Holozän-Kalender

Der Holozän-Kalender (auch Human- oder Holozän-Ära, von englisch Human Era oder Holocene Era, kurz HE) ist ein System der Jahreszählung (Kalenderära), bei dem genau 10.000 Jahre zur Jahreszahl der Zeitrechnung „nach Christi Geburt“ hinzuaddiert werden.

Der Beginn dieser Zeitrechnung liegt dadurch ungefähr zu Beginn der geologischen Epoche Holozän und der Neolithischen Revolution.

Der Holozän-Kalender wurde 1993 (11993 HE) von Cesare Emiliani vorgeschlagen.^[1]

Motivation

Cesare Emilianis Vorschlag für eine Kalenderreform ist ein Versuch, mehrere Probleme mit der christlichen Zeitrechnung „vor“ und „nach Christus“ zu lösen. Zu diesen Problemen zählen:

• Die christliche Zeitrechnung basiert auf einer fehlerhaften Schätzung des Geburtsjahres von Jesus Christus. Dieses wird auf das Jahr 1 n. Chr. gelegt. Jedoch wurde er nach heutiger wissenschaftlicher Einschätzung in der Zeit zwischen 7 v. Chr. und 4 v. Chr. geboren,^[2] wohingegen Lk 2,2  eher auf 6 n. Chr. als Geburtsjahr schließen ließe (erste Volkszählung unter Quirinius).
• Das (angenommene) Geburtsjahr von Jesus von Nazareth ist für viele Zivilisationen ohne Bedeutung und ein weniger universell relevantes, epochales Ereignis als der Beginn der geologischen Epoche Holozän bzw. der Neolithischen Revolution. Ausdrücke wie vor/(nach) unserer Zeit(rechnung) bzw. vor/(nach) der (gewöhnlichen) Zeitrechnung oder vor/nach der Zeitenwende suggerieren nur einen universellen Charakter.
• Die Jahreszahlen v. Chr. müssen heruntergezählt werden, wenn man sich von der Vergangenheit in Richtung Zukunft bewegt, so liegt das Jahr 44 v. Chr. nach dem Jahr 250 v. Chr.
• Der Gregorianische Kalender hat kein Jahr null. Dass auf das Jahr 1 v. Chr. sofort 1 n. Chr. folgt, erschwere das Bestimmen des Zeitintervalls zwischen zwei Ereignissen, die vor und nach Christi Geburt liegen. Viele historische Regime und das Leben von Personen erstreckten sich über diese Zeitgrenze hinaus.
• Hinzu kommt, dass die Astronomische Jahreszählung das Jahr 1 v. Chr. als Jahr null (+0) zählt, was weitere Verwirrung stiften kann. So wird das Jahr 753 v. Chr. dort −752 geschrieben. (siehe hierzu die Tabelle; vgl. auch die Datierungen der Gründung Roms).

Stattdessen wird im Holozän-Kalender der Beginn der Zeitrechnung bzw. das Jahr 1 auf das Jahr 10.000 v. Chr. gelegt. Dies ist eine ungefähre Schätzung des Beginns der gegenwärtigen geologischen Epoche, des Holozäns. Diese Festlegung wird mit der wissenschaftlichen Vermutung begründet, dass die menschliche Zivilisation (z. B. die ersten Siedlungen, Ackerbau etc.) zu dieser Zeit entstanden ist.

Vorteile

Befürworter des Holozän-Kalenders argumentieren, dass damit die geologische, archäologische, dendrochronologische und historische Datierung erleichtert wird sowie die Zeitrechnung auf einem universell relevanteren Ereignis begründet würde. Alle wichtigen Ereignisse der Menschheitsgeschichte könnten dann mit einer einfachen Skala ansteigender Jahreszahlen dargestellt werden. Kleinere Jahreszahlen würden immer vor höheren kommen. Da die Human-Ära vor allen anderen verwendeten Jahreszählungen beginnt, kann der Holozän-Kalender außerdem als sinnvolle Umrechnungs- und Vergleichsskala verwendet werden. Somit könnte er auch im Kalenderwesen hilfreich sein.

