Gruppenantrieb

Als Gruppenantrieb wird bei Schienenfahrzeugen der Antrieb mehrerer in Drehrichtung mechanisch oder elektrisch gekoppelter Radsätze durch einen einzelnen größeren Fahrmotor oder durch mehrere Fahrmotoren bezeichnet.[1] Der Begriff ist als Gegensatz zum Einzelachsantrieb zu verstehen, bei dem die angetriebenen Radsätze untereinander nicht gekoppelt sind und die Antriebsmotoren einzelnen Radsätzen zugeordnet sind. Bei Lokomotiven mit Drehstromantriebstechnik wird der Begriff verwendet, wenn mehrere Einzelachs-Fahrmotoren vom gleichen Wechselrichter des Traktionsstromrichters mit Energie versorgt werden.

Eigenschaften

Beim klassischen Gruppenantrieb mit mechanischer Kopplung der Radsätze kann die Verringerung der Anzahl der Fahrmotoren inklusive Zusatzgeräten Einsparungen an Anschaffungs- und Instandhaltungskosten ermöglichen.[1] Vielfach wurden aber auch bei Gruppenantrieben mehrere Fahrmotoren verwendet[2] oder der einzelne große Fahrmotor als Doppel- oder Tandemmotor mit zwei Anker auf der gleichen Motorwelle ausgeführt.[3]

Besonderer Vorteil ist, dass die Radsätze einer Gruppe durch das dem Fahrmotor folgende Zahnrad- oder Stangengetriebe ohne zusätzliche Maßnahmen gekuppelt sind, wodurch Schleudern einzelner Treibradsätze in der Gruppe vermieden wird. Eine ähnliche starke Kopplung zwischen den Radsätzen ergibt sich bei Einzelachsantrieben in Drehstromtechnik, wenn diese vom selben Wechselrichter versorgt werden, sodass Gruppenantriebe mit mechanischer Kopplung der Radsätzen ab den 1980er Jahren kaum mehr gebaut wurden.[1] Höhere Rechenleistungen in den Antriebssteuerungen und kompaktere kostengünstigere Leistungselektronik der Traktionsstromrichter führten dazu, dass bei Hochleistungslokomotiven diese Bauform kaum noch angewandt wird.

Weiter können bei einem Gruppenantrieb Motoren mit größerem Durchmesser gebaut werden, was bei Gleichstrommotoren wegen des größeren Kollektors auch größere Klemmenspannungen erlaubt.

Bei Gruppenantrieben müssen die Durchmesser der Radsätze in engen Toleranzen gehalten werden, um mechanische Verspannungen zu vermeiden.[4]

Anwendung

Gruppenantriebe waren insbesondere bei Dampflokomotiven die am weitest verbreitete Antriebsform. Auch bei dieselhydraulischen und dieselmechanischen Triebfahrzeugen sind Gruppenantriebe die Regel.[5] In der Vergangenheit wurden, insbesondere in Deutschland und in Frankreich, auch Elektrolokomotiven mit Gruppenantrieb gebaut. Bei heutigen Triebfahrzeugen, insbesondere mit elektrischen Antrieb, dominieren hingegen Einzelantriebe.

Ausführungsvarianten

Die Gruppenantriebe werden nach dem zwischen dem Fahrmotor und den Treibradsätzen verwendeten Zahnrad- (Stirnrad- oder Kegelrad-) oder Stangengetriebe unterteilt. Sie sie werden als Antrieb mit Kupplung[6] der Radsätze durch ein Stirnrad- oder ein Kegelradgetriebe oder als kuppelnder Stangenantrieb bezeichnet.[1]

  • Antrieb mit Kupplung der Radsätze durch Kuppelstangen
  • Antrieb mit Kupplung der Radsätze durch Stirnradgetriebe
  • Antrieb mit Kupplung der Radsätze durch Kegelradgetriebe

Es gab auch Mischformen. So wurden beispielsweise die beiden inneren Treibradsätze der DB-Baureihe 715 durch je eine Kardanwelle und ein Kegelradgetriebe angetrieben. An diese war je ein äußerer Radsatz mittels Stangen angekuppelt. Bei der ÖBB 2095 war die Reihenfolge umgekehrt: Die äußeren Radsätze wurden mittels Kardanwelle und Kegelradgetriebe angetrieben, und an diese waren die inneren Radsätze mit Stangen angekuppelt.

