Haftungsbeschränkung
Haftungsbeschränkung ist in der Rechtswissenschaft die Verminderung der Haftung durch Milderung des Sorgfaltsmaßstabs und/oder Begrenzung des Haftungsumfangs.
Allgemeines
Von einer Haftungsbeschränkung kann sowohl die Tatbestands- als auch die Rechtsfolgenseite betroffen sein. Die Milderung des Sorgfaltsmaßstabs betrifft die Tatbestandsseite, die Begrenzung des Haftungsumfangs (betragsmäßige Begrenzung der Schadensersatzpflicht) die Rechtsfolgenseite. Haftungsbeschränkungen sind im deutschen Recht und international die Ausnahme, weil das Schadensersatzrecht vom Grundsatz der Totalreparation beherrscht wird (§ 249 BGB). Danach ist der gesamte Schaden – unabhängig von Haftungsgrund, Vorhersehbarkeit und Verschuldensgrad – zu ersetzen.[1] Dieser Grundsatz wird jedoch vielfach durchbrochen.
Arten
Es gibt vom Gesetz vorgesehene Haftungsbeschränkungen, institutionelle und rechtsgeschäftliche Haftungsbeschränkungen.
Gesetzliche Haftungsbeschränkungen
Hierbei wird oft zwischen Personen- und Sachschaden unterschieden, wobei Sachschäden regelmäßig eine betraglich niedrigere Haftungsbeschränkung als Personenschäden aufweisen.
- Bürgerliches Recht: Nach § 651p Abs. 1 BGB kann der Reiseveranstalter bei Pauschalreisen durch Vereinbarung mit dem Reisenden (Allgemeine Reisebedingungen) seine Haftung für nicht schuldhaft herbeigeführte Sachschäden oder bei Schäden durch Verschulden dritter Leistungsträger auf den dreifachen Reisepreis beschränken. In § 651p Abs. 2 BGB wird dem Reiseveranstalter erlaubt, sich bei seiner Haftung auf internationale Übereinkommen oder gesetzliche Vorschriften mit Haftungsbeschränkungen oder -ausschlüssen zu berufen, die auch für seine ausländischen Leistungsträger gelten (etwa Warschauer Abkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, Montrealer Übereinkommen).
- Die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Gastwirts beträgt nach § 702 Abs. 1 BGB maximal 3.500 Euro für Sachschäden.
- Die Haftung von Kindern für von ihnen verursachte Schäden ist nach § 828, § 829 BGB ausgeschlossen oder beschränkt.
- Grundsätzlich muss der Besteller eines Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB für diesen haften, es sei denn, er kann nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB den Nachweis führen, den Verrichtungsgehilfen richtig ausgewählt und angeleitet zu haben.
- Ferner gibt es gesetzliche Haftungsbeschränkungen auf die eigenübliche Sorgfalt (diligentia quam in suis) beim BGB-Gesellschafter (§§ 708, § 277 BGB), im Verhältnis der Eheleute untereinander (§ 1359 BGB), im Verhältnis zu ihren Kindern (§ 1664 BGB) oder im Verhältnis der Vorerben zu den Nacherben (§ 2131 BGB).
- Die Haftung von Kindern für von ihnen verursachte Schäden ist nach § 828, § 829 BGB ausgeschlossen oder beschränkt.
- Handelsrecht: Abschlussprüfer haften nach § 323 Abs. 2 HGB höchstens mit 1 Million Euro pro Abschlussprüfung oder 4 Millionen Euro bei amtlich notierten Aktiengesellschaften. Bei Frachtführern ist die Haftung für besondere Frachtgüter (Edelmetalle, Juwelen, Edelsteine, Geld, Briefmarken, Münzen, Wertpapiere, Urkunden, lebende Tiere oder Pflanzen) oder besondere Gefahrensituationen (ungenügende Verpackung, natürliche oder mangelhafte Beschaffenheit des Gutes) nach § 451d Abs. 1 HGB sogar ausgeschlossen. Bei Umzugsgut ist ihre Haftung nach § 451e HGB auf 620 Euro pro Kubikmeter Laderaum begrenzt. Die Deutsche Bahn haftet verschuldensunabhängig nach §§ 1, § 4 HaftPflG für Personenschäden (30.000 Euro) und Sachschäden (10.000 Euro). Nach § 7 HaftPflG darf die Ersatzpflicht nach den §§ 1 bis 3 HaftPflG bei Personenschäden im Voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Gemäß § 23 Personenbeförderungsgesetz ist die Haftung für Sachschäden bis 1.000 Euro begrenzt.
- Spezialgesetze: Nach § 12 Abs. 1 StVG ist im Straßenverkehrsrecht die Haftung bei Personenschäden auf 5 Millionen Euro, bei Sachschäden auf 1 Million Euro begrenzt. Das Haftpflichtgesetz (HaftpflichtG) sieht in den §§ 9, § 10 HaftpflichtG bei Personenschäden eine maximale Haftung von 600.000 Euro, bei Sachschäden 300.000 Euro vor. In § 10 Abs. 1 ProdHaftG sind für Personenschäden höchstens 85 Millionen Euro vorgesehen, bei Sachschäden muss nach § 11 ProdHaftG der Geschädigte einen Eigenanteil bis 500 Euro zu übernehmen. Die Umwelthaftung nach § 15 UmweltHG beträgt für Personen- und Sachschäden jeweils höchstens 85 Millionen Euro, die Arzneimittelhaftung ist nach § 88 AMG auf 600.000 Euro pro Person oder bei mehreren Geschädigten auf 120 Millionen Euro begrenzt. In vielen Fällen erlaubt das Gesetz eine Rentenzahlung, die wiederum durch Jahreshöchstbeträge begrenzt ist. Ein Notar haftet nach § 19 BNotO bei Fahrlässigkeit nur, wenn der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag, ausgenommen hiervon sind die notariellen Amtsgeschäfte nach den §§ 23, § 24 BNotO.
