Isomorphie (Sozialwissenschaften)

Die Isomorphie (gr. ἴσος ísos „gleich“, μορφή morphé „Form, Gestalt“) ist in den Sozialwissenschaften ein Begriff der methodischen „Gleichgestaltigkeit“ von Theorien oder Modellen, die bedeutsam ist für die interdisziplinäre Zusammenarbeit einzelner Problemaspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Mit der Isomorphie können zwei ganz unterschiedliche Gegenstandsbereiche über eine bedeutungsgleiche Transformation umkehrbar eindeutig auf einander abgebildet werden.

Als solche fachbezogenen Gegenstände gelten die Ethnologie, Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, Kulturgeschichte, Politologie, Geschichtswissenschaft und Sprachwissenschaft. Eine Isomorphie wird dann festgestellt, wenn unterschiedliche Gegenstandsbereiche mit gleichen Theorien oder Modellen erforscht werden können. In Falle gleicher struktureller Beziehungen lassen sich die für einen Gegenstand gültigen Gesetzesaussagen auf die Aussagen des anderen übertragen.[1]

Geeignete Methoden, um Isomorphien zu finden, sind die Analogie („Übereinstimmung, Gleichartigkeit, Entsprechung“) und die Heuristik. Die zweite Methode besteht in der Kunst, mit begrenztem Wissen, unvollständigen Informationen und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder zu praktikablen Lösungen zu kommen.

Institutionen

Nach DiMaggio und Powell trifft die Isomorphie insbesondere auf Institutionen zu. Zu unterscheiden sind drei Formen:[2]

  • Koerzitive Isomorphie: Die Strukturen werden von Organisationen zwangsweise übernommen, weil eine finanzielle oder rechtliche Abhängigkeit besteht;
  • Mimetische Isomorphie: die Strukturen werden freiwillig nachgeahmt, wenn sie als erfolgreich eingeschätzt werden;
  • Normative Isomorphie: die vergleichbare Sozialisation führt zu vergleichbaren Lösungsstrategien.

Ein Beispiel

Die Theorie universeller antinomer Strukturen hat Fritz Riemann dazu veranlasst, die physikalisch-kosmischen Gesetze (a) der Schwerkraft und (b) der Fliehkraft, sowie die astronomischen Gesetze (c) der Revolution und (d) der Rotation von Planeten auch auf psychosoziale Gegebenheiten anzuwenden. Dabei kommt er entsprechend diesen vier Gesetzen auch zu einer Vierteilung von Persönlichkeitseigenschaften, mit den (a) zwanghaften, (b) hysterischen, (c) depressiven und (d) schizoiden Persönlichkeiten.[3]

Rezeption

Hans-Georg Gadamer (1900–2002) betont in der Darlegung des Methodenproblems für die Geisteswissenschaften, dass Gleichförmigkeiten ebenso wie Gesetzmäßigkeiten und andere Regelhaftigkeiten auch in der Moralwissenschaft (moral sciences = Geisteswissenschaften) bereits nach David Hume (1711–1776) als Erkennungsmerkmale für voraussagbare Erscheinungen und Abläufe dienen.[4][5]

Literatur

  • P.J. DiMaggio, W.W. Powell: The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields. American Sociological Review, 48 (2), 1983, S. 147–160.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karl-Heinz Hillmann: Wörterbuch der Soziologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 410). 4., überarbeitete und ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 1994, ISBN 3-520-41004-4, Lexikon-Stw. „Isomorphie“: S. 393, Lexikon-Stw. „Sozialwissenschaften“: S. 817.
  2. P.J. DiMaggio, W.W. Powell: The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields. American Sociological Review, 48 (2), 1983, S. 147–160.
  3. Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. Ernst Reinhardt Verlag, München, 9. Auflage 1974 / 1975 [1961], ISBN 3 497 00749 8, S. 7–19.
  4. Hume, David: A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into Moral Subjects. (1739–1740; deutsch Ein Traktat über die menschliche Natur; siehe die Einleitung [Introduction])
  5. Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Gesammelte Werke, Band I, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1990, ISBN 3-16-145616-5; S. 9