Integrationslotse

Als Integrationslotsen werden in Deutschland und Österreich ehrenamtlich oder hauptamtlich aktive Personen bezeichnet, die Personen mit Migrationshintergrund bei der Integration in unterschiedlichen Bereichen unterstützen. Häufig geht es dabei um die Begleitung zu Ämtern und anderen Institutionen der Aufnahmegesellschaft. Integrationslotsen haben häufig selbst eine Zuwanderungsgeschichte.

Aufgabenbeschreibung

Es existiert keine allgemeingültige Beschreibung der Aufgaben und des Einsatzgebiets von Integrationslotsen. Selbst in einzelnen Projekten sind diese häufig nicht festgeschrieben.[1] Ihre Rolle wird teils umschrieben mit Tätigkeiten wie Begleiter, Berater, Brückenbauer, Vermittler, Kulturdolmetscher.

Integrationslotsen leisten:

a) Sozialraumorientierung: Eruierung des Unterstützungsbedarfs von Personen mit Migrationshintergrund im Umgang mit Institutionen der Aufnahmegesellschaft. Weitergabe nützlicher Informationen und Kontaktvermittlung. Ermutigung zur Inanspruchnahme von Hilfsangeboten.

b) Niedrigschwelliges Dolmetschen: Begleitung und sprachliche und kulturelle Vermittlung im Dialog zwischen Mitarbeitern der Institutionen der Aufnahmegesellschaft und Personen mit Migrationshintergrund.[2]

Dabei übernehmen Integrationslotsen mitunter eine Rolle, in der sie als Fürsprecher ihrer Klienten deren Anliegen vortragen,[3] wodurch sie das asymmetrische Verhältnis von Macht zwischen Verwaltungsmitarbeitern und Kunden abmildern können.[4] Dadurch haben Integrationslotsen eine andere Funktion als neutrale Sprachmittler. Nichtsdestotrotz gelten sie dennoch als ein Gewinn nicht nur für Migranten, sondern auch für die Vertreter von Institutionen, indem sie Missverständnisse beseitigen, Zeitverluste durch sprachliche Schwierigkeiten reduzieren und das Risiko von kostenintensiver Fehl-/Unter- oder Überversorgung mindern.[5]

Integrationslotsen lassen sich im Aufgabenfeld der Integrationsbegleitung verorten. Für eine Abgrenzung zu den Aufgabenfeldern von Stadtteilmüttern und anderen Multiplikatoren, Integrationspaten und Gemeindedolmetschern (Sprach- und Kulturmittlern, Sprach- und Integrationsmittlern, Kommunaldolmetscher) liegen zwar Vorschläge vor,[6][7] die in der Praxis jedoch nur selten berücksichtigt werden.

Verbreitung und Formalisierung

Laut dem Sozio-oekonomischen Panel geben rund 1 Million Menschen in Deutschland an, die deutsche Sprache „eher schlecht“ zu beherrschen.[8] Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Gruppe potentiell zum Kundenkreis von Integrationslotsen gehört.[9] Wie hoch die tatsächliche Nutzung von Integrationslotsendienstleistung in Deutschland ist, ist unbekannt.

Die ersten Integrationslotsenprojekte entstanden Anfang der 2000er Jahre.[10] In der Praxis haben sich unterschiedliche Umsetzungsprofile etabliert. Insgesamt gibt es weit über 100 Projekte[11] mit vergleichbaren Aufgabenfeldern, die teilweise auch unter anderen Namen firmieren, wie z. B. Aktivpaten, Integrationsassistenten, interkulturellen Begleitern, Zukunftslotsen und viele mehr.[12] Auch wenn es einige Versuche der Standardisierung von Integrationslotsen gibt[13][14][15] existiert bislang kein bundesweit gültiger Maßstab, der die Mindestanforderungen regelt.[16] Die Projekte im deutschsprachigen Raum haben teilweise frappierende Unterschiede hinsichtlich wesentlicher Kriterien wie Aufgaben und Einsatzfelder, Qualifikation der Integrationslotsen, Auftragsmodalitäten, Zugangsvoraussetzungen oder Vergütung.[17] Allerdings gibt es drei Landesinitiativen für Integrationslotsen, die Rahmenbedingungen für Integrationslotsen im jeweiligen Bundesland regeln; so seit 2007 in Niedersachsen[18][19] und in Hessen[20] sowie seit 2013 in Berlin[21].

Integrationslotsen sind auch in Österreich tätig.[22]

Finanzierung und Förderung

Integrationslotsen sind fast ausschließlich in – zeitlich befristeten – Projekten organisiert. Diese werden aus kommunalen Mitteln, Landes-, Bundes- oder europäischen Mitteln bestritten. Eine auf Dauer angelegte Regelfinanzierung durch öffentliche Haushalte ist die Ausnahme.

Auch wenn gelegentlich die Kritik geäußert wird, dass es sich bei den Integrationslotsenaufgaben eigentlich um sozialstaatliche Aufgaben handelt, die auch entsprechend vergütet sein sollten[23], ist der Großteil der Integrationslotsen ehrenamtlich aktiv.[24] Bis zum Jahr 2014 gab es zudem zahlreiche Projekte, die über Maßnahmen der Arbeitsmarkteingliederung finanziert wurden (Öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, Ein-Euro-Job, ABM). Allerdings werden seit 2013 in Berlin Integrationslotsen (und Stadtteilmütter) auf Basis des Landestarifvertrags eingestellt.[21]

Die Tätigkeit der Integrationslotsen ist somit fast in jedem Fall vorfinanziert, so dass im Unterschied zu (Gemeinde- oder Kommunal-)Dolmetschern weder von den Migranten noch von den Institutionen, zu denen begleitet wird, eine einsatzbezogene Gebühr erhoben wird.

