Guy Stern

Guy Stern, 2017, anlässlich der Aufnahme in die französische Ehrenlegion

Guy Stern, geboren als Günther Stern (* 14. Januar 1922 in Hildesheim[1]), ist ein deutschamerikanischer Literaturwissenschaftler.

Leben

In Hildesheim als Günther Stern in einer assimilierten jüdischen Familie aufgewachsen, emigrierte er 1937 mit Hilfe eines Onkels aus St. Louis und des amerikanischen Konsuls in Hamburg als einziges Mitglied seiner fünfköpfigen Familie in die USA. Auch später gelang es ihm nicht, sie nachzuholen. Nach Kriegsende erfuhr er, dass seine ganze Familie deportiert wurde und im Warschauer Ghetto umgekommen ist.[2]

Ab 1940 studierte Stern zunächst Romanistik, später Germanistik. 1942 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, wurde aber erst später eingezogen. Im „Military Intelligence Training Center“ in Camp Ritchie, Maryland erhielt er eine Spezialausbildung und wurde so zu einem der sogenannten Ritchie Boys, einer überwiegend aus Emigranten gebildeten Einheit des Militärnachrichtendienstes. 1944 kam er drei Tage nach Beginn der Landung in der Normandie nach Frankreich. Er wurde im IPW (Interrogators of Prisoners of War) Team 37 eingesetzt, der Feldnachrichtentruppe der United States Army, das aus sechs Personen bestand und deutsche Kriegsgefangene und Überläufer befragte. Er wurde für seinen Einsatz mit dem Bronze Star ausgezeichnet.[3][4]

Nach dem Krieg nahm er sein Studium wieder auf, machte 1948 seinen B. A. in Romanistik, 1950 den M. A. in Germanistik, 1953 folgte die Promotion. Nach Lehrtätigkeiten an der Columbia University New York City wurde er 1963 Professor und Abteilungschef für deutsche Sprache und Literatur an der University of Cincinnati, danach University Dean, ab 1975 an der University of Maryland. 1978 folgte die Berufung an die Wayne State University in Detroit, wo er ab 1981 Distinguished Professor für Deutsche Literatur- und Kulturgeschichte war. Gastprofessuren führten ihn an die Universitäten Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main (1993), Leipzig (1997), Potsdam (1998) und München als Mercator-Professor.

Er ist der Direktor eines Instituts des Holocaust-Museums in Detroit sowie einer der Mitbegründer der Lessing Society, deren Präsident er von 1975 bis 1977 war. Als Autor und Herausgeber veröffentlichte er zahlreiche Bücher und Sammelwerke zur deutschen Literaturgeschichte, insbesondere zur Emigranten- und Immigrantenliteratur. 1988, bei der Enthüllung des Erinnerungsdenkmals am ehemaligen Standort der zerstörten Hildesheimer Synagoge am Lappenberg, trug er eine Ansprache bei. 1998 hielt er zum sechzigsten Jahrestag der Reichspogromnacht im Bonner Bundestag einen Vortrag.

Stern erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1987) und die Goethe-Medaille (1989). Bei der Vorstellung einer Festschrift für Stern 2005 hob die damalige bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier in ihrer Laudatio den erzieherischen Charakter seines Lebenswerks und -wegs hervor, in dem Stern sich in besonderer Weise für die Stärkung der geistigen Grundlagen der Freiheit in Deutschland eingesetzt habe: „Sie selbst“, so Hohlmeier an Stern, „stellen für Lernende eine Identifikationsfigur dar: Ihr Lebensweg gibt anderen Orientierung, Ihre gelebte Vita zeichnet eine Spur, die anderen ein Weg sein kann.“[5]

Stern ist in dritter Ehe mit der deutschen Schriftstellerin Susanna Piontek (* 1963) verheiratet.[6] Er lebt in Michigan.[7]

Am 5. März 2012 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Hildesheim verliehen[8] und 2017 wurde Stern mit dem erstmals verliehenen OVID-Preis des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland ausgezeichnet.[9]

Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt/M. veranstaltete am 18. Januar 2022 einen Gratulations-Zoom mit Guy Stern, zu seinem 100. Geburtstag.

Werke

  • War, Weimar and literature. The Story of the Neue Merkur, 1914–1925 (= The Penn State Series in German literature). Pennsylvania State University Press, University Park 1971
  • Literatur im Exil. Gesammelte Aufsätze 1959–1989. Ismaning 1989.
  • Literarische Kultur im Exil. Gesammelte Beiträge zur Exilforschung (1989–1997) / Literature and Culture in Exile (= Philologica, Reihe A, Band 1). Dresden University Press, Dresden 1998, ISBN 3-931828-05-0 (teilweise deutsch und teilweise englisch).
  • Fielding, Wieland, Goethe and the Rise of the Novel (= Analysen und Dokumente, Band 49). Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2003 (Dissertation Columbia University New York (englisch)).
  • Arno Reinfrank: Dichter aus der Pfalz im Exil – Autor der „Poesie der Fakten“ (1934–2001) (= Jüdische Miniaturen, Band 84). Herausgegeben von Jeanette Koch unter Mitarbeit von Maik Hamburger. Stiftung Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum. Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2009, ISBN 978-3-941450-02-8.
  • Invisible Ink. Wayne State University Press, Detroit 2020 (englisch).
    • Wir sind nur noch wenige: Erinnerungen eines hundertjährigen Ritchie Boys. Übersetzung Susanna Piontek. Aufbau Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-351-03943-1[10]

Literatur

  • Frederick A. Lubich, Marlen Eckl (Hrsg.): Von der Exilerfahrung zur Exilforschung. Würzburg 2022.
  • Stern, Guy, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2. München : Saur, 1983, S. 1124f.
  • Konrad Feilchenfeldt, Barbara Mahlmann-Bauer (Hrsg.): Autobiographische Zeugnisse der Verfolgung. Hommage für Guy Stern. Synchron, Wissenschaftlicher Verlag der Autoren, Heidelberg 2005, ISBN 3-935025-50-5.
  • Rolf Altmann u. a. (Hrsg.): Guy Stern und Hildesheim. Hildesheim 2022.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Joshua Franklin: Victim Soldiers. German-Jewish Refugees in the American Armed Forces during World War II. (Memento vom 30. September 2012 im Internet Archive), Seite 28 (S. 34 des PDF)
  2. Guy Stern: Rede vom 9. November 1998 anlässlich der Veranstaltung „Als die Synagogen brannten“
  3. Artikel Guy Stern auf www.ritchieboys.com
  4. Archivlink (Memento vom 26. Januar 2016 im Internet Archive)
  5. Werner Karg: Festschrift für Guy Stern. In: Einsichten und Perspektiven 01/2005 (Weblink)
  6. Dirk Schümer: Guy Stern zum 100.: Zeuge des Jahrhunderts, in Die Welt vom 14. Januar 2022
  7. https://www.hofstra.edu/alumni/aotm/december-2020-guy-stern.html, abgerufen am 24. Februar 2021.
  8. Stadt Hildesheim: Guy Stern, Biographie. Abgerufen am 10. April 2015
  9. Guy Stern erhält erstmals verliehenen Ovid-Preis, buchmarkt.de, 14. März 2017, abgerufen am 15. März 2017
  10. Dirk Schümer, „Zeuge des Jahrhunderts“, Die Welt, 14. Januar 2022

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Guy Stern received the National Order of the Legion of Honour, the highest French order of merit for military and civil merits.