Hof Görzhausen

Koordinaten: 50° 49′ 49,6″ N, 8° 43′ 8,9″ O

Industriepark Görzhausen (Teilansicht) mit dem ehemaligen Gutshof (Bildmitte)
Industriepark Görzhausen I und II

Der Hof Görzhausen oder Görzhäuser Hof oder Görzhausen war ein großer landwirtschaftlicher Gutshof bei Michelbach in Marburg, der bereits seit dem Mittelalter nachweisbar ist. Er gehörte vom 14. Jahrhundert bis 1809 zur Niederlassung des Deutschen Ordens in Marburg. Danach wurde er privat geführt, bevor er 1961 Teil der Behringwerke wurde. Bis in die Gegenwart hat sich um den ursprünglichen Gutshof, dessen jüngste Gebäude noch vorhanden sind, ein großer Industriepark für Unternehmen der Pharmazeutischen Industrie und Biotechnologie entwickelt, der in Görzhausen I und Görzhausen II aufgeteilt ist.

Lage

Görzhausen liegt ca. 4,5 km nordwestlich von Marburg am Westrand des Marburger Rückens zur Elnhausen-Michelbacher Senke auf 274 m ü. NN. Das Firmengelände ist bis auf seine Westseite von höher gelegenem Wald umgeben und gehört zur Gemarkung von Michelbach.

Geschichte bis zum 19. Jahrhundert

Görzhäuser Hof mit der Hofreite und Stallgebäuden um 1900
Spolienstein von 1567 am früheren Kuhstall im Görzhäuser Hof
Deutschordensgrenzstein von 1737 im Wald bei Görzhausen

In einer Urkunde aus dem Jahr 1283 wird Michelbach & Gerbrahthusen im Zusammenhang mit Caldern (Kalderen) genannt.[1] In einer Urkunde des Klosters Caldern von 1305 tritt ein Konrad von Gerbrachteshusin als Deutschordensbruder und Zeuge auf.[2] Spätestens um 1360 war der Hof Görzhausen (Gerbrachtshusin) im Besitz des Deutschordenshauses Marburg.[3] Dieses war entstanden, nachdem die Landgrafen von Thüringen dem Deutschen Orden 1234 die Fortführung des von Elisabeth von Thüringen in Marburg gegründeten Hospitals und die Pflege ihres Grabes übergeben hatten. Durch zahlreiche Schenkungen und Ankäufe wuchs der Besitz der Landkommende Marburg der Deutschordensballei Hessen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts weiter an.

Der Gutshof in Görzhausen war eine von zahlreichen Besitzungen der Landkommende und eine Außenstelle des Wirtschaftshofes in Marburg. Er wurde nicht verpachtet, sondern in Eigenbau genutzt. Im Mittelalter leitete ein Ordensmitglied den Hof; später ging das Amt des Hofmannes auf einen Bediensteten über, der oft aus der näheren Umgebung stammte. 1509 umfasste der Viehbestand des Hofes 9 Wagenpferde, 45 Kühe, Rinder und Kälber, 48 Schweine, rund 200 Schafe und Geflügel. Der Hof lieferte Milch, Käse, Eier und Fleisch an das Haupthaus. Auch Brot wurde hergestellt. 1543 verfügte der Hof über ein Torhaus und ein Wohnhaus, beide schiefergedeckt, einen Getreidespeicher mit zwei Böden, eine Scheune, einen Schweinestall, einen Schafstall und ein Backhaus. 1767 standen auf der großen Hofreite noch Wohnhaus, zwei Scheunen, Stallungen und ein Brunnen.[4] Zum Gutshof gehörten zahlreiche Äcker, Gärten und Wiesen sowie zwei Teiche und der umgebende Ordenswald. Die hier betriebene Landwirtschaft war größer als auf den meisten anderen Höfen des Ordens.

Nach der Auflösung des Deutschen Ordens 1809 kaufte Wilhelm Hoffmann, dessen Familie auch den Deutschordenshof in Marburg bewirtschaftete, den Hof Görzhausen für 3346 Taler. Ein Teil der Gebäude wurde nun abgerissen. An dem um 1870 neu errichteten Rinderstall wurde ein alter Spolienstein von 1567 ins Mauerwerk eingesetzt, der noch heute dort zu sehen ist. Er stammte vermutlich aus dem ehemaligen Torhaus oder Torbogen an der Hofeinfahrt. Dieser Stein zeigt das Wappen des Deutschen Ordens und das des damaligen Landkomturs Johann von Rehen († 1570). Im ehemaligen Ordenswald südlich und östlich des Hofes markieren noch heute zahlreiche Deutschordensgrenzsteine die frühere Gemarkungsgrenze von Görzhausen, die dort die heutige Gemarkungsgrenze zwischen Michelbach und Marbach geworden ist.