Antrieb mit Kupplung der Radsätze durch Kuppelstangen

Bei Dampflokomotiven wurden in der Regel Stangenantriebe ohne Blindwelle ausgeführt. Ebenfalls ohne Vorgelege- bzw. Blindwelle wurden einige Elektrolokomotiven und Diesellokomotiven ausgeführt, bei denen ein Teil der Treibradsätze durch Einzelachsantriebe angetrieben sind und die restlichen Radsätze als Kuppelradsätze über Stangen mit den Ersteren verbunden sind. Diese Anordnung wurde bei Lokomotiven gewählt, die aus Gewichtsgründen nicht jeden Radsatz mit einem Einzelachsantrieb antreiben konnten oder das Schleudern einzelner Radsätze bei hohen Zugkräften verhindert werden sollte. Ein Beispiel für eine solche Anordnung waren die Lokomotiven der BBÖ Reihen 1080 und 1180[7] oder die Zweikraft-Rangierlokomotive Eem 6/6 der SBB. Diese zweiteilige Lokomotive besaß vier Tatzlagerantriebe, die auf die äußeren Radsätze arbeiteten, die Radsätze 4 und 5 wurden nur über Kuppelstangen angetrieben.

Die Mehrheit der Elektrolokomotiven und Diesellokomotiven mit Stangenantrieb wurden jedoch mit Vorgelege- und/oder Blindwelle ausgeführt. Hierbei treibt entweder ein hoch gelagerter, langsam laufender Fahrmotor eine Blindwelle oder ein tief sitzender, schnell laufender Fahrmotor treibt über ein Übersetzungsgetriebe eine Vorgelegewelle an. Die Kurbel an der Blind- bzw. Vorgelegewelle treibt über Kuppelstangen[8] die Treibradsätze an. Die Fahrmotoren sind im Rahmen gefedert gelagert, wodurch es sich um sogenannte Gestellmotoren handelt.[7]

Die Kupplung der Radsätze durch Kuppelstangen wird heute nicht mehr neu angewandt.

Antrieb mit Kupplung der Radsätze durch Stirnradgetriebe

Bei der VR-Baureihe Hr13 werden Rad­sätze eines Dreh­gestells je von einem Fahr­motor über ein gemeinsames Stirn­rad­getriebe angetrieben

Bei einem quer zur Fahrtrichtung liegenden Fahrmotoren werden in der Regel Stirnradgetriebe zur Kupplung der Treibradsätze eingesetzt. Dabei sind die Zahnräder in einem Getriebegehäuse gelagert, welches je anzutreibenden Radsatz ein Großrad aufweist. Das Großrad ist über eine Kupplung mit Treibradsatz verbunden, um die Relativbewegungen zwischen den im Rahmen gelagerten Getriebe und dem Radsatz auszugleichen.[1]

Diese Bauart von Antrieb wurde ab Ende der 1950er Jahre bis Ende der 1980er Jahre in Frankreich in den bogie monomoteur ‚Einmotordrehgestellen‘ verwendet.[9] Der Vorteil war die kleinere Massen-Trägheitsmoment um die Hochachse (Gierachse) des Drehgestells weil der schwere Fahrmotor mittig im Drehgestell angeordnet werden kann und der Radstand im Drehgestell kürzer wird. Das Schleudern einzelner Treibradsätze wird unterbunden,[10] anderseits müssen die Raddurchmesser zwischen den einzelnen Triebradsätzen in engen Grenzen liegen, wenn es nicht zu mechanischen Verspannungen im Getriebe kommen soll.[4]

In Frankreich wurde die Stirnradgetriebe eines solchen Gruppenantriebes von Hand umschaltbar gemacht, sodass Universallokomotive entstanden, die sowohl im Güterzugdienst wie auch vor Schnellzügen eingesetzt werden konnten. Für Güterzüge wurde die Übersetzung mit tiefer Maximalgeschwindigkeit und hohen Zugkräften gewählt, für die Reisezüge diejenige mit hoher Maximalgeschwindigkeit und kleineren Zugkräften.[9][10][11][12]

Antrieb mit Kupplung der Radsätze durch Kegelradgetriebe

Dreh­gestell einer ČSD-Baureihe T 444.0, deren Rad­sätze über achs­reitende Getriebe und Gelenk­wellen angetrieben werden

Bei einem längs zur Fahrtrichtung liegenden Fahrmotor wird jeder Treibradsatz durch ein Kegelradgetriebe (Radsatzgetriebe) angetrieben. Diese dienen zur Umlenkung des Kraftflusses um 90 Grad. Das Kegelradgetriebe ist entweder fest im Rahmen gelagert oder als achsreitendes Getriebe ausgeführt. Im ersten Fall muss eine Kupplung zwischen Getriebe und Radsatz die Relativbewegungen ausgleichen. Im zweiten Fall werden die Relativbewegungen durch GelenkwellenKardanwellen«) zwischen dem Getriebe ausgeglichen.

