Gertrud Bing
Gertrud Bing (* 7. Juni 1892 in Hamburg; † 3. Juli 1964 in London) war eine deutsche Kunsthistorikerin, Philosophin und Institutsleiterin.
Leben
Gertrud Bing, Tochter des jüdischen Kaufmanns Moritz Bing, besuchte das Heinrich-Hertz-Gymnasium in Hamburg und studierte anschließend Philosophie in München und Hamburg. Seit 1921/22, nach ihrer philosophischen Promotion an der Hamburger Universität bei Ernst Cassirer[1], war sie Mitarbeiterin von Aby Warburg, dessen Gesammelte Werke (1932) sie seit seinem Tod edierte. Bing half dabei, die Warburg-Bibliothek 1933 vor dem Zugriff der Nationalsozialisten nach London zu retten.
In London setzte sich Gertrud Bing besonders für die Exilanten und Exilantinnen aus dem Hitler-Regime ein und arbeitete eng mit Hilde Lion von der Stoatley Rough School zusammen. Gertrud Bing hatte ein großes psychologisches Gespür für das Schicksal der Flüchtlinge. So wurde ein großer Teil der administrativen und persönlichen Belange der Ausgewanderten von ihr abgewickelt. Sie arbeitete mit der englischen Society for the Protection of Science and Learning und dem amerikanischen Emergency Committee zusammen, um den arbeitslosen jüdischen Intellektuellen geeignete Stellen in Schulen und Universitäten in Europa und den USA zu verschaffen. Mit großem Engagement gelang es ihr zum Beispiel, dem deutschen Philosophen Helmut Kuhn, der mit seiner Frau Käthe und seinen Kindern Reinhard und Annette in Haslemere im Exil lebte, eine Gastprofessur an der amerikanischen Universität Chapel Hill in North Carolina zu vermitteln.[2]
Nach Fritz Saxl und Henri Frankfort wurde sie seit 1955 als Professorin Leiterin des Warburg Institute, das 1944 in die Universität London eingegliedert worden war. 1959 ging sie in den Ruhestand und erhielt für ihre Verdienste die Ehrendoktorwürde der Universität Reading. Eine von Bing über Jahrzehnte geplante Warburg-Biographie blieb aus Krankheitsgründen unbeendet.
1931 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern des ersten deutschen Zonta-Clubs.[3]
Schriften
- Fragments sur Aby Warburg. Documents originaux et leur traduction française. Avant-propos de Carlo Ginzburg. Hrsg. von Philippe Despoix, Martin Treml. Institut national d'histoire de l'art (INHA), Paris 2019.
- London School of Economics Archive, Briefe von Gertrud Bing an Hilde Lion, 5. Juli 1937, 16. August 1937, 25. Februar 1938.
- Warburg Institute Archive, GC, London, Brief von Käthe Kuhn an Gertrud Bing, 31. Januar 1938.
- Gertrud Bing im Warburg-Cassirer-Kreis. Mit dem Text ihrer Dissertation von 1921. Hrsg. von Dorothee Gelhard und Thomas Roider, Wallstein, Göttingen 2024, (=Wissenschaftler in Hamburg, 8) ISBN 978-3-8353-5310-7.
Literatur
- Rainer Donandt: Bing, Gertrud. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 7. Wallstein, Göttingen 2020, ISBN 978-3-8353-3579-0, S. 30–32.
- Ernst Gombrich: Gertrud Bing, 1892–1964. In: Gertrud Bing in Memoriam. Warburg Institute London 1965, S. 1–3
- Gertrud Bing zum Gedenken. In: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, Bd. 10 (1965), S. 7–12
- Dorothee Gelhard; Thomas Roider: Gertrud Bing im Warburg-Cassirer-Kreis. Mit dem Text ihrer Dissertation von 1921. Wallstein, Göttingen 2024, ISBN 978-3-8353-5310-7 (Wissenschaftler in Hamburg, hg. von Ekkehard Nümann für die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung, Band 8)
- Alexandra Habermann, Rainer Klemmt, Frauke Siefkes: Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925–1980. Klostermann, Frankfurt 1985, ISBN 3-465-01664-5, S. 23
- Karen Michels (Hrsg.): Aby Warburg. Mit Bing in Rom, Neapel, Capri und Italien. Karen Michels auf den Spuren einer ungewöhnlichen Reise. CORSO, Hamburg 2010, ISBN 978-3-86260-002-1
- Hans-Michael Schäfer: Bing, Gertrud. In: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.): Das Jüdische Hamburg – ein historisches Nachschlagewerk. Wallstein, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0004-0, S. 36 f
- Die kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg. Geschichte und Persönlichkeiten der Bibliothek Warburg mit Berücksichtigung der Bibliothekslandschaft und der Stadtsituation der Freien und Hansestadt Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 2003, ISBN 3-8325-0074-X
- Bing, Gertrude. In: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,1. Saur, München 1983, ISBN 3-598-10089-2, S. 110
- Laura Tack: The fortune of Gertrud Bing (1892–1964). A fragmented memoir of a phantomlike muse. Peeters, Leuven 2020 (Studies in Iconology; 16), ISBN 978-90-429-4191-5
- Ulrike Wendland: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler. Teil 1: A–K. Saur, München 1999, ISBN 3-598-11339-0, S. 56–59
- Philippe Despoix, Martin Treml: Gertrud Bing. Zentralfigur in Aufbau und Netzwerk der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. In: Ernst Müller, Barbara Picht (Hrsg.): "Vorträge der Bibliothek Warburg". Das intellektuelle Netzwerk der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Wallstein Verlag, Göttingen 2023, ISBN 978-3-8353-5345-9, S. 47–65, doi:10.46500/83535345.
Weblinks
- Literatur von und über Gertrud Bing im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- arthistorians.info: Eintrag im Dictionary of Art Historians
- dasjuedischehamburg.de: Bing, Gertrud
Einzelnachweise
- ↑ Ihre Dissertation ist wiedergegeben in: Gertrud Bing im Warburg-Cassirer-Kreis. Wallstein, Göttingen 2024, ISBN 978-3-8353-5310-7
- ↑ Christiane Goldenstedt: "Du hast mich heimgesucht bei Nacht". - Die Familie Kuhn im Exil. Books on demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-7322-0766-4: "(...), und die Eltern Kuhn sind die Letzten, die es bestreiten würden, dass die Einschulung bei dir in dem Augenblick ein großes Glück war." Brief von Gertrud Bing an Hilde Lion, 25.02.1938.
- ↑ Die ZONTA-Gründungsmitglieder, d-nb.info, abgerufen am 17. Mai 2016
Personendaten | |
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NAME | Bing, Gertrud |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Kunstwissenschaftlerin |
GEBURTSDATUM | 7. Juni 1892 |
GEBURTSORT | Hamburg |
STERBEDATUM | 3. Juli 1964 |
STERBEORT | London |