Georg Wilhelm Pabst
Georg Wilhelm Pabst (* 27. August 1885 in Raudnitz, Böhmen; † 29. Mai 1967 in Wien), üblicherweise bezeichnet als G. W. Pabst, war ein österreichischer Filmregisseur. Zu seinen bekanntesten Filmen gehören Die freudlose Gasse (1925), Die Büchse der Pandora (1929), Die Dreigroschenoper (1931) sowie Kameradschaft (1931).
Pabst zählt mit Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und Ernst Lubitsch zu den großen Film-Regisseuren der Weimarer Republik.[1]
Leben und Wirken
Pabst gelangte über das Theater zum Film, wo er zunächst in anderen Bereichen tätig war, bevor er 1923 mit Der Schatz als Regisseur debütierte.
Sein erster großer Erfolg war der Film Die freudlose Gasse 1925 mit Greta Garbo und Asta Nielsen. Mit diesem sozialkritischen, oft zensierten Film begann eine äußerst produktive Zeit mit zahlreichen künstlerisch wertvollen und kommerziell erfolgreichen Filmen. Pabst wurde in Filmgeschichten als einer der Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit im Film bezeichnet, ohne dass sein Werk je auf einen Stil festlegbar gewesen wäre. Einer im Studio gedrehten, von der Psychoanalyse beeinflussten Produktion mit dem Titel Geheimnisse einer Seele folgte der melodramatische, für seine Freiluftphotographie gelobte Film Die Liebe der Jeanne Ney, an den sich wiederum die kühl beobachtete Schilderung einer Ehekrise in Abwege von 1928 anschloss. Seine letzten Stummfilme Die Büchse der Pandora (basierend auf Frank Wedekinds Die Büchse der Pandora und Erdgeist) sowie Tagebuch einer Verlorenen, die er beide mit der damals noch sehr unbekannten amerikanischen Schauspielerin Louise Brooks drehte, gehören zu seinen international bekanntesten Werken. 1930 konnte Pabst seinen ersten Tonfilm Westfront 1918 realisieren. Der kompromisslose Antikriegsduktus des Films führte in Deutschland genau wie Lewis Milestones Film All Quiet on the Western Front (deutsch: Im Westen nichts Neues) zu heftigen Diskussionen. Mit den folgenden Filmen Die Dreigroschenoper und dem die Völkerverständigung propagierenden Kameradschaft verortete Pabst sein Werk politisch noch fester im linken Spektrum und brachte ihm den Spitznamen „der rote Pabst“ ein.[2]
Zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten befand sich Pabst gerade zu Dreharbeiten in Frankreich. Er beschloss, in Frankreich zu bleiben, wo er noch einen weiteren Film verwirklichte.
Noch im selben Jahr war die nächste Station Hollywood, wo er allerdings 1934 mit dem Film A Modern Hero wenig Entfaltungsspielraum und schließlich auch wenig Erfolg hatte. 1936 kehrte Pabst wieder nach Frankreich zurück, ohne in Hollywood noch einen weiteren Film inszeniert zu haben. In Frankreich drehte er bis 1939 noch drei weitere Filme, die eher der Unterhaltung verpflichtet waren. Noch im Jahr 1938 beschloss er, endgültig in die USA zu gehen. Er wurde allerdings im September 1939 durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Österreich, wo er gerade seine Familie besuchte, überrascht. Da er das Deutsche Reich nicht mehr verlassen konnte, drehte er nun Filme für die Bavaria Film. Die Filmbiografien Komödianten und Paracelsus verklärten historische Figuren der deutschen Geschichte und sind mit ihren subtilen Propagandatendenzen typisch für die Ära. Leni Riefenstahl bat Pabst um Regiehilfe bei dem Film Tiefland, da sie sich als Schülerin von Pabst fühlte. Die Zusammenarbeit wurde aber bald im Streit beendet, weil Riefenstahl völlig andere Vorstellungen von der Führung von Schauspielern hatte.[3]
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Pabst nicht mehr an die Erfolge der Filme der Weimarer Republik anknüpfen. Er drehte Filme in Österreich, Italien und Deutschland. Allerdings sind sein erster Nachkriegsfilm Der Prozeß von 1947, der sich mit Antisemitismus anhand eines historischen Falles auseinandersetzt, sowie Der letzte Akt und Es geschah am 20. Juli, die beide 1955 gedreht wurden und sich mit dem „Dritten Reich“ beschäftigen, durchaus bemerkenswerte Versuche, sich mit den Schatten der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Pabst konnte mit Mitteln der Stadt Wien 1949 vier Filme produzieren, aber der verheerende Misserfolg des Films Geheimnisvolle Tiefe (das Drehbuch stammte von seiner Frau, die auch stark in die Regiearbeit eingebunden war) führte zum Ende des Projekts und seine Karriere und sein Ruf wurden immer mehr durch Auftragsarbeiten wie z. B. seine beiden letzten Filme Rosen für Bettina und Durch die Wälder, durch die Auen (beide 1956) beschädigt. Pabsts Erkrankung an Parkinson 1957 machte schließlich eine Fortsetzung seiner Filmarbeit unmöglich.
