Geschwindigkeitskonstante
Die Geschwindigkeitskonstante ist in der chemischen Kinetik die Proportionalitätskonstante zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Elementarreaktion[1] und Potenzfunktionen der Konzentrationen der Edukte oder anderer Maße für die Eduktverfügbarkeit, wie Partialdrücke oder relative Bedeckungen von Katalysatoroberflächen.[2] Sie ist, wie die Halbwertszeit, indirekt ein Maß für die Geschwindigkeit der betrachteten Elementarreaktionen. Nach der Theorie des Übergangszustandes hängt die Geschwindigkeitskonstante einer Elementarreaktion von deren freier Aktivierungsenthalpie ab, also der freien Enthalpie, die zur Erreichung des Übergangszustandes der Elementarreaktion aufzubringen ist. Die Abhängigkeit chemischer Elementarreaktionen von der Temperatur wird in Geschwindigkeitsgesetzen, die Reaktionsgeschwindigkeiten als Funktion der Zusammensetzung des Reaktionsgemisches beschreiben, durch die Geschwindigkeitskonstanten abgebildet.[3]
Messung von Geschwindigkeitskonstanten
Geschwindigkeitskonstanten werden üblicherweise aus Konzentrations-Zeit-Profilen der Reaktionen von Interesse bestimmt. Die so erhaltenen experimentellen Konzentrations-Zeit-Paare werden in linearisierte Formen bekannter Zeitgesetze eingesetzt, die die Zusammensetzung des Reaktionsgemisches als Funktion der Reaktionsdauer darstellen. Sofern für die so berechneten Datenpunkte eine Ausgleichsgerade mit akzeptablem Bestimmtheitsmaß erstellt werden kann, lässt sich die Geschwindigkeitskonstante anhand des linearisierten Zeitgesetzes ermitteln.[4] Sofern ein zu den experimentellen Daten passendes Zeitgesetz identifiziert wurde, ist in der Regel auch das zu dem betreffenden Zeitgesetz gehörige Geschwindigkeitsgesetz bekannt.
Geschwindigkeitskonstanten und Gesamtreaktionen
Gesamtreaktionen, für die phänomenologische Konzentrations-Zeit-Profile beobachtbar sind, können mehrere konsekutiv oder parallel ablaufende Elementarreaktionen umfassen und damit komplexe Reaktionsmechanismen aufweisen. Beispiele hierfür sind Kettenreaktionen. Ebenso können makrokinetische Faktoren oder Adsorptions- und Desorptionsprozesse die Reaktionskinetik beeinflussen. Auch katalytische Reaktionen umfassen typischerweise mehrere elementare Teilschritte, wie etwa der Michaelis-Menten-Mechanismus im Bereich der Enzymkatalyse oder die Langmuir-Hinshelwood- und Eley-Rideal-Mechanismen[2] im Bereich der heterogenen Katalyse. Hieraus resultieren typischerweise komplexe Geschwindigkeits- und Zeitgesetze, in denen mehrere Geschwindigkeitskonstanten aus einzelnen Elementarprozessen auftreten können.[5]
Reaktionen 1. und 2. Ordnung
Häufig sind experimentell erhaltene Daten zur Kinetik chemischer Reaktionen mit einfachen Geschwindigkeitsgesetzen kompatibel, in denen die Reaktionsgeschwindigkeit proportional zu Produkten von Potenzfunktionen der Edukt-Konzentrationen ist. In derartigen Fällen ist die Geschwindigkeitskonstante die Proportionalitätskonstante zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit und den Produkten der Potenzfunktionen der Edukte. Die Potenz der Konzentration von Edukt nennt man partielle Reaktionsordnung in Bezug auf . Die Summe der partiellen Reaktionsordnungen in Bezug auf die Ausgangsstoffe der betrachteten Reaktion ist die Gesamtreaktionsordnung . Sind an einer Reaktion Ausgangsstoffe mit den partiellen Reaktionsordnungen beteiligt, erhält man:
Die Einheit der Geschwindigkeitskonstante hängt von der Gesamt-Reaktionsordnung ab. Werden die Konzentrationen der Edukte als volumenbezogene Stoffmengenkonzentrationen mit der SI-Einheit angegeben, resultiert als SI-Einheit für entsprechend:
Viele Reaktionen besitzen Gesamtreaktionsordnungen oder . Diese Reaktionen werden als Reaktionen 1. Ordnung und 2. Ordnung bezeichnet. In derartigen Fällen besteht die Gesamtreaktion oft aus einer einzigen Elementarreaktion, die häufig einen bimolekularen Stoß umfasst und eine Kinetik 2. Ordnung besitzt. In anderen Szenarien verläuft eine Elementarreaktion deutlich langsamer als die anderen Elementarreaktionen und dominiert die Gesamtkinetik als geschwindigkeitsbestimmender Schritt, etwa bei unimolekularen Zerfallsreaktionen, die 1. Ordnung sind.[3]
Für eine Beispielreaktion mit , und als stöchiometrischen Koeffizienten sowie , und als volumenbezogenen Stoffmengenkonzentrationen der an der Beispielreaktion beteiligten Stoffe , und wird die Reaktionsgeschwindigkeit:
Hierbei sind die vergangene Reaktionsdauer sowie und die partiellen Reaktionsordnungen in Bezug auf die Edukte und . Zu beachten ist, dass die partiellen Reaktionsordnungen und nicht notwendigerweise gleich den stöchiometrischen Koeffizienten und sind. Da weder die Reaktionsgeschwindigkeit noch die Edukt-Konzentrationen negativ werden können, kann auch die Geschwindigkeitskonstante keine negativen Werte annehmen. Die Einheit von wir dann:
Aktivierungsenergie und Temperaturabhängigkeit
Arrhenius-Gleichung
Im Gegensatz zu den freien Aktivierungsenthalpien einzelner Elementarreaktionen repräsentiert die Aktivierungsenergie die phänomenologische Aktivierungsbarriere einer Gesamtreaktion. Chemische Reaktionen, die mit einer Aktivierungsbarriere verbunden sind, werden üblicherweise durch Temperaturerhöhungen beschleunigt, so dass die Geschwindigkeitskonstante mit zunehmender Temperatur größer werden muss. Dann lassen sich die Abhängigkeiten der Geschwindigkeitskonstante von der Aktivierungsenergie und der Temperatur häufig durch die Arrhenius-Gleichung beschrieben:
mit
- Frequenzfaktor oder präexponentieller Faktor (als nicht temperaturabhängig angenommen: was für die meisten Belange eine hinreichend genaue Näherung ist)
- molare Aktivierungsenergie in J/mol
- universelle Gaskonstante = 8,314 J/(mol·K)
- absolute Temperatur in K.
