Industriebahn Oberschöneweide

Lageplan der Bullenbahn, aus Luftbildaufnahmen rekonstruiert.

Die Industriebahn Oberschöneweide ist eine ehemalige Industrieanschlussbahn in Berlin. Sie begann am Rangierbahnhof Niederschöneweide und erschloss die Industriebetriebe Oberschöneweides. Später wurde sie zum Rangierbahnhof Rummelsburg verlängert. Im Berliner Volksmund wird die Strecke als „Bullenbahn“ bezeichnet. Zur Industriebahn gehörte auch der Betriebshof Nalepastraße, der heute von der Berliner Straßenbahn genutzt wird. Die „Bullenbahn“ wurde von 1890 bis 1996 betrieben.

Geschichte

1890 wurde die Strecke von der Grundrenten-Gesellschaft erbaut. Sie führte vom Güterbahnhof Niederschöneweide-Johannisthal über die Stubenrauchbrücke zur Wilhelminenhofstraße. Ein Abzweig zur Tabbertstraße wurde ebenfalls errichtet. Nach ihrer Fertigstellung wurde die Strecke an einen Fuhrunternehmer verpachtet, der mit ihr die Güterbahngesellschaft Oberschöneweide betrieb. Er benutzte zunächst Pferde und Ochsen als Zugtiere, daher der Name „Bullenbahn“. Andere Quellen sagen, dass die schweren Güterzuglokomotiven den Spitznamen Bulle trugen und so zu dem Spitznamen beitrugen.[1]

1899 wurde die Strecke über die Edisonstraße und die Rummelsburger Landstraße zum Güterbahnhof Rummelsburg erweitert. Zwei Jahre später kauften die Berliner Ostbahnen die Strecke und elektrifizierten sie. Am 1. August 1901 verkehrte die erste elektrische Lokomotive, ein umgebauter offener Güterwagen der Preußischen Staatsbahnen.

Zur Versorgung der Bewohner der Waldsiedlung Lichtenberg (erbaut 1919/20) mit Kartoffeln, Brennstoffen u. a. wurde bei deren Bau eine Haltestelle der Bahn angelegt.[2]

1957 war die Bahn rund 13 Kilometer lang und bediente 30 Werksanschlüsse. Zwölf Jahre später, 1969, ging die Strecke wie auch das Rollmaterial an die VEB Autotrans Berlin. Da die Güterbahn im Zuge der Edisonstraße den Automobil- und Straßenbahnverkehr massiv behinderte, wurde bis März 1979 eine Neubaustrecke errichtet. Diese verlief vom Betriebshof über die Nalepastraße und die Kleingartenkolonie Wilhelmstrand zur Rummelsburger Straße und mündete dort in die alte Strecke hinein. Die alte Strecke in der Edisonstraße wurde gleichzeitig aufgegeben und der zuvor eingleisige Straßenbahnabschnitt zweigleisig ausgebaut.

Im Maximalausbau hatte das Bahnnetz über 50 Abzweiger und Anschlüsse.[3]

1990 ging die Strecke dann an den VEB Binnenhafen, später BEHALA, welche den elektrischen Betrieb auf der Strecke 1995 einstellte. Die gerade vier Jahre alte rumänische Neubaulok wurde verschrottet. Ein Restbetrieb wurde durch einen Zweiwege-Unimog aufrechterhalten, bevor die Strecke 1996 endgültig stillgelegt wurde. In den folgenden Jahren wurde die Strecke großteils abgebaut oder im Zuge von Straßenneubauten überbaut. Stellenweise lassen sich aber noch Überreste wie Gleise auf separaten Gleisbetten oder Strommasten im Straßenbild erkennen.

Reste der Industriebahn an der Kreuzung Blockdammweg/Hönower Wiesenweg

Betrieb

Beförderte Wagenladungen im 20. Jahrhundert

Der Verkehr auf der Strecke fand auf einem eigenen Bahnkörper statt, trotz der teilweise parallel dazu fahrenden Straßenbahn. Die beförderten Güterzüge waren bis zu 24 Wagen (48 Achsen) lang und maximal 25 km/h schnell. Die BVG-Mitarbeiterzeitschrift "Die Fahrt" gibt für die 1920er Jahre folgende Betriebsleistungen an:

JahrAchsenWagenladungenGewicht in Tonnen
192056.19427.477335.596
192561.91630.334375.249
192865.63031.911372.651

Rollmaterial

Auf der Industriebahn Oberschöneweide waren neben den Triebfahrzeugen (und Güterwagen) der Betreibergesellschaft auch zahlreiche Werksfahrzeuge der anliegenden Unternehmen unterwegs. Dazu gehörten unter anderem das KWO, die BAE, Minol und das TRO.

