Herr Zwilling und Frau Zuckermann

Film
TitelHerr Zwilling und Frau Zuckermann
ProduktionslandDeutschland
Erscheinungsjahr1999
Länge132 Minuten
Altersfreigabe
Produktions­unternehmenVineta Film (Berlin), mit MDR, WDR, SFB
Stab
RegieVolker Koepp
DrehbuchVolker Koepp, Barbara Frankenstein (Konzept)
ProduktionBarbara Frankenstein
KameraThomas Plenert
SchnittAngelika Arnold
Besetzung
  • Mathias Zwilling
  • Rosa Roth-Zuckermann
  • weitere Bewohner von Tscherniwzi

Herr Zwilling und Frau Zuckermann ist ein deutscher Dokumentarfilm von Volker Koepp mit dem Kameramann Thomas Plenert von 1998. Er beschreibt jüdisches Leben in der ukrainischen Stadt Tscherniwzi, die einst als Czernowitz ein wichtiges Zentrum jüdischer Kultur war. Der Film erhielt mehrere Filmpreise und Würdigungen.

Inhalt

Es werden Alltagsszenen jüdischen Lebens in der Stadt gezeigt. Die Hauptprotagonisten sind der 70-jährige Mathias Zwilling, der aus angesehenen Familien der Region stammt, und die 90-jährige Rosa Roth-Zuckermann, die von ihm jeden Abend besucht wird.[2][3][4][5][6] Beide sind die (fast) letzten deutschsprachigen verbliebenen Juden der Stadt. Sie berichten über die Gegenwart mit ihren Problemen wie ausbleibenden Gehältern und Renten für viele Einwohner und die starke Abwanderung, und über die schwierige Vergangenheit, in der Frau Zuckermann innerhalb weniger Tage ihre gesamte Familie verlor.

Es werden das Leben im jüdischen Kulturzentrum, die jüdische Schule, der jüdische Friedhof und Alltagszenen in der Stadt gezeigt. Die kurzen Aussagen, Gespräche und Lieder der Bewohner in ukrainischer, russischer, jiddischer, hebräischer, englischer, französischer und rumänischer Sprache werden nicht übersetzt und vermitteln dadurch eine besondere Authentizität.

Der Film ist geprägt durch die zurückhaltende Art des Filmemachers Volker Koepp und die behutsame Kameraführung von Thomas Plenert, die langsam durch die Winterlandschaft und die Alltagsszenen streift und so einprägsame Bilder schafft. Es wird auf Kommentare und Hintergrundmusik vollständig verzichtet, die Geräuschkulisse bilden allein die Alltagsgeräusche während der Aufnahmen.

Historische Hintergründe

Die Stadt Czernowitz war seit dem späten 19. Jahrhundert eines der wichtigsten Zentren jüdischer Kultur im östlichen Europa, in der bekannte Schriftsteller wie Joseph Roth, Rose Ausländer und Paul Celan lebten. Nach dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Besetzung der nunmehr rumänischen Stadt durch sowjetische und deutsche Streitkräfte 1940/1941 wurde die jüdische Bevölkerung deportiert und ermordet. Die Überlebenden emigrierten größtenteils nach Israel. Die jüdische Kultur wurde dadurch nahezu vollständig ausgelöscht.

Zur Zeit des Films lebten dort wieder einige tausend russischsprachige Juden aus Bessarabien, die aber keine Beziehung mehr zu der historischen jiddisch- und deutschsprachigen Kultur der Region hatten.

Hintergründe des Films

Volker Koepp und Thomas Plenert hatten bereits zahlreiche gemeinsame Dokumentarfilme gemacht, darunter im ehemaligen Ostpreußen Kalte Heimat (1995), wo sie nach Spuren des untergegangenen deutschen Lebens gesucht hatten.

Anfang 1998 reiste Volker Koepp nach Tscherniwzi, um einen Film über diese Stadt mit ihrer reichhaltigen deutschsprachigen jüdischen Vergangenheit zu drehen. Im Jüdischen Kulturzentrum wurde er an Frau Rosa Roth-Zuckermann als einen der letzten überlebenden deutschsprachigen Juden vermittelt. Es entstand der Plan, einen Film über sie und ihren regelmäßigen abendlichen Besucher Mathias Zwilling sowie über die jüdische Gegenwart der Stadt zu drehen.[7][8] Die Aufnahmen fanden zwischen März und Ende September 1998 statt.

Aufführungen und Nachwirkungen

Der Film Herr Zwilling und Frau Zuckermann wurde am 16. Februar 1999 bei der Berlinale im Forum des internationalen Films uraufgeführt. Der Film gewann 1999 zudem den Hauptpreis des Dokumentarfilmfestivals Nyon und wurde für den Deutschen Filmpreis sowie den Europäischen Dokumentarfilmpreis PRIX ARTE nominiert.[9][10] Er wurde auch beim Dokfest München und weiteren Filmfestivals vorgestellt. Er kam in verschiedene Kinos, das Hackesche Höfe Kino in Berlin-Mitte zeigte ihn 91 Wochen lang ununterbrochen.[11] Seit 2019 gibt es eine restaurierte digitalisierte Fassung.

