Gustav Gerst

Gustav Gerst (* 1871 in Bamberg; † 1948 in New York) war ein deutscher Einzelhandels-Kaufmann und Warenhaus-Unternehmer.

Leben

Gustav Gerst war verheiratet mit Ella Tietz, einer Tochter von Markus Tietz (1849–1901) und Julie Tietz geb. Baumann (1853–1930). Der ältere Bruder ihres Vaters Markus war Hermann Tietz, der Finanzier der damals entstandenen vier untereinander verwandten Tietz-Unternehmen. Die Eheleute Markus und Julie Tietz hatten mehrere Kinder:

  • Antonie (* 14. August 1877; † n. n.) heiratete Martin Ephraim, deren Sohn war Max Rudolf Ephraim (* 15. Juni 1902 in Frankfurt am Main; † 28. Februar 1995 in Philadelphia, PA., USA)
  • Arthur Tietz (* 15. Januar 1879; † n. n.)
  • Ella Tietz (* 6. Januar 1881; † November 1974 New York) verh. Gerst
  • Johanna Tietz (* 24. November 1884; † n. n.)
1910 errichtetes Warenhaus H. & C. Tietz in Bamberg
(links) Kaufhaus Tietz, Zeil 116–122

1886 zog Gersts späterer Schwiegervater Markus Tietz im alter von 37 Jahren mit seiner Ehefrau Julie von Prenzlau nach Bamberg und verlegte dorthin auch den Firmensitz des Warenhaus-Unternehmens H. & C. Tietz. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm 1901 Julie Tietz die Geschäftsführung des Bamberger Unternehmens. 1910 ließ sie vom Bamberger Architekten Johannes Kronfuß auf dem Grundstück Grüner Markt 23–27 einen großen Warenhaus-Neubau errichten. Ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs übergab 1919 Julie Tietz die Unternehmensleitung an ihren zweiten Schwiegersohn Gustav Gerst.

1919 zogen Gustav und Ella Gerst geborene Tietz (1881–1974) als Gesellschafter des Unternehmens H. & C. Tietz samt Schwiegermutter Julie nach Frankfurt am Main. Gustav Gerst leitete die dortige Filiale und das gesamte Unternehmen. Seinen Wohnsitz nahm das Ehepaar Gerst in der Villa Niederräder Landstraße 10.

Schnell integrierte sich das vermögende Ehepaar Gerst in das wohlhabende Frankfurter Bürgertum. So erwarb Gerst Gemälde und hatte bald eine nicht unbedeutende Sammlung, u. a. mit Werken von

Goetheturm im Frankfurter Stadtwald
Stiftungsschild am Goetheturm

Nach entsprechenden Spenden bekam Gustav Gerst die Ehrenbürgerwürde der jungen Frankfurter Universität verliehen. Zunächst anonym, aber nachhaltig war 1931 seine Spende von 28.000 Reichsmark (heutiger Wert ca. 350.000 Euro) an den Frankfurter Oberforstmeister Hans Bernhard Jacobi für die Errichtung des Frankfurter Goetheturms. Er knüpfte allerdings, entsprechend dem damaligen politischen Zeitgeist, zwei Bedingungen an seine Spende: Erstens wollte er niemals genannt werden und zweitens sollte man dafür sorgen, dass der neue Goetheturm 200 Jahre hält. Am 23. November 1931 wurde der neue Goetheturm mit einer äußerst schlichten Feier eingeweiht.[1][2] Erst nach seinem Tod in der Emigration in den USA 1948 wurde diese Spende öffentlich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg benannte die Stadt Frankfurt am Main ihm zu Ehren einen Weg im Frankfurter Stadtwald, zwischen Mörfelder Landstraße und Niederräder Landstraße nahe der früheren Villa Gerst, in Gerstweg um.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 wurden Gerst und seine Familie Opfer der Judenverfolgung im Dritten Reich. Der Judenboykott am 1. April 1933 traf in Frankfurt auch das Kaufhaus Tietz. 1934 entzogen die Nationalsozialisten dem Kaufhaus vorübergehend die Betriebserlaubnis, um das Unternehmen zu ruinieren; Gerst erlitt dadurch schwere Vermögensverluste, da er die eingekauften Waren und die Gehälter der fast 1000 Angestellten weiterbezahlen musste.[3] Im Oktober 1935 verlor er nach staatlicher Drohung und Verfolgung seine Position und seine Anteile am Warenhaus-Unternehmen H. & C. Tietz. Die Villa Gerst in Sachsenhausen wurde beschlagnahmt. Seine Kunstsammlung gab er dem Frankfurter Kunsthändler Julius Hahn zum Verkauf.