Pabst ist auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 32 C, Nummer 31) in einem Ehrengrab beigesetzt. 1968 wurde die Georg-Wilhelm-Pabst-Gasse in Wien-Favoriten nach ihm benannt. 2024 wurde zudem der Vorplatz des alten Kinos in Leibnitz nach G. W. Pabst benannt, da er mehrere Jahre das Privatschloss Fünfturm in Tillmitsch bei Leibnitz bewohnte.[4]
Pabst war ab 1924 mit Gertrude (Trude) Hennings (geb. 1899) verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn Peter (geb. 1924) war nach dem Zweiten Weltkrieg Assistent seines Vaters, später Redakteur beim Bayerischen Fernsehen; 1964/65 führte der zweite Sohn Michael (geb. 1941) Gespräche zur Vorbereitung einer Biografie, die unvollendet blieb.[5]
G. W. Pabst ist der fiktionale Protagonist des im Herbst 2023 veröffentlichten Romans Lichtspiel von Daniel Kehlmann.
Filmografie
Stummfilme:
- 1922: Luise Millerin (nur Co-Drehbuch)
- 1923: Der Schatz
- 1924: Gräfin Donelli
- 1925: Die freudlose Gasse
- 1926: Geheimnisse einer Seele
- 1926: Man spielt nicht mit der Liebe
- 1927: Die Liebe der Jeanne Ney
- 1928: Abwege
- 1929: Die Büchse der Pandora
- 1929: Tagebuch einer Verlorenen
- 1929: Die weiße Hölle vom Piz Palü (Regie mit Arnold Fanck)
Tonfilme:
- 1930: Westfront 1918 (Arbeitstitel: Vier von der Infanterie)
- 1930: Skandal um Eva
- 1931: Die Dreigroschenoper
- 1931: Kameradschaft
- 1932: Die Herrin von Atlantis
- 1933: Don Quichotte
- 1933: Du haut en bas
- 1933: Cette nuit-là (nur künstler. Leitung, Regie: Mark Sorkin)
- 1934: A Modern Hero
- 1936: Mademoiselle Docteur
- 1938: Le drame de Shanghaï
- 1939: Jeunes filles en détresse
- 1941: Komödianten
- 1943: Paracelsus
- 1945: Der Fall Molander[6]
- 1948: Der Prozeß[7]
- 1949: Geheimnisvolle Tiefe
- 1949: Duell mit dem Tod (nur Produktion und Co-Drehbuch)[8]
- 1949: Eins, zwei, drei – aus (nur Produktion)
- 1950: Ruf aus dem Äther (nur Produktion und künstler. Gesamtltg.)
- 1952: Männer ohne Tränen (La voce del silenzio)
- 1954: Cose da pazzi
- 1954: Das Bekenntnis der Ina Kahr
- 1955: Der letzte Akt
- 1955: Es geschah am 20. Juli
- 1956: Rosen für Bettina
- 1956: Durch die Wälder, durch die Auen
Auszeichnungen
- 1948: Ehrenring der Stadt Wien
- 1963: Bundesfilmpreis (Ehrenpreis)
- 2014: Stern auf dem Boulevard der Stars in Berlin
Literatur
- Wolfgang Jacobsen (Hrsg.): G. W. Pabst. Argon, Berlin 1997, ISBN 3-87024-365-1
- Wolfgang Jacobsen: Pabst, Georg Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 737 f. (Digitalisat).
- Andre Kagelmann u. Reinhold Keiner: „Lässig beginnt der Tod, Mensch und Tier zu ernten.“ Überlegungen zu Ernst Johannsens Roman Vier von der Infanterie und G. W. Pabsts Film WESTFRONT 1918. In: Ernst Johannsen: Vier von der Infanterie. Ihre letzten Tage an der Westfront 1918. Hrsg. v. dens. Kassel: Media Net-Edition 2014. S. 80–113. ISBN 978-3-939988-23-6
- Hermann Kappelhoff: Der möblierte Mensch. Georg Wilhelm Pabst und die Utopie der Sachlichkeit. Ein poetologischer Versuch zum Weimarer Autorenkino. Vorwerk 8, Berlin 1995, ISBN 3-930916-02-9
- Daniel Kehlmann: Lichtspiel. Rowohlt, Hamburg 2023. ISBN 978-3-498-00387-6
- Gerald Koll: Pandoras Schätze. Erotikkonzeptionen in den Stummfilmen von G. W. Pabst. Diskurs Film Verlag, München 1998, ISBN 3-926372-64-8.