- Einschränkungen des Sorgfaltsmaßstabs: Die Schuldnerhaftung ist bei Gläubigerverzug auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt (§ 300 Abs. 1 BGB). Zudem besteht in einigen Fällen eine beschränkte Haftung von Personen ohne unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse (Schenker nach § 521 BGB, Verleiher nach § 599 BGB, unentgeltliche Verwahrer nach §§ 690, § 277 BGB, Finder von Fundsachen nach § 968 BGB) oder die Haftungsbeschränkung innerhalb der BGB-Gesellschaft (§§ 708, 277 BGB).
Institutionelle Haftungsbeschränkungen
Institutionelle Haftungsbeschränkungen gelten für das Gesellschaftsvermögen von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften (§ 1 Abs. 1 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG, § 2 GenG). Bei diesen juristischen Personen ist die Haftung für Verbindlichkeiten auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) kommt dieser beschränkte Haftungsumfang bereits in ihrem Namen zum Ausdruck. Die GmbH haftet für Verbindlichkeiten allerdings unbeschränkt mit ihrem Gesellschaftsvermögen; gemeint ist vielmehr die beschränkte Haftung ihrer Gesellschafter, weil diese für die Verbindlichkeiten der GmbH nicht mit ihrem Privatvermögen haften. Haben die Gesellschafter ihre Kapitaleinlage vollständig erbracht, sind sie haftungsfrei. Die Durchgriffshaftung durchbricht dieses Prinzip, so dass die Gesellschafter von Kapitalgesellschaften in bestimmten Fällen gegenüber den Gesellschaftsgläubigern persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch mit ihrem Privatvermögen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften müssen. Bei Personengesellschaften ist die Haftung der Gesellschafter im Regelfall unbegrenzt (auch mit ihrem Privatvermögen), nur der Kommanditist haftet den Gläubigern der Gesellschaft lediglich bis zur Höhe seiner Einlage (§ 171 Abs. 1 HGB).
Vertragliche Haftungsbeschränkungen
Vertragliche Haftungsrisiken unterliegen einer gesetzlich vorgesehenen Haftungsverteilung, die von den Vertragsparteien im Rahmen von Haftungsklauseln ganz oder teilweise verändert werden kann. Dabei sind dieser Vertragsfreiheit Grenzen der §§ 305 ff. BGB gesetzt.
International
Die in der Europäischen Union geschaffene Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE) entspricht der deutschen AG und weist damit eine haftungsbeschränkende Form auf, die in allen EU-Mitgliedstaaten gilt. In der Schweiz gibt es die Schadensbemessung nach richterlichem Ermessen und die Minderung der Haftung für Fahrlässigkeit in Notlagen (Art. 43 Abs. 1, 44 Abs. 2 OR). „Art und Größe des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Größe des Verschuldens zu würdigen hat“ (Art. 43 Abs. 1 OR). Ähnlich begrenzende Regelungen bestehen in Spanien (Art. 1103 Código Civil) und nordischen Rechtsordnungen; vorhersehbare Schäden sind im französischen und teilweise englischen Vertragsrecht beschränkt.[1] Im internationalen Luftverkehr sieht das Montrealer Übereinkommen keine Haftungsbegrenzung für Personenschäden, aber bei Sachschäden eine Obergrenze von 141.833 Euro, bei Gepäckschäden von 1.418 Euro vor.
Die den Vereinigten Staaten gemeinhin nachgesagte unbeschränkte Schadenshaftung mit astronomisch hohen Schadenssummen für vergleichsweise unbedeutende Schäden besteht in dieser Form allgemein nicht, auch wenn spektakuläre Einzelfälle dies suggerieren.[2][3] Mehr als die Hälfte aller Bundesstaaten besitzt Haftungshöchstgrenzen für Schadensersatz.[4] Eine kleine Zahl von Bundesstaaten hat Höchstgrenzen für Körperverletzungen und Tötungen eingeführt, fast ein Drittel der Staaten begrenzt zumindest die Arzthaftung (englisch medical malpractice) für nicht wirtschaftliche Schäden (englisch noneconomic damages). Dabei hat der Richter sowohl das Recht der Remittitur, also der Reduzierung unverhältnismäßig hoher Schadensersatzverdikte, als auch das Recht der Additur, falls eine Jury offensichtlich unterhalb des angemessenen Schadensersatzes geblieben ist.[5] Praktisch besonders bedeutsam ist die Haftungsbegrenzung für implizit übernommene Garantien (englisch implied warranties). Freizeichnungsklauseln zielen darauf ab, die implizite Garantie für Marktgängigkeit (englisch implied warranty of merchantability) auszuschließen (UCC 2-316 [2] Satz 1).[6]
Siehe auch
Literatur
- Burkard Lotz: Haftungsbeschränkungen in Anlagenverträgen, ZfBR 2003, 424 ff.
Einzelnachweise
- ↑ a b Alexander Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 8.
- ↑ Die Witwe des 1997 an Lungenkrebs verstorbenen Rauchers Jesse Williams erhielt von dem Zigarettenhersteller Philip Morris USA 145 Millionen US-Dollar Schadensersatz
- ↑ siehe Artikel Stella Liebeck
- ↑ Alexander Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 64 ff.
- ↑ Alexander Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 70 ff.
- ↑ Alexander Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 82.