Entwicklung ab dem 20. Jahrhundert

Die Behringwerke haben den Görzhäuser Hof und einen Großteil der dazugehörigen Gebäude, insgesamt 40 ha Ackerland und 90 ha Wald, 1961 erworben und seit 1964 in Eigenbewirtschaftung übernommen. Der Gutshof ist nach dem Kauf instand gesetzt und zu eigenen Zwecken umgebaut worden. Die heute dreiseitige Hofanlage mit den Gebäuden M 2 (ehem. Wohnhaus an der Nordseite), M 5 (ehem. Rinderstall an der Südseite), M 6 (Heizhaus mit hohem Schornstein), M 7 (langgestreckte Stallscheune an der Westseite), M 8 (kleine Scheune am Hofeingang), M 9 (Scheune am Wohnhaus) und M 11 (neuerer Anbau) ist als Gesamtanlage denkmalgeschützt, der ehemalige Rinderstall (M 5) zusätzlich als Einzelkulturdenkmal ausgewiesen. Siehe Liste der Kulturdenkmäler in Michelbach.

Beim Bundeswettbewerb 1977/78 „Industrie im Städtebau“ wurde den Behringwerken für die Bebauung und Begrünung am Görzhäuser Hof sowie für die Farbgestaltung der dortigen Gebäude eine Silberplakette verliehen.[5]

Im Zuge des Umbaus der Hoechst AG wurden die Behringwerke 1997 in verschiedene Einzelfirmen aufgeteilt. Als Standortbetreibergesellschaft wurde die InfraServ GmbH & Co. Marburg KG gegründet, aus der später die Pharmaserv GmbH hervorging.[6] Sie ist Haupteigentümer und Betreiber des Standorts Görzhausen I. Der Standort Görzhausen II, auch „MARS-Campus“ genannt, wird seit 2015 von der Firma GlaxoSmithKline (GSK) betrieben.[7]

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Industriepark Görzhausen I und II in der Ansicht von Westen (2021).

Literatur

  • G. Landau: Der Hof Görzhausen. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. Band 9, 1862, S. 380.
  • Ellen Kamp, Annekathrin Sitte-Köster: Stadt Marburg II : Stadterweiterungen und Stadtteile (= Landesamt für Denkmalpflege Hessen [Hrsg.]: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen). Theiss, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-8062-2884-7, S. 605–607.
  • Katharina Schaal: Das Deutschordenshaus Marburg in der Reformationszeit: der Säkularisationsversuch und die Inventare von 1543. In: Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hrsg.): Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte. Band 15, 1996.
  • Ursula Braasch-Schwersmann: Das Deutschordenshaus Marburg: Wirtschaft und Verwaltung einer spätmittelalterlichen Grundherrschaft. In: Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hrsg.): Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte. Band 11, 1989.
  • Siegfried Becker: Der Deutschordenshof Görzhausen. In: Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur (Hrsg.): Michelbach - Ein Marburger Stadtteil erzählt aus seiner 1200-jährigen Geschichte. Band 107, 2017, S. 42–50.

Weblinks

Commons: Görzhausen (Marburg) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gudenus, Valentinus Codex diplomaticus, II S. 231
  2. Arcinsys HStAM Bestand Urk. 17 Nr. 84
  3. Braasch-Schwersmann, Das Deutschordenshaus Marburg, S. 40 f.
  4. Georg Fülberth. Eine Ortsbeschreibung aus dem Jahr 1767. In: Michelbach - Ein Marburger Stadtteil erzählt aus seiner 1200-jährigen Geschichte, S. 51 f.
  5. Behringwerke AG: Vorstellung neuer Gebäude in den Werksteilen Görzhausen und Berghof anläßlich des Empfangs für die Vertreter der Universität sowie der Stadt und des Kreises Marburg am 23. September 1983 in den Behringwerken. Hrsg.: Behringwerke Ag. Marburg. 1983
  6. Vom "Behringwerk" zum Biotech-Standort: 100 Jahre im Dienst der Gesundheit: 1904–2004. Hrsg. Chiron Vaccines, Chiron Behring GmbH & Co KG. Marburg. 2004
  7. GSK Webseite zum Standort Marburg

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Marburg, Görzhausen Behringwerk.JPG
Autor/Urheber: Wolkenkratzer, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Industriepark Görzhausen I (im Vordergrund) und Görzhausen II (im Hintergrund) der Behringwerke in Marburg. Etwas unterhalb der Bildmitte ist der ehemalige Gutshof gut erkennbar, weil er nicht parallel zu den modernen Gebäuden und Straßen liegt. Luftaufnahme, Ansicht von Osten.
Marburg Görzhäuser Hof Stallgebäude von NW um1900.jpg
Der Gutshof Görzhausen mit der Hofreite und Stallgebäuden um 1900. Im Hintergrund der Mitte des 19. Jahrhunderts neu errichtete Kuhstall mit dem Spolienstein des Deutschen Ordens von 1567 über dem Tor. Ansicht von Nordwesten.
Deutschordensgrenzstein 1737 Michelbach Marbach M34 (1).jpg
© Heinrich Stürzl / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
Deutschordensgrenzstein von 1737 mit der Nummer 34 an der Gemarkungsgrenze zwischen Michelbach, Flur 10 und Marbach, Flur 1. Ansicht der Michelbacher/Görzhäuser Seite zeigt das Deutschordenskreuz, die Buchstaben TO (Teutonicus Ordo) und die Jahreszahl 1737.