Gesetz der Verteilung rhythmischer Einheiten verschiedener Länge

In der Sprachwissenschaft wird die Länge rhythmischer Einheiten danach bestimmt, wie viele Silben zwischen zwei betonten Silben in einem Satz oder Text vorkommen. Folgen zwei betonte Silben aufeinander, hat man eine rhythmische Einheit der Länge 1; sind zwei betonte Silben durch eine unbetonte getrennt, hat man eine rhythmische Einheit der Länge 2 etc.

Zur Gesetzmäßigkeit der Verteilung rhythmischer Einheiten

Untersuchungen zur Verteilung rhythmischer Einheiten verschiedener Längen gehen auf den deutschen Psychologen Karl Marbe (1904) zurück. Seine Schüler und Kollegen haben diese Forschungen an mehreren Sprachen fortgeführt. Sie wurden im Göttinger Projekt Quantitative Linguistik[1] wieder aufgegriffen und daraufhin getestet, ob sie sich entsprechend einem Sprachgesetz verhalten, nicht immer mit guten Ergebnissen. Für die Erhebungen, die Marbe selbst an je einem Text von Goethe und Heine durchgeführt hat, und für neue Untersuchungen an weiteren Texten kann man aber zeigen, dass rhythmische Einheiten im Text dem gleichen Sprachgesetz unterliegen wie etwa die Wortlängen.[2] Dies gilt auch für 6 deutsche Text(konvolut)e, die Bianchi 1922 erarbeitet hat.[3] Bei altgriechischen Texten, die schon Albert Thumb bearbeitete, konnte die geometrische Verteilung erfolgreich verwendet werden.[4] Weitere Ergebnisse: Bei rund 50 deutschen und 30 englischen Texten[5] hat sich die Hyperpoisson-Verteilung als Modell bewährt, bei 20 russischen Texten die Binomialverteilung.[6]

Es handelt sich in allen Fällen um Verteilungen, die unter etwas verschiedenen Annahmen aus ein und demselben Ansatz heraus abgeleitet werden können.

Ein Beispiel

Ein Beispiel für eine Verteilung rhythmischer Einheiten verschiedener Länge (gemessen als Zahl der unbetonten Silben zwischen zwei betonten) in einem kurzen Pressetext[7]:

xn(x)NP(x)
12020,29
2113110,45
3111114,49
46965,58
52225,95
6107,85
722,40

(Dabei ist x: Zahl der unbetonten Silben zwischen zwei betonten, beginnend mit x = 1 für das Fehlen einer unbetonten Silbe zwischen zwei betonten, x = 2 für das Vorkommen einer unbetonten Silbe zwischen zwei betonten, undsoweiter; n(x) die in diesem Text beobachtete Zahl der rhythmischen Einheiten mit x unbetonten Silben; NP(x) die Zahl der rhythmischen Einheiten mit x unbetonten Silben, die berechnet wird, wenn man die Hyperpoisson-Verteilung an die beobachteten Daten anpasst. Ergebnis: die Hyperpoisson-Verteilung ist für diesen Text ein gutes Modell mit dem Testkriterium P = 0,81, wobei P als gut erachtet wird, wenn es größer/ gleich 0,05 ist. Für ausführlichere Erläuterungen sei auf die angegebene Literatur verwiesen.)

Bedeutung des Gesetzes

Bei dem Gesetz der Verteilung rhythmischer Einheiten verschiedener Längen handelt es sich um eine recht neue (Wieder)-Entdeckung eines Sprachgesetzes durch die Quantitative Linguistik, die einmal mehr ihre Ansicht bestätigt sieht, dass die Sprachverwendung ebenso wie das Sprachsystem durch Gesetze gesteuert wird.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Marina Knaus: Zur Verteilung rhythmischer Einheiten in russischer Prosa. In: Glottometrics 16, 2008, Seite 57-62. (PDF Volltext)
  • Karl-Heinz Best: Probability Distributions of Language Entities. In: Journal of Quantitative Linguistics 8, 2001, Seite 1–11.
  • Karl-Heinz Best: The distribution of rhythmic units in German short prose. In: Glottometrics 3 (= To Honor G. K. Zipf), 2002, Seite 136-142. (PDF Volltext)
  • Karl-Heinz Best: Rhythmische Einheiten im Altgriechischen. In: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 13, 2006, Seite 73–76.
  • Karl-Heinz Best: Zur Verteilung rhythmischer Einheiten in deutscher Prosa. In: Karl-Heinz Best (Herausgeber): Häufigkeitsverteilungen in Texten. Peust & Gutschmidt, Göttingen 2001, Seite 162-166. ISBN 3-933043-08-5.
  • Andrew Wilson: Lengths and L-motifs of Rhythmical Units in Formal British Speech. In: Glottometrics 48, 2020, Seite 37-51. (PDF Volltext)
  • Karl-Heinz Best: Längen rhythmischer Einheiten. In: Reinhard Köhler, Gabriel Altmann, & Rajmund G. Piotrowski (Herausgeber): Quantitative Linguistik – Quantitative Linguistics. Ein internationales Handbuch. de Gruyter, Berlin/ New York 2005, Seite 208–214. ISBN 3-11-015578-8.
  • Karl-Heinz Best: Quantitative Untersuchungen zum Rhythmus. In: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 15, 2007, Seite 7–14.
  • Ioan-Iovitz Popescu, Karl-Heinz Best, Gabriel Altmann: Unified Modeling of Length in Language. RAM-Verlag, Lüdenscheid 2014. ISBN 978-3-942303-26-2. (Kapitel "Rhythmic units", Seite 89–90.)
  • Karl-Heinz Best: Rhythmische Einheiten in Hülsen, Natur-Betrachtungen (1800). In: Emmerich Kelih, Viktor Levickij, Gabriel Altmann (Hrsg.), Metody analizu tekstu/ Methods of Text Analysis. Cernivci: Cerniveckyj nacional'nyj universitet 2009, Seite 53–62. ISBN 978-966-423-043-5.

