Goodpasture-Syndrom

Klassifikation nach ICD-10
M31.0Hypersensitivitätsangiitis
Goodpasture-Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Goodpasture-Syndrom ist eine sehr seltene schwere Autoimmunerkrankung, bei der vorwiegend die Nieren und Lungen beteiligt sind. „Die Reaktion des Organismus auf die Anti-GBM-Antikörper scheint genetisch determiniert zu sein.“[1] Der US-amerikanische Pathologe Ernest William Goodpasture beschrieb schon 1919 die Kombination aus Glomerulonephritis (bestimmte Form der Nierenentzündung) und Lungenblutungen.[2][3]

Es handelt sich laut Thiele (1980) um eine „hochfieberhafte, stets hämorrhagische Pneumonie (Mittel- und Untergeschosse; rezidivierende Parenchymblutung) mit Glomerulonephritis (schubweise, final meist generalisiert, nekrotisierend), Ätiologie unbekannt (Virus?); Androtropie; fast stets letal. Pathologisch-anatomisch Endophlebitis obliterans, Hämosiderose der Lungenvenen, Nekrose und Fibrose der Nierenepithelien.“[4]

Diffuse Lungeneinblutung bei Goodpasture-Syndrom im pathologischen Präparat.

Geschichte

Ernest William Goodpasture war 1919 der Erstbeschreiber.[5][6] François Reubi definierte dieses Syndrom 1968 als Glomerulonephritis bei Lungenhämosiderose. Er schrieb: „Die klassische Form des Goodpasture-Syndroms führt im Verlauf einiger Monate zu tödlicher Niereninsuffizienz. Es wird jedoch neuerdings behauptet, daß es leichtere Fälle gibt, bei denen die Corticotherapie den Prozeß zum Stillstand bringen kann.“[7]

„Das Krankheitsbild war bis 1948 vergessen, seit dieser Zeit sind über 60 Fälle in der Weltliteratur mitgeteilt worden.“[8]

Die Bezeichnung Goodpasture-Syndrom geht auf einen Vorschlag von Stanton und Tange aus dem Jahr 1958 zurück.[9][10]

Folgendes war noch 1979 anerkanntes Lehrbuchwissen mit weltweiter Bedeutung: „Die Erkrankung führt innerhalb weniger Monate zum Tode und wird durch Corticosteroide oder Antibiotika nicht beeinflußt. Heilungen nach bilateraler Nephrektomie wurden beschrieben.“[11]

Pathophysiologie

Nach heutigem Verständnis wird die Erkrankung durch gebildete Autoantikörper gegen die Basalmembran der Blutgefäße, insbesondere im Bereich der Nierenglomeruli und der Lungenbläschen, verursacht. Nach der klassischen Systematik von Allergien nach Pathomechanismus liegt somit eine Autoimmunerkrankung vom Typ II vor (komplementverbrauchende Hypersensitivitätsreaktion von Typ II nach Gell und Coombs[12]). Bewirkt wird eine Entzündungsreaktion im Bereich der Nieren und Lungengefäße vom Typ III. Das Goodpasture-Syndrom ist eine Angiitis der Lungenkapillaren mit Lungenblutungen und einer Glomerulitis-Glomerulonephritis.[13] Die Lungenbeteiligung verursacht gefährliche Blutungen mit blutigem Auswurf (Hämoptoe, Hämoptysen[14]), die zur Lungensiderose (Eisenablagerung) führen.

