Grüsen

Grüsen
Koordinaten: 51° 0′ 4″ N, 8° 57′ 4″ O
Höhe: 267 m ü. NHN
Fläche:3,83 km²[1]
Einwohner:324 (2020)[2]
Bevölkerungsdichte:85 Einwohner/km²
Eingemeindung:31. Dezember 1971
Postleitzahl:35285
Vorwahl:06453

Grüsen ist ein Stadtteil von Gemünden (Wohra) im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg.

Geographie

Der Ort liegt zwischen Kellerwald und Burgwald. Im Osten verlaufen die Landesstraße 3073 und die Schweinfe.

Geschichte

Die älteste bekannte schriftliche Erwähnung von Grüsen erfolgte etwa im Jahre 775 unter dem Namen Grosiun in einer Urkunde der Reichsabteil Hersfeld. Später ist der Ort als Gruose (1057), Grusa (1201) und Grůsin (1211/16) belegt.

Nach dem Ende des verlorenen Ersten Weltkrieges verpasste Grüsen einen möglichen direkten Bahnanschluss an eine geplante Verlängerung der Kellerwaldbahn Richtung Frankenberg; die schon vor 1914 begonnenen Bautätigkeiten wurden nicht weitergeführt.

1927 gehörte das Dorf zum Amtsgericht Rosenthal und zum Finanzamt Frankenberg. 1933 hatte der Ort 303 Einwohner.

Jüdisches Leben

Jüdische Einwohner sind seit dem 17. Jahrhundert im Dorf Grüsen mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 50 Personen bis in die 1940er Jahre dokumentiert. Die im Ort lebenden Juden handelten im 19./20. Jahrhundert mit Vieh und Manufakturwaren. Die meisten von ihnen betrieben nebenbei ein wenig Landwirtschaft. Als die Zahl der Grüsener Juden Anfang der 1930er Jahre zurückging, löste sich die erst vor wenigen Jahrzehnten bestehende Gemeinde wieder auf und schloss sich der Gemeinde Gemünden wieder an.

Während der Novemberpogrome 1938 wurden Fenster und Türen des Synagogengebäudes von SA- und SS-Mitgliedern zertrümmert. Die letzten jüdischen Einwohner wurden im September 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert.

1934 wurde in Grüsen ein landwirtschaftliches Ausbildungszentrum der Familie Marx für emigrationswillige junge Juden eingerichtet. Der von der Reichsvertretung der Deutschen Juden betriebene Kibbuz nutzte Grundstücke, die von jüdischen Grüsener Auswanderern gekauft oder gepachtet worden waren.[3] 

Während des Novemberpogroms griffen Nazis aus Gemünden und Haina auch die jungen Juden des örtlichen Kibbuz an. Sie wurden abgeholt und in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Nach einigen Tagen wurden sie freigelassen, durften nach Grüsen zurückkehren, um ihre frühe Auswanderung zu organisieren. Bis 1938 waren in Grüsen mehr als 100 junge Menschen für ihre Aufgaben in ihrem Immigrationsziel Eretz Israel ausgebildet worden.

Das ehemalige Synagogengebäude in Grüsen wurde in den 1950er Jahren abgerissen.[4]

Gebietsreform

Zum 31. Dezember 1971 wurden im Zuge der hessischen Gebietsreform die bis dahin selbständigen Gemeinden Grüsen, Herbelhausen, Lehnhausen und Sehlen auf freiwilliger Basis nach Gemünden an der Wohra eingegliedert.[5][6] Für Grüsen wurde wie für die übrigen Stadtteile ein Ortsbezirk mit Ortsbeirat und Ortsvorsteher gebildet.[7]

Einwohnerentwicklung

Einwohnerstruktur

Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag dem 9. Mai 2011 in Grüsen 333 Einwohner. Darunter waren 6 (1,8 %) Ausländer. Nach dem Lebensalter waren 60 Einwohner unter 18 Jahren, 132 waren zwischen 18 und 49, 78 zwischen 50 und 64 und 63 Einwohner waren älter.[8] Die Einwohner lebten in 123 Haushalten. Davon waren 24 Singlehaushalte, 20 Paare ohne Kinder und 57 Paare mit Kindern, sowie 12 Alleinerziehende und 3 Wohngemeinschaften. In 21 Haushalten lebten ausschließlich Senioren/-innen und in 75 Haushaltungen leben keine Senioren/-innen.[8]

Einwohnerzahlen

 Quelle: Historisches Ortslexikon[1]

