Hans Meerwein

Porträt von Hans Meerwein

Hans Leb(e)recht Meerwein (* 20. Mai 1879 in Hamburg; † 24. Oktober 1965 in Marburg) war ein deutscher Chemiker. Meerwein war organischer Chemiker und entdeckte kationische Umlagerungsreaktionen sowie Carbene und ein wichtiges Alkylierungsreagenz.

Leben

Hans Meerwein war der Sohn von Emil Meerwein, Bausenator und Architekt der Hamburger Börse und des Rathauses.

Sein Chemiestudium begann Meerwein 1898 an der Chemieschule Fresenius in Wiesbaden, später wechselte er an die Universität Bonn. Dort promovierte er 1903 bei Georg Schroeter (Dissertation: Über nitrierte β-Phenylglutarsäuren und deren Reduktionsprodukte)[1], folgte diesem an die Technische Hochschule Charlottenburg, heute in Berlin. 1905 boten ihm Richard Anschütz und Ludwig Claisen in Bonn eine Stelle als Universitätsassistent für das Medizinerpraktikum an. Er habilitierte sich im Jahr 1908 mit einer Arbeit Kondensationsreaktionen --ungesättigter Aldehyde.

1914 wurde er in Bonn Titularprofessor und 1922 schließlich außerordentlicher Professor. Im selben Jahr nahm er einen Ruf als ordentlicher Professor nach Königsberg an. 1929 schließlich wurde er Nachfolger von Karl von Auwers an der Universität Marburg, wo er bis 1952 Direktor des chemischen Instituts war und auch als Emeritus noch bis 1965 wissenschaftlich arbeitete.

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten unterzeichnete er am 11. November 1933 das Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler.[2] Von 1934 bis 1939 war er förderndes Mitglied der SS.[3] Im Jahr 1933 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.

1945 wurde das Chemische Institut in Marburg durch einen Bombenangriff weitgehend zerstört. Meerwein verlor damit auch seine Dienstwohnung im Institut und seine gesamte Habe, darunter alle wissenschaftlichen Aufzeichnungen und seine Privatbibliothek. Der Neubau an gleicher Stelle wurde erst nach seiner Emeritierung 1953 eingeweiht.

Sein Grab ist auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg.

Werk

In seinen Arbeiten nach der Habilitation befasste er sich mit Problemen der Terpenchemie und mechanistischen Problemen zur Pinakol-Umlagerung. Mit sehr einfachen Methoden (Pipette und Bürette) und der Kenntnis der Kinetik von Reaktionen konnte er sicher auf kationische (und nicht radikalische) Zwischenstufen bei der Pinakol-Umlagerung (Wagner-Meerwein-Umlagerung) und Isoborneol-Camphen-Umlagerung schließen. Meerwein entwickelte nach dem Studium der säurekatalysierten Umlagerungsreaktion von Carbeniumionen des (preiswerten) Pinens eine Synthese des Camphers (Umlagerungen: Pinen → Camphen (bzw. Bornylchlorid) → Isobornylacetat → Isoborneol → Campher (nach Oxidation)), die bei Schering bald genutzt wurde.

Seine grundlegende Arbeit von 1922[4] zur Wagner-Meerwein-Umlagerung und der Rolle des Norbornyl-Kations in der dabei betrachteten Isoborneol-Camphen-Umlagerung wird als Begründung der Physikalischen-Organischen Chemie gesehen.[5]

Wegen der negativen Reaktionen vieler Kollegen auf diese Arbeit und der Weigerung führender Chemiezeitschriften Folgepublikationen dazu zu veröffentlichen wandte er sich vom mechanistischen Studium von Reaktionen mehr der reinen organischen Synthese zu, wobei er mehr an neuen Reagenzien und Reaktionen interessiert war als an der Synthese komplexer Moleküle.

Bedeutsam waren seine Werke zu den Anhydrosäuren. Anhydrosäuren (z. B. H[BF4], H2[ZnCl4]) sind Salzionen in organischen Lösungsmitteln, die als Katalysatoren für die Bildung von Carbenium- und Oxoniumionen besonders reaktive Zwischenstufen bilden.

Von hohem wissenschaftlichem Stellenwert waren seine Forschungen zu Aluminiumtriisopropylat. Es reagiert in organischen Lösungsmitteln mit Carbonylverbindungen zu Alkoholen (Meerwein-Ponndorf-Verley-Reduktion). Bei vielen empfindlichen Naturstoffen wurde diese Reduktion mit Erfolg angewandt.

Meerwein postulierte mit einfachen chemischen Reaktionen das Auftreten von Carbenen und der Polarisierbarkeit von aromatischen Doppelbindungen (auch im Benzol) in der Chemie. Bei der Bromierung von Benzol bildete sich zwischenzeitlich ein salzartiges Bromobenzol mit einer positiven Ladung. Setzt man dies mit Diazomethan um, so erhält man in hoher Ausbeute Brom-Cycloheptatrien, einen Siebenring. Meerwein vermutete, dass bei dieser Reaktion bisher unbekannte reaktive Zwischenprodukte, die Carbene entstehen.