Das Ehepaar Gerst konnte erst nach Göteborg ausreisen, wo es den Zweiten Weltkrieg überlebte. Die geplante Weiterreise in die USA gelang erst nach Kriegsende, da das Ehepaar nach dem Verlust seines Vermögens und der erzwungenen Zahlung der Reichsfluchtsteuer mittellos war.[4] Im Zuge der Arisierung sämtlicher Warenhäuser der Familie Tietz wurde auch die Bamberger Filiale, die dort vielen Einzelhändlern ein Dorn im Auge war, 1939 gänzlich liquidiert. Nach einem Rückerstattungsverfahren wurde das Bamberger Gebäude als Hertie-Kaufhaus 1951 wieder eröffnet. Das Haus wurde 1994 vom Karstadt-Konzern übernommen und in Karstadt umbenannt.

In die Villa Gerst zog 1935 die NS-Gauleiterschule „Jakob-Sprenger-Schule“ ein, die sich zuvor 1933 in der Villa Manskopf eingerichtet hatte.[5][6]

Bereits kurz nach der Flucht der Eheleute Gerst nach Schweden bezog in der Villa Gerst der Direktor des Musischen Gymnasiums in Frankfurt am Main, Kurt Thomas, eine für ihn beschlagnahmte Dienstwohnung.

Die Geschäftsanteile von Gustav Gerst wurden letztlich von Georg Karg, einem vormaligen leitenden Angestellten der Tietz-Gruppe, übernommen und in die Hertie Kaufhaus-Beteiligungs-GmbH überführt. Alle Anteile mussten unter Wert an diese Gesellschaft verkauft werden, deren Alleineigentümer Georg Karg war. Nach dem zunächst sehr erfolgreichen Neustart nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Hertie-Konzern später an die Karstadt-Quelle-Gruppe verkauft, die 2013 an die österreichische Signa Holding ging.

Schon 1946 stellte Gerst einen Rückforderungsantrag bezüglich seiner Gemäldesammlung an die Alliierten, die diesen aber nach Befragung des überlebenden damaligen Kunsthändlers Julius Hahn ablehnten. Nach Angaben des Rechtsanwalts, der seine Ansprüche vertrat, betrug Gersts Vermögen im Jahr 1933 18.185.000 Reichsmark. Gustav Gerst verstarb 1948 in den USA. Ob es weitere Versuche der Rückforderung gab, ist unklar. Über die Gemälde sind nur wenige Informationen überliefert, so dass eine Zuordnung schwer ist. Lediglich das Liebermann-Gemälde „Korso auf dem Monte Pincio“ (1912) tauchte vermutlich 1992 noch einmal bei einer Auktion im Kunstsalon Franke in Köln auf (ohne Provenienz-Angabe). Danach verliert sich die Spur.[7][8][9]

Auch die nach dem Krieg gestellten Rückerstattungsansprüche der Eheleute Gerst, insbesondere an die Hertie GmbH, waren nur teilweise erfolgreich. Da Gersts Biographie und seine Wiedergutmachungsforderungen schlecht dokumentiert sind, rief die Stadt Frankfurt im Februar 2021 zu einer „Spurensuche“ auf.[10] Das Projekt wird von der Hertie-Stiftung und der Karg-Stiftung unterstützt, die damit ihre eigene Geschichte aufbereiten wollen, da sie einen Teil ihres Vermögens der Arisierung in der NS-Zeit verdanken.[3]

Stolperstein
(c) Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main, Lizenz: CC-BY-SA 4.0 DE
Stolperstein

