Jascha Nemtsov

Jascha Nemtsov (russisch Яков Григорьевич Немцов, wiss. Transliteration Âkov Grigor'evič Nemcov; * 7. Oktober 1963 in Magadan in Sibirien, UdSSR) ist ein russischer Pianist und Musikwissenschaftler.

Leben

Jascha Nemtsov ist Sohn eines Gulag-Überlebenden. Ab 1965 lebte er in Leningrad. Er absolvierte dort die Spezialmusikschule mit einer Goldmedaille und setzte danach seine musikalische Ausbildung am Leningrader Staatlichen Konservatorium fort (Konzertdiplom mit Auszeichnung).

Seine internationale pianistische Laufbahn begann erst Mitte der 1990er Jahre nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. Neben dem klassisch-romantischen Klavierrepertoire widmet sich Nemtsov intensiv der Musik des 20. Jahrhunderts. Seine Spezialgebiete sind jüdische Kunstmusik und russische Musik, insbesondere Werke von Dmitri Schostakowitsch. Er führte außerdem mehrere Konzertprogramme mit Werken jüdischer Komponisten auf, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden, wie Viktor Ullmann, Erwin Schulhoff, Pavel Haas oder Gideon Klein. Seine Auftritte gestaltet Nemtsov oft als Gesprächskonzerte, in denen er auf lebendige Weise über die Schicksale der Komponisten und den historischen Hintergrund erzählt.

Am 27. Januar 2012 spielte Nemtsov anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag Werke von Frédéric Chopin und Mieczysław Weinberg.

Jascha Nemtsov ist mit der Komponistin Sarah Nemtsov verheiratet. Sie leben mit ihren drei Kindern in Berlin.

CD-Produktionen

Bislang nahm Nemtsov insgesamt rund 40 CDs mit zahlreichen Weltersteinspielungen auf. Darunter sind Werke für Klavier solo, sowie Kammermusik mit den Partnern Tabea Zimmermann, David Geringas, Ingolf Turban, Dmitri Sitkowetski, Julia Rebekka Adler oder dem Vogler-Quartett. Mehrere CDs wurden international ausgezeichnet, u. a. als „Audiophile Reference - The Best of 2001“, „Choc – Le Monde de la Musique“ oder „Disc of the Month April 2006“ (BBC Music Magazine). Die CD mit Sonaten für Violine und Klavier von Dmitri Schostakowitsch und Mieczysław Weinberg (mit dem Geiger Kolja Blacher) erhielt 2007 den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Mit seinen CD-Projekten präsentierte er der Öffentlichkeit erstmals die Musik von einigen bis dahin vollkommen vergessenen Komponisten, darunter Juliusz Wolfsohn und Jakob Schönberg. Für seine Anthologie aus fünf CDs mit Ersteinspielungen von Klavierwerken des russischen, im Stalinismus verfolgten Komponisten Wsewolod Saderazki wurde Nemtsov 2018 mit dem Opus Klassik Preis ausgezeichnet.

Musikwissenschaftliche Tätigkeit

Jascha Nemtsov ist seit 2002 Mitglied des Instituts für Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Er wurde 2004 promoviert und habilitierte sich 2007. Seine wissenschaftlichen Arbeiten konzentrieren sich auf jüdische Musik und jüdische Komponisten im 20. Jahrhundert. Das wichtigste Spezialgebiet ist die sogenannte Neue Jüdische Schule in der Musik, eine Komponistenvereinigung, die zwischen den beiden Weltkriegen in Russland und in einigen westeuropäischen Ländern aktiv war und einen dezidiert jüdischen Stil auf Grundlage jiddischer Folklore und Synagogenmusik entwickelte. Jascha Nemtsov unterrichtet außerdem am Abraham Geiger Kolleg der Universität Potsdam, dessen Kantorenseminar (Cantorial School) er gegenwärtig leitet. 2011 war er Gastprofessor für jüdische Musik und Kultur an der Universität Lüneburg. 2013 wurde er auf die neue Professur für Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar berufen. Seit Beginn des Sommersemester 2013 lehrt Nemtsov am gemeinsamen Institut für Musikwissenschaft der Weimarer Musikhochschule und der Friedrich-Schiller-Universität Jena.[1]

Publikationen

  • Die Neue Jüdische Schule in der Musik. Harrassowitz, Wiesbaden 2004, ISBN 978-3-447-05034-0 (= Jüdische Musik. Band 2, zugleich Dissertation an der Universität Potsdam 2004).
  • Jüdische Kunstmusik im 20. Jahrhundert: Quellenlage, Entstehungsgeschichte, Stilanalysen. Harrassowitz, Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-447-05293-1 (= Jüdische Musik. Band 3).
  • Enzyklopädisches Findbuch des Potsdamer Archivs der Neuen Jüdischen Schule in der Musik. Harrassowitz, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-447-05786-8 (= Jüdische Musik. Band 8).
  • Arno Nadel (1878–1943). Sein Beitrag zur jüdischen Musikkultur. Hentrich & Hentrich, Berlin 2009, ISBN 978-3-938485-89-7 (= Jüdische Miniaturen. Band 77).
  • Oskar Guttmann (1885–1943) und Alfred Goodman (1919–1999) Berlin: Hentrich & Hentrich, 2009, ISBN 978-3-941450-13-4 (= Jüdische Miniaturen, Band 89).[2]
  • Der Zionismus in der Musik: jüdische Musik und nationale Idee. Harrassowitz, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05734-9 (= Jüdische Musik. Band 11).
  • Deutsch-jüdische Identität und Überlebenskampf: Jüdische Komponisten im Berlin der NS-Zeit. Harrassowitz, Wiesbaden 2010.[3]
  • Louis Lewandowski. „Liebe macht das Lied unsterblich!“ Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, ISBN 978-3-94227-138-7 (= Jüdische Miniaturen. Band 114).[4]
  • Doppelt vertrieben. Deutsch-jüdische Komponisten aus dem östlichen Europa in Palästina/Israel. Harrasowitz, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-447-06975-5 (= Jüdische Musik. Band 11).[5]
  • "Charles Valentin Alkan. Ein jüdischer Musiker im Zeitalter der Emanzipation", in: C.V. Alkan, ed. text + kritik, München 2017, ISBN 978-3-86916-600-1 (= Musik-Konzepte Bd. 178), S. 28–49.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar Aktuelles im Überblick: Ruf nach Weimar: Jascha Nemtsov ist neuer Professor für die Geschichte der jüdischen Musik an die Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar@1@2Vorlage:Toter Link/www.hfm-weimar.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 11. April 2013
  2. Rezension: Peter Sühring auf info-netz-musik, 26. Mai 2011; abgerufen am 21. September 2014
  3. Rezension: Peter Sühring auf info-netz-musik, 19. Oktober 2011; abgerufen am 21. September 2014
  4. Rezension: Peter Sühring auf info-netz-musik, 29. Oktober 2012; abgerufen am 20. September 2014
  5. Rezension: Peter Sühring auf info-netz-musik, 19. Mai 2014, abgerufen am 20. September 2014