Hermann E. Sieger
Hermann Ernst Sieger (* 16. Juni 1902 in Cannstatt[1]; † 21. November 1954 in Göppingen[1]) war ein deutscher nationalsozialistischer Politiker und Funktionär sowie Briefmarkenhändler und Verleger.
Leben
Politiker für die NSDAP in Lorch
Sieger trat vermutlich zum 1. Februar 1932 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 884.437).[2] Er war 1932 Gründungsmitglied der Lorcher NSDAP-Ortsgruppe.[3] In der ersten Gemeinderatssitzung nach der Gleichschaltung 1933 wurden auf Antrag Siegers als Gemeinderat zentrale Straßen und Plätze der Stadt Lorch nach nationalsozialistischen Persönlichkeiten bzw. Reichspräsident Hindenburg, der die NSDAP-Diktatur ermöglicht hatte, umbenannt.[3] Zudem wurde ein rücksichtsloses Vorgehen gegen Andersdenkende und die politische Opposition angekündigt.[4]
1935 wurde Sieger zum ersten Beigeordneten des Bürgermeisters ernannt.[5] Von 1937 bis 1945 war er Ortsgruppenleiter der Lorcher NSDAP.[6] Zudem war er tätig als Stellvertreters des Kreisleiters, als Kreiswirtschaftsberater, Kreisfachberater für Kommunalwesen, Oberabschnittsleiter der NSDAP sowie als Honorakonsul für Paraguay.[6][7] Wie zur Zeit des Nationalsozialismus üblich – und im konkreten Fall Siegers durch Zeitzeugen und Quellen belegt – stand der Ortsgruppenleiter faktisch über dem Bürgermeister und gab diesem Anweisungen und Befehle.[8] Da Sieger mit seiner Machtbefugnis nicht zurückhielt, bezeichnete der damalige Lorcher Bürgermeister Wilhelm Scheufele ihn auch als „kleinen Diktator von Lorch“.[9]
Politische Gegner sowie Menschen, denen Sieger aus persönlichen Gründen feindselig gesinnt war, wurden in Lorch auf dessen Betreiben hin ausgegrenzt, bedroht, Gewalt ausgesetzt, in Konzentrationslager inhaftiert und auf Todeslisten gesetzt.[10] Sieger war überzeugter Antisemit und schloss jüdische Händler konsequent vom Lorcher Geschäftsleben aus.[11]
Unter Sieger wurden mindestens vier Lorcher Frauen zwangssterilisiert sowie mindestens drei behinderte Menschen – darunter ein 11-jähriges Mädchen – im Zuge der Aktion T4 in die Tötungsanstalt Grafeneck transportiert und dort durch Vergasung ermordet.[12]
Als am 19. April 1945 US-amerikanische Soldaten in Lorch einmarschierten, floh Sieger mit seiner Familie aus der Stadt.[13] Kurzfristig erhielt er auf Betreiben Josef Hoops Zuflucht in Liechtenstein, anschließend war er von 1945 bis 1948 in Ludwigsburg interniert.[14] Im Zuge der Entnazifizierung wurde Sieger – nicht zuletzt aufgrund einer Entlastungsaussage Hoops – als NS-Mitläufer eingestuft.[14][15]
Philatelistische Tätigkeiten
Am 16. Dezember 1922 gründete Sieger mit 20 Jahren seine gleichnamige Firma in Lorch. Im selben Jahr stiftete er den nach ihm benannten Sieger-Preis. 1930 gab Sieger erstmals seinen Zeppelin-Postkatalog, den sogenannten „Sieger-Katalog“, heraus.[16] Er war zudem philatelistischer Berater der Zeppelin AG und leitete während der NS-Zeit die Reichsorganisation des deutschen Briefmarkenhandels.[14][17]
1954 übernahm sein Sohn Hermann Walter Sieger (1928–2019)[18] die Firma, 1975 trat sein Enkel Günter Hermann Sieger in das Unternehmen ein und führt es inzwischen.
