Johann Friedrich Wilberg

Johann Friedrich Wilberg, um 1820 gemalt von Heinrich Christoph Kolbe

Johann Friedrich Wilhelm Wilberg (* 5. November 1766 in Ziesar, Herzogtum Magdeburg; † 17. Dezember 1846 in Bonn, Rheinprovinz) war ein deutscher Pädagoge. Als Schullehrer war er ein bedeutender Vertreter der Pädagogik der Aufklärung. Als Leiter einer Armenschule und einer Hö­he­ren Bür­ger­schu­le sowie als Schulinspektor wirkte er viele Jahre in Elberfeld, einem heutigen Stadtteil von Wuppertal.

Leben

Johann Friedrich Wilberg kam als Sohn des Unterbeamten Sebastian Friedrich Wilberg († 1778), der im Siebenjährigen Krieg zum Invaliden geworden war, und dessen Ehefrau Anna Sophia, geborene Duschkrin, aus ärmlichen Verhältnissen. Er wuchs im lu­the­ri­schen Haushalt des Großvaters auf, eines Küsters, Kantors und Lehrers in Ka­row bei Jerichow. Als der Vater 1778 eine Stelle am „kö­nig­li­chen Bau­komp­toir“ in Potsdam erhalten hatte, nahm er seinen Sohn zu sich. Doch bald darauf starb der Vater, und so kam Wilberg in den Haushalt des Onkels, der Wilbergs Großvater auf der Lehrerstelle in Karow gefolgt war. Diesen unterstützte er in der Schule und begann 1781 eine Lehre bei einem Schneidermeister in Brandenburg an der Havel. Bis 1789 arbeitete er danach als Schneidergeselle, während er in seiner freien Zeit seinen geistigen Interessen nachging und viel las.

Nachdem ein Versuch, eine Freistelle für ein Studium an der Schule der Franckesche Stiftungen in Hal­le zu bekommen, fehlgeschlagen war, konnte er durch Vermittlung eines Pfarrers eine Ausbildung an der aufklärerischen Inhalten verpflichteten Schule von Friedrich Eberhard von Rochows in Reckahn finden. Anschließend absolvierte er das Lehrerseminar in Berlin und ging Ende 1790 als Lehrer an die im Februar 1791 eröffnete koedukative Musterschule von Philipp von der Recke von Volmerstein, eines Neffen von Rochows, auf dessen Gut Over­dyk in Ham­me bei Bochum in der Grafschaft Mark, wo Wilberg eine der seltenen königlichen „Gna­den­schul­stel­len“ mit einem Beitrag des Königs zum Lehrergehalt erhielt. 1797 heiratete er Johanna Lumberg (1772–1835), die Tochter eines Landwirts, mit der er in 38-jähriger Ehe vier Kinder hatte, darunter Friedrich Wilhelm Wilberg (1798–1852), später Gymnasialdirektor in Essen, und Johanna Theodora Wilberg (1800–1855), ab 1821 Ehefrau des Elberfelder Kaufmanns Carl Hecker.

Auf dem Gut von der Reckes arbeitete Wilberg bis 1802. Unterstützt wurde er von seinem Dienstherrn und dessen „Ge­sell­schaft der Freun­de der Leh­rer und Kin­der in der Graf­schaft Mar­k“, die eine allgemeine Re­form der Landschulen in Gang bringen wollte und Wilbergs Schule als Nukleus einer umfassenderen Neuordnung des Schulwesens im Sinne zeitgenössischer Reformpädagogik verstand. Wilberg begann in Hamme auch mit der Einrichtung eines privaten Lehrerseminars. Bauern, die ihre Kinder auf die Schule schickten, begegneten dem rationalistischen Lehrplan der Schule allerdings zunächst mit gewissem Misstrauen. Durch Einführung eines „In­dus­trie­un­ter­rich­ts“, bei dem die Schüler praktische Arbeiten verrichteten, beispielsweise während des Unterrichts strickten, und durch ihre verkäuflichen Produkte – etwa Strümpfe, Handschuhe, Mützen – die Unterhaltskosten der Schule senkten, konnte Wilberg Vorbehalte ausräumen.

1802 wurde Wilberg von Jakob Aders als In­spek­tor des neu­en städ­ti­schen Armenhauses nach Elberfeld berufen. Mit dem Armenhaus war eine Elementarschule verbunden, deren Leitung Wilberg ebenfalls übernahm. Nach weiteren zwei Jahren beriefen ihn wohlhabende Bürger der Stadt, die mit den Leistungen der ört­li­chen La­tein­schu­le unzufrieden waren, zum Leiter ihrer neuen „Pri­vat-Lehr­an­stalt für die Kin­der aus den hö­he­ren Stän­den“, wo anstatt Latein und Griechisch moderne Fremdsprachen, kaufmännisches Rechnen und die „Rea­li­en“ gelehrt wurden. Das Schulgeld war beträchtlich, so dass die Kinder aus den gehobenen Familien des Bürgertums unter sich blieben. Seine neue Leitungsaufgabe für die Höhere Bürgerschule versah Wilberg zusätzlich zur Armenhausleitung.