Am 6. Dezember 2021 verlegte Gunter Demnig vor der Villa Gerst Stolpersteine für Gustav und Ella Gerst.[11]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gustav Gersts Spende für eine Wiedererrichtung des Goetheturms im Frankfurter Stadtwald (PDF-Datei)
  2. Gemäldesammlung Gustav Gerst
  3. a b Hans Riebsamen: Die Stadt verdankt ihm den Goethe-Turm, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. Februar 2021, S. 31
  4. Thomas Stillbauer: Turmvater Gerst. In: fr.de. 24. Februar 2021, abgerufen am 25. Februar 2021.
  5. Villa Manskopf (Memento vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive)
  6. Ansichtskarte der ehemaligen Villa Gustav Gerst in Frankfurt, Niederräder Str. 10, der später beschlagnahmten NS-Gauleiterschule „Jakob-Sprenger-Schule“ (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
  7. Gemäldesammlung der Eheleute Gustav Gerst und Ella Tietz in Frankfurt am Main
  8. Monica Kingreens Vortrag vom 1. Juni 2000: Wie sich Museen Kunst aus jüdischem Besitz aneigneten
  9. Der Frankfurter Kunsthändler Julius Hahn führte ab 1941 die Geschäfte des verhafteten Frankfurter Kunsthändlers Wilhelm Ettle fort.
  10. Aufruf zur Spurensuche auf der Website der Stadt Frankfurt am Main, abgerufen am 25. Februar 2021
  11. Frankfurt: Gedenken an Goetheturm-Stifter Gerst. 6. Dezember 2021, abgerufen am 8. Dezember 2021.

