Gezeitenmühle
Eine Gezeitenmühle (seltener auch Tide(n)mühle oder Flutmühle genannt) wird periodisch mittels Ebbe und Flut an Küsten mit ausreichendem Tidenhub angetrieben. Sie ist mit herkömmlichen Wassermühlen verwandt.
Funktionsweise
Gezeitenmühlen lagen gewöhnlich in den Mündungen von Tideflüssen, weit genug vom Meer entfernt, um negative Einflüsse des Wellenganges zu vermeiden, und nahe genug, um den Tidenhub zu nutzen. Durch einen Damm mit einer Schleuse wurde überflutetes Gebiet, oder ein Teil eines Ästuars zu einem Staubecken gemacht. Die Flut strömt durch die Schleuse, welche sich automatisch schließt, wenn die Tide zurückgeht, in den Mühlenweiher. Bei niedrigem Wasserstand kann man das aufgestaute Wasser über das Mühlrad zurückströmen lassen.
Verbreitung
Gezeitenmühlen kommen in Europa an den Küsten des Atlantiks zwischen den Britischen Inseln und Portugal (Alhos Vedros, Alqueidão (Figueira da Foz), Corroios, Mourisca, Olhão) vor. Die bislang früheste archäologisch dokumentierte Gezeitenmühle wurde auf dem Gelände des Nendrum-Klosters auf einer Insel im Strangford Lough in Nordirland entdeckt. Sie wurde dendrochronologisch auf 619–621 n. Chr. datiert. Ihre Mühlsteine haben einen Durchmesser von 830 mm, und das horizontale Rad konnte eine Spitzenleistung von etwa 0,65 kW entwickeln. Eine ähnlich alte Mühle (aus dem Jahr 619) wird im „Domesday-Buch“ (1086) erwähnt und stand im Hafen von Dover. Möglicherweise wurde die Kraft der Gezeiten in England (4 Mühlen) und Frankreich (etwa 70 Moulin à marée) bereits im 6. Jahrhundert genutzt. Dass sie bereits von den Römern genutzt wurden, ist unwahrscheinlich, da die mediterranen Kulturen keine Gezeitensituation vorfanden.[1]
Im frühen Mittelalter wurden sie zum Mahlen von Getreide oder Gewürzen, später auch als Antrieb für Hammer- und Sägewerke in der Papier- und Stoffindustrie genutzt. Aus dieser Zeit stammt auch die Gezeitenmühlen von Yellow Walls bei Malahide im County Fingal in Irland. Die Gezeitenmühle von Cave Marsh ist eine der vier in der Nähe der Broad-Mündung. Die anderen sind Kilcrea, Lissenhall Great und Ballymadrough/Seapoint.
Britische Inseln
Im Vereinigten Königreich sind noch vier Gezeitenmühlen erhalten:
- die Carew Tidal Mill in Wales, heute ein Museum
England
- in Woodbridge bei Ipswich
- Eling tide mill bei Lymington bei Southampton
- am Fluss Lea im Osten Londons
Die Gezeitenmühle von Woodbridge im Mündungsgebiet des Deben wurde um 1170 erbaut und 1792 wieder aufgebaut. Sie ist ein Museum in städtischem Besitz und öffentlich zugänglich. Nur die „Eling Tide Mill“ arbeitet heute noch. Diese Mühle wurde erstmals 1086 urkundlich erwähnt; der heutige Bau stammt aus dem 18. Jahrhundert. Die Flutmühle landeinwärts am Lea River liegt mitten im Londoner Industriegebiet „Bromley-by-Bow“.
In London gab es viele Gezeitenmühlen, einschließlich zweier an der London Bridge.
Irland
- Nendrum Monastery mill
Schottland
- Burntisland, Eintrag zu Gezeitenmühle in Canmore, der Datenbank von Historic Environment Scotland (englisch)
- Fife Ness, Eintrag zu Gezeitenmühle in Canmore, der Datenbank von Historic Environment Scotland (englisch)
Frankreich
In Frankreich gab/gibt es etwa 70 „Moulins à marée“[2] in der Bretagne sind es u. a.: Berno auf der Île d’Arz, Beauchet, Birlot auf der Île-de-Bréhat, Campen, Cantizac, Coët Courzo, Hénan, Kervillo, Prat in La Vicomté-sur-Rance, Le Hézo, Le Lindin, Loges, Loix, Ludre, Melin Vor, Mériadec, Noyalo-Kerentrech, Paluden, Pen Castel, Pomper, Pont und Traou-Meur.
