Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt

Das soziologische Feld der Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt ist eine besondere Form der Arbeitsmarktsegregation und beschreibt die Ungleichverteilung von Berufs- und Lebenschancen von Frauen und Männern. Das ist trotz eines erheblichen Anstiegs des Bildungs- und Qualifikationsniveaus und einer steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie gesetzlich verankerten Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter der Fall.

Man spricht auch von Männer- und Frauendomänen.

Historisches

Im Deutschen Reich wurden Ehefrauen und Mütter durch einzelne gesetzliche Maßnahmen aus dem Arbeitsmarkt verdrängt bzw. aus bestimmten Berufen ausgegrenzt:

  • Von 1880 bis 1919 galt ein Lehrerinnenzölibat, wodurch Lehrerinnen bei Eheschließung ihre Stellung ebenso wie ihre Ansprüche auf ein Ruhegehalt verloren.[1]
  • Die Personalabbauverordnung legalisierte in der Weimarer Republik 1923 die zu der Zeit gängige Praxis, Beamtinnen zu entlassen, wenn sie heirateten oder ein uneheliches Kind bekamen.[2]
  • In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Ehefrauen ein Anreiz zum Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt gewährt, indem Jungvermählten ein Ehestandsdarlehen für die Beschaffung von Hausrat gewährt wurde unter der Voraussetzung, dass die Ehefrau aus der Erwerbstätigkeit ausschied.

Horizontale und vertikale Segregation

Horizontale Segregation meint Unterschiede auf einer Hierarchieebene. Die Arbeitswelt lässt sich in männliche und weibliche Bereiche einteilen, somit ist der Arbeitsmarkt geschlechtlich segregiert: Die horizontale Segregation der Berufe teilt den gesamten Erwerbsbereich in männliche und weibliche Tätigkeitsfelder, Berufe und Branchen auf. Die Grenzziehungen, ab welcher Prozentzahlen von "Frauenberufen" und "Männerberufen" beziehungsweise gemischten Berufen gesprochen wird, variieren jedoch in der Literatur. In fast allen Berufen und Branchen besteht ein großes Missverhältnis zwischen den Geschlechtern, so arbeiteten 2010 2/3 der Männer in sogenannten Männerberufen mit einem Frauenanteil unter 30 %.[3] Frauen arbeiten verstärkt im Einzelhandel und in sozialen Berufen, während Männer eher technische, handwerkliche und verwandte Berufe im Produktionsbereich ausüben. Vgl. Liste von Frauenanteilen in der Berufswelt.

Vertikale Segregation meint Unterschiede durch Ungleichverteilung auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Männer und Frauen sind auf unterschiedlichen Hierarchieebenen ungleich verteilt. Im Jahr 2014 lag der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft in der ersten Hierarchieebene bei lediglich 25 %. Frauen sind demnach im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbelegschaft noch immer deutlich unterrepräsentiert.[4] Karrierewege von Frauen werden durch informelle und oft unsichtbare Barrieren, die den Zugang zu höheren Positionen ermöglichen, die sogenannte Gläserne Decke, versperrt. Zusätzlich gibt es erhebliche Lohndifferenzen zwischen den Geschlechtern (siehe Gender-Pay-Gap).

Institutionelle Regelungen

Es existieren verschiedene institutionelle Regelungen in Deutschland und Schweden, die direkt und/oder indirekt die Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt positiv oder negativ beeinflussen. Obwohl Schweden im Vergleich zu Deutschland länger und stärker die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt durch institutionelle Regelungen wie z. B. durch das Gesetz über die Chancengleichheit herzustellen versucht, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine staatlich garantierte umfassende Kinderbetreuung fördert, gelingt es bisher auch in Schweden nur bedingt, die Segregation des Arbeitsmarktes in männliche und weibliche Bereiche aufzulösen.

In Deutschland schreibt das "Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen" seit dem 1. Januar 2016 bei Nachbesetzungen eine verbindliche Frauenquote von 30 % in Aufsichtsräten von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen vor.[5]

Auswirkungen auf den Gender-Pay-Gap

Eine schwedische Studie hat festgestellt, dass Arbeitsmarktsegregation einen erheblichen Anteil des Gender-Pay-Gap aufklärt, aber ein signifikanter Lohnunterschied auch dann verbleibt, wenn zusätzliche Faktoren statistisch konstant gehalten werden. Das Ergebnis wird als ein Hinweis auf Lohndiskriminierung im schwedischen Arbeitsmarkt interpretiert.[6]