Literatur

  • Susanne Huth: Integrationslotsen – Modelle von Engagement und Integration – Erfahrungen und Umsetzungsstrategien. INBAS-Sozialforschung, Frankfurt am Main 2007; inbas-sozialforschung.de (PDF; 344 kB) abgerufen am 23. November 2017.
  • Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4.
  • Frank Gesemann: Integrationslotsenprojekte in Deutschland im Überblick – Konzepte, Einsatzfelder und Finanzierung. Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration, 2015; desi-sozialforschung-berlin.de (PDF; 1,2 MB) abgerufen am 23. November 2017.
  • Michael Bommes, Marina Seveker, Judith Paral, Sabrina Temborius: Evaluierung des Projektes Integrationslotsen in Niedersachsen – Abschlussbericht. IMIS, Osnabrück 2010.
  • Susanne Huth, Berit Pöhnl: Erfahrungsaustausch und Workshop zur Entwicklung von Umsetzungsstrategien. Dokumentation des Projekts: Integrationslotsen – Modelle von Engagement und Integration. INBAS-Sozialforschung, Frankfurt am Main 2007; inbas-sozialforschung.de (PDF; 3,3 MB) abgerufen am 23. November 2017.
  • Michael Bommes, Holger Kolb (Hrsg.): Integrationslotsen für Stadt und Landkreis Osnabrück – Grundlagen, Evaluation und Perspektiven eines kommunalen Modellprojekts. In: IMIS-Beiträge, Heft 28/2006; imis.uni-osnabrueck.de (PDF; 733 kB); abgerufen am 23. November 2017.

Einzelnachweise

  1. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 37.
  2. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 41.
  3. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 49.
  4. Uebelacker, Johanna: Sprach- und Kulturmittlung aus der Sicht des Personals eines Berliner Bezirksamtes. In: Theda Borde, Niels-Jens Albrecht (Hrsg.): Innovative Konzepte für Integration und Partizipation. Bedarfsanalyse zur interkulturellen Kommunikation in Institutionen und für Modelle neuer Arbeitsfelder. Verlag für Interkulturelle Kommunikation, Frankfurt am Main 2007, S. 44.
  5. Carsten Becker, Tim Grebe, Enrico Leipold: Sprach- und Integrationsmittler/-in als neuer Beruf. Diakonie Wuppertal, Wuppertal 2010, S. 18.
  6. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 46.
  7. Frank Gesemann: Integrationslotsenprojekte in Deutschland im Überblick – Konzepte, Einsatzfelder und Finanzierung. Hrsg.: Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration. Berlin 2015, S. 47.
  8. Sprachkenntnisse in Deutsch - Muttersprache nicht Deutsch 2011 – Umfrage. Sozio-ökonomisches Panel, 2013, abgerufen am 23. November 2017.
  9. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 54.
  10. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 63.
  11. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 18.
  12. Frank Gesemann: Integrationslotsenprojekte in Deutschland im Überblick – Konzepte, Einsatzfelder und Finanzierung. Hrsg.: Beauftragter des Senats von Berlin für Integration und Migration. Berlin 2015, S. 10.
  13. Huth, Susanne: Integrationslotsen – Modelle von Engagement und Integration – Erfahrungen und Umsetzungsstrategien. Frankfurt a. M. 2007.
  14. Susanne Huth, Berit Pöhnl: Erfahrungsaustausch und Workshop zur Entwicklung von Umsetzungsstrategien. Dokumentation des Projekts: Integrationslotsen – Modelle von Engagement und Integration. (PDF) 2007, abgerufen am 23. November 2017.
  15. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4.
  16. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit: Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 185.
  17. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 7.
  18. Michael Bommes, Marina Seveker, Judith Paral, Sabrina Temborius: Evaluierung des Projektes Integrationslotsen in Niedersachsen – Abschlussbericht. Hrsg.: IMIS. Osnabrück 2010.
  19. Christina Müller-Wille: Integrationslotsen in Niedersachsen. Materialien für den Basislehrgang. Hrsg.: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration. Hannover 2012.
  20. Sandra Kranz, Wiebke Schindel, Layla Bahmad, Hanna Gebrem: Das Hessische Integrationslotsen Netzwerk – Brücken bauen, Eigenverantwortung stärken, gemeinsam Integration gestalten. Hrsg.: Hessisches Ministerium der Justiz, für Integration und Europa. Wiesbaden 2011.
  21. a b Kai Leptien, Andreas Kapphan: Ein Landesrahmenprogramm für Integrationslotsen. In: Sozial Extra. Band 6, 2014, S. 28–30.
  22. Julia Herrnböck: Wie „Aha-Erlebnisse“ die Integration fördern. In: derStandard.at. 16. November 2012, abgerufen am 29. November 2017.
  23. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 180.
  24. Roman Lietz: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Integrationsarbeit Kriterien zur Umsetzung von Integrationslotsenprojekten. 1. Auflage. Budrich UniPress, Leverkusen 2017, ISBN 978-3-86388-754-4, S. 176.