Greensche Funktion

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Greensche Funktionen sind ein wichtiges Hilfsmittel zum Lösen inhomogener linearer partieller Differentialgleichungen. Mathematisch gesehen sind sie der Kern eines Integraloperators, der die Inverse eines Differentialoperators darstellt; physikalisch betrachtet sind sie die Reaktion eines Systems, wenn eine Einheitspunktquelle auf das System einwirkt (Impulsantwort).[1] Benannt sind sie nach dem Physiker und Mathematiker George Green. Mittels der greenschen Formeln löste dieser ein spezielles Dirichlet-Problem. Eine besondere Lösung dieses partiellen Randwertproblems, die in diesem Verfahren auftritt und mit deren Hilfe man durch das Superpositionsprinzip weitere Lösungen bestimmen kann, trägt heute den Namen Greensche Funktion.[2] Bis heute wurde diese von Green beschriebene Lösungsmethode auf eine größere Klasse von Differentialgleichungen beziehungsweise von Randwertproblemen ausgeweitet. Daher wurde auch der Begriff der Greenschen Funktion in einen deutlich allgemeineren Kontext gestellt. Laurent Schwartz übertrug die Greensche Funktion in den Kontext der von ihm entwickelten Distributionentheorie. Dort wird sie selbst als Distribution verstanden und wird oftmals als Fundamentallösung bezeichnet. Andere Autoren bezeichnen sie aber auch im Kontext der Distributionen als Greensche Funktion.[3] Während Randbedingungen für Fundamentallösungen irrelevant sind, stellen Greensche Funktionen spezielle Fundamentallösungen dar, die zusätzlich Randbedingungen erfüllen.

In der Potentialtheorie und Schweremessung wird sie u. a. zur Lösung des Ersten Randwertproblems eingesetzt. In der Theoretischen Physik, besonders in der Hochenergie- und Vielteilchenphysik, wird ferner eine Fülle verschiedener Funktionen definiert, die allesamt als „Greensche Funktionen“ bezeichnet werden und mit den hier angegebenen Funktionen in der einen oder anderen Form verwandt sind, ohne dass dies auf den ersten Blick erkennbar wäre. Diese Funktionen, speziell die Propagatoren der relativistischen Quantentheorien, sind im Folgenden nicht gemeint.

Motivation

Eine inhomogene lineare Differentialgleichung mit konstanten komplexen Koeffizienten hat die Form

,

wobei ein linearer Differentialoperator ist. Ziel ist, eine partikuläre Lösung zur Inhomogenität zu finden. Man würde jetzt gerne so etwas wie einen „Umkehroperator“ finden, denn dann könnte man die Lösung der obigen Gleichung als schreiben. Wenn aber nicht-triviale Lösungen hat, ist nicht injektiv, es kann also kein Linksinverses geben. Wohl aber ist surjektiv, wenn die Gleichung für jedes eines geeigneten Funktionenraums Lösungen hat. Daher kann man einen rechtsinversen Operator suchen, für den

gilt. Mit hat man dann eine partikuläre Lösung der Ausgangsgleichung gefunden, denn es gilt

.

Die allgemeine Lösung ergibt sich durch Addition der allgemeinen Lösung des homogenen Problems zur partikulären Lösung. Wählt man als Inhomogenität die Delta-Distribution , dann nennt man die Fundamentallösung von .[4] Abhängig von Autor und Themenschwerpunkt wird auch schon als Greensche Funktion bezeichnet.

Für eine beliebige Inhomogenität stellt sich nun die Frage, wie aus der Fundamentallösung gewonnen werden kann. Mittels der Faltung gilt dann

.

Physikalisch beschreibt dies das Superpositionsprinzip, mathematisch spricht man von der Linearität von .

Erklärung der einzelnen Schritte:

Das erste Gleichheitszeichen ist die Ausgangsgleichung . Für jede Funktion ist die Faltung mit der Delta-Distribution möglich und liefert wieder die Ausgangsfunktion: . Verwende , also dass die Differentialgleichung mit -Inhomogenität löst. Bildet man die Ableitung einer Faltung, so wird die Ableitung einfach hineingezogen, das heißt . Schließlich kann aus , die partikuläre Lösung identifiziert werden, nämlich als Faltung der Fundamentallösung mit der Inhomogenität .