- Thomas Koebner: Georg Wilhelm Pabst 1885–1967. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 560–568.
- Hans-Joachim Schlegel: Filmen zu Zeiten der Okkupation. Miloš Havel, Otakar Vávra und G. W. Pabst im Prag der Protektoratszeit. In: Johannes Roschlau (Red.): Zwischen Barrandov und Babelsberg. Deutsch-tschechische Filmbeziehungen im 20. Jahrhundert. edition text + kritik, München 2008, ISBN 978-3-88377-949-2, S. 102–110
- Gottfried Schlemmer, Bernhard Riff, Georg Haberl (Hrsg.): G. W. Pabst. MAkS Publikationen, Münster 1990, ISBN 3-88811-600-7
- „Meine Ehre heißt Treue.“ Arbeitsblätter zur Filmauswertung (zu: „Duell mit dem Tode.“ (sic).) Ohne Verf. Staatsbürgerliche Bildungsstelle des Landes NRW[9]
- Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 6: N – R. Mary Nolan – Meg Ryan. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 104 ff.
- Kay Weniger: ‘Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …’. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 640–643
Weblinks
- Literatur von und über Georg Wilhelm Pabst im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Georg Wilhelm Pabst in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Susanne Eckelmann: Georg Wilhelm Pabst. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
- Georg Wilhelm Pabst bei IMDb
- Biografie bei CineGraph
- Georg Wilhelm Pabst bei filmportal.de
- „Der andere Blick“, Filmessay über G.W.Pabst, von Hannah Heer & Werner Schmiedel (A/USA 1991/92)
Notizen
- ↑ GESTORBEN: JOACHIM TIBURTIUS. In: Spiegel Online. Band 24, 5. Juni 1967 (spiegel.de [abgerufen am 16. Dezember 2019]).
- ↑ Georg Wilhelm Pabst: Ein Regisseur arrangiert sich mit dem NS-Staat
- ↑ Tiefland
- ↑ Altes Kino Leibnitz: Eröffnung von Vorplatz & G.W.-Papst-Park. In: Leibnitz aktuell. 20. September 2024, abgerufen am 30. September 2024.
- ↑ Georg Wilhelm Pabst - Biografie. Abgerufen am 7. April 2024.
- ↑ unvollendet; nach dem Roman Die Sternengeige von Alfred Karrasch
- ↑ nach dem gleichnamigen Roman von Rudolf Brunngraber. Eine recherchierte Anklage, ein Gerichtsdrama und ein Appell für eine aufgeklärte Gesellschaft. Pabst stellte seinen Film 1948 bei den Filmfestspielen in Venedig vor und war für den Goldenen Löwen nominiert (nicht erhalten). Ernst Deutsch wurde jedoch in Venedig zum besten Hauptdarsteller gekürt, Josef Meinrad glänzte in einer frühen Rolle als Untersuchungsrichter
- ↑ geriet zunächst in Vergessenheit; Film wurde 2011 bei der jährlichen Retrospektive zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wieder in Wien gezeigt Information zur Retrospektive. Siehe auch Literatur, ohne Verf.
- ↑ 16 Seiten Kleinformat. Buch und Regie Paul May. Hauptdarsteller Ralf Nauckhoff, Anneliese Reinhold, Ernst Waldbrunn. 114 Min s/w Prädikat: wertvoll
Personendaten | |
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NAME | Pabst, Georg Wilhelm |
ALTERNATIVNAMEN | Pabst, Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Regisseur |
GEBURTSDATUM | 27. August 1885 |
GEBURTSORT | Raudnitz, Böhmen |
STERBEDATUM | 29. Mai 1967 |
STERBEORT | Wien |
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Vorn Kameramann Sepp Allgeier (1895–1968), dahinter Regisseur Georg Wilhelm Pabst (1885–1967) im Jahr 1929 bei Dreharbeiten am Strand der Ostsee bei Swinemünde für den Film Tagebuch einer Verlorenen nach dem 1905 veröffentlichten Roman von Margarete Böhme (1867–1939).
Autor/Urheber: Kosboot, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Grave of G.W. Pabst, his wife and son at the Zentralfriedhof in Vienna, group 32 C
Film director Georg Wilhelm Pabst and actor Albert Préjean (Mackie Messer) while shooting the film L'Opéra de quat'sous (The Threepenny Opera) in 1931