Gustav Julius

Wilhelm Emil Gustav Julius (geboren am 8. Oktober 1810 in Berlin; gestorben am 18. Juli 1851 in London) war Schriftsteller, ein deutscher Journalist, Demokrat und Revolutionär 1848/49.

Leben

Gustav Julius war der Sohn des jüdischen Lederhändlers Barthold Julius und dessen Frau Friederike, geb. Sachs. Er hatte drei Schwestern: Johanna, Wilhelmine und Friederike Mathilde Pauline. Der Vater trat 1826, die Töchter 1833 bzw. 1829 zum evangelischen Glauben über. Gustav Julius wurde 1828 in der Nikolaikirche getauft.[1] Vom Herbst 1826 bis April 1829 besuchte er das Gymnasium zum Grauen Kloster. Von Ostern 1829 bis November 1832 studierte er Theologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Bei August Neander hörte er u. a. Kirchengeschichte. Einer seiner Kommilitonen war Karl Gutzkow.[2] Daneben besuchte er Vorlesungen bei Christian Ludwig Ideler, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Carl Ritter und Friedrich Schleiermacher.[3] Von 1834 bis 1837 war er Privatlehrer von vier Kindern des preußischen Obersten und Gutsbesitzers Wilhelm von Thümen. In den folgenden Jahren hielt er sich in Italien auf, um seine Gesundheit wiederherzustellen.

Seine erste Buchveröffentlichung war die Übersetzung Der afrikanische Sklavenhandel und seine Abhülfe, eine Arbeit, die seine politischen Überzeugungen prägte. In seiner Schrift „Ueber die Hebung des kirchlichen Lebens in der protestantischen Kirche“ kam er zu dem Schluss, dass der Glaube nur durch Freiheit und ohne Zwang erhalten werden kann.[4] Im April 1842 bat Heinrich Brockhaus Gustav Julius, die Leitung der Leipziger Allgemeinen Zeitung ab November 1842 zu übernehmen. In dieser Zeitung wurde Johann Jacoby verteidigt. Julius veröffentlichte unter anderem Korrespondenzen von Ludwig Buhl. Aus der Beobachtung der politischen Umstände zog er den Schluss: „Soviel ist sicher: Keine Regierung, die gegen die Presse regiert, kann Vertrauen erwecken“. Überdies veröffentlichte er den Brief von Georg Herwegh an den preußischen König.[5] Am 25. Dezember 1842 wurde die Zeitung für Preußen verboten. Karl Marx reagierte mit dem Artikel Das Verbot der L. A. Z. für den preußischen Staat in der Rheinischen Zeitung.[6] Der Vorschlag von Julius an Brockhaus, im Blatt noch entschiedener Opposition zu machen, lehnte Brockhaus ab. Julius kündigte darauf hin bei der Zeitung und verfasste im Februar 1843 seine Verteidigungsschrift. Der Verleger Otto Wigand unterstützte Julius durch die Vergabe von Übersetzungen von George Sand und Rousseau sowie durch die Veröffentlichung von zahlreichen Artikeln in Wigands Vierteljahresschrift.

Ignaz Kuranda, der Herausgeber der Zeitschrift Die Grenzboten, setzte Julius 1845 kurzzeitig als leitenden Redakteur der Zeitschrift ein.[7] Ein vielbeachteter Artikel Zur Bankfrage erschien Anfang 1846 in der offiziösen Allgemeinen Preußischen Zeitung.[8] Julius' Schriften über die preußische Seehandlungsgesellschaft und das Bankwesen erregten die Aufmerksamkeit des Leiters der preußischen Seehandlungsgesellschaft Christian von Rother, weil Julius darin die Wirtschaftspolitik der preußischen Regierung gegen die Kritik des liberalen Bürgertums verteidigte. So stieß Gustav Julius auf positives Interesse, eine neue Tageszeitung in Berlin zu gründen. Er erklärte im März 1846, er beabsichtige „kein Unterwühlen der bestehenden Verfassung“ und sei „weder konstitutionell, noch Republikaner, noch Sozialist, noch sonst was.“[9] Julius erhielt so eine Genehmigung zur Herausgabe der Berliner Zeitungs-Halle. Abendzeitung und von der Regierung für die Gründung der Zeitung 20.000 Taler als Darlehen. Verbunden mit dem Erscheinen der Zeitung wurden Leseräume im Oktober 1846 eröffnet. Die finanzielle Abhängigkeit von der Regierung war schon damals den Zeitgenossen bekannt.[10] Für die Zeitungs-Halle wurde auch in der überregionalen Presse (z. B. in der Augsburger Allgemeinen Zeitung) geworben.[11] Die Lokalität galt im Vormärz als „Hauptquartier der Wortführer aller oppositionellen Parteien in Berlin“ und war „nicht nur der Lese-, sondern auch der Sprech- und Diskutiersaal derselben“.[12]