Die L2, eine LEW EL 4 1992 im Betriebshof Nalepastraße.
L 2, eine LEW EL 4, ausgestellt im Berliner Westhafen
Die LEM 25-002 1992 im Betriebshof Nalepastraße
L12, ausgestellt im Oldtimer Museum Rügen
Typ
(Hersteller)
Fahrzeug
Betriebsnummer
BaujahranBemerkungen
Nr. 200Umgebauter Güterwagen der Preußischen Staatsbahnen. In dem Fahrzeug wurden zwei Straßenbahnmotoren installiert, die aus dem 600-Volt-Gleichstromnetz gespeist wurden. Es erhielt außerdem eine offene Plattform.
(AEG)L12 / L141914L12: Im Einsatz bis 1990, aufgrund der hohen Schadensanfälligkeit der FAUR-Maschinen bis Januar 1995 als Reservemaschine vorgehalten, heute ausgestellt im Oldtimer Museum Rügen.
L14: Einsatz bis 1982, verschrottet 1990
AEG Typ GummersbachL211925verschrottet 1990
L221925befindet sich im nichtbetriebsfähigen Zustand, aber äußerlich aufgearbeitet, beim Eisenbahnmuseum Gramzow
V10B
(LKM)
252 121 KWO 11960VEB Kombinat Kabelwerk Oberspree (KWO)1994 an Eisenbahnfreunde HeiNa Ganzlin
252 1321960VEB Minol, später VEB Transformatoren- und Röntgenwerk Oberspree (TRO)unbekannt
252 1931961VEB Transformatoren- und Röntgenwerk Oberspree (TRO)1994 an Eisenbahnfreunde HeiNa Ganzlin
252 2541961Kabelwerke Oberspree1998 an Vogtländischer Eisenbahnverein Adorf
252 340 KWO 21962Kabelwerke Oberspree1994 an Eisenbahnfreunde HeiNa Ganzlin
252 395 KWO 31963Kabelwerke Oberspree1994 an Eisenbahnfreunde HeiNa Ganzlin
252 506 KWO 41968Kabelwerke Oberspree1994 an Eisenbahnfreunde HeiNa Ganzlin
LEW EL 4
(LEW)
L1?Bahnpostamt OstbahnhofGelangte Ende der 1970er Jahre vom Bahnpostamt Berlin Ostbahnhof zur Bullenbahn. Nach Übernahme durch die BEHALA wurden sie im Osthafen beheimatet, später abgestellt, 1995 in Rummelsburg verschrottet.
L2?Bahnpostamt OstbahnhofGelangte Ende der 1970er Jahre vom Bahnpostamt Berlin Ostbahnhof zur Bullenbahn. Nach Übernahme durch die BEHALA wurden sie im Osthafen beheimatet, später abgestellt, steht heute als Denkmal an der BEHALA-Verwaltung im Westhafen
L EM 25
(FAUR)
25 0011990VEB Binnenhafen Berlin, später BEHALANeuanschaffung Anfang 1991, nach technischen Problemen mit dem Antrieb erst im April abgenommen, in Betrieb Ende September 1991, am 10. Februar 1995 abgelaufen, im Osthafen abgestellt, 1996 dort verschrottet
25 0021990VEB Binnenhafen Berlin, später BEHALANeuanschaffung Anfang 1991, in Betrieb Ende September 1991, mit Einstellung des elektrischen Betriebes im November 1995 nach Osthafen überführt, 1996 dort verschrottet
Unimog
(Mercedes-Benz)
Zweiwege-Unimog, im Einsatz von 1995 bis 1997 zur Aufrechterhaltung eines Restbetriebes

Weblinks

Commons: Industriebahn Oberschöneweide – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Peter Bock et al.: Die Bullen von Oberschöneweide. Eine Industriebahn im Berliner Südosten. In: Verkehrsgeschichtliche Blätter. Hefte 4, 5, 2003, S. 86 ff., 131 ff.
  • Wolfgang Rexzeh, Michael Günther: Sondereinsatz bei der „Bullenbahn“ / Rangierdienst auf der Industriebahn in Oberschöneweide. In: Verkehrsgeschichtliche Blätter, 41. Jahrgang, Nr. 1 (Januar/Februar 2014), S. 15–17.

Einzelnachweise

  1. Dr. Schn.: Die Eisenbahn der BVG. In: Die Fahrt, BVG Mitarbeiterzeitung. Nr. 108, 1929, S. 3 ff. (online bei berliner-verkehrsseiten.de [PDF; 786 kB; abgerufen am 30. Juni 2014]).
  2. Laschke, Schneider, Laschke: Berlin-Karlshorst. Ein historisches Porträt. 2020, ISBN 978-3-948427-51-1.
  3. Der Bulle – die Strecke auf industriebahn-schoeneweide.de

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LEW EL 4 Westhafen.jpg
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Der Westhafen in Berlin Moabit ist der größte Hafen der Stadt. Nach ersten Planungen aus dem Jahr 1900 wurde 1914 mit dem Bau begonnen. 1923 wurde die BEHALA als Betreiber gegründet, welche im gleichen Jahr den ersten Teil in Betrieb nahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren 60 % der Hafenanlagen zerstört. Bis 1950 wurden die Schäden beseitigt und der Westhafen anschließend für den Umschlag zwischen Binnenschiff, Eisenbahn und Lastwagen weiter ausgebaut. Bis zur Wiedervereinigung Berlins dienten die Anlagen auch der für Krisenzeiten angelegten Senatsreserve.
LEM 25-002 der BEHALA Btf. Nalepastraße 03.05.92.jpg
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Lokomotive LEM 25-002 der BEHALA auf dem Betriebshof Nalepastraße der BVG 03.Mai.1992
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Wagenladungen Industriebahn Oberschoeneweide.gif
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Elektrolok L12 (gebaut 1914 von AEG Berlin) im Technikmuseum Prora.
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