Nachteile

• Es ist z. B. nicht klar geregelt, was mit den nicht-gregorianischen Datumsangaben geschehen soll. Entgegen der Bezeichnung „Holozän-Kalender“ wird nur die Ära, also die Jahreszählung erneuert und nicht der Kalender. Zählt man nun einfach 10000 dazu, dann gewinnt man keine Vereinfachung des Kalenders insgesamt.
• Zudem ist auch dieser Zeitpunkt nicht stimmig. So begann das Holozän nach Stand der Forschung erst um das Jahr 9610 v. Chr.,^[3] wohingegen die Hominisation und die Stammesgeschichte des Menschen ungleich früher begannen. Damit sind nicht nur die Alternativbezeichnungen „Holozän-Ära“ und „Human-Ära“ irreführend, es werden auch wieder bedeutende Ereignisse der Menschheitsgeschichte ausgeklammert; ein Nachteil, den der Holozän-Kalender gegenüber der christlichen Jahreszählung eigentlich ausgleichen soll. Diese ist wiederum mittlerweile weltweit etabliert, auch in nichtchristlichen Ländern wie China.
• Des Weiteren können heutzutage Computer jede beliebige Berechnung automatisch durchführen. Die Einführung des Holozän-Kalenders würde eine Anpassung ihrer Programmierungen erfordern und könnte Probleme bei der Datenverarbeitung verursachen (vgl. Jahr-2000-Problem).
• Darüber hinaus gibt es mit dem julianischen Datum oder ähnlichen Systemen bereits Methoden der Vereinheitlichung, um die Nachteile des gregorianischen Kalenders auszugleichen.
• Nach der esoterischen Welteislehre und der Anthroposophie Rudolf Steiners ging um das Jahr 10.000 v. Chr. bzw. 1 HE Atlantis unter, was als einschneidendes Ereignis verstanden wird.^[4][5][6][7] Damit wird auch die Idee des Holozän-Kalenders als säkulare, neutrale Zeitrechnung hinfällig.

Umrechnung

Zur Umrechnung vom Julianischen und Gregorianischen Kalender in den Holozän-Kalender wird 10.000 zur Zahl der Jahre „nach Christi Geburt“ addiert. Das Jahr 2022 n. Chr. wird somit in ein Holozän-Jahr umgerechnet, indem die Ziffer 1 davor gesetzt wird: 12022 HE.

Die Jahre „vor Christi Geburt“ ergeben sich durch Subtraktion von 10.001. Alternativ kann man auch die Jahreszahl nach der astronomischen Jahreszählung von 10.000 subtrahieren. Als einfache Überprüfung der korrekten Umrechnung, kann man darauf achten, dass die jeweils letzte Ziffer der Jahreszahl „v. Chr.“ und der Jahreszahl im Holozän-Kalender addiert 1 oder 11 ergeben.

Trivia

• Der Film 10.000 B.C. von Roland Emmerich spielt im Jahr 1 des Holozän-Kalenders.
• Das von Robert E. Howard erdachte Hyborische Zeitalter, in dem die Abenteuer des Barbarenhelden Conan spielen, ist um die Epoche des Holozän-Kalenders angesiedelt.^[9]
• In dem von David Powell vorgeschlagenen Davidianischen Marskalender wird die Human-Ära des Holozän-Kalenders für den Mars angepasst.^[10]
• Laut Hanns Hörbigers Welteislehre wurde um das Jahr 1 HE der Mond von der Erde eingefangen, wodurch Atlantis unterging.^[11]
• Auch gemäß der Anthroposophie Rudolf Steiners fand um das Jahr 1 HE der Untergang von Atlantis statt. Dieser wird dort mit der Sintflut gleichgesetzt.^[12][13][14] Bis ins 19. Jahrhundert wurde mit Bezug auf die Sintflut das Holozän als Alluvium (lateinisch „Zeitalter der Anschwemmungen“) und das Pleistozän als Diluvium bezeichnet (lateinisch diluere ‚weg waschen=Überschwemmung‘), z. B. durch den britischen Geologen William Buckland 1823.^[15][16][17]
• Das Designstudio Kurzgesagt gibt seit 12017 HE (2017 n. Chr.) alljährlich zu Neujahr eine limitierte Edition des Holozän-Kalenders heraus.^[18][19] Auch der Kalender Ártala verwendet die Human-/Holozän-Ära in Kombination mit einem rekonstruierten germanischen Lunisolarkalender.^[20]

Siehe auch

• Liste der Kalendersysteme
• Anthropozän

Literatur

• David Ewing Duncan: The Calendar: The 5000-year Struggle to Align the Clock and the Heavens – and What Happened to the Missing Ten Days. Hrsg.: Fourth Estate Ltd. 1999, ISBN 1-85702-979-8, S. 331–332. 
• Duncan Steel: Marking Time: The Epic Quest to Invent the Perfect Calendar. Hrsg.: John Wiley and Sons. 2000, ISBN 0-471-40421-7, S. 149–151 (books.google.com). 
• Günther A. Wagner: Age Determination of Young Rocks and Artifacts: Physical and Chemical Clocks in Quaternary Geology and Archeology. Hrsg.: Springer. 1998, ISBN 3-540-63436-3, S. 48 (books.google.com). 
• News & Comment. In: Geology Today. Band 20, Nr. 3, Mai 2004, S. 89–96, doi:10.1111/j.1365-2451.2004.00457.x. 