Betrachtet man nun anstatt einer linearen Differentialgleichung eine lineare Differentialgleichung mit Zusatzbedingungen wie Randwerten oder Anfangswerten, so wird die zuvor untersuchte Funktion als Greensche Funktion bezeichnet.[5]

Definition

Gewöhnliche Differentialgleichungen

Sei

ein Differentialoperator mit seiner inhomogenen Differentialgleichung . Dann erfüllt die Greensche Funktion zu diesem Operator die fundamentale Gleichung:

,

wobei die Delta-Distribution ist (d. h. es gilt für eine beliebig oft differenzierbare Funktion ).

Unter Umständen fügt man später noch Zusatzbedingungen hinzu, z. B. Retardierungsbedingungen (s. u.) oder die dazu äquivalente „Sommerfeldsche Ausstrahlungsbedingung“ (Sommerfeldsche Randbedingung) oder eine Anfangs- bzw. Randbedingung, durch die eindeutig wird. Eine spezielle Lösung ergibt sich durch Faltung:

,

wie man wie folgt einsieht:

Für entspricht das der stationären („eingeschwungenen“) Antwort des Systems, eines gedämpften harmonischen Oszillators, auf einen ballistischen Einheitsstoß, d. h. auf die spezielle reduzierte Antriebskraft

.

Partielle Differentialgleichungen

Für partielle Differentialgleichungen gilt ebenso die definierende Gleichung

und eine spezielle Lösung ergibt sich wiederum durch Faltung:

.

Problematischer sind in dem Fall jedoch das Auffinden einer Greenschen Funktion und die Berechnung der mehrdimensionalen Integrale.

Greensche Funktion mit Randbedingungen

Kennt man eine Greensche Funktion zu einem Operator , so kann man den inhomogenen Teil der Differentialgleichung ohne Probleme lösen. Für die allgemeine Lösung hat man aber im Allgemeinen noch Randbedingungen zu erfüllen. Dies kann auf vielfache Art geschehen, ein elegantes Verfahren ist aber die Addition einer Lösung des homogenen Problems , sodass die Randbedingungen erfüllt sind. Anschaulich entspricht dies beim Lösen der Poisson-Gleichung dem Hinzufügen von Bildladungen und Entfernen der Ränder, so dass da, wo der Rand war, die vorher vorgegebenen Werte angenommen werden. Man denke sich als einfaches Beispiel ein geladenes Teilchen vor einer geerdeten Ebene. Bringt man auf der anderen Seite der Ebene eine entgegengesetzt geladene Ladung an und entfernt gedanklich die Ebene, so ist dort, wo die Ebene war, das Potential Null, was die geforderte Randbedingung erfüllt.

Häufig verwendet man dieses Verfahren zum Lösen der Poisson-Gleichung (Gaußsche Einheiten). Mithilfe des Gaußschen Integralsatzes findet man ():

Je nachdem, ob man nun das Potential oder dessen Ableitung auf dem Rand vorgegeben hat, wählt man nun die Funktion , die zu hinzuaddiert werden soll, so, dass im ersten Fall gilt und nennt üblicherweise Dirichletsche Greensche Funktion . Im zweiten Fall wählt man nicht – wie nahe liegen würde – so, dass verschwindet, da dies den Gaußschen Satz verletzen würde. Stattdessen wählt man so, dass

gilt (was in obigem Integral nur den Mittelwert des Potentials über die Oberfläche produziert, eine Konstante um die die Lösung sowieso unbestimmt ist) und nennt üblicherweise Neumannsche Greensche Funktion . Die zu bestimmenden Greenschen Funktionen findet man bei symmetrischen Problemen oft aus geometrischen Überlegungen. Alternativ kann man nach einem Orthonormalsystem des Operators entwickeln. Hat man eine Lösung gefunden, so ist diese eindeutig bestimmt, wie unmittelbar aus dem Maximumprinzip für elliptische Differentialgleichungen folgt.

Beispiele

Poisson-Problem

Oftmals versteht man unter der Greenschen Funktion den Integralkern des Laplace-Operators unter Berücksichtigung gewisser Randwerte, das heißt für gilt

.

