Hellerau

Hellerau
Landeshauptstadt Dresden
Koordinaten:51° 7′ N, 13° 45′ O
Höhe: 187–227 m ü. NN
Eingemeindung:1. Juli 1950
Postleitzahl:01109
Vorwahl:0351
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Lage der Gemarkung Hellerau in Dresden
Anzeige für Villen in der Gartenstadt Hellerau (1914)
Altes Werkstor der Deutschen Werkstätten Hellerau

Hellerau ist ein Stadtteil und ehemaliger Vorort von Dresden im Stadtbezirk Klotzsche und wurde 1909 als erste deutsche Gartenstadt gegründet. Am 1. Juli 1950 wurde die Gemeinde nach Dresden eingemeindet.

Die Gartenstadt Hellerau

Fußend auf dem Gartenstadtgedanken von Ebenezer Howard gründete der Möbelfabrikant Karl Schmidt 1909 an der nördlichen Peripherie von Dresden am Heller auf den Fluren von Rähnitz und Klotzsche die Gartenstadtsiedlung Hellerau zusammen mit dem Neubau seiner Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst. Die Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung, in einem von der Lebensreform geprägten Organismus, ist der gebaute Anspruch der Gartenstadt Hellerau.

Der von Schmidt beauftragte Architekt Richard Riemerschmid plante den Bau der Werkstätten und dazu eine Siedlung mit Wohnhäusern für die Arbeiter, geräumigen Landhäusern, Markt, Geschäften, Wasch- und Badehaus, Praxen, Ledigenwohnheim, Schule und Schülerwohnheim. Neben Riemerschmid gehörten Heinrich Tessenow, Hermann Muthesius und Kurt Frick, aber auch Theodor Fischer zu den renommierten Architekten, von denen in Hellerau ganze Straßenzüge oder zumindest Häuserreihen realisiert wurden. Während der Zeit ihrer Errichtung war Hellerau, wie sonst nur die Essener Gartenstadt Margarethenhöhe, durch einen Regierungserlass von allen Bauvorschriften befreit.

Reformbegeisterte aus ganz Europa kamen, um Zeuge der real praktizierten Lebensreform zu werden. Einige besuchten Hellerau nur für kurze Zeit, andere blieben.

Auch wurde um 1912 ein „Hellerauer Verlag“ zur anspruchsvollen künstlerischen Gestaltung von Büchern in höchster handwerklicher Qualität von Jakob Hegner[1] gegründet, der 1918 Werke von Theodor Haecker und Übersetzungen von Paul Claudel veröffentlichte.[2]

Das Festspielhaus

Émile Jaques-Dalcroze, ein Komponist und Musikpädagoge aus der Schweiz, der mit Aufführungen seiner selbst entwickelten „Rhythmischen Gymnastik“ in Deutschland Menschen zu begeistern suchte, kam auf Einladung von Schmidt und dessen „rechter Hand“ Wolf Dohrn nach Hellerau, wo er zunächst im Schulsaal der Werkstätten unterrichtete. Der damals junge Architekt Heinrich Tessenow errichtete unterdessen für ihn ein eigenes Gebäude, die „Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik“, das spätere „Hellerauer Festspielhaus“.

Mit dem Entwurf dieses Ensembles – dem Festspielhaus, dem Vorplatz, der durch die pavillongleichen Pensionshäuser eingefasst wird, der rückwärtigen Freiluftarena und den umlaufenden Licht- und Sonnenhöfen – setzte Tessenow bedingungslos die Vorstellungen von Émile Jaques-Dalcroze und die Bühnenentwürfe seines Bühnenbildners Adolphe Appia um.

In den Folgejahren bis 1914 versammelten sich dort zu den jährlichen Festspielen viele bekannte Vertreter der europäischen Kulturelite, u. a. Emil Nolde, George Bernard Shaw, Franz Kafka, Oskar Kokoschka, Henry van de Velde, Djagilew und Stefan Zweig sowie der US-amerikanische sozialkritische Schriftsteller Upton Sinclair.

Entwicklung in der Zwischenkriegszeit

Der Tod Wolf Dohrns und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendete die Sturm-und-Drang-Zeit Helleraus.

Mit einzelnen reformpädagogischen Konzepten und kulturellen Projekten konnte Hellerau in den Folgejahren unter der Leitung von Wolf Dohrns Bruder Harald kurzfristig noch an die anfänglichen Glanzzeiten anknüpfen. So nahm zum Beispiel im Festspielhaus eine reformpädagogisch orientierte Schule ihre Arbeit auf. Deren internationaler Zweig wurde im Dezember 1921 von Alexander Neill gegründet (gilt auch als Gründungsdatum der international renommierten Summerhill-Schule). Hier unterrichtete 1924 für einige Monate auch Hermann Harless, bevor er zum 1. September 1924 die Leitung des Nordsee-Pädagogiums übernahm.[3]

1939 wurde die Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik von den Nationalsozialisten in einen Kasernenhof umgebaut, in dem die Polizeischule Hellerau, ab August 1943 Polizei-Waffenschule Hellerau I, untergebracht war.[4] Nach 1945 wurde das Gelände von der Sowjetarmee weiter militärisch genutzt, bis es 1992, zunächst an das Bundesvermögensamt zurückgegeben wurde.