Volker Koepp zeigte im nachfolgenden Film Dieses Jahr in Czernowitz (2004) Emigranten und deren Nachkommen bei einem Besuch in ihrer alten Heimatstadt.[12] In einem weiteren Dokumentarfilm Vergessener Holocaust. Eine Reise nach Transnistrien (2020) erkundete der Sohn Felix Zuckermann die Deportationsroute seiner Mutter und deren Familie in Transnistrien.[13]

Auszeichnungen und Nominierungen

Meinungen

Der Filmhistoriker Thomas Bräutigam lobte in seinem Dokumentarfilmklassikerlexikon 2019:

„Auffallend ist die Distanz und Dezenz, mit der Koepp und Thomas Plenert den gefilmten Menschen und Objekten begegnen. Sie lassen reden und schweigen (auch das Schweigen ist beredt), die Kamera schweift eher, als dass sie sich festsetzt (...).“[14]

Der Film wurde auch bei der Laudatio für den Georg-Dehio-Kulturpreis 2005 für Volker Koepp besonders hervorgehoben.

„Koepp hat mit eindrucksvollen Filmen wie z. B. Kalte Heimat oder Herr Zwilling und Frau Zuckermann Orte und Regionen im östlichen Europa von Ostpreußen bis Czernowitz aus dem Vergessen geholt und sie in einen neuen Kontext gestellt. Die Filme sind geprägt von einer sehr individuellen Ästhetik und einem sensiblen, tiefen Verständnis für den Gegenstand.“[15]

Der Spiegel lobte den Filmemacher bereits 1999:

„Seine Czernowitzer Elegie (...) hätte auch Celan erfreut.“[16]

„Eindrucksvoll fängt der Dokumentarfilm ihre Erinnerungen ein, wobei er bei aller Nähe zu den beiden alten Menschen stets die notwendige Distanz wahrt, um sie nicht der bloßen Schaulust preiszugeben. Intensiv macht er ihre Lebensneugier erfahrbar und verknüpft sie ebenso beiläufig wie amüsant mit episodischen Einblicken in das sich wieder regende Leben in der jüdischen Gemeinde.“

Lexikon des internationalen Films[1]

Literatur

  • Thomas Bräutigam: Klassiker des deutschsprachigen Dokumentarfilms. Schüren 2019. S. 107–109

Einzelnachweise

  1. a b Herr Zwilling und Frau Zuckermann. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 5. Mai 2025.
  2. Thomas Bräutigam, Klassiker des deutschsprachigen Dokumentarfilms, 2019, S. 107–109, mit ausführlicher Inhaltsangabe
  3. Herr Zwilling und Frau Zuckermann MDR, 2024, mit einigen Informationen zum Film
  4. Herr Zwilling und Frau Zuckermann bpb, mit kurzer Inhaltsangabe und Film
  5. Herr Zwilling und Frau Zuckermann Salzgeber
  6. Herr Zwilling und Frau Zuckermann- Viennale, 2017 (Memento), von Kerstin Decker, mit Inhaltsangabe
  7. Mythos war schon da HaGalil, 2019, mit Gespräch mit Felix Zuckermann, dem Sohn von Rosa Zuckermann (von 2013), über die Entstehung und Folgen des Films (von Christel Wollmann-Fiedler)
  8. Die Geschichte von Frau Zuckermann Deutsche Welle, von Birgit Goertz von 2012, der Sohn Felix Zuckermann berichtete über das Leben seiner Mutter
  9. Herr Zwilling und Frau Zuckermann Arsenal Berlin, mit ersten Aufgührungsterminen, und Inhaltsangabe
  10. "Herr Zwilling und Frau Zuckermann". In: filmuniversitaet.de. Abgerufen am 21. Mai 2025.
  11. Herr Zwilling und Frau Zuckermann Filmuniversität Potsdam (das Hackesche Höfe Kino liegt am Rande des ehemals stark jüdisch geprägten Scheunenviertels in Alt-Berlin, mit vielen tausenden Touristen täglich)
  12. Dieses Jahr in Czernowitz Peripher Film
  13. Vergessener Holocaust IKGS (PDF; 0,5 MB), mit einigen Informationen; auch Herr Zwilling und Frau Zuckermann IKGS, mit Video des Films
  14. Thomas Bräutigam, Klassiker des deutschsprachigen Dokumentarfilms, 2019. S. 108
  15. Georg Dehio-Kulturpreis 2005 geht an den Dokumentarfilmer Volker Koepp und die tschechische Bürgerinitiative »Antikomplex« kulturforum.info.
  16. Herr Zwilling und Frau Zuckermann in Spiegel, 23/1999 vom 6. Juni 1999