Hanauer Kleinbahn

Hanauer Kleinbahn
Streckenlänge:14,9 / 10,2 km
Spurweite:1435 mm (Normalspur)
Maximale Neigung:Adhäsion 15 
Zahnstange  
Hanau–Hüttengesäß/Langenselbold
nach Hanau Nord
0,0Hanau (Kleinbahnhof)
1,1Dreischienengleis der Eisenbahntruppen 600 mm/1435 mm
1,4Neuhof[1]
4,9Weiche Rückingen
Rückingen West vor 1923
5,7Rückingen West nach 1923
5,9Rückingen Ort
Anschlussgleis Mühlenwerke Schönmeyer[Anm. 1]
10,0Schwarzes Loch
10,3Gründau
10,4Langenselbold Kleinbahnhof
schmalspuriger Anschluss
Leimfabrik Steinhäuser und Petri
5,9Rückingen Ost
6,3Fallbach
6,4Langendiebach
6,5Anschluss Zigarrenkistenfabrik Brüning und Sohn AG
6,6Fallbach
8,7Ravolzhausen
9,2Anschluss Ziegelwerk Heinrich Müller & Will[Anm. 2]
10,8Schafbach
11,0Schafbach
11,8Bruderdiebacher Hof
13,6Fallbach
15,1Hüttengesäß

Die Hanauer Kleinbahn verband zwischen 1896 und 1933[Anm. 3] die Stadt Hanau mit Umlandgemeinden und den beiden Endpunkten Hüttengesäß und Langenselbold in Normalspur.

Strecken

Trassenrest: Querung der Karl-Marx-Straße in Hanau[Anm. 4]

Hanauer Kleinbahnhof

Der Hanauer Kleinbahnhof[2] lag östlich der Gleise des Bahnhofs Hanau Nord und der Staatsbahnstrecke Friedberg–Hanau, zu der ein Verbindungsgleis bestand. Das ursprüngliche Projekt, die Kleinbahn bis zum Neustädter Markt in Hanau oder sogar bis zum Bahnhof Bahnhof Hanau West zu führen, wurde – obwohl die Genehmigung zur niveaugleichen Kreuzung der Bahnstrecke Friedberg–Hanau vorlag, nicht verwirklicht.[3]

Der Hanauer Kleinbahnhof trug zunächst einfach die Bezeichnung Hanau, ab 1926 Hanau-Kleinbahnhof. Ein Foto zeigt die Beschriftung Hanau Lokalbahnhof[4] und im Schriftverkehr wird er auch als Hanau Nord Kleinbahnhof bezeichnet.[5]

Ausgehend von hier querte die Strecke zunächst das Areal des heutigen Hanauer Stadtteils Tümpelgarten und den Lamboywald, um dann der bestehenden Landstraße ins Kinzigtal, der Leipziger Straße, zu folgen. Hier trennten sich bei km 4,9 („Weiche Rückingen“) die beiden Streckenäste:

Bahnstrecke Hanau–Langenselbold

Bahnhöfe
  • Rückingen West war ein Haltepunkt und ein Bedarfshalt. 1923 wurde er aus der ursprünglichen Position etwas weiter in den Ort hinein verlegt. Er hatte keinerlei bauliche Anlagen außer dem Gleis selbst.[6]
  • Rückingen Ort hatte außer dem Streckengleis nur noch ein Stumpfgleis. Es gab eine unbeheizte Holzhütte als Warteraum. Der Bahnhof war nicht besetzt. Fahrkarten verkaufte die benachbarte Gastwirtschaft der Witwe Dietz.[7] Wenige hundert Meter weiter bestand seit 1917 das Anschlussgleis für die Mühlenwerke Schönmeyer. Die Wagen wurden hier durch Abschneppern zugestellt, was zwar verboten war, aber erst nach einem Unfall am 21. April 1921, als eine Wagengruppe ungebremst den Prellbock überfuhr und zerstörte, unterlassen wurde.[8]
  • Der Bahnhof in Langenselbold trug einfach die Bezeichnung Langenselbold.[Anm. 5] Er hatte ein Hauptgleis, ein Umfahrungsgleis und ein Stumpfgleis mit einem einständigen Lokomotivschuppen am Ende. Das Empfangsgebäude hatte einen angebauten Güterschuppen.[9]

Die „Bahnhofstraße“ in Langenselbold erinnert heute noch an die Lage des Bahnhofs der Kleinbahn.