Hellerau und das Festspielhaus heute

Festspielhaus Hellerau

Mit zeitgenössischen Darbietungen und jungen kulturschaffenden Institutionen vor Ort entwickelt sich das Festspielhaus Hellerau zunehmend zu einem der wichtigen Veranstaltungsorte in Dresden.

In das westliche Seitengebäude des Festspielhauses zog 2003 das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik ein. Dessen damaliger Intendant, der Komponist Udo Zimmermann, trieb seitdem die Renovierung des Festspielhauses voran, es wurde am 7. September 2006 nach zwei Jahren Umbauzeit wieder eröffnet. Zimmermann leitete das Europäische Zentrum der Künste am Standort Hellerau bis 2009 und kooperierte u. a. mit dem Choreografen William Forsythe, dessen Tanztheatercompany in Hellerau eine neue Spielstätte gefunden hat. Mit verschiedenen Veranstaltungen aus den Bereichen Theater, Musik, Tanz und übergreifenden Formen (z. B. der CYNETart, Festival für computergestützte Kunst; Auftritt von Avantgarde-Bands, wie The Residents im April 2013) wollte er den Standort Hellerau an seinen Ursprungsgedanken, dem Entstehen von zeitgenössischer Kunst, zurückführen. 2009 trat der Kulturmanager Dieter Jaenicke die Nachfolge Zimmermanns als künstlerischer Leiter an.

Die Deutschen Werkstätten Hellerau knüpften in benachbarten neuen Werkhallen längst an ihre alte handwerkliche Traditionen an und sind international erfolgreich im hochwertigen Innenausbau tätig.

Die historischen Räumlichkeiten der Werkstätten, das sogenannte GebäudeEnsemble Deutsche Werkstätten Hellerau, sind heute Standort für Ingenieur- und Dienstleistungsunternehmen.

Ganz Hellerau ist heute ein Flächendenkmal, nicht ausschließend, dass auch Modernes entsteht; ist es doch gerade die Tradition von Hellerau, Neues und Zukunftsweisendes hervorzubringen.

Die Interessengruppe Hellerau wurde unter dem Dach des Kulturbundes der DDR gegründet, um das Architekturdenkmal zu schützen. 1990 wurde das Bürgerkomitee Hellerau gegründet, daraus entstand der Verein Bürgerschaft Hellerau, der in der von Riemerschmid gestalteten, restaurierten, ehemaligen Waldschänke Hellerau seinen Sitz hat.

Der Verein Bürgerschaft Hellerau bemüht sich um die Aufnahme von Hellerau in die UNESCO-Welterbe-Liste.[5]

Typisches Haus der Gartenstadt

Erweiterung der Gartenstadt Hellerau

Die Am Pfarrlehn/Kirchsteig/Am Schulfeld/Meisensteig befindlichen Gebäude sind Teil einer Siedlungserweiterung der Gartenstadt Hellerau bei Dresden. Der Gebäudekomplex verbindet die Gestaltungsansätze Helleraus aus der Wende zum 20. Jahrhundert mit den modernen Ansprüchen zeitgenössischen Wohnens. Diese Verbindung sei dabei „hervorragend gelungen“.[6]

Wolfram Baltin hatte den ersten Preis bei dem im 1993 von der Stadt Dresden ausgeschriebenen offenen Ideen- und Realisierungswettbewerb erhalten[7] und entwarf gemeinsam mit Höhne+Langenbrunner, Grünewald+Heyl die Erweiterungssiedlung für Hellerau.

Die Architekten entwickelten drei unterschiedliche Haustypen. So gibt es zum einen den Zeilenbau sowie zwei- oder dreigeschossige Häuser. Geschwungene Hausfronten, ein hervorgehobenes Treppenhaus, aufgeweitete Wege, durchquerbare Gärten, bunte und lebensfrohe Farben sind Kennzeichen der Siedlung. Gleichzeitig vermittelt der Komplex Intimität und eine „puritanische Gesamthaltung“.[6]