George Green nutzte diese Funktion mit den Randwertproblemen, die aus der Potentialtheorie folgen, um die Greenschen Formeln zu bestimmen. Jedoch wurde man sich der Wichtigkeit dieses Resultats erst nach seinem Tod bewusst.[6]

In diesem Abschnitt wird die Greensche Funktion des Dirichlet-Problems der Poisson-Gleichung

bestimmt, wobei der Laplace-Operator und ein offenes beschränktes Gebiet mit glattem Rand ist. Die Fundamentallösung des Laplace-Operators lautet

wobei das Volumen des Einheitsballs in ist. Fixiere nun und wähle eine Kugel um mit Radius , so dass ganz in liegt. Definiere . Auf dieser Menge ist die Fundamentallösung glatt. Aus der Greenschen Formel folgt dann

,

wobei die partielle Ableitung nach dem äußeren Einheitsnormalenvektor ist. Da und ist, ergibt sich

.

Für gelten

und

,

woraus

folgt. Dies ist eine Möglichkeit, die Lösung des Poisson-Problems darzustellen. Jedoch ist in diesem Kontext die Normalenableitung von unbekannt. Aus diesem Grund wird eine Korrekturfunktion eingeführt, die das Randwertproblem

löst. Mittels der gleichen Argumentation wie zuvor folgt aus der Greenschen Formel

.

Addiert man diese Gleichung mit der oben gefundenen Darstellung von so, erhält man die Darstellung

ohne den Term . Die Funktion heißt Greensche Funktion des Laplace-Operators zum Gebiet . Weiter kann noch gezeigt werden, dass die Funktion symmetrisch von ihren Argumenten abhängt, das heißt es gilt .[7][8]

Bestimmung des statischen elektrischen Feldes

Nach den Maxwell-Gleichungen gilt für die Quellstärke des zeitlich unveränderlichen elektrischen Feldes in einem homogenen, linearen und isotropen Material

,

wobei die elektrische Feldstärke und die elektrische Ladungsdichte ist. Da es sich im elektrostatischen Fall um ein konservatives System handelt, gilt

,

wobei das elektrische Potential ist. Einsetzen liefert die Poisson-Gleichung

,

also eine inhomogene lineare partielle Differentialgleichung 2. Ordnung. Kennt man eine Greensche Funktion des Laplace-Operators , so lautet eine partikuläre Lösung

.

Eine (nicht eindeutig bestimmte) Greensche Funktion des Laplace-Operators in 3 Dimensionen ist

,

womit sich nach Einsetzen

ergibt. Letzte Gleichung soll die physikalische Interpretation der Greenschen Funktion verdeutlichen. Die Greensche Funktion zusammen mit dem Differential stellen einen „Potentialstoß“ dar, das Gesamtpotential ergibt sich dann durch Superposition aller „Potentialstöße“, also durch Ausführen des Integrals.

Inhomogene Wellengleichung

Dieser Fall ist etwas schwieriger und anders geartet, weil man es nicht mit einer elliptischen, sondern mit einer hyperbolischen Differentialgleichung zu tun hat. Hier treten die oben angedeuteten Komplikationen auf.

Greensche Funktion per Fourieranalyse

Die inhomogene Wellengleichung hat die Form

.

Durch Fourier-Zerlegung findet man nach Ausführen des Operators für die Fourier-Transformierten

.

Nach dem Faltungstheorem gilt also:

.

Die Rücktransformation kann man mit Hilfe des Residuenkalküls ausrechnen und findet

,

was in natürlicher Weise zu zwei Anteilen („retardiertem“ bzw. „avanciertem“ Anteil) der Greenschen Funktion Anlass gibt. Das Argument in der ersten Deltafunktion, , bedeutet nämlich, dass eine zum Zeitpunkt bei erzeugte „Ursache“ durch die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle erst zum Zeitpunkt ihre „Wirkung“ am Ort hervorruft. Für die zweite Deltafunktion ergibt sich, dass das Feld gegenüber der Inhomogenität um das entsprechende Zeitintervall vorauseilt. Das wäre aus Kausalitätsgründen unphysikalisch, wenn man die Inhomogenität als Ursache und das Feld als Wirkung ansehen würde; es ist aber durchaus physikalisch, wenn die Inhomogenität als Absorber (Empfänger) der Welle fungiert.