Die Stadt Langenselbold besaß auch einen Staatsbahnhof an der Kinzigtalbahn. Dort befand sich seit 1904 auch der Endpunkt der Freigerichter Kleinbahn. Dieser Bahnhof war aber 2,5 km vom Stadtkern und 2 km vom Bahnhof der Hanauer Kleinbahn in Langenselbold entfernt, jenseits der Kinzig, und bei Hochwasser – die zumindest jedes Frühjahr kamen – vom Ort aus nicht mehr erreichbar.[10]

Bahnstrecke Hanau–Hüttengesäß

Zwischen Rückingen Weiche und Langendiebach verlief die Strecke auf einem eigenen Damm, die Ortsdurchfahrt dort erfolgte auf der Straße, der weitere Verlauf auf der Straße Langendiebach–Ravolzhausen.

Bahnhöfe
  • Rückingen Ost; ein Haltepunkt[11]
  • Der Bahnhof Langendiebach lag am südlichen Ortsrand.[12] Der langjährige Stationsvorsteher erwarb das Empfangsgebäude aus der Liquidationsmasse und betrieb darin eine Gastwirtschaft. Es wurde 2016 abgerissen.[13]
  • Der Bahnhof Ravolzhausen lag in der heutigen Fallbachstraße.[14] Er war nicht mit Personal besetzt.[15]
  • Der Bahnhof Bruderdiebacher Hof lag neben dem gleichnamigen Gehöft.[16]
  • Der Bahnhof Hüttengesäß entstand südlich des Ortes, so dass er auch für die Einwohner von Neuwiedermuß gut erreichbar war[17] und die Möglichkeit bestanden hätte, die Bahn nach dort zu verlängern. Das Empfangsgebäude und der Lokschuppen sind als letzte Hochbauten der Hanauer Kleinbahn noch erhalten.[18]

Von der Strecke war ein Abzweig nach Marköbel vorgesehen, der allerdings nie gebaut wurde.[19]

Geschichte

Beginn

Die Hanauer Kleinbahn verdankt ihre Entstehung einer Initiative, den ländlich geprägten Bereich der südlichen Wetterau östlich und nordöstlich von Hanau zu erschließen.

Die Genehmigung für den Bau wurde nach dem Preußischen Kleinbahn-Gesetz am 9. März 1896 Hermann Christner, Hanau, erteilt.[20] Die Baukosten betrugen ca. 20.000 Mark/km. Die Inbetriebnahme erfolgte bereits am 1. Oktober 1896.[21] Die Bahn über Hüttengesäß hinaus zu verlängern, wurde 1897 erwogen. Das Vorhaben, das über Altwiedermus und Büdingen nach Wolferborn oder Rinderbügen zu tun, scheiterte aber daran, dass es „grenzüberschreitend“ (von Preußen ins Großherzogtum Hessen) gewesen wäre und die hessische Seite kein Interesse zeigte. Auch wandte sich der Eisenbahn-Unternehmer, Hermann Christner, in dieser Zeit einem neuen Projekt zu, der Kahlgrundbahn.[22]

Zu Beginn verkehrten auf dem Streckenast nach Langenselbold täglich sechs Zugpaare, auf dem Streckenast nach Hüttengesäß vier. Die Personenzüge führten die 2. und 3. Klasse, hatten Nichtraucher-Abteile und ab 1899 auch Wagen – die zumindest teilweise – nur von Frauen genutzt werden durften. Der überwiegende Teil der Fahrgäste nutzte Zeitkarten für den Arbeiterverkehr der 3. Klasse.[23]

Hermann Christner, zunächst Alleineigentümer der Bahn, wandelte sie am 18. Juni 1897 in eine Aktiengesellschaft um[24], die Hanauer Kleinbahn-Gesellschaft AG.[Anm. 6] 1899 verkaufte Hermann Christner den überwiegenden Teil seiner Aktien an die in Berlin ansässige Vereinigte Eisenbahnbau- und Betriebs-Gesellschaft. Von 1897 bis 1934 befand sich der Sitz der Hanauer Kleinbahn-Gesellschaft AG dann auch in Berlin, anschließend wieder in Hanau.[25]

