Inanna und Enki

Inanna und Enki ist ein sumerischer Mythos aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. und erzählt die Geschichte des Wechsels der Schicksalstafeln ME aus der alten Hauptstadt Eridu in das neue heilige Zentrum Uruk.

Die Reise nach Eridu

Nachdem im Tempel von Uruk die Krönung Inannas erfolgt war, begab sie sich in ihren heiligen Garten und lehnte sich an einen Apfelbaum. Kritisch betrachtete sich Inanna; ihr Hauptaugenmerk legte sie auf ihren Schoß. Nach einer Weile bejubelte sich Inanna selbst:

„Ich bin die Königin aller Sterne. Die Weisheit des Lebens kommt aus meinem Schoß, der wunderbar ist. Ich werde nach Eridu zum tiefen Süßwasser und dem Tempel des Gottes der Weisheit gehen. Die Weisheit will ich auf die Probe stellen.“

Enki, der Gott der Weisheit, sah Inanna schon in der Ferne und ließ einen prunkvollen Empfang durch seine Helfer inszenieren. Inanna hatte eine List ersonnen; die Weisheitstafeln ME wollte sie nach Uruk bringen. Deshalb trank sie gemeinsam mit Enki große Mengen an Bier, bis Enki, volltrunken, jeden Wunsch der reizvollen Inanna erfüllte:

„Im Namen des Tempels, die schöne Göttin Inanna soll als Göttin über Sumer herrschen, Hohepriesterin soll sie sein, ebenso wie sie die Krone und den Thron des gesamten Landes erhalten wird. Ich werde ihr die Erkenntnis der Wahrheit geben; dazu die Liebeskunst und die Heilige Hochzeit, die durch den Abstieg in die Unterwelt und der nachfolgenden Wiederkehr gefeiert werden wird. Die Macht des Schicksals soll Inanna erhalten, die Sterne regieren, den Menschen[1] soll sie Freude und Trauer geben. Die heiligen Tempel des Landes Sumer sollen ihr gehören.“ Inanna prostete insgesamt vierzehnmal Enki zu und sagte jedes Mal nur kurz „Schön, die Geschenke und Zusprüche nehme ich gerne an.“ Am Ende der Feier folgte von Enki an seine Helfer die Anweisung, die Weisheitstafeln der ME Inanna zu übergeben.

Die Rückreise nach Uruk

Inanna nahm die übergebenen Weisheitstafeln der ME mit, die nun um vierzehn Tafeln, den erfüllten Wünschen durch Enki, erweitert waren. Als Enki aus seinem Rausch erwachte, fragte er seine Helfer nach dem Verbleib der Weisheitstafeln. Die Helfer erklärten Enki, dass er selbst die Weisheitstafeln an Inanna übergeben ließ. „Und wo ist das Boot des Himmels, der Mond?“ fragte Enki weiter. Die Helfer berichteten ihm, dass auch diese heiligen Gegenstände nun Inanna gehören.

Enki stieß einen lauten Schrei vor Wut aus und schickte Dämonen zu Inanna, um die übergebenen Gegenstände wieder nach Eridu zu bringen. Er begriff, dass Inanna ihn mit ihrer List hereingelegt hatte. Die Helfer und die Dämonen erreichten Inanna auf ihrem Boot und stellten die Forderungen Enkis. Inanna antwortete erstaunt:

„Dem Wort des alten Gottes muß gehorcht werden? Er versprach und übergab mir also in täuschender Absicht die Weisheitstafeln der ME und die göttliche Macht? Und nun sollt ihr mir die versprochenen Dinge wieder abnehmen?“ Inanna rief die Ninschubur, die göttlichen Amazonen des östlichen Himmels. Mit lauten Schreien, die die Erde erschütterten, wurde die Luft durchschnitten. Die Dämonen flogen durch die Auswirkungen, gleich einem Wirbelsturm, zurück nach Eridu. So konnte Inanna die Fahrt nach Uruk fortsetzen.

Ankunft in Uruk

Inanna fuhr durch das Große Tor von Uruk auf dem Wasser des Euphrat, das noch über die Straßen und Wege in Uruk floss. Das Volk von Uruk begrüßten Inanna voller Freude. Der König opferte Stiere und Bier, Frauen boten Liebe an, die Kinder jubelten, die Männer zeigten die Äxte als Symbol der Stärke und die Weisen der Stadt gaben Ratschläge. Alle riefen laut Inannas Namen. Inanna selbst verkündete dem Volk den Inhalt der Tafeln. Ehrfurchtsvoll kniete nun das ganze Volk vor Inanna nieder, die zu den Menschen sprach:

„Der Platz, wo das Boot des Himmels anlegte, soll von nun an der weiße Kai genannt werden. Und der Ort der Verkündung der heiligen Tafeln soll von nun an Lapislazuli-Kai als Namen tragen.“

Plötzlich hörte das Volk die Stimme Enkis aus weiter Ferne:

