Immersion (Sprachwissenschaft und Erziehung)

Unter Immersion (lateinisch immersio ‚Eintauchen‘; daher auch Sprachbad; auch Sprachnest[1]) versteht man in der Sprachwissenschaft und der Pädagogik eine Situation, in der Personen, vor allem Kinder, in ein fremdsprachiges Umfeld versetzt werden, in dem sie – beiläufig oder gewünschtermaßen – die fremde Sprache erwerben. Anders als bei der Anwendung von Sprachlernmethoden folgt bei der Immersion der Erwerb der fremden Sprache ausschließlich den Prinzipien des Mutterspracherwerbs.

In vielen mehrsprachigen Kulturen wie z. B. in Kanada oder auf den niederländischsprachigen Antilleninseln ist der Spracherwerb durch Immersion eine alltägliche Selbstverständlichkeit, die einen Fremdsprachenunterricht oft weitgehend ersetzt. Immersion gilt als die weltweit erfolgreichste Sprachlernmethode.[2][3][4][5][6]

Pädagogischer Nutzen

Vorschulunterricht

In Einwanderungsländern wie Kanada, in denen ein Großteil der Kinder Vorschulprogramme besucht, erlernen Einwandererkinder die Landessprachen Englisch und Französisch seit jeher durch Immersion. Kanadische Kindergärten sind darüber hinaus jedoch oftmals zweisprachig und bieten in Regionen mit starken sprachlichen Minderheiten auch eine muttersprachliche Betreuung, z. B. auf Hochchinesisch, Deutsch oder Inuktitut.

In Deutschland beträgt der Anteil der Kindertagesstätten, in denen Kinder eine Fremdsprache (außer Deutsch) durch Immersion erwerben können, weniger als zwei Prozent.[7] Gleichwohl hat er sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Einrichtungen in der Nähe von Grenzregionen.[8] Spielerischer Unterricht in Form von Kursangeboten für nur ein bis zwei Wochenstunden in englischer Sprache in Form von Singen, Tanzen usw. gilt dabei ausdrücklich nicht als immersiv, und der Nutzen für den Lernfortschritt wird in der Forschung nicht anerkannt. Der Lernfortschritt durch Immersion ist über die letzten Jahre durch verschiedene Studien in Kanada, den USA, aber auch in Deutschland wissenschaftlich untersucht und belegt worden.[9]

Schulunterricht

In vielen mehrsprachigen Kulturen, in denen die Amtssprache nicht die von der Bevölkerung gesprochene Sprache ist, erlernen Schüler an den Schulen ihre Fremdsprachen nicht durch Sprachunterricht, sondern durch Immersion. Während diese Praxis in armen Ländern oft als bildungspolitisches Versäumnis eingestuft wird, bemüht man sich heute in manchen reichen Ländern, die Möglichkeiten der Immersion auszuloten, um z. B. im Schulunterricht eine Alternative zum herkömmlichen Fremdsprachenunterricht zu schaffen. Erprobt wurde dies bereits an den bretonischen Diwan-Schulen, im sorbisch-deutschen Sprachraum (Projekt Witaj) und an der Grundschule Simonswolde in Ostfriesland, wo die Schüler auch auf Plattdeutsch unterrichtet werden.[10]

Allerdings gibt es auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Schulen, die bereits ab der ersten Grundschulklasse durchgehend Immersionsunterricht anbieten. In der Schweiz sind Immersionsklassen keine Seltenheit, und auch in Deutschland steigt die Nachfrage nach englischsprachiger Immersion seitens der Eltern an. Der Vorteil des Immersionsunterrichts ab der ersten Grundschulklasse besteht im Wesentlichen darin, dass die Schüler ohne ständige Erinnerung daran, dass sie sich eine Fremdsprache erarbeiten, diese quasi nebenbei erlernen. Während sie am Mathematik-, Sport- oder Heimat- und Sachunterricht teilnehmen, begegnen sie fremdsprachlichen Fachbegriffen und erlernen diese Wörter allein durch die Wiederholung und die Anwendung. Da der Grundschullehrer ohnehin jeden Arbeitsschritt vormacht, fällt den Schülern auch das Verstehen nicht schwer. Im Laufe der Zeit entwickelt sich so ein Gerüst von Grundbegriffen, mit deren Hilfe die Schüler ihre Arbeitsanweisungen immer besser verstehen. Immersionsunterricht setzt voraus, dass der Lehrer die Sprache als Muttersprache spricht oder auf vergleichbarem Niveau beherrscht.

Erwachsenenbildung

Im Sprachunterricht für Erwachsene war es vor allem Maximilian Delphinius Berlitz, der versucht hat, die Prinzipien der Immersion nutzbar zu machen.