Verbindung zum Fürstentum Liechtenstein
1930 schenkte Sieger dem entstehenden Postmuseum in Liechtenstein einen Teil seiner Briefmarkensammlung.[14] Bis 1949 war er als Kurator des Museum tätig.[14]
Sieger beriet die liechtensteinische Regierung in ihrer Briefmarkenpolitik und erwarb sich so das Vertrauen des liechtensteinischen Regierungschefs Josef Hoop.[19] Für diesen wurde der NSDAP-Politiker bis Kriegsende immer wieder als Vermittler zu den deutschen Regierungsstellen eingesetzt.[14] Zwar bemühte sich Sieger um eine enge Beziehung zwischen Liechtenstein und dem Reich – allerdings in einem oftmals nationalsozialistischen Verständnis.[20] So drängte Sieger zum Beispiel auf einen Wirtschaftsanschluss Liechtensteins.[21] Auch versuchte er, die Entlassung eines jüdischen Journalisten bei Radio Liechtenstein zu erwirken.[22] Obwohl Hoop für seine Beziehung zu Sieger immer wieder in der Kritik stand[23] und dem Urteil des Liechtensteiner Historikers Peter Geiger nach zum Teil „unbedachte Absprachen“[24] mit diesem führte, ehrte Hoop Sieger 1937 mit dem Ritterkreuz des fürstlich liechtensteinischen Verdienstordens.[14]
Die Entscheidung Hoops, Sieger nach dessen Flucht 1945 in Liechtenstein Aufenthalt zu gewähren, war ein wesentlicher Grund, dass Hoop im selben Jahr noch in fürstlicher Ungnade demissionieren musste.[25]
Am 6. Juni 2005 erschien anlässlich des 75-jährigen Bestehen des Postmuseums in Liechtenstein eine Briefmarke (Michel-Nr. 1380) mit einem Porträt Siegers, welche ihn als Initiator des Postmuseums würdigt.
Schriften (Auswahl)
- Sieger-Post (auch: Sieger-Berichte), anfangs mit den Zusatz Philatelistische Zeitschrift, mit ungezählten Beilagen wie etwa Sieger-Neuheiten-Dienst, Lorch (Württ.): Sieger, 1930–1937
- später fortgesetzt durch die Deutsche Briefmarken- und Flugpostzeitung
- Siegerpost. Hauszeitschrift der Firma Hermann E. Sieger GmbH, Haus- und Werkszeitschrift, Siegerpost, 1952ff.
Literatur
- Manfred Schramm (Hrsg.): Stadt und Kloster Lorch im Nationalsozialismus. Einhorn-Verlag, Schwäbisch Gmünd 2004, ISBN 3-936373-15-9.
- Carlrichard Brühl: Geschichte der Philatelie, Band 1, Hildesheim u. a., Olms 1985. ISBN 3-487-07619-5, S. 333–341
- Horst Hille: Pioniere der Philatelie. Verlag Phil Creativ, Schwalmtal 1995, ISBN 3-928277-17-0, S. 163–167
- Wolfgang Maassen (Hrsg.): Wer ist wer in der Philatelie? Ein Lexikon namhafter Philatelisten des 19./20. Jahrhunderts. Verlag Phil Creativ, Schwalmtal 1999, ISBN 3-932198-32-8, S. 195 f
- Wolfgang Maassen: Wer ist wer in der Philatelie?, Band 5, S, Phil Creativ, Schwalmtal, 3. Auflage, 2023, ISBN 978-3-928277-46-4, S. 189–192
- Wolfram Grallert: Lexikon der Philatelie. 2. Auflage. Phil Creativ, Schwalmtal 2007, ISBN 978-3-932198-38-0, S. 367
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b Wolfgang Maassen (Hrsg.): Wer ist wer in der Philatelie? Ein Lexikon namhafter Philatelisten des 19./20. Jahrhunderts. Verlag Phil Creativ, Schwalmtal 1999, ISBN 3-932198-32-8, Seite 195 f
- ↑ Bundesarchiv R 9361-II/941250
- ↑ a b Rainer Wahl, Manfred Schramm: Die Gemeinderäte und der Bürgermeister werden nicht mehr gewählt, sondern von der Partei ernannt. In: Manfred Schramm (Hrsg.): Stadt und Kloster Lorch im Nationalsozialismus. Einhorn-Verlag, Schwäbisch Gmünd 2004, ISBN 3-936373-15-9, S. 21 ff.