Das Goodpasture-Syndrom bildet den Typ 1 der rasch progredienten Glomerulonephritis (Rapid Progressive Glomerulonephritis, RPGN); beim Typ 1 wird (in Deutschland) unterschieden, ob eine Lungenbeteiligung vorliegt oder nicht.[15] Nur bei der RPGN Typ 1 mit Lungenbeteiligung spricht man vom Goodpasture-Syndrom.[16] Das Vollbild des Goodpasture-Syndroms liegt vor bei einer Anti-GBM-Antikörper-bedingten rasch progredienten Glomerulonephritis mit zusätzlichem Auftreten von pulmonalen Symptomen[17] beziehungsweise bei der „Anti-Basalmembran-Glomerulonephritis mit pulmonaler Hämorrhagie“ („Vaskulitis durch Anti-Basalmembran-Antikörper“).[18]

„Beim Goodpasture-Syndrom ist die hohe Dichte von α3NC1-Domänen von Typ-IV-Kollagen in der Basalmembran von Lungengefäßen und Nierengefäßen dafür verantwortlich, dass überwiegend diese beiden Organe von der Erkrankung betroffen sind.“[19]

Die Glomerulonephritis ist eine schnell fortschreitende Glomerulonephritis, die zur Gruppe der diffus-extrakapillären Glomerulonephritiden gezählt wird – es kommt zu Schlingennekrosen und starker Halbmondbildung. Die Antikörper sind gegen die nicht-kollagene Domäne der Alpha-3-Kette des Kollagen Typ IV der glomerulären und alveolären Basalmembran gerichtet. Sie können im Blutserum nachgewiesen werden.[20]

Das Goodpasture-Syndrom als rasch progressive Glomerulonephritis mit pulmonalem Syndrom ist eine Form des pulmorenalen Syndroms[21] („a subtype of pulmonary-renal syndrome“,[22] „hämorrhagisches pulmorenales Syndrom“,[23] „renopulmonales Syndrom“[24]).

Vorkommen

Das Goodpasture-Syndrom ist sehr selten (Inzidenz: 0,5–1 Fall pro 1 Mio. Einwohner und Jahr). Das Syndrom betrifft Männer doppelt so häufig wie Frauen. Die Krankheit manifestiert sich meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Sie kommt überwiegend bei Europäern vor.[25] „Bei 8 von 10 Goodpasture-Fällen handelte es sich um Männer zwischen 17 und 27 Jahren, bei denen eine berufliche Expositionsmöglichkeit“ (so Sarre in den 1970er Jahren) mit flüchtigen Kohlenwasserstoffen nachzuweisen war.[26]

Diagnose

Die Diagnose ist gesichert, wenn im Urinstatus ein nephritisches Sediment vorhanden ist und wenn sich in der Labordiagnostik anti-glomeruläre Basalmembran-Antikörper (Anti-GBM-AK) zeigen (Immunelektrophorese). „Die Lungenblutungen können der Nierenerkrankung um Wochen oder Monate vorauseilen.“[27] „Schwere hypochrome Anämie und Hyposiderinämie sind die Folgen.“[28]

Differenzialdiagnosen sind ein systemischer Lupus erythematodes, Vaskulitiden und Pneumonitiden verschiedener Ursache.

Therapie

Die einer ursächlichen Behandlung mit Medikamenten nicht zugängliche Krankheit ist unheilbar. Allerdings kann mittels immunsuppressiver Medikamente (Cyclophosphamid und Kortikosteroide wie hochdosiertes Prednison sowie Azathioprin) die Bildung neuer Anti-GBM-AK gehemmt werden und eine Remission oder eine Lebensverlängerung erreicht werden. Mit einer Plasmapherese (Plasmaaustausch, Plasmaseparation) werden zirkulierende Anti-Basalmembran-Antikörper entfernt;[29] diese Abtrennung der Antikörperkomplexe[30] geschieht ähnlich wie bei der Plasmaspende mit Dialysegeräten.

Eine solche Plasmaseparation erfolgt in der Regel auf der Intensivstation im Akutstadium. Jedoch muss diese Behandlung mindestens zweimal wöchentlich wiederholt werden, da sich das Plasma schnell nachbildet. Hierbei wird das Plasma anschließend verworfen und nicht wieder den Patienten infundiert.