Deutschland
Die letzte und lange Zeit einzige Gezeitenmühle in Deutschland war die Sierkesche Mühle (auch Au-Mühle genannt), eine Wassermühle am Marschdamm bei Horneburg in Niedersachsen (53° 30′ 37,4″ N, 9° 35′ 19,5″ O ). Sie nutzte die Kraft der Flut, welche von der Unterelbe durch die Lühe bis in die Alte Aue hineindrückt. Die 1877 errichtete Mühle wurde nach der Stilllegung des Betriebes zu einem Wohngebäude umgebaut.[3]
Iberische Halbinsel
In Spanien gab es viele „Molinos mareales“ an der Atlantikküste. Beispiele sind Molino de El Pintado (Ayamonte/Isla Cristina, Huelva) und Molino de Valletaray, Molino de la Barca und Molino de la Higuera (Lepe, Huelva). In Portugal arbeiteten solche in Alhos Vedros, Alqueidão, Corroios, Mourisca und Olhão.
USA
In den USA gab es am Atlantik etwa 750 Gezeitenmühlen.[4]
Gezeitenkraftwerke
In neuerer Zeit wird Tideenergie in Gezeitenkraftwerken genutzt. Seit Ende 1966 arbeitet das Gezeitenkraftwerk Rance bei St. Malo an der Rance. Die insgesamt 24 Turbinen erzeugen jährlich rund 500 GWh, das sind ca. 0,2 % des französischen Strombedarfs. Für den Bau dieser Gezeitenkraftanlage wurden rund 200 Millionen € aufgewendet.
Quellen
- ↑ Spain, Rob: „A possible Roman Tide Mill“, Paper submitted to the Kent Archaeological Society (Memento des vom 17. Mai 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF; 1,9 MB).
- ↑ Liste des moulins à marée de France
- ↑ Sehenswürdigkeiten im Flecken Horneburg. (Nicht mehr online verfügbar.) Samtgemeinde Horneburg, archiviert vom am 4. Mai 2011; abgerufen am 7. April 2011.
- ↑ Minchinton, W. E. : „Early Tide Mills: Some Problems,“, in: Technology and Culture, Bd. 20, Nr. 4 (Okt. 1979), S. 777–786.
Literatur
- Colin Rynne: Milling in the 7th Century – Europe’s earliest tide mills, in: Archaeology Ireland 6, 1992.
- Kevin Poschet: De getijdenmolen van Rupelmonde. 500 jaar malen op het getij. Provincie Oost-Vlaanderen, Gent 2019, ISBN 978-90-82732-85-6.
- W. E. Minchinton: Early Tide Mills: Some Problems, in: Technology and Culture, Bd. 20, Nr. 4 (Okt. 1979), S. 777–786.
- T. McErlean & N. Crothers: Harnessing the Tides: The Early Medieval Tide Mills at Nendrum Monastery, Strangford Lough, 2007, The Stationery Office, ISBN 0-337-08877-2
- Rob Spain: A possible Roman Tide Mill (PDF; 1,9 MB), Paper submitted to the Kent Archaeological Society.
Weblinks
- Gezeitenmühle Video
- Nendrum Monastery mill – Dokumentation der Ausgrabungen in Text und Bild (englisch)
- Eling Tide Mill (englisch)
- Tide Mills of Western Europe (spanisch)
- Tideenergie (Aufsatz Universität Leipzig)
- Yellow Walls Mühle
- Tide Mills in England and Wales, a catalogue of tide mills by county (englisch)
Auf dieser Seite verwendete Medien
Autor/Urheber: Manuguf, Lizenz: CC BY-SA 4.0
The "Birlot" tide mill, on Île-de-Bréhat.
Autor/Urheber: Ewan ar Born, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Saint-Suliac : Moulin à marée de Beauchet
Autor/Urheber: Marc Ryckaert (MJJR), Lizenz: CC BY 3.0
Olhão (Algarve, Portugal), Naturpark Ria Formosa, Gezeitenmühle und "Mühlenleuchtturm" (Farolim do Moinho)