Internationale Filmfestspiele von Venedig 1989

Die 46. Internationalen Filmfestspiele von Venedig fanden vom 4. September bis zum 15. September 1989 statt. Gemeinsam mit Cannes und der Berlinale zu den bedeutendsten Filmfestivals der Welt zählend, stand es unter der Leitung von Guglielmo Biraghi. Im dritten Jahr von Biraghis Amtszeit änderte sich der offizielle Titel der Filmfestspiele von Mostra Internazionale de Cinéma in Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica. Dies geschah, um das bisher streng auf Kinofilme ausgerichtete Festival für Fernseh- und Videoproduktionen zu öffnen.[1] Eine geplante Reihe Venezia TV kam jedoch nicht zustande. Den Titel Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica tragen die Filmfestspiele bis heute.

Als Eröffnungsfilm wurde Peter Brooks fast dreistündige Theaterverfilmung Mahabharata ausgewählt, die außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde.[1] Dieser folgte Peter Greenaways Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, der im Wettbewerb Peter Halls Eine unwürdige Frau (beide aus dem Vereinigten Königreich) hatte weichen müssen.[2][3]

Mit dem Goldenen Löwen, den Hauptpreis des Festivals, wurde der favorisierte taiwanische Beitrag Eine Stadt der Traurigkeit von Hou Hsiao-Hsien ausgezeichnet. An 14 Tagen fanden insgesamt 342 Vorstellungen statt. Mehr als zweitausend Journalisten aus 55 Ländern erhielten Akkreditierungen.[4] Mit O Recado das Ilhas des Regisseurs und Drehbuchautors Ruy Duarte de Carvalho nahm erstmals ein Film von der Inselrepublik Kap Verde in Venedig teil.[5]

Wettbewerb

Länder, die im Wettbewerb um den Goldenen Löwen für den besten Spielfilm vertreten waren (inkl. Koproduktionsländer; gold eingefärbt Taiwan)

Jury

Der Vorsitz der Jury im Spielfilmwettbewerb oblag dem sowjetischen Schauspieler und Regisseur Andrei Smirnov. Diesem zur Seite standen zehn weitere Jurymitglieder, ausschließlich Filmschaffende:

Im Laufe des Festivals verringerte sich die Zahl der Jurymitglieder von elf auf neun Mitglieder. Melato stürzte während der Filmfestspiele schwer und musste pausieren, während Heymanns aufgrund des Todes ihres Ehemanns vorzeitig abreiste.[7]

Filme

23 Spielfilmproduktionen erhielten eine Einladung in den offiziellen Wettbewerb. Frankreich war mit insgesamt vier Filmen vertreten, darunter drei europäische Koproduktionen. Italien schickte drei Filme in den Wettbewerb (davon zwei Koproduktionen). Als Beitrag der Bundesrepublik Deutschland ging Reinhard Hauffs in Argentinien gedrehter Film Blauäugig ins Rennen. Daneben bewarben sich um den Goldenen Löwen zwei weitere Filme mit deutscher Beteiligung – Otar Iosselianis Und es ward Licht und Juraj Jakubiskos Sedím na konári a je mi dobre. Die Schweiz war im Wettbewerb mit der französischen Koproduktion Die Frau aus Rose Hill von Alain Tanner vertreten.

Als Favoriten auf den Hauptpreis waren Ettore Scola, Nanni Loy, Kei Kumai, Alain Resnais, Peter Hall sowie mehrfach Hou Hsiao-Hsien gehandelt worden.[7][8][9] Eine Stadt der Traurigkeit war der erste taiwanische Film, der auf einem großen Festival einen Preis errang.