Grüsen: Einwohnerzahlen von 1834 bis 2019
Jahr  Einwohner
1834
  
288
1840
  
305
1846
  
305
1852
  
301
1858
  
307
1864
  
300
1871
  
291
1875
  
292
1885
  
328
1895
  
326
1905
  
395
1910
  
292
1925
  
299
1939
  
290
1946
  
448
1950
  
429
1956
  
377
1961
  
336
1967
  
353
1970
  
373
1980
  
?
1990
  
?
2000
  
?
2009
  
320
2011
  
333
2019
  
324
Datenquelle: Histo­risches Ge­mein­de­ver­zeich­nis für Hessen: Die Be­völ­ke­rung der Ge­mei­nden 1834 bis 1967. Wies­baden: Hes­sisches Statis­tisches Lan­des­amt, 1968.
Weitere Quellen: LAGIS[1]; Stadt Gemünden[9][2]; Zensus 2011[8]

Religionszugehörigkeit

 Quelle: Historisches Ortslexikon[1]

• 1885:273 evangelische (= 83,23 %), 55 jüdische (= 16,77 %) Einwohner[1]
• 1961:299 evangelische (= 88,99 %), 37 katholische (= 11,01 %) Einwohner[1]

Evangelische Kirche

Die evangelische Kirche ist ein 1833 errichteter Saalbau im klassizistischen Stil mit Dachreiter. Die U-förmig umlaufende Empore ist auf die hoch gesetzte Kanzel ausgerichtet. Ihr gegenüber auf der Empore hat Carl Jakob Ziese 1841–43 eine Orgel errichtet.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Grüsen, Landkreis Waldeck-Frankenberg. Historisches Ortslexikon für Hessen. (Stand: 19. März 2021). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
  2. a b Wir über uns / Daten und Zahlen. In: Webauftritt. Gemeinde Gemünden (Wohra), abgerufen im September 2021.
  3. In einer Veröffentlichung des Fritz Bauer Instituts befindet sich ein Foto von einer Hachschara-Gruppe in Grüsen. In der dazugehörigen Bildlegende heißt es: „Die 20 bis 30 Teilnehmer eines Lehrgangs bewirtschafteten die Felder der ansässigen jüdischen Landwirte; untergebracht waren sie in der Gastwirtschaft von Jakob Marx. Das Foto vor dem Wohnhaus der Familie Marx entstand während eines Besuches des ‚Shaliach‘ Boris Eisenstaedt (vorne Mitte), einem Gesandten aus Palästina.“ (Dagi Knellessen: Novemberpogrome 1938. „Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit“), Pädagogische Materialien Nr. 03 des Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-932883-36-1, S. 19 [pdf-S. 21]. Boris Eisenstaedt ist bekannter unter dem Namen Baruch Azania (Osnia); zu ihm existiert ein Artikel in der englischen Wikipedia: en:Baruch Osnia. Dort ist auch ein Artikel zu finden, der erklärt, was ein ‚Shaliach‘ ist: en:Shaliach (Chabad).
  4. Grüsen (Hessen). Abgerufen am 29. Mai 2019.
  5. Gemeindegebietsreform in Hessen: Zusammenschlüsse und Eingliederungen in Hessen vom 14. Dezember 1971. In: Der Hessische Minister des Inneren (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1972 Nr. 01, S. 5, Punkt 8; Abs. 1. (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 4,9 MB]).
  6. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis für die Bundesrepublik Deutschland. Namens-, Grenz- und Schlüsselnummernänderungen bei Gemeinden, Kreisen und Regierungsbezirken vom 27.5.1970 bis 31.12.1982. W. Kohlhammer, Stuttgart/Mainz 1983, ISBN 3-17-003263-1, S. 390.
  7. Hauptsatzung. (PDF; 873 kB) §; 6. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Webauftritt. Stadt Gemünden (Wohra), archiviert vom Original am 27. März 2019; abgerufen im Februar 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gemuenden-wohra.de
  8. a b c Ausgewählte Daten über Bevölkerung und Haushalte am 9. Mai 2011 in den hessischen Gemeinden und Gemeindeteilen. (PDF; 1,1 MB) (Nicht mehr online verfügbar.) In: Zensus 2011. Hessisches Statistisches Landesamt, S. 48 und 104, archiviert vom Original am 5. Dezember 2020;.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/statistik.hessen.de
  9. Einwohnerzahlen. Stadt Gemünden an der Wohra, abgerufen im Mai 2021.

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