- ↑ Rainer Wahl, Manfred Schramm: Die Gemeinderäte und der Bürgermeister werden nicht mehr gewählt, sondern von der Partei ernannt. In: Manfred Schramm, S. 22 f.
- ↑ Rainer Wahl, Manfred Schramm: Die Gemeinderäte und der Bürgermeister werden nicht mehr gewählt, sondern von der Partei ernannt. In: Manfred Schramm, S. 24 f.
- ↑ a b Manfred Schramm: Die NSDAP und ihre Gliederungen in Lorch. In: Schramm, S. 34.
- ↑ Hans Meyer: Die Philatelie im „Dritten Reich“. Die Organisationen der Sammler und Händler 1933–1945. o. O. 2006, S. 329.
- ↑ Rainer Wahl, Manfred Schramm: Die Gemeinderäte und der Bürgermeister werden nicht mehr gewählt, sondern von der Partei ernannt. In: Manfred Schramm, S. 26.
- ↑ Rainer Wahl, Manfred Schramm: Die Gemeinderäte und der Bürgermeister werden nicht mehr gewählt, sondern von der Partei ernannt. In: Manfred Schramm, S. 26. Vgl. auch: Spruchkammerprotokolle H.E. Sieger, StAL, E 903/1 Bü 229.
- ↑ Gudrun Haspel, Sonja Weible: Gegner des NS-Regimes – Konflikte mit der örtlichen Parteileitung. In: Schramm, S. 116–131.
- ↑ Gudrun Haspel, Sonja Waible: Rassenwahn – Zwangssterilisierung – Euthanasie – Antisemitismus. In: Schramm, S. 140–144.
- ↑ Gudrun Haspel, Sonja Waible: Rassenwahn – Zwangssterilisierung – Euthanasie – Antisemitismus. In: Schramm, S. 135–140.
- ↑ Günter Michaelsen, Manfred Schramm: Kriegsende. In: Schramm, S. 181 f.
- ↑ a b c d e f g Hermann Hassler: Sieger, Hermann E. In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL). 31. Dezember 2011, abgerufen am 25. März 2023.
- ↑ Dan Michman; Peter Geiger; Arthur Brunhart, David Bankier; Carlo Moos; Erika Weinzierl: Fragen zu Liechtenstein in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg. Chronos-Verlag, Zürich 2005. ISBN 978-3-0340-0806-8, S. 205.
- ↑ Wolfram Grallert: Lexikon der Philatelie. 2. Auflage. Phil*Creativ GmbH, Schwalmtal 2007, Seite 367
- ↑ Hans Meyer: Die Philatelie im „Dritten Reich“. Die Organisationen der Sammler und Händler 1933–1945. o. O. 2006, Seite 329
- ↑ Traueranzeigen von Hermann W. Sieger | OstalbTrauer. Abgerufen am 16. November 2020 (deutsch).
- ↑ Peter Geiger: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928-1939 - Band 2. Vaduz 1997. ISBN 3-906393-19-4, S: 48 f.
- ↑ Peter Geiger, Krisenzeit, S. 380.
- ↑ Peter Geiger, Krisenzeit, S. 391 ff.
- ↑ Peter Geiger, Krisenzeit, S. 291.
- ↑ Peter Geiger, Krisenzeit, S. 164.
- ↑ Peter Geiger, Krisenzeit, S. 236.
- ↑ Peter Geiger: Hoop, Josef (1895–1959). In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL). 31. Dezember 2011, abgerufen am 25. März 2023.
Personendaten | |
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NAME | Sieger, Hermann E. |
ALTERNATIVNAMEN | Sieger, Hermann Ernst (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher NSDAP-Funktionär, Briefmarkenhändler und Verleger |
GEBURTSDATUM | 16. Juni 1902 |
GEBURTSORT | Cannstatt |
STERBEDATUM | 21. November 1954 |
STERBEORT | Göppingen |
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Briefmarke mit Portrait H.E. Siegers zum 75-jährigen Bestehen des Postmuseums in Liechtenstein
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NSDAP-Ortsgruppenleiter H.E. Sieger in Uniform (Vordergrund) im Lorcher Rathaus gemeinsam mit Beschäftigten des Rathauses.