Henri Ketten

Henri Ketten (ca. 1880)

Henri Ketten, in englischsprachigen Publikationen auch Henry Ketten geschrieben (geboren 25. März 1848 in Baja, Ungarn; gestorben 1. April 1883 in Paris[1][2][3][4]), war ein ungarischer Pianist und Komponist.

Leben und Werk

Ketten war der Sohn eines jüdischen Vaters[5][6][7][8], der nach einem zeitgenössischen Bericht selbst Musiker war[9] und entweder als Rabbiner[10] oder, darauf deuten mehr Quellen hin, als „ministre officiant“[7] oder Kantor[11], u. a. an einer Synagoge in Paris, tätig war.

Der siebenjährige Henri erfuhr als Wunderkind[12][13][14][15][16] Anerkennung durch Hans von Bülow[17] (dessen Lob aber nicht von allen Kritikern geteilt wurde[18]), der ihn Liszt anempfahl. In Presseartikeln wurde Ketten gar als „zweiter Mozart“ angepriesen[19], aber auch vor solchen Vergleichen gewarnt, um das junge Talent nicht zu früh zu sehr unter Druck zu setzen[20]. Kettens erstes Konzert in Paris soll im Salon Herz in Anwesenheit der musikalischen Elite der Stadt stattgefunden haben. Die anwesenden Fromental Halévy und Giacomo Meyerbeer sollen den Auftritt des 10-Jährigen gelobt haben[21][22]. Ein zeitgenössischer ungarischer Zeitungsbericht kolportiert auch eine wohlmeinende Einschätzung durch Franz Liszt und Daniel Auber[23]. Ein auf einer Lithographie Emile Desmaisons[24] basierendes Porträt des jungen Ketten erschien 1859 in The London Illustrated News 1859 unter der Überschrift „Master Henri Ketten“ im Zusammenhang mit einer lobenden Kritik eines Konzerts des 11-Jährigen in London.[9] Ketten wurde am Pariser Konservatorium ausgebildet, wo er unter Marmontel[25] Piano und unter Fromental Halévy und Napoléon-Henri Reber[26] Komposition studierte. Er machte Karriere als Klaviervirtuose, wobei er auch eigene Werke[27] vortrug. Unter anderem trat er in Paris (u. a. Salle Pleyel[28][29][30]), London (Covent Garden[31][32][33][30] [„his fine playing has been enthusiastically applauded“[34] ], Hanover Square Rooms [auch Queen's Concert Rooms genannt][35][36] und St. James Hall[37]), Birmingham[38], Wien (u. a. für Bösendorfer im Weltausstellungspalast[39][40][41] und im Salle Bösendorfer im Palais Lichtenstein[42]), Rom[43], Genua[44], Neapel[45], Kairo, Amsterdam[46], Australien[47] (dort offenbar mit großem Erfolg: „the greatest virtuoso who has ever visited Australia“[48]; angeblich 437 Stücke in 37 Konzerten [darunter 17 Beethoven-Sonaten], davon keines zweimal; erzielte Einnahmen: ca. 40,000 Mark[49]) und Neuseeland,[48] USA[50][51] (wohl nicht überall erfolgreich[45]), Deutschland[52] und kurz vor seinem Tod auf Einladung Rubinsteins in Moskau auf[2][53], und ging mit Gabriel Fauré auf Tournee durch Frankreich[54]. Womöglich war Ketten der erste, der Bachs Italienisches Konzert in Frankreich bekannt machte[55]. Kettens Vortrag des Italienischen Konzerts wurde von George Bernard Shaw, der dem Stil Kettens sonst nicht viel abgewinnen konnte, gelobt[56]. Henrique Oswald gehörte zu seinen Schülern[57][58].

Er hinterließ unter anderem mehrere Salonstücke, eine Sonate für Klavier und Klarinette, einen Persischen Marsch für Orchester, verschiedene Gesangsstücke,[1] einige Opern[2] und zwei Symphonien.[2] Ca. 100 seiner Werke sind in Frankreich (u. a. bei Heugel et fils, bei Leduc[59], und bei Lemoine), in England (u. a. bei Czerny)[60] sowie in Deutschland (nach historischen Zeitungsberichten u. a. beim Schott-Verlag in Mainz[2]) erschienen. Kettens La Castagnette wurde u. a. von Manuel de Falla aufgeführt[61]. Vom Schah von Persien wurde er 1874 mit dem Sonnen- und Löwenorden ausgezeichnet[62]. Jean-Jacques Henner schuf ein Porträtgemälde von Ketten[63].

