Herbert Müller (Architekt)

Herbert Müller (* 28. Februar 1920[1] in Halle an der Saale; † 7. Juli 1995[2] ebenda)[3] war ein deutscher Bauingenieur und Architekt, der durch seine Bauten mit hyperboloiden Betonfertigteilschalen bekannt wurde. Er selbst nannte sie „HP-Schalen“. Müller hatte einen großen Anteil am Aufbau des Stadtviertels Halle-Neustadt, in dem auf Initiative des damaligen SED-Bezirksleiters Horst Sindermann die neuesten Baukonstruktionen in der DDR zur Anwendung kamen.[4] Müllers Bauten zählen Architekturhistoriker zur Nachkriegsmoderne.[5]

Leben und Werk

Herbert Müller wuchs als Sohn eines wohlhabenden Müllers in Döllnitz in der Elster-Saale-Aue auf. Als Jugendlicher begeisterte er sich für das Segelfliegen und wurde daraufhin im Zweiten Weltkrieg als Stuka-Pilot ausgebildet und eingesetzt. Nach Kriegsende studierte Müller Bauingenieurswesen und Architektur.[4] Danach wurde er technischer Leiter des Wohnungsbaukombinats (WBK) Halle.[6]

1954 meldete Müller seine Entwicklung „Stahlbetonfertigteil als Bogenelement“ als eine doppelt gekrümmte Hyperboloidfläche zum Patent an.[7] Konkurrenz bekam Müller aus West-Deutschland, dort meldete 1956 der Essener Bauingenieur Wilhelm Silberkuhl[8] sein Patent zur „Dachkonstruktion aus gekrümmten Schalen, insbesondere aus doppeltgekrümmten Stahlbetonschalen“ an.[9] Es wurde unter dem Namen „Silberkuhl‐Schale“ oder „System Silberkuhl“ fachintern ein Begriff. Bei beiden Schalentypen wurde der Spannstahl in einem Spannbett vorgespannt. 1961 erfolgte ein Patentstreit, bei dem Müller gegen eine Abfindung von 10.000 West-Mark auf sein bundesdeutsches Patent verzichtete. Erst danach gab die Bauakademie der DDR ihren Widerstand gegenüber Müllers Innovationen auf[10] und sein 1954 angemeldetes Patent wurde am 7. April 1961 ausgegeben.[7][1] Da man jedoch in der DDR technologisch nicht in der Lage war, diese Schalen herzustellen, wurde im August 1961 eine Gruppe von Spezialisten in den Westen geschickt, um sich die Produktion anzusehen, darunter auch Müller.[6]

Der Vorteil von diesen Schalenbau-Elementen lag in der „erhöhten Knick- und Biegesteifigkeit“,[11] was auch eine sehr erwünschte Materialersparnis zur Folge hatte.[12] Neben der Materialreduktion waren das geringe Eigengewicht und eine hohe Belastbarkeit von Nutzen. Die Fertigteile ließen sich selbst bei großen Spannweiten noch wirtschaftlich herstellen und auf der Baustelle mit ein bis zwei einfachen Derrickkränen unkompliziert aufstellen.[13] Damit war kein aufwändiger Aufbau eines Turmdrehkranes und der dazugehörigen Gleise erforderlich.[3] Durch eine variabel angeordnete Reihung dieser halbschalenförmigen Bauteile konnte Müller wellenförmige Wände und Dächer erstellen. Diese Gebäudewellen sorgen wiederum einen auflockernden Kontrast zu den umliegenden Blockbauten.

(c) Bundesarchiv, Bild 183-H0909-0009-001-T2 / Siegfried Voigt / CC-BY-SA 3.0
Radialer Delta-Kindergarten in Halle-Neustadt, im Hintergrund Wohn-Block 10.