Kulturdenkmale

Architekten des Stadtteils

Persönlichkeiten

Literatur

Auswahl/chronologisch geordnet

Sachbuch

  • Wolf Dohrn: Die Gartenstadt Hellerau und weitere Schriften. Hellerau-Verlag, Dresden 1992, ISBN 3-910184-08-1.
  • Hans-Jürgen Sarfert: Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie. Hellerau-Verlag, Dresden 1995, ISBN 3-910184-05-7.
  • Michael Fasshauer: Das Phänomen Hellerau. Die Geschichte der Gartenstadt. Hellerau-Verlag, Dresden 1997, ISBN 3-910184-25-1.
  • Ingeborg Flagge: Dresden, Stadtführer zeitgenössischer Architektur. Das Beispiel, Darmstadt 2004, ISBN 3-935243-48-0.
  • Hans-Peter Lühr (Red.): Gartenstadt Hellerau – Der Alltag einer Utopie. Dresdner Hefte, 15. Jg., Heft 51, 3., veränderte Aufl. Dresden 2007.
  • Ralph Lindner, Hans-Peter Lühr (Hrsg.): Gartenstadt Hellerau. Die Geschichte ihrer Bauten. Sandstein Verlag, Dresden 2008. 223 Seiten, ISBN 3-940319-30-9.
  • Thomas Nitschke: Die Gartenstadt Hellerau als pädagogische Provinz. Hellerau-Verlag. Dresden 2003, ISBN 3-910184-43-X.
  • Thomas Nitschke: Die Geschichte der Gartenstadt Hellerau. Hellerau-Verlag. Dresden 2009, ISBN 978-3-938122-17-4.
  • Thomas Nitschke: Die Gartenstadt Hellerau. Eine Pädagogische Provinz und ihre Gegner. Thelemverlag. Dresden 2021, ISBN 978-3-95908-507-6
  • Deutscher Werkbund Sachsen e. V.: Hellerau. Die Idee vom Gesamtkunstwerk. Miriquidi Media, Leipzig 2009, ISBN 978-3-9809271-0-9.
  • Förderverein Weltkulturerbe Hellerau e. V. (Hrsg.): Hellerau. Ort der Moderne. Kontinuitäten und kontroverse Wechselwirkungen. Sandstein, Dresden 2022, ISBN 978-3-95498-662-0.

Belletristik

  • Joseph August Lux: Auf deutscher Straße. Grethlein-Verlag. Leipzig 1919.
  • Kurt Gerlach: Der Knabe im Walde. Hellenhaus-Verlag. Hellerau 1930.
  • Peter de Mendelssohn: Hellerau. Mein unverlierbares Europa. Hellerau-Verlag, Dresden 1993, ISBN 3-910184-16-2.
  • Roland R. Wauer: Heilig Hellerau. Saxonia-Verlag. Dresden 2001, ISBN 3-9806374-7-6.
  • Hubert Gerlach: Niemandes Bruder. Scheune-Verlag. Dresden 2001, ISBN 3-931684-75-X.
  • Ehrhardt Heinold, Günther Großer als Hrsg.: Hellerau leuchtete. Zeitzeugenberichte und Erinnerungen. Verlag der Kunst Dresden, Husum 2007, ISBN 978-3-86530-077-5.
  • Norbert Weiß, Jens Wonneberger: Am Grünen Zipfel und Auf dem Sand. Hellerau: literarisch. Neisse Verlag, Dresden 2013, ISBN 978-3-86276-085-5.
  • Thomas Nitschke: Als über Hellerau der Sowjetstern strahlte. Notschriften-Verlag, Radebeul 2014, ISBN 978-3-940200-98-3.
  • Durs Grünbein: Die Jahre im Zoo. Ein Kaleidoskop. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-518-42491-9.
Commons: Hellerau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. saebi.isgv.de
  2. Hinrich Siefken: Theodor Haecker: Leben und Werk. In: Theodor Haecker, Bernhard Hanssler (Hrsg.): Esslinger Studien. Band 15. Stadtarchiv, Esslingen 1995 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Staatliches Landschulheim Marquartstein: 50 Jahre Landschulheim Marquartstein, 1978, S. 13
  4. Hans-Christian Harten: Die weltanschauliche Schulung der Polizei im Nationalsozialismus. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2018, ISBN 978-3-506-78836-8, S. 336–337.
  5. DNN-Artikel vom 14. Oktober 2011
    DNN-Artikel vom 9. August 2013
    DNN-Artikel vom 1. Januar 2015 (Memento desOriginals vom 8. Januar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dnn-online.de: Neuer Anlauf ggf. zwischen 2017 und 2019.
  6. a b Flagge, S. 35 (Erweiterung Gartenstadt Hellerau, Am Pfarrlehn/Kirchsteig/Am Schulfeld/Meisensteig) und Gantz, Nr. 99 (Hellerau).
  7. jazzdomicile: Freier Architekt + Stadtplaner BDA SRL DWB, Das Projekt Dresden-Hellerau. In: wolframbaltin.de. Abgerufen am 19. März 2017.
  8. Rudolf Gärtner. In: Sächsische Biographie. Abgerufen am 12. August 2023.

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Deutsche Werkstätten Hellerau
Altbau
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Werbung für Villen in der Gartenstadt Hellerau aus dem Buch "Dresden und das Elbgelände" von 1914