Nach dem Employment Outlook der OECD aus dem Jahre 2002 bleibt Arbeitsmarktsegregation weiterhin als Problem am Arbeitsmarkt bestehen und führt dazu, dass die kognitiven Fähigkeiten und Führungskompetenzen von Frauen ungenügend genutzt werden.[7]

Um die Arbeitsmarktsegregation umfassend begreifen zu können, muss die Verteilung von guten Positionen (hohes Entgelt, hohe Entscheidungsbefugnis, hoher gesellschaftlicher Status, hohe Arbeitsplatzsicherheit) und schlechten Positionen (niedriges Entgelt, geringe Entscheidungsbefugnis, niedriger gesellschaftlicher Status, geringe Arbeitsplatzsicherheit) in Relation zu (mindestens) den klassischen Ungleichheitsdimensionen ethnischer Zugehörigkeit, Klasse und Geschlecht (engl. race, class, gender) betrachtet werden. Der Segregationsgrad auf dem Arbeitsmarkt beeinflusst in der kapitalistischen Gesellschaften die Lebenschancen und steuert durch die schlechteren Bedingungen soziale, kulturelle und materielle Benachteiligungen.[8]

Um die geschlechtsspezifische Einkommensschere auf Grund der Berufswahl zu schließen, wird versucht, Jungen über Boys’ Day in typische Frauenberufe und Mädchen über Girls’ Day in typische Männerberufe zu bringen.

Literatur

  • Uta Liebeskind: Arbeitsmarktsegregation und Einkommen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, KZfSS. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Heft Dezember 2004 ISSN 0023-2653
  • Andrea Leitner: Frauenberufe – Männerberufe: Zur Persistenz geschlechtshierarchischer Arbeitsmarktsegregation, in: Institut für Höhere Studien, Reihe Soziologie Nr. 47, Wien 2001
  • Bettina Heintz (Hrsg.): Geschlechtersoziologie. 2. aktualisierte Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-33753-1.
  • Reinhard Kreckel: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Campus-Verlag, Frankfurt a. M./New York 2004, ISBN 3-593-37598-2, S. 212–283.
  • Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Unter Mitarbeit von Barbara Budrich. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-16154-9.
  • Jens Krabel, Olaf Stuve Hg.: Männer in "Frauen-Berufen" der Pflege und Erziehung. Barbara Budrich, Leverkusen 2005 ISBN 9783938094525
  • Angelika Wetterer: Arbeitsteilung- und Geschlechterkonstruktion. „Gender at work“ in theoretischer und historischer Perspektive. Zugleich: Univ. Kassel, Habil.-Schrift, 2000. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2002, ISBN 3-89669-787-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. „Die Zölibatsklausel bestimmte, dass die Beamtin bei ihrer Heirat aus dem Dienst ausscheiden musste, folglich nur ledige oder kinderlos verwitwete Frauen überhaupt eingestellt wurden. Bei Eheschließung erlosch der Anspruch auf das Ruhegehalt vollständig.“ Zitiert aus: E. Kohler-Gehrig: Die Geschichte der Frauen im Recht (PDF; 241 kB), Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, August 2007, S. 23.
  2. Gisela Helwig: Weimarer Republik. In: Weg zur Gleichberechtigung, Informationen zur politischen Bildung (Heft 254). Bundeszentrale für politische Bildung, archiviert vom Original am 29. Januar 2012; abgerufen am 9. Februar 2014. Druckausgabe: 1997.
  3. Hausmann, Ann-Christin/Kleinert, Corinna: Männer- und Frauendomänen kaum verändert. Berufliche Segregation auf dem Arbeitsmarkt. In: IAB-Kurzbericht 9/2014
  4. Kohaut, Susanne/Möller, Iris: Im Osten sind Frauen öfter an der Spitze. Führungspositionen in der Privatwirtschaft. In: IAB_Kurzbericht 2/2016
  5. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=88098.html [zuletzt aufgerufen am 10. Mai 2016]
  6. LeGrand, Carl. (1991) "Explaining the Male-Female Wage Gap: Job Segregation and Solidarity Wage Bargaining in Sweden" (Memento des Originals vom 4. Juli 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/asj.sagepub.com, Acta Sociologica 34, 261–278.
  7. OECD (2002). Employment Outlook (PDF; 647 kB). Paris: OECD. Seite 61: "Occupational and sectoral segmentation also remains strong and appears to result in an under-utilisation of women’s cognitive and leadership skills. Women continue to earn less than men, even after controlling for characteristics thought to influence productivity."
  8. Karin Gottschall: Geschlechterverhältnis und Arbeitsmarktsegregation. In: Becker-Schmidt, Regina; Knapp, Gudrun-Axeli: Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften. Frankfurt am Main; New York : Campus Verlag, 1995, S. 125–162