Ketten sprach angeblich fließend Ungarisch, Deutsch, Französisch und Englisch[64]. Der Pianist war mit der Italienerin (nach anderen Berichten italienischer Abstammung[65]) Beatrice Maria Julia Pellegrini (geb. ca. 1856[65]) verheiratet, der Tochter eines Advokaten aus Konstantinopel, wo er sie 1868 kennengelernt hatte und zunächst eine "wilde Ehe" eingegangen war,[65] und Autorin eines Romans (Madamigella di Cardeilhan) und einer Novelle (Une nuit sur le Bosphore)[66]; 1877 erfolgte die Scheidung, zu der Zeitungsberichten zufolge ein Schüler und „Hausfreund“ Kettens fortgesetzten Anlass gegeben hat (obgleich die Ehefrau im Prozess ihren Ehemann wohl ebenfalls des Ehebruchs bezichtigte)[67].[65] Ketten hinterließ einen Sohn (Maurice Prosper Fiorino Ketten, geb. 2. März 1875 in Florenz, gest. 1965; Cartoonist, ausgebildet an der Ecole Nationale des Beaux Arts und der Universität von Paris[68]), der ihm im Scheidungsprozess zugesprochen wurde[67][65] und zu dessen Wohl Marmontel im Jahr nach Kettens Tod ein Benefizkonzert veranstaltete[69][70].

Literatur

  • Allgemeine Deutsche Musik-Zeitung. Band 1, Nr. 15. Leipzig/ Kassel 10. Juli 1874, S. 147 (google.de).

