Gleitsystem

Das Gleitsystem beschreibt in der Kristallmechanik mittels Gleitebene und Gleitrichtung die Verformung von Kristallen, speziell von Metallen durch Versetzungsbewegung.

Bei der plastischen Verformung werden diejenigen Versetzungen bewegt, in deren Gleitsystem ein bestimmter Grenzwert der Schubspannung erreicht oder überschritten wird. Wo die betätigte Gleitebene die freie Kristalloberfläche schneidet, entsteht eine Gleitspur. Die auf ein Gleitsystem wirkende Schubspannung wird durch die Orientierung des Gleitsystems zur anliegenden Spannung bestimmt (Schmidsches Schubspannungsgesetz). Durch die Versetzungsbewegung werden weitere Versetzungen erzeugt, die als Hindernisse die Versetzungsbewegungen erschweren. Als Resultat wird in den meisten metallischen Werkstoffen eine Verfestigung beobachtet.

Bei fortschreitender Verformung verdreht sich das Kristallgitter so lange, bis in einem anderen Gleitsystem die maximale Schubspannung wirkt und dieses die weitere Verformung des Kristalls übernimmt. Die dafür notwendige Spannung wird im Allgemeinen höher als in dem zuerst aktiven Gleitsystem sein, was einen weiteren Beitrag zur Verfestigung darstellt.

Gleitebene

Die Gleitebenen bilden in einem Kristall die Ebenen zwischen Atomlagen mit dichtester Packung und großem Schichtabstand. In ihnen findet bei Verformung die Versetzungsbewegung statt, da die relativ kleinste kritische Schubspannung benötigt wird.

Gleitebenen werden mit den in der Kristallographie üblichen millerschen Indizes gekennzeichnet. Typische Beispiele sind

  • die {111}-Ebene im kubisch-flächenzentrierten Gitter (kfz, engl. fcc)
  • die {110}- und {112}-Ebenen im kubisch-raumzentrierten Gitter (krz, engl. bcc)
  • die {0001}-Gleitebene im hexagonalen Kristallsystem (hex, engl. hcp) (meistens).
TCNQ-As-P.jpg

In Molekülkristallen mit komplizierter Struktur können sich die Gleitsysteme auch nach anderen Auswahlregeln richten. So wurde bei zwei isomorphen triklinen TCNQ-Komplexsalzen gefunden, dass die Gleitebene (010) parallel zu einer Art Gasse in der Struktur orientiert ist, welche nicht von Teilen der Moleküle gekreuzt wird, so dass Gleitung in den Gleitrichtungen [], [] und deren Gegenrichtungen erfolgen kann, ohne dass die Moleküle selbst beschädigt werden.[1]

Gleitrichtung

Gleitrichtung und Burgersvektor im kfz-Gitter
Gleitrichtung und Burgersvektor im krz-Gitter

Die Gleitrichtung ist die Richtung der dich(tes)ten Atompackung und somit die Richtung, in die das Gleiten der Atomschichten mit relativ kleinstem Energieaufwand möglich ist.

Typische Beispiele sind[2]

  • im kubisch-flächenzentrierten Gitter die <110>-Richtung um den Betrag:
  • im kubisch-raumzentrierten Gitter die <111>-Richtung um den Betrag:
  • im hexagonalen Kristallsystem meistens die <1120>-Richtung um den Betrag

Gleitsysteme der wichtigsten Kristallstrukturen

Aus den möglichen Gleitebenen und Gleitrichtungen ergeben sich verschiedene mögliche Gleitsysteme.

KristallstrukturGleitebeneGleitrichtungnichtparallele EbenenGleitrichtungen pro EbeneAnzahl GleitsystemeAnmerkung
kfz[3]{111}<110>4312
krz[4]{110}<111>6212
{112}<111>12112
{123}<111>24124nicht in allen krz-Metallen nachgewiesen
hex[5]{0001}<1120>133
{1010}<1120>313nicht in allen hex-Metallen aktiv
{1011}<1120>616nicht in allen hex-Metallen aktiv

Die unterschiedlichen Gleitsysteme erklären auch die unterschiedlich gute Verformbarkeit der Kristallstrukturen: In kfz- und krz-Strukturen sind Systeme des gleichen Typs räumlich gleichmäßig verteilt. Dagegen ermöglichen in hex-Strukturen die leicht aktivierbaren {0001}<1120>-Systeme eine Bewegung nur in einer Ebene; daher ist hier für beliebige Verformungen immer der Beitrag der anderen Gleitsysteme (oder die mechanische Zwillingsbildung) notwendig, was aber in der Regel eine deutlich höhere Spannung benötigt.

Kritische Schubspannung im Idealkristall an Beispielen der theoretischen Schubspannung als 0,1 des Schubmodul[6]
SchubspannungCu (kfz)Fe (krz)Cd (hex)
42008000200
0,6140,5

Literatur

  • Gustav E. R. Schulze: Metallphysik. 2. Auflage. Springer, Wien 1974, ISBN 3-211-81113-3.
  • G. Gottstein: Physikalische Grundlagen der Metallkunde. 3. Auflage. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-71104-9.

Einzelnachweise

  1. Heinz H. W. Preuß: Trikline TCNQ-Komplexsalze als Modellkörper zur Untersuchung der Kristallplastizität bei niederer Symmetrie, Dissertation B (Habilitationsschrift) Leipzig, 1977. In: Freiberger Forschungsheft. B 204. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1978.
  2. Van Vliet, Krystyn J. (2006); "3.032 Mechanical Behavior of Materials"
  3. damask.mpie.de/Documentation/FCC, Übersicht aller Systeme und Kugelmodell.
  4. damask.mpie.de/Documentation/BCC, Übersicht aller Systeme und Kugelmodell.
  5. damask.mpie.de/Documentation/hex, Übersicht aller Systeme und Kugelmodell.
  6. Wolfgang Weißbach: Werkstoffkunde : Strukturen, Eigenschaften, Prüfung. 16. Auflage. Vieweg, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-8348-0295-8.

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Lattice configuration of the close packed slip plane in an fcc material. The arrow represents the burgers vector in this dislocation glide system.
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Struktur von zwei isomorphen TCNQ- Komplexsalzen