Hermann Kunst

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Hermann Kunst beim Trauerstaatsakt für Gerhard Schröder (Politiker, 1910), 1990 in Bonn
Das Grab von Hermann Kunst und seiner Ehefrau Elisabeth geborene Quade auf dem Erika-Friedhof in Herford

Hermann Kunst (* 21. Januar 1907 in Ottersberg; † 6. November 1999 in Bonn) war der erste Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesregierung und evangelischer Militärbischof.

Leben

Hermann Kunst studierte nach dem Besuch des Gymnasiums in Bocholt und einer Banklehre Evangelische Theologie in Marburg, Berlin und Münster und wurde – nach dem Lehrvikariat in Mennighüffen sowie zwei Hilfspredigerjahren in Herford – am 12. Juni 1932 ordiniert.[1] Theologisch war er stark vom konfessionellen Neuluthertum innerhalb der Union geprägt.[2] Von 1934 bis 1952 war er Pfarrer der Ev.-Luth. Mariengemeinde Stift Berg in Herford. Als Kunst 1934 dort sein Pfarramt antrat, wurde die Gemeinde von einem Presbyterium aus Deutschen Christen geleitet. 1935 wurde Kunst zum nebenamtlichen Standortpfarrer eines in Herford stationierten Ausbildungsbataillons ernannt. Seine Reden in dieser Zeit zeichneten sich durch ihre Nähe zum NS-Staat und dessen Wehrmacht aus.[3] Ab 1942 war er als Nachfolger von Friedrich Niemann zusätzlich Superintendent des Kirchenkreises Herford. Als solcher leitete er zeitweilig die Lutherische Konferenz von Minden-Ravensberg. Während des Kirchenkampfes war er in der gemäßigten Bekennenden Kirche tätig; eng und vertrauensvoll arbeitete er insbesondere mit Präses Karl Koch zusammen. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und 1940 zum Kriegspfarrer auf Kriegszeit (a. K.) ernannt. Er begleitete die Wehrmacht-Truppen beim Überfall auf Polen und beim Westfeldzug, wo er mit dem Eisernen Kreuz Zweiter Klasse ausgezeichnet wurde. 1940 wurde er zum Superintendenten des Kirchenkreises Herford gewählt, ein Jahr später mit der Vertretung des Präses Koch in der Leitung der Kirche von Westfalen beauftragt. 1943 bis 1944 war er an der Ostfront.[4] Im August 1944 wurde Kunst an die Westfront versetzt. Zuletzt war er eingesetzt in den Niederlanden. Im Oktober 1945 endete seine Kriegsgefangenschaft im ostfriesischen Hage.[5]

Im Oktober 1947 gründete Kunst in Herford die Notgemeinschaft der Besatzungsgeschädigten, um die Interessen von über 6.500 Betroffenen zu vertreten.[6] Von 1945 bis 1949 war er Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen. Bei der Kandidatur um das Amt des Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen unterlag er im November 1948 mit 72:77 Stimmen knapp dem zeitweise im KZ Dachau inhaftiert gewesenen Mennighüffener Pfarrer Ernst Wilm.

Ab 1950 – anfangs parallel zu seinen Aufgaben als Pfarrer und Superintendent – bis 1977 war Kunst der erste Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesregierung. In dieser Zeit erfolgte die diplomatische Anerkennung des Staates Israel durch die Bundesrepublik Deutschland, die am 12. Mai 1965 vollzogen wurde. Der Rat der EKD gehörte zu denen, die den öffentlichen Druck machten, der schließlich Bundeskanzler Ludwig Erhard dazu bewog, gegen den Willen des Auswärtigen Amtes den Botschafteraustausch in die Wege zu leiten: am 26. Oktober 1964 sandte der Rat der EKD ein Schreiben an die Bundesregierung, in dem deutlich zugunsten dieses Botschafteraustausches plädiert wurde. Kunst fungierte vor und nach der Abfassung des Schreibens als „Kurier“ zwischen dem Rat der EKD und der Bundesregierung, indem er bei den Ratssitzungen die abwartende Haltung des Auswärtigen Amtes erläuterte und der Bundesregierung von der Bitte des Rates Kenntnis gab.[7]

Kunst war maßgeblich an der Aushandlung des Militärseelsorgevertrags von 1957 beteiligt und fungierte von 1957 bis 1972 im Nebenamt als evangelischer Militärbischof bei der Bundeswehr. 1980 übernahm er den Vorsitz der Schiedskommission zur Überwachung der Einhaltung des Wahlkampfabkommens im Bundestagswahlkampf.[8]

Kunst gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Gründern der westfälischen Flüchtlingsstadt Espelkamp. Auch die Evangelische Sozialakademie Friedewald und die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe gehen auf seine Initiative zurück. Er war Angehöriger der RSC-Corps Normannia Marburg und Cheruscia.[9] Von 1958 bis 1987 war er Mitglied des Beirats der Friedrich-Naumann-Stiftung. Bis zu seinem Tod war er Ehrenmitglied des Gremiums.