Kegelradantriebe in Kombination mit Gelenkwellen werden insbesondere bei dieselmechanischen und dieselhydraulischen Antrieben verwendet. Hierbei wird Drehmoment vom mechanischen und/oder hydraulischen Getriebe kommend über Gelenkwellen zu den einzelnen Kegelrad-Radsatzgetrieben geführt, welche jeweils einen Radsatz antreiben.[5]

Literatur

  • Bendel, Helmut: Die elektrische Lokomotive Aufbau, Funktion, neue Technik. 2., bearb. und erg. Auflage. Berlin, ISBN 978-3-344-70844-3.

Einzelnachweise

  1. a b c d e Bendel, Helmut: Die elektrische Lokomotive Aufbau, Funktion, neue Technik. 2., bearb. und erg. Auflage. Berlin, ISBN 978-3-344-70844-3, "19.4.3 Gruppenantriebe", S. 329–330.
  2. Beispiel Krokodil-Lokomotiven der Baureihen Ce 6/8 II und III der SBB
  3. Beispiel SNCF CC 6500
  4. a b Clive Lamming: Chapitre IX. L’ère Nouvion : le bogie monomoteur et la biréduction. In: Cinquante ans de traction à la SNCF : Enjeux politiques, économiques et réponses techniques (= Histoire). CNRS Éditions, Paris 2020, ISBN 978-2-271-12826-3, S. 134–138 (openedition.org [abgerufen am 30. Mai 2021]): „Mais ce bogie pose un sérieux problème d’ordre mécanique : le maintien des roues à un diamètre rigoureusement identique.“
  5. a b Johannes Feihl: Die Diesellokomotive Aufbau - Technik - Auslegung. 2. Auflage. Paul Pietsch Verlage GmbH & Co., Stuttgart 2016, ISBN 978-3-613-71535-6.
  6. Filipović Žarko: Elektrische Bahnen: Grundlagen, Triebfahrzeuge, Stromversorgung. 5. überarbeitete Auflage. Springer Vieweg, Berlin 2015, ISBN 978-3-642-45226-0, S. 203.: Bei den Lokomotiven [...] wurden die Treibradsätze gruppenweise [...] gekuppelt
  7. a b Karl Sachs: Elektrische Triebfahrzeuge. Ein Handbuch für die Praxis sowie für Studierende. Hrsg.: Schweizerischer Elektrotechnischer Verein. 2. Auflage. Band 1. Springer-Verlag Wien, 1973, S. 470–479.
  8. Werner Deinert: Elektrische Lokomotiven für Vollbahnen. In: Ministerium für Verkehrswesen - Lehrmittelstelle - (Hrsg.): Triebfahrzeugkunde. Heft 1. Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin 1960, S. 69 (lokmalanders.de [PDF]).: siehe Bild 41
  9. a b Filipović Žarko: Elektrische Bahnen: Grundlagen, Triebfahrzeuge, Stromversorgung. 5. überarbeitete Auflage. Springer Vieweg, Berlin 2015, ISBN 978-3-642-45226-0.
  10. a b Karl Sachs: Elektrische Triebfahrzeuge. Ein Handbuch für die Praxis sowie für Studierende. Hrsg.: Schweizerischer Elektrotechnischer Verein. 2. Auflage. Band 1. Springer-Verlag Wien, 1973, S. 450–467.
  11. Chaîne cinématique: Transmission de l’effort de traction du moteur à l’essieu, Lokomotiven der Baureihen SNCF BB 8500/16500/25500
  12. Bendel, Helmut: Die elektrische Lokomotive Aufbau, Funktion, neue Technik. 2., bearb. und erg. Auflage. Berlin, ISBN 978-3-344-70844-3, S. 331.

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Der Achsantrieb liegt einseitig außerhalb der innengelagerten Radsätze, hier die Antriebsseite. Der Zahnradkasten ist gefedert.
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Mittleres Rahmenstück der preußischen Elektrolok EP 242 (später E 50.42) mit dem Fahrmotor, dem Stangenantrieb und den Treibachsen im Verkehrsmuseum Dresden
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