Auch werden Antihypertensiva therapeutisch eingesetzt. Nierenersatzverfahren (Hämodialyse oder Hämofiltration) sind häufig zur Behandlung erforderlich.[31]

Bei einer Immunadsorption werden die Antikörper herausfiltriert und das Blutplasma wird dem Patienten anschließend wieder reinfundiert, wodurch größere Mengen Blut gereinigt werden können. Dadurch bessert sich das Allgemeinbefinden. Es ist zu beachten, dass dabei – zumindest vorübergehend – mit einem Verlust der erworbenen Immunabwehr (Beispiel Impfschutz) zu rechnen ist.

Die Therapie dauert etwa 8 bis 12 Monate. „Dialysepflichtige Patienten sprechen schlechter auf Plasmapherese und Steroide an.“[32] Rezidive sind eher selten. Beim „terminalen Nierenversagen stellt sich die Frage nach der Durchführung einer Nierentransplantation.“[33]

Prognose

Durch eine Alveolitis verursachte rezidivierende Lungenblutungen können lebensbedrohlich sein und mit schwerer Atemnot und mit restriktiven Ventilationsstörungen einhergehen.[34] Die Glomerulonephritis schreitet rasch bis zum Nierenversagen vor. Ohne Therapie ist die Prognose des Goodpasture-Syndroms infaust, wobei der Tod meist nach sechs Monaten infolge der Komplikationen eintritt. Die Krankheit verläuft rasch progredient, daher ist eine frühe Diagnosestellung wichtig. Bei frühzeitiger Therapie kann die Nierenfunktion bei über 60 Prozent der Patienten erhalten werden.[35]

Literatur

Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. In: Anästhesiologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie. Band 38, Nr. 11, (November) 2003, S. 719–740, hier: S. 730 f. und 735.