„Gerade die HP-Schalen schienen mir nun eine Art Leichtigkeit des Seins auszustrahlen, sie waren wie ein Kontrapunkt zur Starre und Geradlinigkeit der Wohnblocks.“

Herbert Müller[14]

Seine dachdeckenden Halbröhren („HP-Schalen“) haben eine leichte Längskrümmung wie etwa die frühere Schulturnhalle am Stadion von Halle-Neustadt (siehe Bild). Diese doppelte Krümmung der Bauteile wird als „Sattelfläche“ bezeichnet, ist aber kein hyperbolisches Paraboloid, wie es vielleicht die Bezeichnung „HP-“ vermuten lässt, sondern ein Hyperboloid.[15][16][17] (Die Hyparschalen des Ulrich Müther hatten die Form eines hyperbolischen Paraboloids.)

Müller präsentierte 1964 sein erstes Schalenbauwerk als einen Wartepavillon, den sogenannten Schmetterling, auf dem Marktplatz von Halle (Saale).[3][18] Seine Erfindung prägte die unterschiedlichsten Bauten der „Ost-Moderne“ wie etwa Sporthallen, Kaufhallen, Kindergärten, Funktionsgebäude, Betriebsstätten, Brücken, so dass er vom Volksmund bald „Schalenmüller“ genannt wurde.[3] Am bekanntesten wurden das Panoramamuseum Bad Frankenhausen für das Bauernkriegspanorama,[19] das Raumflug-Planetarium „Sigmund Jähn“ in Halle (Saale)[5] sowie die Delta-Kindergärten, Rundbauten mit einem strahlenförmig (radial) angeordneten Wellendach.[20]

Mit dem Uni-HP-System entwickelte Müller ein modular einsetzbares Baukastensystem von Schalen‐Fertigteilen, das landesweit zum Einsatz kam, vor allem bei Sport‐ und Schwimmhallen. Einige seiner Sporthallen wurden als Wiederverwendungsprojekt eingestuft und daher in großen Stückzahlen errichtet wie etwa die KT 60 HP mit rund 300 Exemplaren und die MT 90 HP mit rund 150 Objekten.[13]

1968 wurde Herbert Müller mit dem Nationalpreis III. Klasse für Wissenschaft und Technik ausgezeichnet für seinen Anteil an den beispielgebenden Leistungen bei der Entwicklung und Produktion von industriell vorgefertigten hyperbolischen Betonfertigteilschalen.[21] Außerdem erhielt er die staatliche Auszeichnung Verdienter Erfinder.[4]

Die frühere Volksschwimmhalle Lankow in Schwerin konnte 2015 noch zu Beginn ihres Abrisses teilweise unter Denkmalschutz gesetzt werden und wurde schließlich einer Sanierung und einem Umbau in ein Wohngebäude unterzogen (Bauen im Bestand).[22] Das Raumflug-Planetarium Sigmund Jähn dagegen wurde ein Opfer des mangelnden Interesses von Stadtrat und Behörden[23] und daher Ende 2017 abgerissen.[24]

Grab von Herbert Müller, Friedhof Kröllwitz, Halle

Herbert Müller starb im Juli 1995, die Trauerfeier fand auf dem Gertraudenfriedhof statt.[25] Sein Grab befindet sich auf dem halleschen Friedhof Kröllwitz (neuer Friedhofsteil, Abteilung 8, Erdwahlgrabstätte 1–2).[26] Er hinterließ seine Ehefrau Anita, geborene Mainzer,[25] (1924–2017) und mehrere Söhne, darunter den Fotografen Knut Mueller.[4] Mit Ausstellungen,[27] Vorträgen[28] und der Übergabe seines Teil-Nachlasses an das Stadtarchiv Halle[1] macht Knut Mueller auf das Lebenswerk seines Vaters aufmerksam und der Öffentlichkeit bekannt.