Weblinks

Commons: Henri Ketten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b A. Ehrlich: Berühmte Klavierspieler der Vergangenheit und Gegenwart. A.H. Payne, 1893, S. 143 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. a b c d e Henri Ketten. In: Signale für die musikalische Welt. Band 41, Nr. 28. Leipzig April 1883, S. 436 (google.de).
  3. Emil Breslaur, Anna Morsch: Musikpädagogische Blatter ...: Zentralblatt fur das gesamte musikalische Unterrichtswesen. W. Peiser Verlag, 1882 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  4. Dexter Smith, Lorin Fuller Deland, Philip Hale, Thomas Tapper: Musical Record and Review. O.Ditson & Company, 1882 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  5. Ben Chananja: Monatsschrift für jüdische Theologie und für jüdisches Leben in Gemeinde, Synagoge und Schule. Burger, 1866 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  6. L'Univers israélite: journal des principes conservateurs du judaisme. 1860 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  7. a b Hans von Bülow: The Early Correspondence of Hans Von Bülow. T.F. Unwin, 1896 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  8. Archives israélites. Bureau des Archives Israelites, 1856 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  9. a b The Illustrated London News. William Little, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  10. Le Monde illustrâe. Imp. de la Librairie Nouvelle, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  11. Neues Wiener Tagblatt: demokratisches Organ. Ostmärk. Zeitungsverlag-Ges., 1873 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  12. L'Univers israelité. 1861 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  13. Percy Alfred Scholes: The Mirror of Music, 1844–1944: A Century of Musical Life in Britain as Reflected in the Pages of the Musical Times. Books for Libraries Press, 1970, ISBN 978-0-8369-5443-2 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  14. Le Monde illustré (1857). Le Monde illustré, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  15. Süddeutsche Musik-Zeitung. Schott, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  16. Presburger Auskunfts-Blatt: Fremdenführer. 1860 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  17. Giacomo Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher. Walter de Gruyter, 1959, ISBN 3-11-018030-8, S. 696 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  18. Süddeutsche Musik-Zeitung. Schott, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  19. Presburger Auskunfts-Blatt: Fremdenführer. 1860 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  20. La revue des deux mondes. 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  21. Soproni ertesitö. Reichard, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  22. Le Monde illustrâe. Imp. de la Librairie Nouvelle, 1859 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  23. Hölgyfutár: közlöny az irodalom, társasélet, müvészet és divat köréböl. Kozma (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  24. Émile Desmaisons: Henri Ketten. Abgerufen am 7. August 2022.
  25. Karl Friedrich Weitzmann, Otto Lessmann: A History of Pianoforte-playing and Pianoforte-literature. G. Schirmer, 1893 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  26. Vincent ROLLIN: Charles Lenepveu (1840–1910) : une carrière musicale officielle et académique. In: Alexandre DRATWICKI, Agnès TERRIER (Hrsg.): Les colloques de l’Opéra Comique. L’art officiel dans la France musicale au XIXe siècle. April 2010.
  27. Signale für die musikalische Welt. Verlag der Signale, 1879 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  28. William Weber, Beverly Wilcox: Canonic Repertories and the French Musical Press: Lully to Wagner. Boydell & Brewer, 2021, ISBN 978-1-64825-016-3 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  29. Revue des deux mondes. Au Bureau de la Revue des deux mondes, 1860 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  30. a b William Weber, Beverly Wilcox: Canonic Repertories and the French Musical Press: Lully to Wagner. Boydell & Brewer, 2021, ISBN 978-1-64825-016-3 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  31. Musikalisches Wochenblatt. E.W. Fritzsch, 1877 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  32. Public Opinion: A Weekly Review of Current Thought and Activity. G. Cole (etc.), 1876 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  33. The Illustrated sporting & dramatic news. 1878 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  34. The Athenaeum. J. Lection, 1876 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  35. The Literary Gazette. J. Wheaton, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  36. The Court Journal and Fashionable Gazette. William Thomas, 1859 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  37. The Monthly Musical Record. Augener, 1877 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  38. The Musical Times and Singing-class Circular. Novello, 1878 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  39. Neues Wiener Tagblatt: demokratisches Organ. Ostmärk. Zeitungsverlag-Ges., 1873 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  40. Fremden-Blatt. Elbemühl, 1873 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  41. Neues Wiener Tagblatt: demokratisches Organ. Ostmärk. Zeitungsverlag-Ges., 1873 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  42. Kleine freie Presse Wien: Sonntag-Abendblatt. 1873 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  43. Neue Zeitschrift für Musik: gegr. 1834 von Robert Schumann. Schott, 1879 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  44. Signale für die musikalische Welt. Verlag der Signale, 1879 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  45. a b Music & Drama. Music and Drama Publishing Company, 1882 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  46. Europa: Chronik der gebildeten Welt. 1867,[1]. Keil, 1867 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  47. Ada Cambridge: The Three Miss Kings. Melville, Mullen & Slade, 1891 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  48. a b The Monthly Musical Record. Augener., 1881 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  49. Emil Breslaur, Anna Morsch: Musikpädagogische Blatter ...: Zentralblatt fur das gesamte musikalische Unterrichtswesen. W. Peiser Verlag, 1880 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  50. Musical Standard. Reeves and Turner., 1879 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  51. Richard P. Buck, Bohemian Club (San Francisco Calif.): Music and Musicians in Bohemia: The First One Hundred Years : a Research Document. Bohemian Club, 2005 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  52. Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler. DuMont-Schauberg, 1858 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  53. Bartholf Senff: Signale für die musikalische Welt. 1883 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  54. The Athenaeum. J. Lection, 1876 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  55. University of London Katharine Ellis Reader in Music Royal Holloway: Interpreting the Musical Past: Early Music in Nineteenth-Century France: Early Music in Nineteenth-Century France. Oxford University Press, USA, 2005, ISBN 978-0-19-971085-0 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  56. George Bernard Shaw: Bernard Shaw on Music. Rosetta Books, 2016, ISBN 978-0-7953-4689-7 (google.com [abgerufen am 8. August 2022]).
  57. Miguel Ficher, Martha Furman Schleifer, John M. Furman: Latin American Classical Composers: A Biographical Dictionary. Scarecrow Press, 2002, ISBN 978-1-4616-6911-1 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  58. Peter Hollfelder: Geschichte der Klaviermusik: historische Entwicklungen, Komponisten mit Biographien und Werkverzeichnissen, nationale Schulen. F. Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, 1988, ISBN 978-3-7959-0436-4 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  59. BnF Catalogue général. Abgerufen am 7. August 2022 (französisch).
  60. The Musical Standard. 1877 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
  61. Carol A. Hess, Assistant Professor of Music Carol A. Hess: Sacred Passions: The Life and Music of Manuel de Falla. Oxford University Press, 2005, ISBN 978-0-19-514561-8 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).
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  68. Marquis Who's Who Inc: Who was who in America. Marquis-Who's Who, 1976, ISBN 978-0-8379-0207-4 (google.com [abgerufen am 9. August 2022]).
  69. Süddeutsche Musik-Zeitung. (google.de [abgerufen am 7. August 2022]).
  70. The Musical Herald. Musical Herald Company, 1884 (google.com [abgerufen am 7. August 2022]).

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Der ungarische Pianist und Komponist Henri Ketten (1848-1883)