Einzelnachweise

  1. Helmut Geiger, Dietger Jonas, Tomas Lenz, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Nierenerkrankungen. Schattauer Verlag, Stuttgart/ New York 2003, ISBN 3-7945-2177-3, S. 85–87, Zitat S. 85.
  2. Karl Vossschulte, Hanns Gotthard Lasch, F. Heinrich (Hrsg.): Innere Medizin und Chirurgie. 2. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 1981, ISBN 3-13-562602-4, S. 752 f.
  3. Wolfgang Piper: Innere Medizin. Springer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-33725-6, S. 236 f.
  4. Günter Thiele: Handlexikon der Medizin. Verlag Urban & Schwarzenberg, München/ Wien/ Baltimore ohne Jahr [1980], Teil II (F–K), S. 932.
  5. Ernest William Goodpasture: Significance of certain pulmonary lesions in relation to the etiology of influenza. In: American Journal of Medical Science. Band 158, 1919, S. 863.
  6. R. L. de Gowin, J. Oda, R. H. Evans: Nephritis and lung hemorrhage (Goodpasture’s syndrome). In: Archive of Internal Medicine. Band 111, 1963, Nr. 16.
  7. François Reubi: Glomerulonephritis bei Lungenhämosiderose (Goodpasture-Syndrom). In: Herbert Schwiegk (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin. 5. Auflage. 8. Band, 2. Teil. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1968, ISBN 3-540-04152-4, S. 399 f.
  8. Hans Sarre: Nierenkrankheiten. 4. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1976, ISBN 3-13-392804-X, S. 292–295, Zitat S. 292.
  9. François Reubi: Nierenkrankheiten. 3. Auflage. Verlag Hans Huber, Bern/ Stuttgart/ Wien 1982, ISBN 3-456-81140-3, S. 152–156, Zitat S. 152.
  10. M. G. Stange, J. D. Tange: Goodpasture’s syndrome. In: Australasian Annals of Medicine. Band 7, 1958, S. 132.
  11. Karl Vossschulte, Hanns Gotthard Lasch, F. Heinrich (Hrsg.): Innere Medizin und Chirurgie. 2. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 1981, ISBN 3-13-562602-4, S. 354.
  12. Walter Siegenthaler et al. (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1992, ISBN 3-13-624303-X, S. 625 f.
  13. Walter Siegenthaler (Hrsg.): Klinische Pathophysiologie. 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1976, ISBN 3-13-449603-8, S. 516 und 962.
  14. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach: Lexikon der Medizin. 16. Auflage. Ullstein Medical, Wiesbaden 1999, ISBN 978-3-86126-126-1, S. 763.
  15. Tinsley Randolph Harrison: Harrisons Innere Medizin. 20. Auflage. Band 3, Georg Thieme Verlag 2018, ISBN 978-3-13-243524-7, S. 2665.
  16. Gerd Herold: Innere Medizin 2021. Selbstverlag, Köln 2020, ISBN 978-3-9821166-0-0, S. 609.
  17. Ulrich Kuhlmann u. a. (Hrsg.): Nephrologie. 6. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/ New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 96–101.
  18. Jörg Dötsch, Lutz T. Weber (Hrsg.): Nierenerkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Springer-Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-662-48788-4, S. 71 und 90.
  19. Tinsley Randolph Harrison: Harrisons Innere Medizin. 20. Auflage. Band 3. Georg Thieme Verlag, 2018, ISBN 978-3-13-243524-7, S. 2659.
  20. A. D. Salama, J. B. Levy, L. Lightstone, C. D. Pusey: Goodpasture’s disease. In: The Lancet. Band 358, Nr. 9285, September 2001, S. 917–920, doi:10.1016/S0140-6736(01)06077-9, PMID 11567730.
  21. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. In: Anästhesiologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie. Band 38, Nr. 11, (November) 2003, S. 719–740, hier: S. 730 und 735.
  22. The Merck Manual. 20. Auflage. Kenilworth 2018, ISBN 978-0-911910-42-1, S. 436 f.
  23. Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete, Band 3 (F – Hyperlysinämie), Verlag Urban & Schwarzenberg, München/ Berlin/ Wien 1969, ISBN 3-541-84000-5, S. G 196.
  24. Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 268. Auflage. Verlag Walter de Gruyter, Berlin/ Boston 2020, ISBN 978-3-11-068325-7, S. 646.
  25. Helmut Geiger, Dietger Jonas, Tomas Lenz, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Nierenerkrankungen. Schattauer Verlag, Stuttgart/ New York 2003, ISBN 3-7945-2177-3, S. 142.
  26. Hans Joachim Sarre: Nierenkrankheiten. 4. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1976, ISBN 3-13-392804-X, S. 293.
  27. Karl Vossschulte, Hanns Gotthard Lasch, F. Heinrich (Hrsg.): Innere Medizin und Chirurgie. 2. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 1981, ISBN 3-13-562602-4, S. 354.
  28. Walter Siegenthaler (Hrsg.): Differentialdiagnose innerer Krankheiten. 15. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart/ New York 1984, ISBN 3-13-344815-3, S. 16.42.
  29. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. In: Anästhesiologie Intensivmedizin Notfallmedizin Schmerztherapie. Band 38, Nr. 11, November 2003, S. 730.
  30. Peter Reuter: Springer Klinisches Wörterbuch 2007/2008. Springer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-34601-2, S. 698.
  31. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. 2003, S. 730.
  32. Tinsley Randolph Harrison: Harrisons Innere Medizin. 20. Auflage. Band 3, Georg Thieme Verlag 2018, ISBN 978-3-13-243524-7, S. 2666.
  33. Helmut Geiger, Dietger Jonas, Tomas Lenz, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Nierenerkrankungen. Schattauer Verlag, Stuttgart/ New York 2003, ISBN 3-7945-2177-3, S. 85–87, Zitat S. 86.
  34. Walter Siegenthaler (Hrsg.): Differentialdiagnose innerer Krankheiten. 15. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart/ New York 1984, ISBN 3-13-344815-3, S. 16.42.
  35. Vgl. Franz Hrska, Wolfgang Graninger, Michael Frass: Systemerkrankungen. 2003, S. 730.

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Diffuse bilateral hemorrhage.