Betrieb

Die Höchstgeschwindigkeit auf eigener Trasse betrug 30 km/h (technisch war sie für 35 km/h ausgelegt), auf Strecken, die im Straßenraum verlegt waren, 20 km/h, in der Ortsdurchfahrt von Langendiebach sogar nur 10 km/h. Der Güterverkehr erfolgte durch gemischte Züge (PmG).[26] Nur kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurden, nachdem das Frachtaufkommen gestiegen war, auch reine Güterzüge gefahren, sowie nach 1931.[27] Im Güterverkehr verkehrten Wagenladungen durchgehend von und zur Staatsbahn.[28]

Bereits kurz nach Inbetriebnahme häuften sich die Beschwerden über die Qualität des angebotenen Services. Diese Mängel wurden durch den leichten Oberbau (Begrenzung auf 12 Tonnen Achslast[29]) und dadurch verursacht, dass vor allem gebrauchtes Rollmaterial zum Einsatz kam. Weiter kam es in erheblichem Umfang zur Belästigung von Frauen in überfüllten Arbeiterzügen, die Züge waren oft verschmutzt.[30]

Besonderheiten

Eine Besonderheit des Betriebs war, dass die Fahrzeuge, die ausschließlich auf der Kleinbahn verkehrten, eine Mittelpufferkupplung hatten. Da aber Güterwagen aus dem allgemeinen Verkehr der Preußischen Staatseisenbahnen und später der Deutschen Reichsbahn mit den dort üblichen Stoß- und Zugvorrichtungen auf die Kleinbahn übergingen, muss es dafür eine technische Möglichkeit gegeben haben – welche ist heute unbekannt.[31]

Die Kleinbahn beförderte auch Bahnpost – zunächst nur auf der Linie nach Hüttengesäß, nach Langenselbold wohl erst ab dem Sommerfahrplan 1913. Die Post nutzte die Möglichkeit bis 1930.[32]

Ende

An den wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach dem Ersten Weltkrieg scheiterte die Kleinbahn. Das Betriebsmaterial war völlig heruntergewirtschaftet und oft kam es zu großen Verspätungen. Die 2. Klasse wurde nun nicht mehr angeboten, sie wurde zuletzt kaum noch genutzt.[33] Der Betrieb wurde wiederholt teilweise und vorübergehend eingestellt: 1921 durch einen unbefristeten Streik der Eisenbahner[34], 1922 wurde aus Finanznot am Wochenende nicht mehr gefahren[35], Anfang 1923 auch Züge unter der Woche aus dem Fahrplan gestrichen[36], im Herbst der Verkehr auf dem Streckenast nach Langenselbold zeitweise aufgegeben.[37] Die Betreibergesellschaft und der Landkreis Hanau konnten sich erst im Herbst 1924 auf die Modalitäten einer (Mit-)finanzierung durch den Kreis einigen. Daraufhin wurde der Verkehr nach Langenselbold wieder aufgenommen.[38] Die wirtschaftliche Basis blieb schwach. Der Versuch, auch am Sonntag wieder im Personenverkehr zu fahren, wurde wegen der schwachen Resonanz 1925 nach einigen Monaten wieder aufgegeben.[39] Die folgenden Jahre sind gekennzeichnet durch eine wirtschaftliche Situation am Rande der Insolvenz und erörterte, aber letztendlich gescheiterte Versuche, die dauerhafte Finanzierung sicherzustellen.[40] Am 1. April 1931 folgte die Einstellung des Personenverkehrs[41], der von Omnibussen übernommen wurde.[42] 1932/33 hielten noch fünf Eisenbahner den Betrieb mit zwei Lokomotiven aufrecht: Montags bis freitags fuhr jeden Tag ein Güterzug nach Hüttengesäß, nach Langenselbold nur noch „nach Bedarf“.[43]

Da die nach wie vor auf private Rechnung fahrende Bahn nur weiter Defizite einfuhr, die öffentliche Hand sich nicht in der Lage sah, das über ihre Mittel auszugleichen, verpflichtete ein Bescheid des Regierungspräsidiums die Bahn, ihren Betrieb nach Abschluss der „Rübensaison“ am 30. November 1933 einzustellen. Das war das betriebliche Aus.[44] 1935 wurde der Gesellschaft die Betriebskonzession entzogen.[45]