In Marburg führte Hans Meerwein grundlegende Arbeiten zur synthetischen und mechanistischen organischen Chemie durch und entdeckte die Carbokationen, was wegweisend für das Verständnis vieler organisch-chemischer Reaktionen war, insbesondere für Polymerisationsreaktionen. Durch seine Forschungen wurde er zu einem der Begründer der physikalischen organischen Chemie, der die Reaktionskinetik zur Aufklärung von Reaktionsmechanismen einsetzte.

Später entdeckte er bei der Umsetzung von Bortrifluorid-Etherat mit Epichlorhydrin das Triethyloxoniumtetrafluoroborat (Meerwein-Reagenz, Meerwein-Salze). Mit diesem Alkylierungsreagenz konnten viele komplizierte Naturstoffsynthesen vorgenommen werden. Er leistete in diesem Zusammenhang auch Pionierarbeit in der Polymerchemie[6]: Ring-Öffnungs-Polymerisation von Tetrahydrofuran[7] und die erste Erzeugung von linearem Polyethylen (vor dem Ziegler-Natta-Verfahren), die Meerwein-Methylierung mit Diazomethan.[8] Sie nannten das damals Polymethylen und die Priorität von Meerwein spielte in den 1950er Jahren eine Rolle bei Patentstreitigkeiten zwischen Karl Ziegler und DuPont.[9]

Die Aryldiazoniumsalze nutzte Meerwein für die Arylierung von α,β-ungesättigten Carbonsäuren (Ersatz der Carboxygruppe durch den Aromaten, Meerwein-Schustersche Stilbensynthese).

Gedenktafel der Gesellschaft Deutscher Chemiker am Alten Chemischen Institut der Philipps-Universität Marburg

Folgende wichtige Reaktionen sind mit seinem Namen verknüpft:

Auszeichnungen

Literatur

  • Gesellschaft Deutscher Chemiker, Universität Marburg (Hrsg.): Hans Meerwein. Marburg (Lahn), 15. September 2006. Broschüre aus der Reihe Historische Stätten der Chemie, Frankfurt am Main und Marburg 2006, PDF.
  • Christoph Meinel: Die Chemie an der Universität Marburg seit Beginn des 19. Jahrhunderts: Ein Beitrag zu ihrer Entwicklung als Hochschulfach. In: Academia Marburgensis, hrsg. von der Philipps-Universität Marburg, Bd. 3. Marburg: Elwert, 1978, S. 370–416, 508–509, Volltext (PDF; 101 MB).
  • Lothar Jaenicke: Das Portrait: Hans Leberecht Meerwein (1879–1965). In: Chemie in unserer Zeit. Band 26, Nr. 4, 1992, S. 187–195, doi:10.1002/ciuz.19920260408
  • Rudolf Criegee: The scientific work of Hans Meerwein, Angewandte Chemie, International Edition, Band 5, 1966, Nr. 4, S. 333.
  • Jerome Berson: Chemical Creativity – Ideas from the Work of Woodward, Hückel, Meerwein, and Others. Wiley-VCH, Weinheim 1999, ISBN 978-3-527-29754-2.
  • Gerhard Hesse: Meerwein, Hans. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 16, Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-00197-4, S. 608–610 (Digitalisat).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Informationen zu und akademischer Stammbaum von Hans Meerwein bei academictree.org, abgerufen am 2. Januar 2019.
  2. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 399.
  3. Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 483 Nr. 4645d; Abt. 529/Ma-B Nr. 1175, Bl. 1 u. 11.
  4. H. Meerwein, Konrad van Emster: Über die Gleichgewichts-Isomerie zwischen Bornylchlorid, Isobornylchlorid und Camphen-chlorhydrat, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, Band 55, 1922, S. 2500.
  5. G. A. Olah: Crossing Conventional Boundaries in Half a Century of Research, Journal of Organic Chemistry, Band 70, 2005, S. 2428. Olah bezeichnet Meerwein wegen seiner Vielseitigkeit als sein Vorbild als Chemiker.
  6. Olah, Journal of Organic Chemistry, Band 70, 2005, S. 2428.
  7. Meerwein, D. Delfs, H. Morschel: Die Polymerisation des Tetrahydrofurans, Angewandte Chemie, Band 72, 1960, S. 927–934.
  8. H. Meerwein, W. Burneleit: Über die Einwirkung von Diazomethan auf Ketone in Gegenwart von Katalysatoren I, Ber. Deutsche Chemische Gesellschaft, Band 61, 1928, S. 1840–1847.
  9. Heinz Martin: Polymers, Patents, Profits: A Classic Case Study for Patent Infighting, Wiley-VCH, 2007, S. 120.
  10. Fachbereich Chemie der Universität Marburg

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Hans Meerwein (1879-1965), químico alemão
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Autor/Urheber: Justus Nussbaum, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Gedenktafel der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GdCh) am Gebäude Bahnhofstraße 7, Marburg: Historische Stätte der Chemie für Hans Meerwein, bedeutender Chemiker der Philipps-Universität Marburg