Videos

• A New History for Humanity – The Human Era auf YouTube von Kurzgesagt – In a Nutshell, englisch mit deutschen Untertiteln
• Eine neue Menschheitsgeschichte – Die Ära der Menschen auf YouTube von Dinge erklärt – Kurzgesagt, deutsch
• Human Era Complete auf YouTube von Aquarius Risen, englisch
• Holocene Epoch - Holocene Calendar auf YouTube, Übersicht über historische Ereignisse datiert nach dem Holozän-Kalender, englisch

Weblinks

• Website über den Holozän-Kalender, englisch (u. a. mit Zeitleiste und Jahreszahlenkonverter)
• Ist der Christliche Kalender veraltet?, Artikel im Solinger Tageblatt, aktualisiert am 22. Februar 2018, abgerufen am 27. Juni 2021
• Was ist … der Holozän-Kalender?, Artikel auf wenig-originell.de, veröffentlicht am 9. Juli 2018

Einzelnachweise

1. ↑ Cesare Emiliani: Calendar Reform, In: Nature, Band 366, Heft 6457, 23./30. Dezember 1993, S. 716. bibcode:1993Natur.366..716E
2. ↑ Elberfelder Bibel: mit Erklärungen, SCM R. Brockhaus, Witten 2008, ISBN 978-3-417-25975-9.
3. ↑ Gliederung des Holozän. Geozentrum Hannover (PDF-Datei, 405 kB)
4. ↑ Fantastische Tiefkühlkost, Artikel auf Zeit online aus der Ausgabe Nr. 34/2015 vom 20. August 2015, abgerufen am 8. März 2020
5. ↑ Sintflut#Anthroposophische Erklärung im AnthroWiki
6. ↑ Jana Husmann: Schwarz-Weiß-Symbolik. Dualistische Denktraditionen und die Imagination von „Rasse“. Religion – Wissenschaft – Anthroposophie. transcript, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8394-1349-4, S. 268 ff.
7. ↑ Cees Leijenhorst: Anthroposophy. In: Wouter J. Hanegraaff (Hrsg.): Dictionary of Gnosis and Western Esotericism. Brill, Leiden/Boston 2005, S. 85f.
8. ↑ Nach heutigen Erkenntnissen starb er tatsächlich 483 v. Chr. (9518 HE).
9. ↑ Das Hyborische Zeitalter im Eridu Wiki.
10. ↑ Davidianischer Marskalender im Calendar Wiki und im AKDave Wiki, (englisch).
11. ↑ Fantastische Tiefkühlkost, Artikel auf Zeit online aus der Ausgabe Nr. 34/2015 vom 20. August 2015, abgerufen am 8. März 2020
12. ↑ Sintflut#Anthroposophische Erklärung im AnthroWiki
13. ↑ Jana Husmann: Schwarz-Weiß-Symbolik. Dualistische Denktraditionen und die Imagination von „Rasse“. Religion – Wissenschaft – Anthroposophie. transcript, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8394-1349-4, S. 268 ff.
14. ↑ Cees Leijenhorst: Anthroposophy. In: Wouter J. Hanegraaff (Hrsg.): Dictionary of Gnosis and Western Esotericism. Brill, Leiden/Boston 2005, S. 85f.
15. ↑ Johann Mathesius, Martinus Oberndorffer: Diluvium: Historia der Sündflut, dadurch Gott … zum schrecklichen Exempel seines Zorns wider die Sünde, zu Noah zeiten, die Erste unbußfertige Welt erseufft, … hat. Verl. Johann, Rosen, 1605.
16. ↑ Franz Eugen Geinitz: Das Diluvium Deutschlands. E. Schweizerbart, 1920.
17. ↑ Wilhelm Weiler: Pliozän und Diluvium im südlichen Rheinhessen. In: Notizblatt des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung. Band 80, 1952, S. 147–170.
18. ↑ Der 12.019-Kalender IST HIER - Ein neuer Kalender für die Menschheit auf YouTube, englisch mit deutschen Untertiteln
19. ↑ Der 12.020 Kalender für die Ära des Menschen im Weltraum auf YouTube, englisch mit deutschen Untertiteln
20. ↑ ÁRTALA - Der gebundene Mondkalender der Germanen