1806 begann er, an Samstagnachmittagen „Un­ter­hal­tun­gen“ abhalten. Zu diesen Veranstaltungen wurden alle Lehrer der Stadt und ihrer Umgebung eingeladen, zuerst in sein Haus, später in die lutherische Pfarrschule. In 28 Jahren bildeten die „Unterhaltungen“ ei­n hilfreiches Forum gegenseitigen Austausches zwischen Angehörigen eines Berufs, dessen gesellschaftliches Ansehen gering, dessen Angehörige oft von materieller Not gezeichnet und dessen Arbeit von Vereinzelung bestimmt war. Vielen Lehrern vermittelten sie häufig die ersten didaktischen und methodischen Kenntnisse, trugen zur Selbstverständigung und zur Ausbildung ihres Standesbewusstseins bei und machten ihnen die Bedeutung ihrer Arbeit bewusst. Zwischen 1818 und 1820 nahm auch Adolph Diesterweg, der ­spätere Direktor der Lehrerseminare in Moers und Berlin, an den Treffen teil. Dessen Bruder, der Mathematiker Wilhelm Adolf Diesterweg, hatte Wilberg 1817 für einen Aufsatz über „unmittelbare Denkübungen“[1] den Erwerb eines akademischen Titels (Dr. phil. bzw. Magister) der Universität Tübingen vermittelt.[2]

1814 bestellte ihn der bergische Schulrat, der beim Generalgouvernement Berg gebildet worden war, zum „Schul­pfle­ger“ der protestantischen Schulen im Be­zirk El­ber­feld. Dieses Ehrenamt, das Aufgaben der Schulaufsicht beinhaltete, übte andernorts der örtliche Pfarrer aus­. Als 1829 das Schulwesen in Elberfeld umgestaltet wurde und in diesem Zuge die von Wilberg geleitete Privatschule zugunsten der zu gründenden Höheren Bürger- und Realschule Elberfeld aufgegeben werden sollte, erhielt Wilberg durch Vermittlung des Düsseldorfer Konsistorial- und Schulrats Karl Wilhelm Kortüm neben der Zusage einer finanziellen Entschädigung aus der Kasse der neuen Schule die Aufgaben eines städtischen Schulinspektors zugewiesen,[3] ein Amt, das er bis 1837 ausübte.

Wilberg-Denkmal in Wuppertal-Hardt[4]

Aufgrund seiner Verwurzelung im Pietismus und im Glauben an die Prädestination[5] war Wilberg ein Geg­ner der Re­vo­lu­ti­on. Ganz im Sinne des zeitgenössischen Borussianismus und Nationalprotestantismus sah er den preußischen Staat, seine Monarchen und die ständisch gegliederte Gesellschaft als gottgewollte Ordnung. Der Schule als Bildungsinstanz wies er in diesem Geschichts- und Menschenbild die Aufgabe zu, diese Ordnung und die darin dem Individuum gegebenen Handlungsräume aufzuzeigen. Somit das Vertrauen der preußischen Obrigkeit genießend, betätigte sich Wilberg im Auftrag des Generalgouvernements Berg schon 1814, dann im Auftrag der Düsseldorfer Regierung, als Zen­sor von in Elberfeld erscheinenden Zeitungen, vor allem nach den Karlsbader Beschlüssen (1819).

1835 versuchte Wilberg in Elberfeld, das vom re­for­mier­ten Bekenntnis beherrscht war, eine unier­te Kirchengemeinde zu gründen. Im benachbarten Barmen war dies bereits 1822 geglückt, allerdings mit Unterstützung reicher Fabrikanten, vor allem der Fa­mi­lie En­gels. In Elberfeld scheiterte der Versuch, hauptsächlich am Widerstand der reformierten Gemeinde.

1839 zog Wilberg nach Bonn, in eine Villa vor dem Koblenzer Tor, gegenüber dem Haus von Ernst Moritz Arndt. Dort starb er 1846 im Alter von 80 Jahren und wurde auf dem Al­ten Fried­hof begraben.