Literatur

  • Herbert Müller: Das Uni-HP-System. In: Deutsche Architektur, 1969, Jg. 18, Heft 10, S. 631–633.
  • Herbert Müller: Die HP-Schalenbauweise in ihrer bisherigen Anwendung. In: Deutsche Architektur, 1966, Jg. 15, Heft 2, S. 83–91.
  • Knut Mueller: Vom Gummibaumblatt zum „Weltniveau“. HP-Schalenbauweise in Halle-Neustadt als Vorreiter der Ost-Moderne. In: Peer Pasternack (Hrsg.), 50 Jahre Streitfall Halle-Neustadt. Idee und Experiment. Lebensort und Provokation. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2014, ISBN 978-3-95462-287-0, S. 170–173, Volltext online, (PDF; 15,1 MB), Einleitung der Universität Halle.

Werkschau

Ausstellungen

Gummibaumblätter (Ficus elastica)
  • 2014: Vom Gummibaumblatt zum Weltniveau: HP-Schalenbauweise in Halle-Neustadt als Vorreiter der Ost-Moderne im Stadtmuseum Halle, 13. Juli – 2. November 2014.[30]
  • 2015: Vom Gummibaumblatt zum Weltniveau in den Schweriner Höfen, Schwerin, 9. September – 30. September 2015.[31]
  • 2018: Vom Gummibaumblatt zum Weltniveau. HP-Schalenbauweise in Halle-Neustadt als Vorreiter der Ost-Moderne. Bauhaus-Universität Weimar, Foyer Hörsaalgebäude, 20. Juni – 15. Juli 2018.[27]