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Blick ostwärts zum Goetheturm
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Schild am Goetheturm Frankfurter Stadtwald, zunächst anonymer Stifter Gustav Gerst, Warenhaus H.& C. Tietz Frankfurt am Main, Niederräder Landstraße 10; 1937 entrechtet und in die USA emigriert
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Bamberg, Grüner Markt 23-27, Gebäude des Architekten Johannes Kronfuß (1872-1944), erbaut 1910 als Warenhaus H. & C. Tietz. Ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs übergabe 1919 die Witwe Julie Tietz (1853–1930) die Unternehmensleitung an ihren zweiten Schwiegersohn Gustav Gerst (1871-1948). Später zog das Ehepaar Gustav und Ella Gerst geborne Tietz (1881-1974) als Gesellschafter der H. & C. Tietz samt Schwiegermutter Julie nach Frankfurt am Main und leitete die dortige Filiale. Das Ehepaar Gerst konnten 1937 über Schweden in die USA fliehen. Im Zuge der „Arisierung“ sämtlicher Warenhäuser der Familie Tietz wurde die Bamberger Filiale, die vielen Einzelhändlern ein Dorn im Auge war, 1939 gänzlich liquidiert. Nach einem Rückerstattungsverfahren wurde das Bamberger Gebäude als Hertie-Kaufhaus 1951 wieder eröffnet. Das Haus wurde 1994 vom Karstadt-Konzern übernommen und in Karstadt umbenannt.
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Stolperst niederraeder landstr 36 gerst gustav
(links) Kaufhaus Tietz, Zeil 116-122, Frankfurt am Main.jpg
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Frankfurt am Main, Blick von der Hauptwache auf das seit Juli 1929 eröffnete Kaufhaus Tietz, Zeil 116-122 (Foto links). Der Erweiterungsbau einschließlich der Fassadenneugestaltung konzipierte Georg Falck (1878-1947), der Hausarchitekt der Familie Tietz. Vorher war dies das Kaufhaus Lindemann, ein Teil der Kaufhauskette der Aktiengesellschaft Lindemann & Co. der Charlottenburger Kaufleute Hermann Ploschitzki (N.N.-1932) und Leopold Lindemann. Durch Fusionsverträge zwischen der Berliner Lindemann & Co. AG und der Hamburger Rudolf Karstadt AG entstand für Frankfurt dann das Kaufhaus Tietz. Im Zuge der sogenannten Arisierung wurde die Familie Tietz, bzw. die Familie Gerst zum Verkauf an die Kaufhof AG gezwungen. Die Familie Gerst konnte noch in die USA emigrieren. Hermann Ploschitzki starb 1932. Seine Frau Hansi Ploschitzki (1887/1888-1981) erbte das Millionenvermögen einschließlich seiner großen Kunstsammlung. Das Erbe wurde von der Gestapo vor ihrer Emigration nach Hollywood beschlagnahmt, die Kunstsammlung verschleudert. Ehefrau Hansi heiratete in den USA noch einmal und baute unter dem Namen Hansi Share eine Puppenmanufaktur auf. Erst 1965, 17 Jahre nach der Antragstellung, wurde Share eine knappe Million DM zum Ausgleich für ihr geraubtes Vermögen erstattet. Eine Rückgabe der wertvollen Kunstsammlung ihres Mannes fand nicht statt. Auf der rechten Seite des Fotos sieht man im Anriss ein neobarockes Geschäftshaus. In unmittelbarer Nähe der Katharinenkirche ließen sich 1905 vom Frankfurter Architekten Julius Lönholdt die 1886 von Robert und Jakob Robinsohn auf der Zeil 67-69 gegründetes Modehaus Gebrüder Robinsohn eine neues mehrstockiges Geschäftshaus im neobarocken Stil erbauen. An der Dachfassade des neuen abgelichteten Gebäudes Zeil 127 kann man noch den Schriftzug Gebrüder Robinsohn erkennen. Angrenzend ließen 1909 die selben Eigentümer nach Abbruch des Vorgängerbaues der Vorbesitzer Cohn & Kreh auf dem Eckgrundstück Zeil 123 - Liebfrauenstraße das mehrstockige Büro- und Geschäftshaus Zeilpalast vom Architekten Josef Rindsfüßer (1864-1927) erbauen. Die Familie Robinsohn übersiedelte erst 1892 aus Posen nach Hamburg. Die Gebrüder Max und Leo Robinsohn gründeten dort erfolgreich ein erstes Modehaus Gebrüder Robinsohn am Neuen Wall 25-31 in Hamburg. Diese erfolgreiche Geschäftsidee wurde von weiteren Familienmitgliedern in ganzen Kaiserreich, so auch in Frankfurt am Main, verbreitet. Durch den Ersten Weltkrieg, der Weltwirtschaftskrise und der Inflation mußten u.a. das Frankfurter Modehaus Gebrüder Robinsohn bereits zwanzig Jahre schließen. Die beiden Häuser wurden 1927 von der Nasauischen Landesbank aufgekauft und entgingen so der späteren Arisierung während der Nazi-Herrschaft. Gleichwohl wurden in dieser Zeit die über 70-jährige Auguste Robinsohn, Ehefrau von Leon Robinsohn, ihres Vermögens, wie z.B. ihres Mehrfamilienhauses in der Arndtstraße 46, beraubt und 1942 in KZ Treblinka ermordet. 1944 wurden beide Häuse durch Fliegerbomben stark beschädigt. Durch das Gelände des ehemaligen Zeilpalastes wurde ca. 40 Jahre nach Errichtung mit dem sogenannten HAKO-Bau neu errichtet, in dem u.a. mehrere Kinosäle, die sogenannten E-Kinos, eingebaut wurden. Ende des Jahrhunderts erfolgte eine weitere Kernsanierung mit erneuerter Fassadenänderung. Auf dem Foto von kann man auch noch die Umrisse des ehemaligen großen Seidengeschäftes der Gebrüder Hoff erkennen, die sich hier 1998 am sogenannten Liebfraueneck ein neues Geschäftshaus vom Schweizer Architekten Hermann Ritter erbauen ließen. Dieses Geschäft wurde 20 Jahre später als Filiale an die Gelsenkirchner Carsch & Co. verkauft. Inhaber Paul Carach ließ wiederum auch die Fassade seiner Frankfurter Fassade durch den Frankfurter Architekten Willy Cahn verändern. Auch Paul Carsch wurde während der Arisierung seines Besitzes beraubt und starb verarmt 1952 in den USA. Durch die Arisierung wurde Erich Heinemann mit seiner Firma Ott & Heinemann neuer Eigentümer. Er ließ sich nach Kriegzerstörung 1956 vom Architekten Ernst Balser (1893-1964) in Geschäftshaus in Stil der klassischen Moderne erbauen, wobei er den ursprünglichen, noch unzerstörten Baukern mit einer Stahlbaukonstruktion ummantelte undd ihn mit einer Fassade aus Aluminium und flaschengrünem Glas versah. Ott & Heinemann wuden dann später zur Filiale der Kölner Dyckhoff-Gruppe, die dann 1995 insolvent wurde. Der britsche Einzelhändler Marks & Spencer wollte Europa erobern, kauft und investierte hier in einen Neubau seiner Frankfurter Filiale, zog sich aber bereits im Jahr 200 wieder zurück. Seit 2010 betreibt hier die Einzelhandelskette Esprit auf der Zeil 121 ihr weltgrößtes Ladengeschäft als sogenanntes Flagship Store.