Hermann Kunst war seit 1932 verheiratet und hatte fünf Kinder und 17 Enkelkinder. Er ist auf dem Erika-Friedhof in Herford neben seiner Frau Elisabeth, geb. Quade (1905–1977) beerdigt.

Auszeichnungen und Rezeption

1940 erhielt Kunst das Eiserne Kreuz 2. Klasse für seinen Einsatz als Kriegspfarrer (a. K.) im Krieg gegen Frankreich.[10]

1944 wurde Kunst mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern für seinen Einsatz als Kriegspfarrer (a. K.) beim Stab der Kriegslazarettabteilung 571 (Heeresgruppe Nord) ausgezeichnet.[11]

1977 bekam er das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland der Bundesrepublik Deutschland[12] verliehen, 1985 erhielt er den Augsburger Friedenspreis. Die Stadt Espelkamp ernannte ihn zum Ehrenbürger, insgesamt fünf Universitäten, darunter 1966 die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, verliehen ihm Ehrendoktorwürden.

1991 war er Preisträger des Stiftungspreises der Stiftung Bibel und Kultur.[13]

Nach ihm benannt sind die Hermann Kunst-Stiftung zur Förderung der neutestamentlichen Textforschung, welche die Arbeit des von Kurt Aland gegründeten Instituts für Neutestamentliche Textforschung in Münster fördert, die „Bischof-Hermann-Kunst-Schule“, eine Fördersonderschule für junge Aussiedler in Herford[14] und die Bischof-Hermann-Kunst-Schule mit angeschlossenem Internat in Espelkamp.[15] Die Evangelische Militärseelsorge in Deutschland verleiht für Verdienste um die Seelsorge an den Soldaten die Hermann-Kunst-Medaille.

„Kunst ist ein Kirchenmann vom echten Schrot und Korn, keiner jener evangelischen Theologen, die auf der Kanzel oder gar im Talar bei Demonstrationen das religiöse Bekenntnis als Ideologie zur politischen Propaganda missbrauchen.“

Schriften (Auswahl)

  • Der Katholizismus nach dem Konzil. Evangelische Sicht. 1966.
  • Martin Luther und der Krieg. Eine historische Betrachtung. 1968.
  • Zuversicht und Dienst. Evangelische Verkündigung in der Militärseelsorge. 1970.
  • Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherren und seine Teilnahme an Fragen des öffentlichen Lebens. 1977.
  • Martin Luther. Ein Hausbuch. 1982.
  • Credo Ecclesiam. Vorträge und Aufsätze 1953 bis 1986. Hrsg. von Kurt Aland, 1987.

Als Herausgeber

  • mit Gerhard Heilfurth: Wir sind gefordert. Fragen christlicher Verantwortung. Superintendent D. Dr. Carl Gunther Schweitzer zum 65. Geburtstag. 1954.
  • Evangelisches Gesang und Gebetbuch für Soldaten. 1957.
  • mit Günter Jacob & Wilhelm Stählin: Die evangelische Christenheit in Deutschland. Gestalt und Auftrag. 1958.
  • mit Roman Herzog & Wilhelm Schneemelcher: Evangelisches Staatslexikon. 1966.
  • Für Freiheit und Recht. Eugen Gerstenmaier zum 60. Geburtstag. 1966.
  • Martin Luther und die Kirche. „Von der Kirche was, wer und wo sie sei und woran man sie erkennen soll“. 1971.
  • Protestantische Positionen in der deutschen Politik. 1972.
  • mit Friedrich Hübner & Hugo Schnell: Hans Asmussen. Leben und Werk IV. Kleine Schriften. 1973.
  • mit Heinrich Tenhumberg: Soziale Gerechtigkeit und internationale Wirtschaftsordnung. 1976.
  • mit Friedrich Hübner & Hugo Schnell: Hans Asmussen. Leben und Werk III,1. Aufsätze 1 (1927–1934). 1976.
  • mit Helmut Kohl & Peter Egen: Dem Staate verpflichtet. Festgabe für Gerhard Schröder. 1980.
  • Gott läßt sich nicht spotten. Franz Dohrmann. Feldbischof unter Hitler. 1983.
  • mit Theodor Schober & Hans Thimme: Ökumene. Gemeinschaft einer dienenden Kirche. Lernen - Verstehen - Wagen. 1983.
  • mit Roswitha Wisniewski: Handbuch für Frauenfragen. Zur Stellung der Frau in der Gegenwart. Informationen - Analysen - Anregungen. 1988.