Deutschunterricht für Flüchtlinge

Immersion bewährt sich auch beim Spracherwerb von Geflüchteten. Je öfter sie mit Menschen aus dem Gastland in direktem und idealerweise handelndem Kontakt sind, beispielsweise bei Sport, Spiel, Haushalt oder Handwerk, und dabei ausschließlich in der Sprache des Gastlandes gesprochen wird, desto schneller lernen sie die neue Sprache. Gleichzeitig werden auch Umgangsformen, Kultur usw. vermittelt.[11] Auch der klassische Unterricht durch Rollenspiele in Alltagssituationen ist methodisch-didaktisch geeignet. Dabei soll möglichst wenig erklärt oder übersetzt werden, sondern in der Gastlandsprache umschrieben oder szenisch-pantomimisch erläutert werden.

Problematik

Eine der Sprachen muss die Rolle der Muttersprache übernehmen, die von den parallel gesprochenen Sprachen flankiert wird, sonst droht die Gefahr, dass keine der Sprachen vollständig beherrscht wird.[12]

Literatur

  • Claudine Brohy, Anne-Lore Bregy: Mehrsprachige und plurikulturelle Schulmodelle in der Schweiz oder: What’s in a name? In: Laurent Gajo (Hrsg.): Vous avez dit immersion?… (= Bulletin suisse de linguistique appliquée. Band 67). Neuchâtel April 1998, ISSN 1023-2044, S. 85–99 (doc.rero.ch [PDF; 8,2 MB]).
  • Henning Wode: Multilingual education in Europe – What can preschools contribute? In: S. Björklund (Hrsg.): Language as a Tool – Immersion Research and Practices. University of Vaasa: Proceedings of the University of Vaasa, Reports, 2001, S. 424–446.
  • Petra Burmeister, Angelika Daniel: How effective is late partial immersion? Some findings from a secondary school program in Germany. In: Petra Burmeister, Thorsten Piske, Andreas (Hrsg.): An Integrated View of Language Development. Papers in Honor of Henning Wode. Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2002, ISBN 3-88476-488-8.
  • Henning Wode: Mehrsprachigkeit durch immersive KiTas. In: Hildegard Rieder-Aigner (Hrsg.): Zukunfts-Handbuch Kindertageseinrichtungen. Band 2: Qualitätsmanagement für Träger, Leitung, Team. Sonderausg, 2., aktualisierte Auflage. Walhalla-Fachverlag, Regensburg 2000, ISBN 978-3-8029-8404-4, 48AL.
  • Marjorie Bingham Wesche: Early French Immersion: How has the original Canadian model stood the test of time? In: Petra Burmeister, Thorsten Piske, Andreas Rohde (Hrsg.): An Integrated View of Language Development. Papers in Honor of Henning Wode. Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2002, ISBN 3-88476-488-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://de.languagesindanger.eu/
  2. WeAreTeachers: Why Immersion May Be the Key to Foreign Language Learning. In: weareteachers.com. Abgerufen am 21. September 2016.
  3. Debating the Best Way to Learn a Language. In: learningenglish.voanews.com. Abgerufen am 21. September 2016.
  4. BilinGO Campus: Immersion. (Nicht mehr online verfügbar.) In: bilingo-campus.eu. Archiviert vom Original am 21. September 2016; abgerufen am 21. September 2016.
  5. Jana Gerber: Immersion. In: international-primary-school.de. Abgerufen am 21. September 2016.
  6. Harry Carstensen: FMKS – Verein für Frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen e. V. In: fmks-online.de. Abgerufen am 21. September 2016.
  7. Petra Burmeister, Henning Wode, Thorsten Piske, Kristin Kersten: Ich kann zwei Sprachen. Sprachen lernen mit Immersion in zweisprachigen Krippen, Kitas und Schulen. Hrsg.: FMKS Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen e. V. 3., überarbeitete Auflage. Kiel 2012, ISBN 978-3-9809946-6-8, S. 30 (56 S., fmks-online.de (Memento vom 14. Mai 2014 im Internet Archive) [PDF; 4,8 MB; abgerufen am 11. Januar 2020] Broschüre).
  8. Harry Carstensen: FMKS – Verein für Frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen e. V. In: fmks-online.de. Abgerufen am 21. September 2016.
  9. Lernen im immersiven Unterricht. (Nicht mehr online verfügbar.) In: survey.psychpaed.uni-kiel.de. Archiviert vom Original am 21. September 2016; abgerufen am 21. September 2016.
  10. Ostfriesischer Kurier. 21. November 2008, S. 26.
  11. Erwin Bachmann: Bildung. Für Flüchtlinge: Sprache lernen nach dem „Heidenheimer Modell“. In: swp.de. 31. August 2015, abgerufen am 11. Januar 2020.
  12. Luisa Hommerich: Sprachen lernen mit der Immersionsmethode. Hoppla, I speak English. In: Der Tagesspiegel. 18. November 2013, abgerufen am 11. Januar 2020.