Weblinks

Commons: Herbert Müller – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Stadtarchiv Halle (Saale): Herbert Müller. In: Facebook, 28. Februar 2020, aufgerufen am 30. Mai 2020, mit Fotostrecke.
  2. Nach Auskunft des Leiters vom Stadtarchiv Halle, Ralf Jacob, 31. August 2020.
  3. a b c d Martin Schramme: „Schalen-Müller“: Sohn erinnert an Erfinder. (Memento vom 12. Juli 2015 im Webarchiv archive.today). In: SonntagsNachrichten – Hallescher Kurier, 26. Juli 2014.
  4. a b c d Steffen Könau: Neustadt-Miterbauer Herbert Müller. (Memento vom 29. März 2016 im Internet Archive). In: Mitteldeutsche Zeitung, 21. Juli 2014, S. 2.
  5. a b Tanja Scheffler: Ein Raumflugplanetarium im Umbruch. In: moderneREGIONAL, 12. Juli 2015.
  6. a b N.N.: Knut Mueller: Im Gespräch mit dem Sohn von Schalenmüller. In: hallespektrum.de, 11. Dezember 2014.
  7. a b Patent DD21048A: Stahlbetonfertigteil als Bogenelement vorzugsweise mit Plattenbalkenquerschnitt. Angemeldet am 22. September 1954, veröffentlicht am 7. April 1961, Erfinder: Herbert Müller.
  8. Klaus Stiglat: Wilhelm Silberkuhl, in: ders., Bauingenieure und ihr Werk, Ernst, Berlin 2004, ISBN 978-3-433-01665-7, S. 394.
  9. Patent DE1052660B: Dachkonstruktion aus gekrümmten Schalen, insbesondere aus doppeltgekrümmten Stahlbetonschalen. Angemeldet am 9. April 1956, veröffentlicht am 12. März 1959, Erfinder: Schale Wilhelm Silberkuhl.
  10. Tanja Scheffler: Doppelt gekrümmt. Die HP-Schalen von Herbert Müller. In: Bauwelt, 2014, Nr. 3, (PDF; 458 kB).
  11. Herbert Müller (‚Schalenmüller‘) und die HP-Schalenbauweise • Vorträge. (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive). In: hallelife.de, Juni 2015.
  12. Martin Schramme: 1964, 22. November. (Memento vom 3. Juli 2017 im Internet Archive). In: händelstadt-halle.de.
  13. a b Tanja Scheffler: Der Bauingenieur Herbert Müller („Schalenmüller“) und seine Betonkonstruktionen. In: 14. Werkstattgespräch zur DDR-Planungsgeschichte 21. – 22. Januar 2016, hrsg. vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS), S. 13 f., (PDF; 654 kB).
  14. Steffen Könau: Neustadt-Miterbauer Herbert Müller. DDR-Nationalpreis für Patent von „Schalen-Müller“. (Memento vom 7. März 2016 im Internet Archive). In: Mitteldeutsche Zeitung, 21. Juli 2014, S. 1.
  15. W. Altmann, K. Heyde, D. Ebisch (Institut für Stahlbeton, Dresden): Fertigung von HP-Schalen, in: Schriftenreihen der Bauforschung, Reihe Stahlbeton, Deutsche Bauakademie zu Berlin, 1969, PDF.
  16. TGL 21856 Bl.05, Dachdeckenelemente – Hyperbolische Dachschalenträger (HP-Dachschalenträger) aus Stahl- und Spannbeton, 1977, PDF.
  17. Doppelt gekrümmt – Die HP-Schalen von Herbert Müller, in: Bauwelt, 33-2014, PDF.
  18. Foto: „Sindermann“-Schmetterling. In: Flickr, aufgerufen am 27. Mai 2020.
  19. Der Bau. (Memento vom 5. August 2020 im Internet Archive). In: Panoramamuseum Bad Frankenhausen, 2014.
  20. Foto: Delta Kindergarten 1968. In: haneu-bildarchiv.de, aufgerufen am 27. Mai 2020.
  21. vgl. Liste der Träger des Nationalpreises der DDR III. Klasse für Wissenschaft und Technik (1960–1969)#1968
  22. Grit Büttner: Wohnen in der Volksschwimmhalle – Denkmal wird umgebaut. In: Leipziger Volkszeitung, 31. Oktober 2016.
  23. Steffen Könau: Planetarium • Abriss des weltweit einzigartigen Baus war ein Missverständnis. (Memento vom 24. Januar 2018 im Internet Archive). In: Mitteldeutsche Zeitung, 24. Januar 2018.
  24. Forum: Abriß des Planetariums – alles nur ein Mißverständnis. In: hallespektrum.de, 7.–12. Mai 2018.
  25. a b Traueranzeige Bauingenieur Herbert Müller. Mitteldeutsche Zeitung (Ausgabe Halle/Saalekreis) vom 13. Juli 1995, Seite 23. (Seine Witwe ist hier als „geb. Meinzer“ benannt, während auf dem Grabstein die Eltern der Witwe „Mainzer“ geschrieben werden; wahrscheinlich ein Druckfehler der Zeitung.)
  26. Forumsthema: Wer war Herbert Müller? In: hallespektrum.de, 15. August 2012.
  27. a b Dana Höftmann: Wanderausstellung »Bauten der Ostmoderne« zu Gast im Hörsaalgebäude. In: Bauhaus-Universität Weimar, 18. Juni 2018, aufgerufen am 2. September 2020.
  28. Vortrag: Wismarer DIAlog | Knut Mueller. In: Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar, 28. September 2016.
  29. Steffen Könau: Die Denkmalstürmer. Weltweit einzigartiges Planetarium in Halle vor Abriss. In: Mitteldeutsche Zeitung, 22. Dezember 2017: „Vor wenigen Tagen hat die Entkernung des Gebäudes begonnen, um Baufreiheit für die Bagger zu schaffen.“ (Nur Artikelanfang frei, Einleitung.)
  30. Vom Gummibaumblatt zum Weltniveau. (Memento vom 15. September 2016 im Internet Archive). In: kunstplattform-halle.de.
  31. stm: Ausstellung zur Bauweise der Schwimmhalle Lankow eröffnet. (Memento vom 25. September 2016 im Webarchiv archive.today). In: schwerin-lokal.de, September 2015.

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