite der Satirezeitschrift Der Wahre Jacob, Nummer 299 vom 4. Januar 1898
Reichsadler des Preußisch-Deutschen Kaiserreiches ab 1889.