Zur Marbe-Schule

  • Karl Marbe: Über den Rhythmus der Prosa. J. Ricker’sche Verlagsbuchhandlung, Giessen 1904.
  • E. G. Kagarov: Sur le rythme du langage prosaïque russe, in: Comptes-Rendus de l'Académie des Sciences de l'URSS 1928 (Е. Г. Кагаров: О ритме русской прозаической речи, in: Доклады Академии Наук СССР 1928)
  • Hugo Unser: Über den Rhythmus der deutschen Prosa. Universitäts-Buchdruckerei von J. Hörning, Heidelberg 1906. (= Diss. phil., Freiburg)
  • Abram Lipsky: Rhythm as a distinguishing characteristic of prose style. In: Archives of Psychology 4, June 1907.
  • Friedrich Gropp: Zur Ästhetik und statistischen Beschreibung des Prosarhythmus. Königliche Universitätsdruckerei H. Stütz, Würzburg 1915. (= Diss. phil., Würzburg 1915)
  • Martin Friedmann: Der Prosarhythmus des Hebräischen im alten Testament. Diss. phil., Würzburg 1921/22.
  • Karl-Heinz Best: Karl Marbe (1869–1953). In: Glottometrics 9, 2005, Seite 74–76. Volltext (PDF). (Der Beitrag gibt eine biographische Skizze und geht auf Marbes Bemühungen um die Analogie sowie seine Untersuchung des Prosarhythmus ein, der sich eine Reihe seiner Schüler und spätere Linguisten anschlossen. Hierin besteht Marbes Bedeutung für die Quantitative Linguistik.)

Einzelnachweise

  1. http://wwwuser.gwdg.de/~kbest
  2. Gejza Wimmer, Gabriel Altmann: The Theory of Word Length Distribution: Some Results and Generalizations. In: Peter Schmidt (Hrsg.): Glottometrika 15. Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 1996, Seite 112–133; Gejza Wimmer, Reinhard Köhler, Rüdiger Grotjahn & Gabriel Altmann: Towards a Theory of Word Length Distribution. In: Journal of Quantitative Linguistics 1, 1994, Seite 98–106.
  3. Lorenzo Bianchi: Untersuchungen zum Prosa-Rhythmus Johann Peter Hebels, Heinrich von Kleists und der Brüder Grimm. Weiss'sche Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1922; Biographisches und Tests dazu: Karl-Heinz Best: Lorenzo Bianchi (1899-196). In: Glottometrics 14, 2007, Seite 72-98 (PDF Volltext).
  4. Karl-Heinz Best: Rhythmische Einheiten im Altgriechischen. In: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft 13, 2006, Seite 73–76.
  5. Anja Kaßel: Zur Verteilung rhythmischer Einheiten in deutschen und englischen Texten. Staatsexamensarbeit; Göttingen 2002
  6. Marina Knaus: Zur Verteilung rhythmischer Einheiten in russischer Prosa. In: Glottometrics 16, 2008, Seite 57-62 (PDF Volltext).
  7. Kaßel 2002, Seite 78. Es handelt sich um den Text von Ira von Mellenthin: „Henker von Genua“ wegen 59 Mordfällen vor Gericht. Friedrich Engel mit 92 Jahren auf der Anklagebank. In: Die Welt, 7. Mai 2002.
  8. Rhythmic units (Memento vom 11. August 2014 im Internet Archive)