Hirsutismus

Klassifikation nach ICD-10
L68.0Hirsutismus
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Frau mit Hirsutismus (Bild aus der Schedelschen Weltchronik von 1493)

Hirsutismus (lateinisch hirsutus „haarig“) ist ein männlicher Behaarungstyp bei Frauen und bezeichnet ein männliches Verteilungsmuster der Terminalhaare (Langhaare) bei der Frau. Er entsteht durch Umwandlung von Vellushaar in Terminalhaar und kann anlagebedingt (genetisch) oder (hormonell oder medikamentös verursacht) krankheitsbedingt sein. Die Grenze zum Normalzustand ist dabei fließend. Meist ist die Ursache für einen Hirsutismus eine vermehrte Androgenbildung. Der Hirsutismus ist abzugrenzen gegenüber der Hypertrichose, die eine androgenunabhängige verstärkte Körper- und Gesichtsbehaarung ohne ein männliches Verteilungsmuster darstellt.

Beim Hirsutismus finden sich beim sogenannten Damenbart anstelle unscheinbarer Vellushaare kräftigere Langhaare im Bereich der Koteletten (des ohrnahen Kieferbereichs), der Oberlippe (hier wiederum vermehrt in den seitlichen Bereichen) und am Kinn. Im Bereich des Stamms finden sich Haare im oberen Brustbeinbereich, um die Warzenhöfe sowie vom Bauchnabel in der Mittellinie zwickelförmig zur Schambehaarung ziehend. Die Schambehaarung selbst dehnt sich dabei auf die Oberschenkel aus, sodass anstelle einer (typisch scharf begrenzten) Dreiecksform eine eher breite Rhombusform entsteht. Die Oberschenkel, die Unterschenkel sowie die Unterarme sind ebenfalls unterschiedlich stark behaart.

Verbreitung

Ein Hirsutismus kommt bei ca. 5–10 % der Frauen vor. Die Grenze zwischen Normalzustand und Hirsutismus ist fließend und abhängig vom genetischen Hintergrund. In einer Prävalenzstudie an 633 unselektierten weißen und schwarzen US-Amerikanerinnen konnten DeUgarte und Mitarbeiter keine Unterschiede in Bezug auf die Hautfarbe finden.[1]

Ursachen

Hirsutismus kann verschiedene Ursachen haben:

Hirsutismus ist häufig mit Übergewicht und Insulinresistenz vergesellschaftet.

Diagnose

Zur Bestimmung der objektiven Kriterien kann der Ferriman-Gallwey-Index herangezogen werden, der für 9 Körperregionen die Verteilung der Terminalhaare anhand einer Skala von 0 bis 4 beschreibt. Zu den 9 Regionen gehören unter anderem die Oberlippe und die Brust. Allerdings ist dieser kein Maßstab für den Leidensdruck einer Patientin. Ein Hirsutismus wird bei einer Summe von 8 oder mehr Punkten diagnostiziert. Dabei gilt der Index nicht für Asiatinnen. 2001 wurde diese Methode verändert und um 10 Körperregionen erweitert. Darunter waren zum Beispiel Koteletten, Nacken und Unterarm. Jede Region hat ihr eigene Definition von der 4-Punkte-Skala.

Neben dem Ferriman-Gallwey-Index kommen auch folgende Methoden zu Bestimmung von Hirsutismus zum Einsatz:

  • fotografische Beurteilung
  • mikroskopische Messung: Dabei wird der Durchmesser der Schäfte gemessen und gezählt.
  • Computer-basierte Schätzung
  • Einteilung nach Baron:
    • Grad I: Haarstraße vom Genitalbereich zum Nabel, Behaarung der Oberlippe
    • Grad II: Wie Grad I plus Behaarung des Kinns und der Innenseite der Oberschenkel
    • Grad III: Wie Grad II plus Behaarung des Prästernalbereichs, des Rückens, des Gesäßes und der Schultern[2]

Hirsutismus und Zyklusunregelmäßigkeiten kommen bei rund 80 % der Frauen mit einem Cushing-Syndrom vor, sodass eine genaue Anamnese und körperliche Untersuchung obligatorisch sind. Ebenso verpflichtend ist die Bestimmung des freien Testosterons und des DHEA-Sulfats im Plasma. Erst wenn diese normal sind, kann die Diagnose idiopathischer Hirsutismus gestellt werden.

Deutlich erhöhte Testosteron- und DHEA-Sulfat-Werte sind mögliche Indikatoren für einen Tumor der Eierstöcke oder der Nebennieren.

