Ismaeliten

Die Ismaeliten (hier Ishmaelites, ganz unten) innerhalb der Nachkommenschaft von Sem

Die Ismaeliten oder Ismaeliter (lateinisch Ismaelitae, englisch Ishmaelites) sind die Nachkommen von Abrahams erstgeborenem Sohn Ismael, der als Stammvater der Araber gilt. Im Christlichen Orient hat man diesen Begriff ab dem frühen Mittelalter als Bezeichnung für die Muslime verwendet. So werden zum Beispiel in der Apokalypse des Pseudo-Methodius, die im späten 7. Jahrhundert abgefasst wurde, die muslimischen Araber als „Söhne Ismaels“ beschrieben. Im 8. Jahrhundert verfasste der Theologe Johannes von Damaskus (gestorben 754) eine Streitschrift gegen die „Häresie der Ismaeliten“, womit er den Islam meinte. Im koptischen Daniel-Buch, das auf die Mitte des 8. Jahrhunderts datiert wird, wird der Umayyaden-Staat als „Reich der Ismaeliten“ beschrieben und in die Vier-Reiche-Lehre integriert.

In Osteuropa, insbesondere in der Kiewer Rus, bezeichnete man mit den Ismaeliten jene turksprachigen Muslime, die von der unteren Wolga und vom Nordrand des Kaspischen Meers her in den Ostländern Europas Handel trieben und sich später dort ansiedelten. Die Nestorchronik erklärt, dass es insgesamt vier ismaelitische Stämme gebe, nämlich die Turkmenen, die Petschenegen, die Türken und die Polowzer beziehungsweise Kumanen.[1] Auch im mittelalterlichen Ungarn verwendete man den Begriff in diesem Sinne. Im 58. Kapitel der Gesta Hungarorum wird berichtet, dass im 10. Jahrhundert eine große Menge von Ismaeliten aus Bolgar nach Ungarn kamen.[2] Damit sind Kumanen gemeint, die aus dem Reich der Wolgabulgaren einwanderten und die früheste muslimische Bevölkerung in Ungarn bildeten.

Im lateinischen Westen wurde der Begriff Ismaeliten – neben Sarazenen – allgemein als Bezeichnung für die Muslime verwendet. So schrieb der spanische Theologe Juan de Torquemada (gestorben 1468) einen Tractatus contra Madianitas et Ismaelitas.

Die Ismaeliten sind nicht mit den Ismailiten, den Anhängern einer schiitischen Lehre, zu verwechseln. Diese sind nach Ismāʿīl ibn Dschaʿfar, dem Sohn des sechsten schiitischen Imam, Dschaʿfar as-Sādiq, benannt.

Literatur

  • Carl Heinrich Becker: Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. In: Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-historische Klasse. 1916, S. 7–57 (Digitalisat).
  • Leonid Chekin: The Godless Ishmaelites: the Image of the Steppe in Eleventh-Thirteenth-Century Rus. In: Russian History. Band 19, 1992, S. 9–28.
  • Alexius Csetneky: Die Ismaeliten in Ungarn. In: Ungarische Revue. Band 1, 1881, S. 658–675 (PDF).
  • Clemens Gantner: Hoffnung in der Apokalypse? Die Ismaeliten in den älteren lateinischen Fassungen der Revelationes des Pseudo-Methodius. In: Veronika Wieser u. a. (Hrsg.): Abendländische Apokalyptik. Kompendium zur Genealogie der Endzeit. Akademie-Verlag, Berlin 2013, S. 521–546.
  • Ernst Axel Knauf: Ismael: Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. Jahrtausend v. Chr. Harrassowitz, Wiesbaden 1985.
  • Daniel Sahas: John of Damascus on Islam: The "Heresy of the Ishmaelites." Brill, Leiden 1992.
  • Stefan Schreiner: Die "Häresie der Ismaeliten": der Islam als politisches und theologisches Problem der Christen und Juden und die Anfänge der christlichen und jüdischen antiislamischen Polemik. In: Hansjörg Schmid u. a. (Hrsg.): Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam. Pustet, Regensburg 2007, S. 132–137;
    Nachdruck in Stefan Schreiner: Die jüdische Bibel in islamischer Auslegung. Mohr Siebeck, Tübingen 2012, S. 323–343.
  • Alois Sprenger: The Ishmaelites, and the Arabic Tribes Who Conquered Their Country. In: The Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland. Band 6, 1873, S. 1–19.
  • John Victor Tolan: ‘A wild man, whose hand will be against all’: Saracens and Ishmaelites in Latin Ethnographical Traditions, from Jerome to Bede. In: Walter Pohl u. a. (Hrsg.): Visions of community in the post-Roman world: the West, Byzantium and the Islamic world, 300–1100. Ashgate, Farnham 2012, S. 513–530.

Belege

  1. Leonid Chekin: The Godless Ishmaelites: the Image of the Steppe in Eleventh-Thirteenth-Century Rus. In: Russian History. Band 19, 1992, S. 13.
  2. Alexius Csetneky: Die Ismaeliten in Ungarn. In: Ungarische Revue. Band 1, 1881, S. 658.

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The genealogy of Shem to Abraham according to the Holy Bible (Genesis), showing the origin of the Moabites, Israelites, Amonites, Ishmaelites, Edomites, Midianites, Assurites, Leturites and Leumites.