FilmRegieLandDarsteller (Auswahl)
Berlin-JerusalemAmos GitaiFrankreich, Israel, Italien, Niederlande, Vereinigtes KönigreichLisa Kreuzer, Rivka Neuman, Markus Stockhausen
BlauäugigReinhard HauffBR DeutschlandGötz George, Miguel Ángel Solá, Julio De Grazia
Ek Din AchanakMrinal SenIndienShabana Azmi, Shreeram Lagoo, Aparna Sen
Erinnerungen an das gelbe HausJoão César MonteiroPortugalJoão César Monteiro, Manuela de Freitas, Ruy Furtado
FallgropenVilgot SjömanSchwedenBörje Ahlstedt, Halvar Björk, Ewa Fröling
Die Frau aus Rose HillAlain TannerFrankreich, SchweinzMarie Gaydu, Jean-Philippe Écoffey, Denise Péron
Insel der FrauenPaul CoxAustralienIrene Papas, Eva Sitta, Anoja Weerasinghe
I Want to Go HomeAlain ResnaisFrankreichGérard Depardieu, Laura Benson, Micheline Presle
LaylaTaieb LouhichiAlgerien, Frankreich, TunesienAnca Nicola, Fatma Ben Saïdane, Abderrahmane Al Rachi
M’agapás?Giorgos PanoussopoulosGriechenland
Marokko-BluesGabriel AxelDänemark, ItalienNikolaj Bjarn Christensen, Nathalie Brusse, Preben Lerdorff Rye
Musch i dotsch Tamary AlexandrownyOlga NaruzkajaSowjetunionAlexander Galibin, Anna Baschenowa, Walentina Maljawina
Neujahr in New YorkHenry JaglomVereinigte StaatenMaggie Wheeler, Gwen Welles, Melanie Winter
ScugnizziNanni LoyItalienLeo Gullotta
Sedím na konári a je mi dobreJuraj JakubiskoTschechoslowakei, BR DeutschlandBolek Polívka
Sehnsucht nach AustralienJean-Jacques AndrienBelgien, Frankreich, SchweizFanny Ardant, Jeremy Irons, Tchéky Karyo
Eine Stadt der TraurigkeitHou Hsiao-HsienTaiwanChen Sung-young, Fang Wou-yi, Tony Leung Chiu Wai
Der Tod eines TeemeistersKei KumaiJapanEiji Okuda, Toshirō Mifune, Gō Katō
Twisted ObsessionFernando TruebaSpanien, FrankreichJeff Goldblum, Miranda Richardson, Anémone
Und es ward LichtOtar IosselianiFrankreich, BR DeutschlandMoussa Sagna, Alpha Sane, Adbou Sane
Eine unwürdige FrauPeter HallVereinigtes KönigreichPeggy Ashcroft, Geraldine James, James Fox
Diese vitale WutLina WertmüllerItalien, FrankreichRutger Hauer, Nastassja Kinski, Peter O’Toole
Wie spät ist es?Ettore ScolaItalien, FrankreichMarcello Mastroianni, Massimo Troisi, Anne Parillaud

Preisträger

Filme außerhalb des Wettbewerbs

Neben Reinhard Hauffs Blauäugig sowie Und es ward Licht und Sedím na konári a je mi dobre wurden fünf weitere deutsche Filme ins Programm der Filmfestspiele von Venedig aufgenommen. In der Mitternachtsreihe Venezia Notte, die Peter Greenaways Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber eröffnete,[10] wurden Peter Fleischmann Es ist nicht leicht ein Gott zu sein, die erste Gemeinschaftsproduktions der BRD und der Sowjetunion, sowie Niklaus Schillings Der Atem uraufgeführt. In der Reihe Horizonte war Rudolf Thome vertreten, der mit Sieben Frauen seine Trilogie Formen der Liebe komplettierte, die er mit Das Mikroskop (1987) und Der Philosoph (1989) begonnen hatte.[11]

Ebenfalls außerhalb des Wettbewerbs wurde Steven Spielbergs Indiana Jones und der letzte Kreuzzug vorgestellt. Der dritte Teil der Indiana-Jones-Tetralogie mit Harrison Ford und Sean Connery in den Hauptrollen hatte neben Nanni Morettis Wasserball und Kommunismus den größten Besucheransturm zu bewältigen.[12] Moretti drehte eine politische Komödie über die Krise der Kommunistischen Partei Italiens. Ebenfalls vor vollen Kinosälen lief Krzysztof Kieślowskis zehnteiliger für das polnische Fernsehen produzierter Dekalog, der den Ruhm des polnischen Regisseurs begründen sollte.[3]

Peter Weir verzichtete darauf, seinen später mehrfach für den Oscar nominierten Film Der Club der toten Dichter im Wettbewerb laufen zu lassen. Seiner Meinung nach hätten Künstler es nicht nötig, wie in einem sportlichen Wettkampf gegeneinander anzutreten.[13]

Im Rahmen der Filmfestspiele fand eine Retrospektive von Werken Jean Cocteaus statt. Eine Hommage widmete sich Charlie Chaplin.[14]

Kritiken

Die britische Tageszeitung The Guardian sprach von einem „enttäuschenden Wettbewerb“, wobei der Gewinnerfilm Eine Stadt der Traurigkeit eine Ausnahme bilden würde.[15]