Literatur

nach Autoren / Herausgebern alphabetisch geordnet

  • Eisenbahnatlas Deutschland. Ausgabe 2005/2006, Vlg. Schweers + Wall, o. O. 2005, ISBN 3-89494-134-0
  • Reichsbahndirektion Frankfurt (Main): Führer über die Linien des Bezirks der Reichsbahndirektion Frankfurt (Main). Druckerei der Reichsbahndirektion, Frankfurt am Main 1926, S. 137f.
  • Jochen Fink: Die Hanauer Kleinbahnen. Kenning & VGB, Nordhorn 2019. ISBN 978-3-944390-13-0
  • H. Traxel: Die Hanauer Kleinbahn. In: Neues Magazin für Hanauische Geschichte 9.3 (1989), S. 235–256.
  • Gerd Wolff und Andreas Christopher: Deutsche Klein- und Privatbahnen. Band 8: Hessen. EK-Verlag, Freiburg 2004, ISBN 3-88255-667-6, S. 106 ff.
  • Heinz Schomann: Eisenbahn in Hessen. Eisenbahnbauten und -strecken 1839–1939. In: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Hessen. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Drei Bände im Schuber. Band 2.2. Theiss Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1917-6, S. 775 f. (Strecke 067). [Achtung: Karte enthält Fehler!]

Anmerkungen

  1. Während des Ersten Weltkriegs errichtet (Fink, S. 56, 76.).
  2. 1898 fertiggestellt (Fink, S. 56).
  3. Der Personenverkehr endete bereits 1931.
  4. Die Gleise sind allerdings die des Anschlussgleises für die Kasernen im Lamboy, die nach Stilllegung der Kleinbahn auf deren ehemaliger Trasse für die Wehrmacht verlegt wurden (Fink, S. 93).
  5. In der Planungsphase wurde er auch als „Langenselbold Localbahnhof“ bezeichnet und von 1905 bis 1913 in den Fahrplänen als „Langenselbold Ort“ (Fink, S. 76).
  6. Durch ein Versehen des Regierungspräsidiums Kassel wurde in die amtlichen Register „Hanauer Kleinbahn AG“ eingetragen, was erst 1919 berichtigt wurde (Fink, S. 18.).

Einzelnachweise

  1. Reichsbahndirektion, S. 138: Hier nicht verzeichnet.
  2. Fink, S. 61–67.
  3. Fink, S. 55.
  4. Fink, S. 63.
  5. Fink, S. 61.
  6. Fink, S. 75.
  7. Fink, S. 76.
  8. Fink, S. 56, 76.
  9. Fink, S. 76.
  10. Fink, S. 76.
  11. Fink, S. 68.
  12. Fink, S. 56.
  13. Fink, S. 69.
  14. Fink, S. 56.
  15. Fink, S. 72.
  16. Fink, S. 72.
  17. Fink, S. 56.
  18. Fink, S. 74, 94; Schomann, S. 776, stuft die Bauten aber nicht als Kulturdenkmal ein.
  19. Fink, S. 55.
  20. Fink, S. 10f.
  21. Fink, S. 13.
  22. Fink, S. 15.
  23. Fink, S. 47.
  24. Fink, S. 17.
  25. Fink, S. 19.
  26. Fink, S. 47.
  27. Fink, S. 48.
  28. Eisenbahndirektion in Mainz (Hg.): Amtsblatt der Eisenbahndirektion in Mainz vom 5. August 1922, Nr. 47. Bekanntmachung Nr. 872, S. 532.
  29. Eisenbahndirektion in Mainz (Hg.): Amtsblatt der Eisenbahndirektion in Mainz vom 5. August 1922, Nr. 47. Bekanntmachung Nr. 872, S. 532.
  30. Fink, S. 19f.
  31. Fink, S. 47.
  32. Fink, S. 47.
  33. Fink, S. 25, 29.
  34. Fink, S. 25.
  35. Fink, S. 27.
  36. Fink, S. 28.
  37. Fink, S. 30.
  38. Fink, S. 30f.
  39. Fink, S. 32.
  40. Fink, S. 33ff.
  41. Fink, S. 39.
  42. Fink, S. 41.
  43. Fink, S. 41.
  44. Fink, S. 44.
  45. Fink, S. 46.

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Brücke über Wasser geradeaus (klein)
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Trassenrest der Hanauer Kleinbahn: Kreuzung mit der Karl-Marx-Straße