Am 13. August 1847 veröffentlichte Julius Ludwik Mierosławskis Rede gehalten vor dem Criminal-Senat des Kammergerichts zu Berlin in der Zeitungs-Halle.[13] Ein Höhepunkt, der zu freierer Berichterstattung Anlass gab, war der Polenprozess gegen 254 Angeklagte. Für Julius war Polen nicht verloren. Er verteidigte vielmehr die Grundrechte der Angeklagten und das Recht der Polen auf einen eigenen Staat.[14]

Am 1. März 1848 unterrichtete die Zeitungs-Halle ihre Leser von der Februarrevolution in Paris und über die Forderungen des Volkes nach Redefreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Petitionen und Koalitionsfreiheit. Von nun an wurde täglich über den Fortgang der revolutionären Ereignisse in Deutschland berichtet. Zu den Autoren der Zeitung zählten u. a. Karl Ludwig Bernays,[15] Georg Jung,[16] Theodor Fontane,[17] Hermann Maron. Julius war maßgeblich an der Versammlung In den Zelten vom 7. März 1848 beteiligt, die eine Petition an den König vorbereitete. Am 18. März, als das Feuer auf die unbewaffnete Menschenmenge auf dem Berliner Schlossplatz eröffnet wurde, war Julius anwesend. Auch vor dem Haus der Zeitungs-Halle (Oberwallstraße 12/13) wurde eine Barrikade errichtet. Das Militär erschoss zwei Angestellte und eine Magd, die aus dem Fenster geschaut hatte.

Julius selbst war nicht aktiv oder bewaffnet tätig.[18] Am 22. März schrieb er in der Berliner Zeitungs-Halle, das preußische Soldatentum müsse „ausgerottet, ganz vertilgt“ werden; „jeder volljährige Mann“ solle „Wähler und wählbar“ sein und ein „Ministerium für die Untersuchung und Regelung der Arbeitsverhältnisse“ sei zu gründen.[19] Ab dem 24. März 1848 wurde dem Titel der Zeitung das Motto „Alles für das Volk – Alles durch das Volk“ hinzugefügt. Am 6. April veröffentlichte die Zeitungs-Halle die „17 Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland“ des Bundes der Kommunisten. Am 4. Juni 1848 demonstrierte Julius mit zehntausenden Berlinern auf dem Schloßplatz, wo die Opfer vom 18. März aufgebahrt waren. Er trug eine Fahne mit der Aufschrift Freie Presse.[20] Die Ernennung des Generals von Wrangel zum Oberbefehlshaber der Truppen, die Ernennung des Generals von Pfuel bezeichnete Julius als „Projekt eines blutigen Staatsstreiches“. Daraufhin sollte Julius verhaftet werden wegen Majestätsbeleidigung und Erregung von Missvergnügen.[21] Julius war seitdem auf der Flucht.[22] Um den 27. April 1849 schrieb er aus Köthen an Karl Marx.[23] Sie hatten sich bei Marx' Berlinbesuch im August 1848 persönlich kennen gelernt.

Im Mai 1849 floh Julius nach London. Dort versuchte er, durch Zeitungskorrespondenzen seinen Lebensunterhalt zu sichern. Gemeinsam mit Marx besuchte er die reichhaltige Bibliothek im Britischen Museum. Am 1. März 1850 wurde er in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis und zum Verlust der Nationalkokarde verurteilt.[24] Am 18. Juli 1851 starb er an einem chronischen Halsleiden.[25] Am 24. Juli wurde Gustav Julius auf dem Friedhof der deutsch-protestantischen Kirche Savoy in London beigesetzt. Gottfried Kinkel, Julius Faucher und Isidor Gerstenberg[26] sprachen an seinem Grab; auch Ferdinand Freiligrath[27] und Karl Marx waren anwesend.[28]