Die retardierte Greensche Funktion, bei der die Inhomogenität kausal einem „Sendeprozess“ auslaufender Kugelwellen entspricht, lautet somit

.

Die retardierte Lösung der Wellengleichung ergibt sich dann durch Faltung:

Es gilt also ein Superpositionsprinzip mit Retardierung: Die Lösung ist eine Überlagerung von auslaufenden Kugelwellen (huygenssches Prinzip, sommerfeldsche Ausstrahlungsbedingung), deren Bildung ähnlich wie in der Elektrostatik erfolgt.

Die avancierte Greensche Funktion, bei der die Inhomogenität kausal einem „Empfangsprozess“ einlaufender Kugelwellen entspricht, lautet

.

Alternative Herleitung

Wenn man die Greensche Funktion des Laplace-Operators als bekannt voraussetzt (siehe Hauptartikel Laplace-Operator und Poisson-Gleichung), kann die retardierte Greensche Funktion der Wellengleichung ohne Fouriertransformation gewonnen werden[9]. Zunächst gilt für eine beliebige „glatte“ Funktion

,

wobei die dreidimensionale Delta-Funktion ist. Um zu sehen, dass die linke Seite im Bereich stets null ist, schreibt man den Laplace-Operator in Kugelkoordinaten mit dem radialen Teil in der Form . In unmittelbarer Umgebung von kann die glatte Funktion als räumlich konstant gleich angesehen werden. Anwendung des Laplace-Operators auf den Faktor erzeugt dann die dreidimensionale Delta-Funktion.

Das Argument lässt sich durch Entwickeln von nach Potenzen von präzisieren, wobei die führende Potenz bei Anwendung des Laplace-Operators gesondert behandelt werden muss.

Für kann insbesondere eine Gaußfunktion gewählt werden. Da die Delta-Distribution als Limes von Gaußfunktionen dargestellt werden kann, erhält man im Limes die definierende Gleichung für die Greensche Funktion der Wellengleichung.

Weitere Beispiele

In der folgenden Tabelle sind für einige Operatoren die Greenschen Funktionen gegeben[10], dabei ist die Heaviside-Funktion.

BemerkungDifferentialoperator Greensche Funktion
eindimensionaler harmonischer Oszillator
zweidimensionaler Laplace-Operator
dreidimensionaler Laplace-Operator
Helmholtz-Gleichung
Diffusionsgleichung
D’Alembert-Operator

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Universität von Kalifornien, Santa Barbara (Hrsg.): Eigenvalue Problems, Integral Equations, and Green's Functions. S. 1 (ucsb.edu [PDF]).
  2. Hans Niels Jahnke (Hrsg.): A History of Analysis. AMS, 2003, ISBN 0-8218-2623-9, S. 204.
  3. Eric W. Weisstein: Greens Function. In: MathWorld (englisch).
  4. Lars Hörmander: The Analysis of Linear Partial Differential Operators. Band 1: Distribution Theory and Fourier Analysis. Second Edition. Springer-Verlag, Berlin u. a. 1990, ISBN 3-540-52345-6 (Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 256), S. 80.
  5. Y. Chover, J. Rubinstein: An Introduction to partial differential equations. S. 208–214.
  6. Y. Chover, J. Rubinstein: An Introduction to partial differential equations. S. 208.
  7. Lawrence C. Evans: Partial Differential Equations. Reprinted with corrections. American Mathematical Society, Providence RI 2008, ISBN 978-0-8218-0772-9 (Graduate studies in mathematics 19), S. 33–35.
  8. Y. Chover, J. Rubinstein: An Introduction to partial differential equations. S. 208–215.
  9. R. P. Feynman, Vorlesungen über Physik, Band 2: Elektrodynamik, Oldenbourg-Verlag 2001, Abschnitt 21-2.
  10. Zum Teil entnommen aus H. Schulz, Physik mit Bleistift, Verlag Harri Deutsch 2009, Seite 155.

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