Herakles am Scheideweg

Herakles am Scheideweg, auch bekannt als Die Wahl des Herakles, ist ein Mythos der griechischen Mythologie. Er handelt von dem griechischen Helden Herakles, der sich zwischen einem mühelosen, aber kurzfristigen und moralisch verwerflichen und einem beschwerlichen, aber tugendhaften und langfristig beglückenden Lebensweg entscheiden muss. Der Mythos ist eine Schöpfung der klassischen Zeit und geht auf eine verlorene Schrift des Sophisten Prodikos von Keos zurück. Am ausführlichsten wird er von dessen Zeitgenossen Xenophon in seinen Memorabilien (2, 1, 21–34) überliefert. Der Stoff wurde vielfach in der Kunst rezipiert.

Inhalt

Als der junge Herakles, der noch unschlüssig ist, welchen Lebensweg er wählen soll, sich an einen abgelegenen Ort zurückzieht, um nachzudenken, erscheinen ihm zwei Frauen. Eine ist schlicht gekleidet und senkt bescheiden den Blick, ohne Herakles anzusehen. Die zweite ist aufwendig herausgeputzt und trägt kostbare Kleidung. Sie spricht Herakles an und bietet ihm ihre Freundschaft an. Sie verspricht ihm, dass er, wenn er ihr folge, von Schmerz verschont bleiben werde und auf keine Freude werde verzichten müssen. Auf Herakles’ Frage, wie sie heiße, sagt sie, von ihren Freunden werde sie Glückseligkeit (Εὐδαιμονία) genannt, von ihren Feinden Lasterhaftigkeit (Κακία). Daraufhin ergreift die andere Frau, die die Verkörperung der Tugendhaftigkeit (Ἀρετή) ist, das Wort. Sie erklärt, die Götter ließen den Menschen nichts ohne Mühe und Fleiß zukommen. Der Lohn für den tugendhaften Weg seien Ehre und Bewunderung. Die beiden Frauen debattieren, welcher Weg für Herakles mehr Vorzüge bietet. Schließlich entscheidet sich Herakles für den tugendhaften Weg.

Hintergrund

In Xenophons Memorabilien ist der Mythos Teil einer längeren Ausführung des Sokrates darüber, warum es unratsam ist, immer den einfachsten Weg zu wählen. Er zitiert dazu neben Prodikos auch Hesiod (Werke und Tage 287–292) und den sizilischen Komödiendichter Epicharmos. Es ist unklar, in welchem Kontext der Mythos bei Prodikos erschien und in welchem Verhältnis Xenophons Schilderung zum Originaltext steht, da Xenophon selbst angibt, die Geschichte nur aus der Erinnerung wiederzugeben.

Einen Vorläufer könnte das Gleichnis im Urteil des Paris haben, mit dem es auch bereits in der Antike verglichen wurde.[1]

Wirkungsgeschichte

Antike Rezeption

Viele griechische und römische Autoren nahmen auf den Mythos von Herakles am Scheideweg Bezug. Beispielsweise stellt Silius Italicus in seinem Epos Punica den Feldherrn Scipio Africanus in einer ähnlichen Situation dar.[2] Der Komödiendichter Aristophanes macht sich in seinem Stück Die Vögel über Herakles lustig, der zwischen der Königsherrschaft und einer wohlschmeckenden Mahlzeit wählen muss und sich beinahe für das Essen entscheidet.[3]

Flavius Philostratos berichtet von Bildern, die Herakles bei seiner Entscheidung darstellen, und geht offenbar davon aus, dass diese seiner Leserschaft vertraut sind.[4] Der Mythos wurde also auch in der antiken Kunst rezipiert, auch wenn die erwähnten Werke nicht erhalten sind.

Malerei

Der Mythos von Herakles am Scheideweg diente als Inspiration für zahlreiche Gemälde, insbesondere der Renaissance, des Barock und des Klassizismus. Das Thema wurde auch im übertragenen Sinne verwendet, zum Beispiel in Angelika Kauffmanns Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei. Im 19. und 20. Jahrhundert war das ähnliche Bildmotiv Der breite und der schmale Weg in pietistischen Kreisen weitverbreitet.

Musik

Literatur

  • Wolfgang Harms: Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges (= Medium aevum. Band 21). Fink, München 1970, DNB 456913300 (Habil.-Schrift, Univ. Münster/Westf.).
  • Erwin Panofsky: Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neuen Kunst (= Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg: Studien der Bibliothek Warburg. Band 18). B. G. Teubner Verlag, Berlin 1930, DNB 362003475.
  • G. Karl Galinsky: The Herakles Theme. The Adaptations of the Hero in Literature from Homer to the 20th Century. Blackwell, Oxford 1972, ISBN 0-631-14020-4.

Weblinks

Commons: Herakles am Scheideweg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Athenaios, Deipnosophistai 510c.
  2. Silius Italicus, Punica 15, 18–128.
  3. Aristophanes, Die Vögel 1596–1602.
  4. Flavius Philostratos, Leben des Apollonios von Tyana 6, 10.

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Es zeigt Herkules im Zweifel über die Entscheidung zwischen zwei Frauen. Die rechte, die "Freude", mit durchsichtiger Kleidung angetan, weist auf eine Straße mit Kartenspiel, Theatermasken und Musikinstrumenten. Die Frau zur Linken ist die Tugend, weist einen schmalen steilen Weg, wo jedoch das geflügelte Pferd Pegasus wartet, das Symbol der Familie Farnese, das zum Himmel führt.
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Das Gemälde von Tischbein zeigt das Motiv des Herkules am Scheideweg auch bekannt als Die Wahl des Herakles". Der Jüngling Herkules sitzt in der Bildmitte auf einem roten Tuch, das von der Sitzfläche hinter seinem Rücken über seinen linken Oberarm gezogen auf seinen linken Oberschenkel fällt und sein Geschlecht verhüllt. Zu seiner Rechten schreitet eine einfach gekleidete Frau von hinten auf Herkules zu und streckt einen Lorbeerkranz zur Krönung aus. Sie verkörpert die Tüchtigkeit, welche die Anstrengungen mit Ehre (Lorbeerkranz) entlöhnt. Zur Linken schreitet eine zweite Frau, reich herausgeputz mit einem Helm und kostbarer Helmzier auf Herkules zu. Auf die Frage, wie sie heisse, antwortete sie gemäss der antiken Legende, ihre Freunde würden sie Glückseligkeit, ihre Feinde Lasterhaftigkeit nennen.
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Andrea Appiani - Ercole Al Bivio