Veröffentlichungen

Selbständige Veröffentlichungen

Wigands Vierteljahresschrift

Die Grenzboten

Berliner Zeitungs-Halle

Übersetzungen

  • Thomas Fowell Buxton: Der afrikanische Sklavenhandel und seine Abhülfe. Aus dem Englischen übersetzt von G. Julius. Mit einer Vorrede: Die Nigerexpedition und ihre Bestimmung von Carl Ritter. F. A. Brockhaus, Leipzig 1841. Digitalisat
  • George Sand. Consuelo. Deutsch von G. Julius. Otto Wigand, Leipzig
  • Jean-Jacques Rousseau: Die neue Heloise. Deutsch von G. Julius. Wigand 1843; 2. Aufl. 1859 Digitalisat; 3. Aufl. 1877.
  • Über den liturgischen Gebrauch der lateinischen Sprache in der Römisch-Katholischen Kirche mit besonderer Beziehung auf Ungarn. Aus dem Lateinischen übersetzt mit Anmerkungen von G. Julius. Otto Wigand, Leipzig 1845.

Literatur

  • Heinz Warnecke: Gustav Julius (1810–1851). Streiter für eine „Freie Presse“. In: Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen der Revolution von 1848/49. Fides, Berlin 2003. ISBN 3-931363-11-2, S. 295–360.
  • Heinz Warnecke: Gustav Julius (1810–1851) – Biographisches über einen Mann, dem Marx im Juli 1851 in London, die letzte Ehre erwies. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2000. Argument Verlag, Hamburg 2000. ISBN 3-88619-686-0, S. 217–230.
  • Adolf Wolff: Berliner Revolutions-Chronik, Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen. 3 Bände. Gustav Hempel, Berlin 1851–1854.
  • Robert Prutz: Gustav Julius. Ein Beitrag zur Charakteristik unserer Zeit. In: Deutsches Museum. Juli – Dezember 1851, Leipzig 1851, S. 513–529. MDZ Readerhttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A10614703~SZ%3D529~doppelseitig%3D~LT%3DMDZ%20Reader~PUR%3D
  • Oliver Michalski: Zur Geschichte der kleinbürgerlich-demokratischen Zeitung „Berliner Zeitungs-Halle“ im Vormärz und Revolution. In: Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus. Leipzig 16. Jg., 1988, Nr. 5. ISSN 0323-3294
  • Neuer Nekrolog der Deutschen. 29. Jg. 1851. Weimar 1853, S. 1249.