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte die Preisträger „höchst festivaltauglich“, die aber im Kinoalltag kaum Chancen besitzen würden.[16] Hans-Dieter Seidel meinte einige Tage nach Festivalende eine Zweiteilung zu erkennen: „hier außerhalb des Wettbewerbs die Ware, die sich in ihrer Struktur stark publikumsorientiert vorstellte und morgen größtenteils im Kino Furore machen dürfte, im Positiven wie im Negativen; dort innerhalb des Wettbewerbs das Futter für die wenigen Eingeweihten, andächtig beraunt, aber wohl rasch und folgenlos vergessen.“ Gleichzeitig fiel ihm ein „immer stärkere(s) Verblassen nationaler Identität“ auf, während die Jury, mit Ausnahme von Iosselianis Und es ward Licht, ihre Hauptpreise an Beiträge vergab, „die streng ihre nationale Identität zu wahren“ gewusst hätten. Das „Unausgegorene, Verquaste und Stromlinienförmige“ nehme nach Seidel so bedenklich zu, dass das Festival an Gewicht einzubüßen drohe, das ihm zukomme.[4]

die tageszeitung kritisierte ebenfalls die Filmauswahl. „[…] das meiste, was geboten wird, ist so fürchterlich schlecht, so erbarmungslos unter jedem noch irgendwie diskutablen Niveau, daß es schon eines Meisterwerkes bedurfte, um diese Scharten auszuwetzen“, so Arno Widmann. Die Journalisten hätten das Filmangebot als „kalte Platte“ betrachtet, „von der man hier ein Häppchen, da ein Häppchen sich schnappt, ohne je einen Film ganz zu sehen.“[17] Er meinte, in dem Thema „Familienbande“ einen Trend zu erkennen, da in 14 von 23 Wettbewerbsfilmen die Eltern-Kind-Beziehung eine zentrale Rolle spielen würde. Festivalleiter Guglielmo Biraghi hätte auf „Biedermeier“ gesetzt. „Sein (Biraghis) Programm predigt von den Gefahren der großen weiten Welt und macht Reklame für Sicherheit und Geborgenheit.“[13]

Otar Iosseliani kritisierte die Biennale-Jury des Jahres 1989, die „eines Provinzfestivals würdig“ gewesen wäre.[13]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Hans-Dieter Seidel: Ein göttlich gnadenloser Brocken. In: FAZ, 5. September 1989, S. 29
  2. Dan. Fainaru: Cinema for Art’s Sake. In: The Jerusalem Post, 6. September 1989 (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  3. a b Derek Malcolm: Screen: Savage fare for the gourmet – The Venice Film Festival. In: The Guardian, 7. September 1989 (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  4. a b Hans-Dieter Seidel: Weltfilm? In: FAZ, 18. September 1989, S. 31
  5. Gli anni ’80. labiennale.org (italienisch) abgerufen am 5. Dezember 2010
  6. Raju Gopalakrishnan: Indian Film Festival Opens Amid Controversy. 10. Januar 1989, International News, AP (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  7. a b Hans-Dieter Seidel: Eine dritte Stimme. In: FAZ, 15. September 1989, S. 35
  8. Derek Malcolm: Screen: Nothing like the dame. In: The Guardian, 14. September 1989 (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  9. Movie From Taiwan Wins Venice Film Festival Award. AP, 15. September 1989 (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  10. Hans-Dieter Seidel: Das Opfer rächt sich. In: FAZ, 6. September 1989, S. 35
  11. Sechs Uraufführungen: Die deutschen Filme in Venedig. In: FAZ, 9. August 1989, S. 25
  12. Hans-Dieter Seidel: Taiwans Trauer. In: FAZ, 14. September 1989, S. 31
  13. a b c Arno Widmann: Evviva la famiglia. In: taz, 16. September 1989, S. 16
  14. Kinski misses premiere. In: The Globe and Mail, 5. September 1989 (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  15. Derek Malcolm: Arts: Triumph in Venice. In: The Guardian, 16. September 1989 (abgerufen via LexisNexis Wirtschaft)
  16. Hans-Dieter Seidel: Gold für Taiwan. In: FAZ, 16. September 1989, S. 27
  17. Arno Widmann: Und die Filme?. In: taz, 14. September 1989, S. 6

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Countries participating in the competition for the Golden Lion 1989 (incl. coproduction countries)