Literatur

  • Interview mit Hermann Kunst vom 28. Februar 1984 in Bad Godesberg. In: Dieter Beese. Seelsorger in Uniform. Evangelische Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg. Aufgabe - Leitung -Predigt. Lutherisches Verlagshaus GmbH, Hannover 1995, ISBN 3-7859-0698-6, S. 196–203.
  • Dagmar Pöpping: Nachrichten aus der Politik. Die Lageberichte Hermann Kunsts für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1951–1977. Analyse und Edition. (= Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe A, Bd. 22). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023, ISBN 978-3-525-50027-9.
  • Hermann Kunst im Gespräch mit Meinold Krauss. 1991.
  • Dagmar Pöpping: Passion und Vernichtung. Kriegspfarrer an der Ostfront 1941–1945. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage, Hannover 2019, ISBN 978-3-525-54145-6.
  • Kurt Aland/Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Kirche und Staat. Festschrift für Bischof D. Hermann Kunst D.D. zum 60. Geburtstag am 21. Januar 1967. 1967.
  • Paul Collmer u. a. (Hrsg.):Kirche im Spannungsfeld der Politik. Festschrift für Hermann Kunst zum 70. Geburtstag. 1977.
  • Kristian Buchna: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre (= Historische Grundlagen der Moderne 11), Nomos, Baden-Baden 2014, ISBN 978-3-8487-1230-4.

Weblinks

Commons: Hermann Kunst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kristian Buchna: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Baden-Baden 2014, S. 232–234.
  2. Kristian Buchna: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Baden-Baden 2014, S. 236–245.
  3. Kristian Buchna: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Baden-Baden 2014, S. 248–250.
  4. Holger Banse: Im Schatten des militärischen Erfolgs – Kirchliche Kriegshilfe am Beispiel der Feldprediger bei der Division 'Edelweiß'
  5. Dagmar Pöpping: Kriegspfarrer an der Ostfront. Evangelische und katholische Wehrmachtseelsorge im Vernichtungskrieg 1941-1945. In: Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Band 66. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-525-55788-4, S. 262.
  6. Kristian Buchna: Ein Superintendent als „weltlicher“ Lobbyist – Hermann Kunst und die „Notgemeinschaft der Besatzungsgeschädigten“ in der Nachkriegszeit, S. 265ff in Ein klerikales Jahrzehnt?... (siehe unter Literatur)
  7. So Gerhard Gronauer: Der Staat Israel im westdeutschen Protestantismus. Wahrnehmungen in Kirche und Publizistik von 1948 bis 1972. Vandenhoeck & Ruprecht 2013, ISBN 978-3-525-55772-3, S. 185–190 (Dissertation, Inhaltsverzeichnis hier (pdf)).
  8. Weitere Mitglieder waren Eugen Gerstenmaier (für die CDU), Alex Möller (für die SPD), Rudolf Hanauer (für die CSU) und Bernhard Leverenz (für die FDP). Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger vom 20. März 1980.
  9. CORPS - das Magazin (Deutsche Corpszeitung), 110 Jahrgang, Heft 1/2008, S. 25
  10. Bundesarchiv, Personalakte Kunst, BArch 6/85287.
  11. Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Personalakte Kunst, EZA 2/ P 433
  12. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_mbl_show_pdf?p_jahr=1977&p_nr=23
  13. Stiftung Bibel und Kultur - Auszeichnungen. Abgerufen am 27. Dezember 2019.
  14. Unsere Kirche, 6. Oktober 1991
  15. Homepage der Bischof-Hermann-Kunst Schule Espelkamp, abgerufen am 13. Juli 2011.

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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Bonn, 12. Januar 1990

Trauerstaatsakt für den am 31.12.1989 verstorbenen ehemaligen Bundesminister Dr. Gerhard Schröder.

In Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und von Mitgliedern der Bundesregierung, des Bundestages und des Bundesrates würdigten Bundestagspräsidentin Prof. Rita Süssmuth, Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und der frühere Bischof Dr. D. Hermann Kunst das politische Lebenswerk des Verstorbenen.
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