Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist der oberste Grundsatz allen Verwaltungshandelns. Er besagt, dass die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist.

Hergeleitet wird der Grundsatz aus dem in Deutschland geltenden Rechtsstaatsprinzip, verankert in Art. 20 Abs. 2 und 3 und Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Als unantastbares Element der verfassungsrechtlichen Ordnung und als eines der obersten Staatsprinzipien unterliegt er dem unbedingten Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG.

Aus der rechtsstaatlich geprägten Gesetzmäßigkeit der Verwaltung lassen sich wiederum zwei Grundsätze ableiten, einerseits der Vorbehalt des Gesetzes – er verlangt, dass Verwaltungsbehörden für ihr Handeln einer formell-materiellen Gesetzesgrundlage (grundsätzlich Parlamentsvorbehalt) bedürfen – und andererseits der Vorrang des Gesetzes – er verlangt, dass die Verwaltung ausnahmslos keine Maßnahmen treffen darf, die im Widerspruch zu einem Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) oder einem Grundrecht (Art. 1 Abs. 3 GG) stehen (Grundrechtsbindung).

Verwaltungsvorschriften hingegen entfalten grundsätzlich nur verwaltungsrechtliche Innenwirkung. Verwaltungsrichtlinien, die die Ausübung gesetzlichen Ermessens regeln, führen zur Selbstbindung der Verwaltung, wenn sie in der Praxis eingesetzt werden.

Überblick

Unter dem Vorrang des Gesetzes wird verstanden, dass Verwaltungsakte, öffentlich-rechtliche Verträge, Satzungen, Rechtsverordnungen und Gesetze an die jeweils höherrangigen Normen gebunden sind.[1] Verstöße dagegen unterliegen unterschiedlichen Rechtsfolgen, so sind Verordnungen und Satzungen unmittelbar nichtig, während Verwaltungsakte anfechtbar sind. Für Verstöße bei öffentlich-rechtlichen Verträgen gilt Nichtigkeit gemäß § 59 VwVfG, sofern dies bei einer Vergleichsbetrachtung mit dem Privatrecht (§ 59 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 134 BGB) beziehungsweise hoheitlichem Handeln (§ 59 Abs. 2 VwVfG) zu erwarten ist.[1]

Für den Vorbehalt des Gesetzes gilt, dass Verwaltungshandeln eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung als Ermächtigungsgrundlage bedarf.[2] Der Geltungsbereich lässt sich mittels der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten Wesentlichkeitstheorie bestimmen. Danach muss der Gesetzgeber staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren und alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen.[3] Das gilt für grundrechtsrelevante Maßnahmen immer, insbesondere im Bereich der Eingriffsverwaltung, also für belastende Verwaltungsmaßnahmen, sofern sie in bürgerliche Freiheitsrechte eingreifen. Im Bereich der Leistungsverwaltung gilt, dass Entscheidungen über das „Ob“ einer Leistung grundsätzlich wesentlich sind. Dafür lässt die herrschende Meinung allerdings Regelungen im Haushaltsgesetz genügen. Im Übrigen sind alle sonstigen Maßnahmen dann als wesentlich zu bestimmen, wenn durch die Leistungsvergabe Rechte Dritter beeinträchtigt oder Interessen der Allgemeinheit betroffen werden.[2]

Besonderheiten gelten, wenn die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sich auf behördliches Ermessen bezieht, weil gesetzlicher Entscheidungsspielraum eingeräumt ist. Da es kein freies Ermessen gibt, ist dieses stets rechtsgebunden (vgl. § 40 VwVfG). Soweit eine konkrete gesetzliche Regelung nicht entgegensteht, kommen Ermessenspielräume in Form des Entschließungs- und des Auswahlermessens in Betracht. Entschließungsermessen unterliegt dem Opportunitätsprinzip, die Behörde prüft also, ob sie im Rahmen pflichtgemäßer Rechtsausübung überhaupt tätig werden will, wobei Grenzen dann erreicht werden, wenn eine Ermessenreduktion auf Null vorliegt, ein Wahlrecht somit nicht besteht und nur eine einzige Entscheidung rechtsfehlerfrei möglich ist. Auswahlermessen bezieht sich auf die Form der Rechtsausübung bei rechtlich vorgegebenen Handlungsalternativen. Auf der Rechtsfolgenseite geben Kann-Vorschriften die häufigsten Ermessensfreiräume,[4] Soll-Vorschriften nur in Ausnahmefällen[5] (rechtliche Ermessensbindung) und Muss-Bestimmungen operieren mit zwingenden Handlungsvorgaben (rechtliche Verwaltungsbindung).

Ermessensfehler im Sinne des § 40 VwVfG führen zur gerichtlichen Anfechtbarkeit.[6] Wird eine Verwaltungsmaßnahme nicht angegriffen, obwohl sie an einem Ermessensfehler leidet, so erwächst sie in Bestandskraft, heißt: sie wird wirksam. Betroffen sind auch Verwaltungsmaßnahmen, denen eine fehlerhafte Anwendung oder Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen zugrunde liegt. Ermessensfehler können im Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch liegen, ebenso in Ermessensüberschreitungen. Fehler entstehen dabei nicht selten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsüberprüfung im Lichte von Grundrechten. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt vor, wenn der Zweck der gewählten Maßnahme nicht legitim ist und die Maßnahme selbst nicht geeignet, erforderlich und angemessen ist.

Verwaltungsvorschriften entfalten grundsätzlich keine Außenwirkung. Ermessensrichtlinien, die die Ausübung gesetzlich geregelten Ermessens für die Praxis konkretisieren, führen mit ihrem Einsatz zur Verwaltungsselbstbindung. Wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 GG), dürfen Abweichungen nur erfolgen,[7] wenn ein „sachlicher Grund“ die Abweichung rechtfertigt.[8] Im gesetzlich nicht geregelten Bereich können Verwaltungsvorschriften Ersatznormcharakter annehmen, sodass eine „quasi-normative“ Außenwirkung entsteht, die Bindungswirkung auslöst. Nach herrschender Meinung tritt Außenwirkung bei Selbstbindung der Verwaltung ein.[9]

Anmerkungen

  1. a b Studienkommentar Grundgesetz [Mitautoren: Kay Windthorst und Christian von Coelln], Beck, München, 2. Aufl. 2015. Art. 20 Rnr. 121–125.
  2. a b Studienkommentar Grundgesetz [Mitautoren: Kay Windthorst und Christian von Coelln], Beck, München, 2. Aufl. 2015. Art. 20 Rnr. 133–147.
  3. BVerfGE 40, 237 (249); 49, 89 (126); 83, 130 (142, 151 f.); 95, 267 (307).
  4. Ferdinand O. Kopp: Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar. München C.H. Beck, 1. Aufl. 1974, 10. Aufl. 1994 (danach fortgeführt unter Kopp/Schenke, derzeit 27. Aufl. 2021). § 114 Rnr. 21 a.
  5. Ferdinand O. Kopp: Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar. § 114 Rnr. 21.
  6. Umfang der gerichtlichen Überprüfung ist umstritten, dazu BGHSt 30, 320 ff.
  7. BVerwG, Urteil vom 21. August 2003, 3 C 49.02
  8. Früheres tatsächliches Handeln, Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Januar 1996, 11 C 5.95
  9. Volkmar Götz: Über die "Gleichheit im Unrecht", in: Festschrift Bundesverwaltungsgericht (1978), S. 245 ff.; Christian-Friedrich Menger: Zur Selbstbindung der Verwaltung durch norminterpretierende Richtlinien, VerwArch Band 63 (1972), S. 213 ff.