„Im Namen meiner Macht und im Namen meines Tempels verkünde ich, dass die Weisheitstafeln der ME von nun an in deiner Stadt Uruk bleiben mögen. Sollen die Menschen in Uruk gedeihen und die Kinder Uruks sich erfreuen. Der Streit sei beigelegt und das Volk von Uruk sei in Frieden mit Eridu verbunden.“

Kulturgeschichtliche Deutung

Symbolik

Die Göttin Inanna, verkörpert durch die Priesterkönigin, symbolisiert die Macht des Himmels. Nackt und neu erschaffen lehnt Inanna am Apfelbaum und bewundert ihren Schoß als Symbol für das Haus des Lebens. Kein Gott der Weisheit ist mächtiger als das Leben selbst, welches aus ihrem Schoß entspringt. Die Geschichte zeigt, dass Enki ihr deshalb auch nicht gewachsen ist. Das Bier stellt das Kultgetränk der Göttin Inanna dar. Daher ist sie auch wesentlich trinkfester als Enki, der die Wirkung des Bieres unterschätzt. Inannas Sinnlichkeit kommt als weiteres stilistisches Verführungsmittel hinzu, sodass Enki, als älterer Herr, ihren Verführungskünsten unterlegen ist. Enki, nach anfänglicher Niederlage, steigt später weiter zum schützenden Verwandten von Inanna auf.

Historische Ereignisse

Tatsächlich wechselte die Vormachtstellung des alten Heiligtums Eridu nach Uruk. Damit verbunden wurde Uruk, neben dem sakralen Zentrum nun auch realpolitisches Zentrum der sumerischen Stadtstaaten. Die neue Machtstellung Uruks erfolgte nicht kampflos, wie auch die Berichte der sumerischen Königsliste zeigen. In den anfänglichen Kämpfen der alten Städte Uruk und Eridu zeigt sich auch die Bedeutung der Weisheitstafeln ME, die als göttliches Einverständnis für das heilige Zentrum von Sumer galt und deshalb als Aufbewahrungsort umkämpft war. Am Ende der Kämpfe, die um die Vormachtstellung ausgetragen wurden, gewann das aufstrebende Uruk die Oberhand. Eridu, nun nur noch der Sitz von Enki, schloss aus strategischen Gründen einen Bund mit Uruk.

Bezüge zur Bibel

Das Bild des ursprünglichen Paradieses wird im Garten der Inanna symbolisiert. Dort wurde der Weltenbaum gepflanzt, der vorher durch die Göttin Lilith bewohnt war. Auch die dunkle Macht, die durch Lilith verkörpert wurde, war ein Bestandteil des Weltenbaumes. Zusammen mit dem Apfelbaum, der den Baum der Erkenntnis symbolisiert, wird sich Inanna ihrer göttlichen Macht bewusst. Speziell hier zeigt sich symbolisch das Motiv der verführerischen Liebesgöttin, verbunden mit dunklen Mächten. In der Bibel dagegen gilt Eva als ungehorsame Verführerin, die gemäß AT aus dem Nichts erscheint und im weiteren Verlauf nicht mehr erwähnt wird. Namenstechnisch machen sich zusätzlich ägyptische Einflüsse bemerkbar, da der Name Hewa in der ägyptischen Mythologie gleichbedeutend für Die Verführerin stand. Archäologische Funde auf der Götterinsel Dilmun, die in sumerischen Mythen eine zentrale Rolle bekleidete, konnten das biblische Bildmotiv, des Baumes der Erkenntnis, in welchem die Schlange zwei Menschen zugewandt ist, bestätigen.[2]

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Offensichtlich wurden die Menschen zwischen dem Bau des Throns und dem Bett Inannas erschaffen. In der Mythe Inanna und der Weltenbaum war die Erschaffung der Menschen in Vorbereitung.
  2. Helmut Uhlig: Die Sumerer. 2002.

Literatur

  • Jeremy Black, Anthony Green: Gods, Demons and Symbols of Ancient Mesopotamia. London 1992.
  • Getrude Farber-Flügge, Der Mythos 'Inanna und Enki' unter besonderer Berücksichtigung der Liste der 'me'. Rome 1973.
  • Helmut Uhlig Die grosse Göttin lebt – Eine Weltreligion des Weiblichen. Lübbe, Bergisch Gladbach 1992, ISBN 3-7857-0651-0.
  • Samuel Noah Kramer: Sumerian Mythology. New York 1961, S. 64.
  • Diane Wolkstein, Samuel Noah Kramer: Inanna. Queen of Heaven and Earth. Her Stories and Hymns from Sumer. Harper & Row, New York NY u. a. 1983, ISBN 0-06-090854-8, (Überarbeitete Keilschrifttexte des Samuel Noah Kramer).
  • Brigitte Groneberg: Die Götter des Zweistromlandes – Kulte, Mythen, Epen. Stuttgart 2004.
  • Heide Göttner-Abendroth: Inanna, Gilgamesch, Isis, Rhea – Die großen Göttinnenmythen Sumers, Ägyptens und Griechenlands. Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2004, ISBN 3-89741-158-X.
  • Helmut Uhlig Die Sumerer. 3. Auflage. Lübbe, Bergisch Gladbach 2002, ISBN 3-404-64117-5.

Weblinks

Siehe auch