Hans Puvogel

Hans Puvogel (* 25. September 1911 in Bremen; † 11. Juni 1999) war ein deutscher Jurist und Politiker (CDU). Er war seit 1976 niedersächsischer Justizminister und musste nach Bekanntwerden der nationalsozialistisch-rassenideologischen Inhalte seiner Dissertation in der Puvogel-Affäre 1978 zurücktreten.

Leben

Herkunft, Jugend, Studium, Zeit des Nationalsozialismus

Hans Puvogel stammte aus einer Landwirtsfamilie, die seit dem 17. Jahrhundert in Achim in der Nähe von Bremen ansässig ist; er war der Sohn des Erbhofbauern Georg Puvogel (1880–1947). Er besuchte das Neue Gymnasium in Bremen und absolvierte dort sein Abitur. Danach studierte er Rechtswissenschaften in Tübingen, München und Göttingen. Seit 1930 war er Mitglied des Corps Franconia Tübingen.[1] In der Zeit des Nationalsozialismus legte er 1934 das Referendarexamen ab, 1937 das Assessorexamen. Im selben Jahr promovierte Puvogel an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen bei dem nationalsozialistisch-politisch engagierten Jura-Professor Karl Siegert[2] mit der Arbeit Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher zum Dr. jur. In seiner Doktorarbeit befürwortete Puvogel die Euthanasie und bedauerte das „unterentwickelte Verständnis des Volkes für die ‚Ausmerzung von […] wegen Minderwertigkeit für die Gesamtheit nutzlosen Menschen durch Tötung‘“[3]:

„Nur ein rassisch wertvoller Mensch hat innerhalb der Gemeinschaft eine Daseinsberechtigung. Ein wegen seiner Minderwertigkeit für die Gemeinschaft nutzloser, ja schädlicher Mensch ist dagegen auszuscheiden. […] Ob das Volk für eine Ausscheidung der Minderwertigen bereits Verständnis aufzubringen vermag, mag dahingestellt bleiben […] Die große Aufgabe selbst darf nicht durch irgendwelche kleinlichen Kompetenzstreitigkeiten gehemmt und in ihrer Wirksamkeit lahmgelegt werden […].“

Hans Puvogel[4]

Für diejenigen „Minderwertigen“, die nicht gleich „ausgeschieden“ werden sollten, sah Puvogel wenigstens die Kastration vor, insbesondere wenn sie jüdischer Herkunft waren:

„Bedenkt man ferner, daß der Gesetzgeber sich die Förderung einer gesunden Rasse durch Ausmerzung minderwertiger und verbrecherischer Elemente in hohem Maße angelegen sein lässt, so glauben wir mit vollem Recht, daß die Entmannung als weiteres Mittel neben der Sterilisation im Kampf um die rassischen Belange unseres Volkes eingesetzt werden soll.“

Hans Puvogel[5]

Er wurde am 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 4.182.837). Bereits seit 1934 war er Mitglied der SA, wo er als Rottenführer diente und mit dem SA-Wehrabzeichen ausgezeichnet wurde.[6]

Von 1937 bis 1939 war Puvogel als Anwaltsassessor in Hannover tätig. Während des Zweiten Weltkriegs leistete Puvogel von 1940 bis 1945 Kriegsdienst. Danach verbrachte er ein Jahr in Kriegsgefangenschaft in Belgien.

Nachkriegszeit, berufliche und politische Tätigkeit

1947 ließ Puvogel sich als Rechtsanwalt und Notar in Achim nieder und gründete dort eine Kanzlei. Daneben betätigte er sich politisch; unter anderem war er seit 1959 Mitglied des Rates der Stadt Achim und des Kreistages des Landkreises Verden. 1962 wurde er Mitglied der CDU. Er war langjähriger Landrat des Landkreises Verden (1972–1981). Von 1963 bis 1978 gehörte er als Abgeordneter dem Niedersächsischen Landtag der 5. bis 8. Wahlperiode an, von 1967 bis 1975 war er stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Im Jahr 1976 trat sein Sohn in die väterliche Anwalts- und Notarskanzlei in Achim ein.

Er war Mitglied des Verbandsausschusses des Elektrizitätsverbandes Stade in Bremen. Puvogel war verheiratet und hatte zwei Kinder.

Niedersächsischer Justizminister, Puvogel-Affäre und Rücktritt

Puvogel wurde am 12. Mai 1976 als niedersächsischer Justizminister in die von Ministerpräsident Ernst Albrecht geführte Landesregierung berufen. Als der Inhalt seiner Dissertation 1978 einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, kam es zu einer politischen Affäre: Puvogel distanzierte sich nicht von seinen damaligen Äußerungen, sondern beharrte stattdessen öffentlich darauf. Der Rechtshistoriker und Richter am Oberlandesgericht Braunschweig (OLG), Helmut Kramer, verschickte daraufhin kommentarlos Auszüge aus Puvogels Arbeit an einige Kollegen, was letztlich am 24. März 1978 zu Puvogels Rücktritt als Justizminister und seiner Entlassung am 4. April 1978 führte. Puvogel blieb jedoch weiterhin Landrat des Landkreises Verden.