Einzelnachweise

  1. Heinz Warnecke (2003), S. 296 f. und 348 f.
  2. Karl Gutzow: Berliner Erinnerungen und Erlebnisse. Hrsg. von Paul Friedländer. Das Neue Berlin, Berlin 1960.
  3. Heinz Warnecke (2003), S. 297.
  4. Heinz Warnecke (2003), S. 148.
  5. „Herwegh behauptet, Prutz habe den Brief in der ‚Leipziger Allgemeinen Zeitung‘ veröffentlicht. […] Brockhaus […] mußte sich bequemen, den Hauptredakteur Julius zu entlassen.“ Konfidentenbericht von Hermann Friedrich Georg Ebner vom 2. Januar 1843, in: Hans Adler (Hrsg.): Literarische Geheimberichte. Protokolle der Metternich-Agenten. Band I. 1840–1843. C. W. Leske, Köln 1977, S. 190 f., ISBN 3-434-00297-9.
  6. Marx-Engels-Gesamtausgabe, Abteilung I, Band 1, Dietz Verlag, Berlin 1975, S. 291–293.
  7. „Als Kaufmann im J. 1845 aus dem Redactionsverbande ausschied, wurde er durch Dr. Gustav Julius († 1852 als Flüchtling in London) ersetzt. Auf ausdrücklichen Wunsch Kuranda’s aber wurde als sein officieller Vertreter bei den ‚Grenzboten‘ Dr. Hermann Jellinek (1848 erschossen in Wien) bezeichnet“. „‚Ich ziehe es vor‘,“ heißt es in einem Schreiben an Grunow, „‚daß man glaube, der unbedeutende Jellinek sei mein Factotum, als daß der radikale Julius dafür gelte. – Der Ruf der ‚Grenzboten‘ darf kein radikaler sein‘.“ Zit. nach O. Doublier.: Kuranda, Ignaz. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 51, Duncker & Humblot, Leipzig 1906, S. 445–450.
  8. Gustav Julius: Zur Bankfrage. In: Allgemeine Preußische Zeitung Nr. 32, 2. Februar 1846, S. 152–154 (Web-Ressource).
  9. Zitiert nach Heinz Warnecke (2003), S. 308 und Robert Prutz, S. 521.
  10. „Daß der Julius im preußischen Solde steht und für Rother schreibt, stand schon in deutschen Zeitungen angedeutet.“ Friedrich Engels an Karl Marx am 18. September 1846. In: Marx-Engels-Werke, Band 27, S. 48.
  11. Allgemeine Zeitung. Augsburg Nr. 189 Beilage vom 8. Juli 1847, S. 1512.
  12. Ludwig Pietsch: Aus dem vormärzlichen Berlin. In: Berliner Pflaster. Illustrirte Schilderungen aus dem Berliner Leben. Hrsg. v. Moritz von Reymond und Ludwig Manzel, W. Pauli, Berlin 1891, S. 307 (zlb.de).
  13. v. Mieroslawski's Rede gehalten vor dem Criminal-Senat des Kammergerichts zu Berlin am 5ten August 1847. Aus dem Französischen. (Berliner Zeitungs-Halle vom 13. August 1847. Jacob Sohn, Posen 1847.)http://vorlage_digitalisat.test/1%3D~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A10395274~SZ%3D2~doppelseitig%3D~LT%3D%27%27v.%20Mieroslawski%27s%20Rede%20gehalten%20vor%20dem%20Criminal-Senat%20des%20Kammergerichts%20zu%20Berlin%20am%205ten%20August%201847%27%27.%20Aus%20dem%20Franz%C3%B6sischen.%20%28Berliner%20Zeitungs-Halle%20vom%2013.%20August%201847.%20Jacob%20Sohn%2C%20Posen%201847.%29~PUR%3D
  14. Der Polenprozeß und Heinz Warnecke (2003), S. 314 f.
  15. Bernays an Marx. Nach dem 20. Mai 1847, in: Marx-Engels-Gesamtausgabe, Abteilung III. Band 1, Dietz Verlag, Berlin 1975, S. 338.
  16. Heinz Warnecke (2003), S. 333.
  17. Roland Berbig: Theodor Fontane im literarischen Leben. Zeitungen und Zeitschriften, Verlage und Vereine. de Gruyter, Berlin 2000. ISBN 3-11-016293-8, S. 20 ff.
  18. Heinz Warnecke (2003), S. 327 ff.
  19. Heinz Warnecke (2003), S. 331.
  20. Robert Prutz, S. 527.
  21. Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin Steckbriefe vom 17. August 1848, 21. Dezember 1848, 12. Januar 1849 und 26. Januar 1949.
  22. Neue Passauer Zeitung. Nr. 23 vom 23. Januar 1849, S. 91.
  23. Marx-Engels-Gesamtausgabe, Abteilung III, Band 4, Dietz Verlag, Berlin 1981, S. 349.
  24. Hitzig's Annalen des Kriminalrechts. Neue Folge. Hrsg. von Hermann Theodor Schletter. 20. Band, Leipzig 1850, S. 296.
  25. Heinz Warnecke (2003), S. 346.
  26. Neuer Nekrolog der Deutschen.
  27. Ferdinand Freiligrath an Isidor Gerstenberg 24. Juli 1851: „Ich wollte, Sie hätten es über Julius’ Schwestern vermocht, dem Begräbnis nicht beizuwohnen. Es war zu erschütternd für sie. Schnitt ihr Weinen doch selbst mir u. anderen harten Herzen wie ein Messer durch die Seelen. Dieses hündische Sterben!“ Zi. nach J. A. Stargardt. Katalog 703, 2016 Nr. 86.
  28. „Julius ist vor einer Woche ungefähr begraben worden. Ich war bei der Bestattung zugegen. Der edle Kinkel hielt einen Seich über das Grab. Julius war der einzige in der Emigration, der studierte und mehr und mehr vom Idealismus auf unser Gebiet herübertrat.“ Karl Marx an Friedrich Engels 31. Juli 1851, in: Marx-Engels-Werke, Band 27, S. 293.
  29. Rezension zu Die heilige Familie von Engels und Marx.
  30. Erscheinungsverlauf: Probenummer September 1846, 1. Oktober 1846 bis 17. März 1849.