Experimentelle Bestimmung von Aktivierungsenergie und präexponentiellem Faktor
Die logarithmierte Form der Arrhenius-Gleichung ist eine Geradengleichung mit der Steigung und dem Achsenabschnitt :
Zur experimentellen Bestimmung von und wird für mehrere Temperaturen bestimmt. Durch die so erhaltenen Datenpunkte legt man eine Ausgleichsgerade, deren Steigung entsprechend und deren Achsenabschnitt entsprechend sind.
Grenzwert-Verhalten
Aus der Arrhenius-Gleichung geht hervor, dass die Geschwindigkeitskonstante gegen den präexponentiellen Faktor läuft, wenn die Aktivierungsenergie gegen null läuft:
Ebenso läuft die Geschwindigkeitskonstante gegen den präexponentiellen Faktor , wenn die Temperatur gegen unendlich läuft:
Entsprechend ist der Wert des präexponentiellen Faktors der maximal mögliche Wert, den die Geschwindigkeitskonstante annehmen kann.
Laufen die Aktivierungsenergie gegen unendlich oder die Temperatur gegen null, läuft die Geschwindigkeitskonstante gegen null, und die Reaktion kommt zum Erliegen:
Sowie:
Beziehung zur Stoßtherorie
Sofern die Reaktionskinetik einer Gasphasenreaktion durch eine Elementarreaktion bestimmt wird, die einen bimolekularen Stoß beinhaltet, und dies durch die Arrhenius-Gleichung phänomenologisch abgebildet wird, kann versucht werden, die Temperaturabhängigkeit des präexponentiellen Faktors mittels der Stoßtheorie abzuschätzen:
mit
entspricht demzufolge dem Produkt aus der Stoßzahl sowie dem Orientierungsfaktor und damit der maximalen Anzahl von Stößen der Edukte, die potentiell zu einer Reaktion führen können.
Siehe auch
- Damköhler-Zahl
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Eintrag zu rate constant. In: IUPAC (Hrsg.): Compendium of Chemical Terminology. The “Gold Book”. doi:10.1351/goldbook.08203 – Version: 5.0.0.
- ↑ a b Wladimir Reschetilowski: Kinetik heterogen katalysierter Reaktionen und Reaktionsmechanismen. In: Einführung in die Heterogene Katalyse. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2015, ISBN 978-3-662-46983-5, "7.1.1 Oberflächenreaktion als geschwindigkeitsbestimmender Schritt" und "7.1.2 Kinetische Ansätze nach Hougen-Watson", S. 100–121, doi:10.1007/978-3-662-46984-2_7 (springer.com [abgerufen am 6. April 2025]).
- ↑ a b Carl Heinz Hamann, Dirk Hoogestraat, Rainer Koch: Grundlagen der Kinetik: Von Transportprozessen zur Reaktionskinetik. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2017, ISBN 978-3-662-49392-2, 4.2.1.1 Elementarreaktionen, S. 101–113, doi:10.1007/978-3-662-49393-9 (springer.com [abgerufen am 6. April 2025]).
- ↑ M. Dieter Lechner: Einführung in die Kinetik: Chemische Reaktionskinetik und Transporteigenschaften. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2018, ISBN 978-3-662-57454-6, 3.1 Konzentration in Abhängigkeit von der Zeit, S. 9 ff., doi:10.1007/978-3-662-57455-3 (springer.com [abgerufen am 6. April 2025]).
- ↑ Carl Heinz Hamann, Dirk Hoogestraat, Rainer Koch: Grundlagen der Kinetik: Von Transportprozessen zur Reaktionskinetik. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2017, ISBN 978-3-662-49392-2, 4.2.1.2 Zusammengesetzte Reaktionen, S. 113–120, doi:10.1007/978-3-662-49393-9 (springer.com [abgerufen am 6. April 2025]).