Der Präsident des OLG Braunschweig, Rudolf Wassermann, leitete kurz darauf auf Weisung von Ministerpräsident Albrecht ein förmliches Disziplinarverfahren gegen Kramer wegen der Versendung der Dissertationsauszüge ein. Kramer wurde vorgeworfen, er habe „seine Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten gegenüber einem Dienstvorgesetzten verletzt“. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, enthielt jedoch die explizite Feststellung einer von Kramer begangenen Dienstpflichtverletzung. Der „so gemaßregelte Helmut Kramer“ wurde anschließend an einen Zivilsenat versetzt.[7]

Ehrungen

Puvogel wurde am 3. Juli 1973 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Publikationen (Auswahl)

  • Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher. Nolte, Düsseldorf 1937 (zugleich Dissertation, Universität Göttingen 1937).
  • Festblatt der Bauern-Kör der Bürgerei in Thedinghausen ausgegeben anläßlich der Festsitzung im „Rathause“ Schröder. In Thedinghausen, Schulstraße 17, am Donnerstag, dem 26. Februar 1981. Mit einer Festrede des Landrats Dr. Hans Puvogel (Verden) zum Gedächtnis der Schaffung der ehemaligen braunschweigischen Exklave Thedinghausen vor dreihundert Jahren 1681–1981. Thedinghausen 1981 (mit: Kurt Asendorf).

Siehe auch

Literatur

  • Eckart Spoo: Zumutungen. Jahn und Puvogel beispielsweise. In: Wolfgang Bittner, Hasso Düvel, Werner Holtfort, Eckart Spoo (Hrsg.): Sturmfest und erdverwachsen. Schwarze Geschichten über Ernst Albrecht und die CDU. Steidl Verlag, Göttingen 1980, ISBN 3-88243-010-9, S. 57–63.
  • Burkhard Jellonnek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich. Schöningh, Paderborn 1990, ISBN 3-506-77482-4, S. 142f. (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart; online bei Google Bücher).
  • Thomas Blanke, Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.): Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5054-7, S. 415.
  • Paul Cummins: A Letter to Hans Puvogel. In: Marguerite M. Striar (Hrsg.): Beyond lament. Poets of the world bearing witness to the Holocaust. Northwestern University Press, Evanston (Illinois/USA) 1998, ISBN 0-8101-1556-5, S. 421 (englisch; online bei Google Bücher).
  • Ashley Montagu: Man’s most dangerous myth. The fallacy of race. 6. Auflage. AltaMira Press, Walnut Creek (Kalifornien/USA) 1998, ISBN 0-8039-4648-1, S. 53 (englisch; online bei Google Bücher).
  • Susanne zur Nieden: Homophobie und Staatsräson. In: Susanne zur Nieden (Hrsg.): Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-593-37749-7, S. 38, 42 (Geschichte und Geschlechter, Bd. 46; online bei Google Bücher).
  • Susanne zur Nieden: Der homosexuelle Staatsfeind – zur Geschichte einer Idee. In: Lutz Raphael, Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.): Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57786-7, S. 418 (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 20; online bei Google Bücher).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1996, 39, 990
  2. Lieselotte Steveling: Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der westfälischen Wilhelms-Universität Münster/Westf. Lit Verlag, Münster 1999, ISBN 3-8258-4084-0, S. 400–401 (Beiträge zur Geschichte der Soziologie, Bd. 10; zugleich Dissertation, Universität Münster 1998; online bei Google Bücher).
  3. Zitiert nach: Thomas Blanke, Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.): Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5054-7, S. 415, Fußnote 9 (online bei Google Bücher).
  4. Hans Puvogel: Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher. Nolte, Düsseldorf 1937, S. 34 (zugleich Dissertation, Universität Göttingen 1937; hier zitiert nach: Ingo Müller: Furchtbare Juristen. 9. Auflage. Kindler, München 1987, ISBN 3-463-40038-3, S. 133–134).
  5. Hans Puvogel: Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher. Nolte, Düsseldorf 1937, S. 34 (zugleich Dissertation, Universität Göttingen 1937; hier zitiert nach: Gerhard Henschel: Scherzende Sittenpolizisten. Demütigung, Knüppelschläge auf die Genitalien, Stiefeltritte in den Unterleib, Sterilisation, Kastration, Verstümmelung. Einblicke in den Sexualantisemitismus der Nationalsozialisten. In: jungle world Nr. 44, Beilage Dossier, vom 30. Oktober 2008, S. 19f.; abgerufen am 16. September 2011.
  6. NS-Vergangenheit von Ministern und Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen (PDF-Datei; 90 kB), Landtagsdrucksache 16/4667, S. 4.
  7. Ingo Müller: Deutschen Richtertypen den Spiegel vorhalten. Würdigung Helmut Kramers zur Verleihung des Hans-Litten-Preises der VDJ am 26. November 1994 in Hamburg. Auf: Website der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ); abgerufen am 6. August 2018.

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