Werke (Auswahl)

  • Le­se­buch für Kin­der, die gern ver­stän­di­ger und bes­ser wer­den wol­len. Hamm 1793.
  • Ei­ni­ge Ge­dan­ken, den Schul­leh­rern ge­wid­met. In: Der deut­sche Schul­freund. Jahr­gang 9 (1794), S. 38–40.
  • Der Mär­ki­sche Leh­rer- und Kin­der­freund. Ein Hand­buch für Leh­rer in Bür­ger- und Land­schu­len. 2 Bän­de, Dort­mund 1795/96.
  • Aus­zü­ge aus Ta­ge­bü­chern ei­ner Schu­le nebst Auf­sät­zen päd­ago­gi­schen In­halts. Ein Hand­buch für Leh­rer. 2 Bän­de, El­ber­feld 1811/12.
  • Der Schul­meis­ter Le­brecht, wie er über sein Amt dach­te und dar­in wirk­te. El­ber­feld 1820.
  • Auf­sät­ze über Un­ter­richt und Er­zie­hung für Leh­rer und El­tern. 2 Bän­de, Es­sen 1824.
  • Ue­ber das Ar­men­we­sen. El­ber­feld 1834.
  • Er­in­ne­run­gen aus mei­nem Le­ben, nebst Be­mer­kun­gen über Er­zie­hung, Un­ter­richt und ver­wand­te Ge­gen­stän­de. Es­sen 1836.
  • Ge­dan­ken und Urt­hei­le des Vet­ters Chris­ti­an über Le­ben und Wir­ken im Mit­tel­stan­de. Nebst Mitt­hei­lun­gen aus sei­nem schrift­li­chen Ver­mächt­nis­se. Es­sen 1843.

Literatur

  • Adolph Diesterweg, Peter Heu­ser, Friedrich Adolf Fuchs: Jo­hann Fried­rich Wil­berg, der „Meis­ter an dem Rhein“. Es­sen 1847.
  • Eduard Lan­gen­berg: Jo­hann Fried­rich Wil­berg. Sein Le­ben und sei­ne Schrif­ten. Ei­ne Ge­denk­schrift zur Fei­er sei­nes 100jährigen Ge­burts­ta­ges am 5. November 1866. El­ber­feld 1866.
  • Wilberg, Johann Friedrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1898), S. 518–519.
  • Manfred Hei­nemann, Wilhelm Rü­ter: Land­schul­re­form als Ge­sell­schafts­in­itia­ti­ve. Phi­lip von der Reck, Jo­hann Fried­rich Wil­berg und die Tä­tig­keit der „Ge­sell­schaft der Freun­de der Leh­rer und Kin­der in der Graf­schaft Mar­k“ (1789–1815). Göt­tin­gen 1975.
  • Volkmar Wittmütz: Schu­le der Bür­ger. Die hö­he­re Schu­le im Wup­per­tal 1800–1850. Wup­per­tal 1981.
  • Volkmar Witt­mütz: Jo­hann Fried­rich Wil­berg. Der „Meis­ter an dem Rhein“. In: Adolph Dies­ter­weg. Wis­sen im Auf­bruch. Ka­ta­log zur Aus­stel­lung zum 200. Ge­burts­tag. Wein­heim 1990, S. 168–175.
  • Volkmar Witt­mütz: Jo­hann Fried­rich Wil­berg in El­ber­feld. Päd­ago­gik zwi­schen Phil­an­thro­pis­mus und Zen­sur. In: Ge­schich­te im Wup­per­tal 4 (1995), S. 8–19.
  • Hanno Schmitt: Johann Friedrich Wilberg. Ein authentischer Zeuge der Rochow’schen Pädagogik im 19. Jahrhundert. In: Mitteilungsblatt des Förderkreises Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung e.V. 15 (2004) 2, S. 6–12 (PDF).
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Einzelnachweise

  1. Denkübungen. In: Pierer’s Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 845
  2. Eduard Langenberg: Johann Friedrich Wilberg. Sein Leben und seine Schriften. Eine Gedenkschrift zur Feier seines 100jährigen Geburtstages am 5. November 1866. Verlag der Wilberg-Stiftung, Elberfeld 1866, S. 81 f. (Google Books)
  3. Heinrich Döring: Dr. phil. Johann Friedrich Wilberg: In: Neuer Nekrolog der Deutschen. 24. Jahrgang (1846), 2. Teil, Verlag von Bernhard Friedrich Voigt, Weimar 1848, S. 840, Nr. 233 (Google Books)
  4. Wilberg-Denkmal, Webseite im Portal denkmal-wuppertal.de
  5. Anne Sophie Overkamp: Fleiß, Glaube, Bildung. Kaufleute als gebildete Stände im Wuppertal 1760–1840 (= Bürgertum Neue Folge. Studien zur Zivilgesellschaft, 20). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, ISBN 978-3-525-37096-4, S. 224, Fußnote 87 (Google Books)

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Johann Friedrich Wilberg (1766–1846)
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