Grüner Mann

„Grüner Mann“ an einem Kapitell im Foyer des Lübecker Rathauses

Als Grüner Mann werden bestimmte skulpturale Zierelemente an sakralen und profanen Gebäuden, Schlusssteinen, Chorgestühlen etc. des Mittelalters und der frühen Neuzeit bezeichnet. Dargestellt wird zumeist ein männlicher Kopf, dessen Haupt- und Barthaare die Gestalt von Blättern haben, die häufig aus dessen Mund hervor wachsen. Die Abbildungen ähneln in gewisser Weise denen der Wilden Männer. Lady Raglan prägte die Bezeichnung im Jahr 1939 in ihrem Aufsatz The „Green Man“ in Church Architecture.[1][2] Im deutschen Sprachraum war zu diesem Zeitpunkt bereits die Bezeichnung „Blattmaske“ üblich.

Herkunftstheorien

Bamberger Reiter mit Blattmaske als rechte Stütze des Sockels

Nach Nana Nauwald soll der Mythos des Grünen Mannes in vorchristliche Zeit zurückreichen; er habe in deutschen, englischen und französischen Kathedralen der Hoch- und Spätgotik überlebt, in denen man den Grünen Mann als Blattgesicht in Hunderten von Skulpturen in Ecken, Fensterstürzen und Sockeln abbildete.[3]

Im Rheinischen Landesmuseum in Bonn befindet sich mit der sogenannten „Pfalzfelder Säule“ eine keltische Stele, auf der ein Kopf mit Mistelblättern dargestellt ist. Damit greift diese Darstellung zwei keltische Motive auf: den Kopfkult, der den Kopf als Träger aller Kraft betrachtete und auch in den abgeschlagenen Köpfen von Feinden deren Lebenskraft verehrte, und zum anderen die Misteln, die laut Plinius dem Älteren von den keltischen Druiden mit einer goldenen Sichel bei besonderem Mondstand von Eichen und anderen Bäumen geschnitten wurden, um sie in weißen Tüchern aufzufangen und mit ihnen Krankheiten zu heilen sowie die allgemeinen Lebenskräfte zu stärken und anzuregen. Das Mistelblatt wird auch dem keltischen Gott Esus zugeordnet, dem alle Wachstumskräfte unterstehen. Beide Elemente, Kopf und heilkräftige Pflanze, finden sich im Motiv des Grünen Mannes wieder.

In einem Fall ist der Kopf des Grünen Mannes mit der Inschrift „Silvanus“ versehen, die auf den römischen Waldgott verweist und somit auf eine Deutung als Personifizierung einer Naturgesellschaft verweist.

Darstellungen

Vor allem auf den Britischen Inseln war der Green Man sehr beliebt: Eine Figur erscheint auf der rechten Säule des Portals der St Mary and St David's Church in Kilpeck. Eine Holzschnittdarstellung befindet sich in der Church of the Holy Ghost in Crowcombe in Somerset. Der Green man von Sampford Courtenay in Devon ist in der St. Andrew church im Schnittpunkt eines Kreuzes auf einer Holzplatte eingeschnitten. Zahlreich sind Green Man-Darstellungen in den Miserikordien spätgotischer Chorgestühle.

Siehe auch

Literatur

  • Tom Cheetham: Green Man, Earth Angel: The Prophetic Tradition and the Battle for the Soul of the World. SUNY Press, 2004, ISBN 0-7914-6270-6.
  • Gary R. Varner: The Mythic Forest, the Green Man and the Spirit of Nature. Algora Publishing, 2006, ISBN 0-87586-434-1.
  • Clive Hicks: The Green Man: A Field Guide. Compass Books, 2000, ISBN 0-9517038-2-X.
  • William Anderson: Der grüne Mann, Ein Archetyp der Erdverbundenheit. ISBN 3-530-01490-7.
  • Kathleen Basford: The Green Man. Cambridge 1978, ISBN 0-85991-497-6.
  • Fran Doel, Geoff Doel: The Green Man in Britain. Tempus Publishing Ltd, 2001, ISBN 0-7524-1916-1.
  • Mercia MacDermott: Explore Green Men. Explore Books, Heart of Albion Press, 2003, ISBN 1-872883-66-4.

Weblinks

Commons: Green Man – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Julia Somerset (née Hamilton), Lady Raglan (1901–1971): The „Green Man“ in Church Architecture. In: Folklore. Band 50, Nr. 90990, März 1939, S. 45–57, JSTOR:1257090.
  2. Hon. Julia Hamilton auf thepeerage.com, abgerufen am 19. August 2015.
  3. Nana Nauwald: Bärenkraft und Jaguarmedizin. AT-Verlag, Aarau (Schweiz) 2002, S. 74–75.

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Bad Urach, Schloss Urach, Prunkschlitten des Barock – Sammlung des Landesmuseums Württemberg; Katalog Nr. 16; Hanswurst; Prunkschlitten des Herzogs Carl Eugen von Württemberg (1728-1793), Johann Konrad Binder (um 1700–1776) zugeschrieben, Stuttgart um 1750; Detail: Relief am Schlittenkasten
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Scan from a 35mm photograph which I took in a church (probably Alkborough, North Lincolnshire?) some time in the 1970s. It shows a carving of a foliate head, or "Green Man".
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A scan from a print of a 35mm photograph which I took at the Romanesque church of Saint Mary and Saint David in Kilpeck, Herefordshire, England in the mid 1970s. It shows a carving, on a capital of the south doorway, of a "Green Man", made during the late Norman period (mid 12th century AD) by an unknown sculptor of the "Herefordshire School".

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Mysterious-FoliateMask Chapel-Ligerz-Gleresse-Switzerland RomanDeckert08032021.jpg
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Die rätselhafte Blattmaske auf dem Schlussstein des Kreuzgewölbes in der Turmkapelle Ligerz, dem alten Chorraum der spätmittelalterlichen Vorgängerkirche, der seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts vermauert und bis zur Renovation des Kirchturms 2008/2009 vergessen war.
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Günter Vieth (Real-Name von Tolbiacum)

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"Green Man" of the Rosslyn Chapel
Church of the Holy Ghost, Crowcombe - Green Man with Mermen.jpg
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Carvings from the pew ends on the Church of the Holy Ghost, Crowcombe ,Somerset. Dating from 1535, they are some of the best church carvings I have ever seen.
Bamberger Reiter.jpg
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Der Bamberger Reiter, the statue of a knight in the cathedral of Bamberg, 1st h. of the XIII c. Author unknown, Photo: Władysław Łoś