Grammatischer Wechsel
Als grammatischer Wechsel (zu altgr. γράμμα grámma ‚Schriftzeichen, Buchstabe‘; wörtlich „Buchstabenwechsel“)[1] wird ein durch das Vernersche Gesetz beschriebener Konsonantenwechsel bezeichnet, der bei etymologisch verwandten Wörtern sowie innerhalb bestimmter Flexionsparadigmen auftritt.
Auftreten und Vorkommen
Der grammatische Wechsel tritt grundsätzlich in allen germanischen Sprachen auf, doch ist er in den Einzelsprachen durch Analogie unterschiedlich stark ausgeglichen worden. Lag im Indogermanischen der Hauptton eines Wortes nach dem Stammauslautkonsonanten, dann wurden diese von /p/ /t/ /k/ /s/ zu /b/ /d/ /g/ /z/.
Schon in den uns überlieferten altgermanischen Sprachstufen ist das Gesetz nur noch lexikalisiert anzutreffen, und es wird schon früh – je nach Sprache und Dialekt in unterschiedlichem Ausmaß – zugunsten intraparadigmatisch regulärer Konsonanz abgebaut.
Beispiele aus dem Neuhochdeutschen:
- Hefe – heben
- leiden – gelitten
- schneiden – geschnitten
- sieden – gesotten
- ziehen – gezogen
- Reihe – Riege
- (sie) waren – gewesen
- verlieren – Verlies, Verlust
- frieren – Frost
- leiden – gelitten
Beispiele aus dem Mittelhochdeutschen:
- heven/heben ‚heben‘: heve/hebe – huop [statt *huof] – huoben – erhaben
- lîden ‚leiden‘: lîde – leit – liten – geliten
- zîhen ‚zeihen‘: zîhe – zêch – zigen – gezigen
- ziehen ‚ziehen‘: ziuhe – zôch – zugen – gezogen
- slahen ‚schlagen‘: slahe – sluoc [statt *sluoh] – sluogen – geslagen
- friesen ‚frieren‘: friuse – frôs – fruren – gefroren
- lësen ‚lesen‘: lise – las – lâren/lâsen – gelëren/gelësen
- sîn ‚sein‘: bin – was – wâren – gewesen (gesîn)
- lîden ‚leiden‘: lîde – leit – liten – geliten
Ähnliche Phänomene gibt es auch in anderen Sprachen, etwa dem Finnischen („Stufenwechsel“).
Übersicht über die Konsonantenwechsel in den altgermanischen Sprachen
Urgerm. | Got. | Ahd. | Ae. | As. | Aisl. |
*f – *ƀ | f – b | f,v – b,p | (zusammengefallen) | (zusammengefallen) | (zusammengefallen) |
*þ – *đ | þ – d | d,th – t | þ,ð – d | (unklar) | (zusammengefallen) |
*χ – *ǥ | h – g | h – g,k | ø, h – g | h – g | ø – g |
*χʷ – *ǥʷ | ƕ – g,w | h – g,w | ø, h – g,w | h – g,w | ø – g,w |
*s – *z | s – z | s – r | s – r | s – r | s – r |
Nach: Schaffner (2001: 65).
Einzelnachweise
- ↑ Winfried Lechner: Protogermanisch, Universität Athen (DGC 46 Sprachgeschichte Handout #4 WiSe 2008/09), p. 6. (PDF; 248 kB; abgerufen am 3. Februar 2015)
Literatur
- Wilhelm Braune: Althochdeutsche Grammatik. I. Laut- und Formenlehre (= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte. A. Hauptreihe. Bd. 5.1). 16., Auflage, neu bearbeitet von Frank Heidermanns. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2018, S. 142 f.
- Stefan Schaffner: Das Vernersche Gesetz und der innerparadigmatische grammatische Wechsel des Urgermanischen im Nominalbereich (= Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Band 103). Innsbruck 2001.
- Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt. Logos, Berlin 2007, ISBN 978-3-8325-1601-7.