Weicher Stil

„Horber Madonna“, um 1400

Der weiche Stil ist eine Stilrichtung in der spätgotischen Malerei und Plastik um 1400. Typische Beispiele des weichen Stils sind Marienfiguren, die auch „schöne Madonnen“ genannt werden.

Entwicklung zum weichen Stil

In der Zeit der Entwicklung zum weichen Stil besaß für die Kultur vor allem die Achse Prag–Paris Bedeutung, was auf die besonders engen Beziehungen der Luxemburger zu den französischen Königen zurückzuführen ist. Der aus dem Geschlecht der Luxemburger stammende römisch-deutsche Kaiser Karl IV. (1346–1378) setzte sich erfolgreich dafür ein, Prag zum künstlerischen Zentrum Mitteleuropas zu machen. Für den Bau des Veitsdomes in Prag holte Karl IV. Peter Parler. Dieser war als Architekt und Bildhauer tätig. Er führte das Grabmal Ottokars I. Premysl aus, wofür er 900 Silbergroschen nahm. Die Figur des heiligen Wenzel im Veitsdom entstammt ebenfalls dem Parlerkreis.

Merkmale

„Maria im Rosenhag“ (Hortus conclusus), Stefan Lochner, um 1448, Köln, Wallraf-Richartz-Museum

Charakteristisch ist die Betonung des in runden, fließenden Mulden herabfallenden, zunehmend dreidimensional wirkenden Gewänder der Figuren und die breit auf dem Boden aufliegenden Stoffbahnen, deren Saumkanten in weichen fließenden Formen gestaltet sind. Ebenfalls charakteristisch sind der zarte, verträumte Ausdruck und die zierliche Gestalt, gepaart mit Detailschilderungen. Der weiche Stil war bereits um 1380 ausgebildet (siehe André Beauneveu) und ein Jahrzehnt später weit verbreitet. „Schöne Madonnen“ entstanden fast während des gesamten 15. Jahrhunderts, doch gehören die späteren Werke, die so bezeichnet werden, nicht mehr zum weichen Stil, der um 1450 endet. Er wird durch neue realistische Einflüsse aus den Niederlanden verdrängt. Im Faltenstil ist dies am Übergang zum „eckigen Stil“ mit hart umbrechenden Falten zu erkennen.

Um 1400 wurden in einigen Kunstzentren Ton und Kunststein zu den allgemein verwendeten Werkstoffen, da diese weniger kostspielig und leichter zu verarbeiten waren als die anderen gewöhnlichen Werkstoffe wie Naturstein, Marmor und Holz.

Die „schönen Madonnen“ zeichnen sich durch eine gelöste Beweglichkeit aus. Charakteristisch ist zudem die hohe Stirn, die schmale gerade Nase, der kleine Mund und das über die Ohren zurückgelegte Haar. Ihre leicht geneigten Häupter sind von zarter Armut gekennzeichnet.[1] Die innige Beziehung der Muttergottes zum Jesuskind ist hierbei besonders auffallend.

Der weiche Stil findet sich in Werken der Schildermaler, der Buchmalkunst und der Bildhauerei.

Siehe auch:

Begriffe

Der Begriff weicher Stil wurde 1907 von H. Börger geschaffen und erfuhr in den 1920er bis 30er Jahren durch Wilhelm Pinder weite Verbreitung. Da er fast nur von der deutschen Kunstwissenschaft verwendet wird, gibt es umstrittene Versuche, die Ersatzbezeichnung „internationale Gotik“ einzuführen. Diese entspringt der Feststellung, dass der weiche Stil einem regen internationalen Austausch von Formen und Idee und einer in der Geschichte Europas bis dahin einmaligen Einheitlichkeit unterworfen war. Die von der tschechischen Kunstforschung ausgehende Bezeichnung „schöner Stil“ ist ein weiteres Synonym für den weichen Stil.

Der Begriff „schöne Madonna“ wird sowohl Pinder (1923) als auch A. Stix zugeschrieben.

Literatur

nach Autoren / Herausgebern alphabetisch geordnet

  • Michael Victor Schwarz: Höfische Skulptur im 14. Jahrhundert. Entwicklungsphasen und Vermittlungswege im Vorfeld des weichen Stils = Manuskripte für Kunstwissenschaft in der Wernerschen Verlagsgesellschaft 6 (2 Teile). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1986. ISBN 978-3-88462-905-5
  • Burkhard Kunkel: Die Stralsunder Junge-Madonna als Ebenbild der Schönen Madonna von Thorn? – Überlegungen zur Herkunft eines Marienbildes aus Stralsunder Perspektive. In: Terra sanctae Mariae. Kunsthistorische Arbeiten der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen 7. Bonn 2009, S. 257–278.
  • NN: Weicher Stil und Schöne Madonnen, in: Lexikon der Kunst. Harald Olbrich (Hrsg.), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1991, ISBN 3-423-05906-0
  • NN: Die Parler und der Schöne Stil. Europäische Kunst unter den Luxemburgern Ausstellungskatalog Schnütgen-Museum. Köln 1978. (drei Bände, zwei Ergänzungsbände).
  • Karl Heinz Clasen: Der Meister der Schönen Madonnen. Berlin und New York 1974. (Rezensionen dazu in: Kunstchronik 1976, S. 244–255 und Zeitschrift für Kunstgeschichte 1978, S. 61–92).
  • NN: Weicher Stil und Schöne Madonna, in: Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann. Hartmann, Sersheim 1997, ISBN 3-9500612-0-7
  • M. Krenn und Ch. Winterer: Mit Pinsel und Federkiel, Geschichte der mittelalterlichen Buchmalerei, WBG, Darmstadt, 2009, ISBN 978-3-89678-648-7

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Dagmar Regina Täube: Zwischen Tradition und Fortschritt: Stefan Lochner und die Niederlande. Hrsg.: F. G. Zehnder. 4. Auflage. Verlag Lochner, Köln 1993, ISBN 3-9801801-1-5, S. 63.

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Veringenstadt - Altstadt - St.-Nikolaus-Kirche - Muttergottes-Figur von 1430.jpg
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Gotische Muttergottes-Figur mit Jesuskind und Traube im sog. weichen Stil, ca. 1430, in der St.-Nikolaus-Kirche in Veringenstadt (Baden-Württemberg).
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Detail der Hallgartener Madonnna mit der Scherbe, Schrötermuttergottes oder auch Schöne Hallgartenerin. Entstanden um 1415. Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt, Hallgarten im Rheingau, Hessen.
Horb Stiftskirche Horber Madonna.jpg
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Stiftskirche Heilig Kreuz, Horb am Neckar

Horber Madonna, wohl 1400-1410, Kalkstein, 1,16 m hoch, Reste alter Fassung, Hände/Füßchen teilweise ergänzt