Akzeptanz

Annie Jones, eine „bärtige Dame“, wie sie im 19. Jh. auf sogenannten Sideshows auftraten

Die betroffenen Frauen können unter ihrer maskulinen Behaarung unterschiedlich stark leiden. In der Studie von DeUgarte und Mitarbeitern fühlten sich gut 70 % der Frauen mit einem Indexwert von mindestens 3 als hirsut, ebenso viele mit einem Indexwert von zumindest 8. Demgegenüber fühlten sich nur 15,8 % der Frauen mit einem Indexwert unter 3 als zu stark behaart.[1]

Die mexikanische Malerin Frida Kahlo hat ihren „kleinen Bart“ und ihre dicht zusammengewachsenen Augenbrauen bei Selbstporträts stets mitgezeichnet (oft auch viel ausgeprägter als real vorhanden) und entwickelte aus diesem Bruch mit traditionellen Schönheitsidealen ihr Markenzeichen.

Bärtige Frauen waren ein wichtiger Bestandteil der so genannten Freak Shows, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Lande zogen. Eine bekannte Bartfrau war Jane Barnell, die als Lady Olga Roderick bei einem Zirkus arbeitete und 1932 in Tod Brownings Filmklassiker Freaks mitspielte.

Das Bildnis der Margret Halseber stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde gleich in mehreren Exemplaren gemalt.[3]

Therapie

Teilweise kann bereits das Bleichen der Haare der betroffenen Frau ein kosmetisch befriedigendes Resultat liefern. Depilation und Epilation dienen der mechanischen Haarentfernung.

Die medikamentöse Behandlung einer zugrunde liegenden hormonellen Störung oder eines Tumors gehört in die Hand eines Endokrinologen oder eines Onkologen.

Eflornithin hemmt das an der Bildung des Haarschaftes durch den Haarfollikel beteiligte Enzym Ornithindecarboxylase irreversibel und ist zur Behandlung des Hirsutismus im Gesicht zugelassen. Als Creme wird es zweimal täglich aufgetragen. Wird die Behandlung beendet, geht die Wirkung innerhalb von zwei Monaten wieder verloren, und die Behaarung kehrt zurück.

Antiandrogene

Alle Antiandrogene wirken teratogen (fruchtschädigend) und dürfen nur eingenommen werden, wenn eine Schwangerschaft sicher auszuschließen ist. Als unerwünschte Arzneimittelwirkung ist auf eine Leberschädigung zu achten, wobei Flutamid schwerwiegende Leberschädigungen verursachen kann. In einer Metastudie von Swiglo und Mitarbeitern, die im Februar 2008 veröffentlicht wurde, zeigte sich eine schwache Evidenz für eine geringe Wirksamkeit der Antiandrogene.[4] Ein Effekt auf den Haarwuchs ist außerdem meist erst nach 4 bis 6 Monaten zu erwarten.

Insulin-Sensitizer

Metformin, eines der am längsten eingesetzten Antidiabetika, und andere Medikamente, welche die Insulinresistenz verbessern, wurden in einer Metastudie von Cosma und Mitarbeitern auf ihre Wirksamkeit bei Hirsutismus überprüft. Dabei wurde die Evidenz als unklar und inkonsistent und die Qualität der überprüften Studien als schlecht bis sehr schlecht bezeichnet. Metformin zeigte sich dabei sowohl Spironolacton als auch Flutamid unterlegen.[5]

Literatur

Weblinks

Wiktionary: Hirsutismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b C. M. DeUgarte, K. S. Woods, A. A. Bartolucci, R. Azziz: Degree of facial and body terminal hair growth in unselected black and white women: toward a populational definition of hirsutism. In: J Clin Endocrinol Metab. 2006 Apr;91(4), S. 1345–1350. Epub 2006 Jan 31. PMID 16449347
  2. Messung mit dem Ferriman-Gallwey Index. Abgerufen am 25. Januar 2017.
  3. Beschreibung einer Version des Gemäldes (Memento desOriginals vom 24. September 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sothebys.com (PDF)
  4. B. A. Swiglo, M. Cosma, D. N. Flynn, D. M. Kurtz, M. L. Labella, R. J. Mullan, P. J. Erwin, V. M. Montori: Clinical review: Antiandrogens for the treatment of hirsutism: a systematic review and metaanalyses of randomized controlled trials In: J. Clin. Endocrinol. Metab. 93, 2008, S. 1153–1160. PMID 18252786 (Review).
  5. M. Cosma, B. A. Swiglo, D. N. Flynn, D. M. Kurtz, M. L. Labella, R. J. Mullan, M. B. Elamin, P. J. Erwin, V. M. Montori: Insulin Sensitizers for the Treatment of Hirsutism: A Systematic Review and Meta-analyses of Randomized Controlled Trials. In: J Clin Endocrinol Metab. 2008 Feb 5. PMID 18252787

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