Geographiedidaktik

Die Geographiedidaktik ist eine Fachdidaktik, die sich speziell mit dem Lehren und Lernen, den fachlichen Inhalten und Methoden der Vermittlung geographischen und geowissenschaftlichen Wissens beschäftigt. Als Klammer ist sie zwischen der Fachwissenschaft und der unterrichtlichen Praxis der Schulgeographie angesiedelt. Ihre theoretischen Beiträge und Theoriediskussionen zeigen, welches fachliche Wissen unterrichtsrelevant ist und sein wird.

Hilfestellungen zu den (Unterrichts)methoden geben die zahlreichen Vermittlungsvorschläge, die durch eine eigene Lehr-Lern-Forschung überprüft werden.

Insgesamt trägt die Geographiedidaktik zur didaktischen Reduktion und Transformation, das heißt zu Auswahl und Aufbereitung des fachwissenschaftlichen Kenntnisstandes für Lern- und Unterrichtszwecke bei.

Basiskonzepte der Geographie

Geographische Basiskonzepte stellen grundlegende Leitideen dar und strukturieren als „Grammatik des Faches“ die vielfältigen Zugangsmöglichkeiten zu raumbezogenen Fragestellungen und Phänomenen. Damit fungieren sie beim Lehren und Lernen geographischer Inhalte als Relevanzfilter.[1]

Es werden folgende Basiskonzepte unterschieden:

  1. Mensch-Umwelt-System
  2. Struktur, Funktion, Prozess
  3. Nachhaltigkeitsviereck
  4. Maßstabsebenen
  5. Zeithorizonte
  6. Vier Raumkonzepte

Die Verwendung der geographischen Basiskonzepte in der Lehre und zum Lernen wird durch die Nutzung einer für mobile Geräte erstellten Web-Applikation gefördert.[2]

Lehrstühle und Verbandsarbeit

Die Geographiedidaktik ist an einigen deutschen, österreichischen und schweizerischen Hochschulen, die Lehrerausbildung betreiben, mit eigenen Lehrstühlen vertreten; einen aktuellen Überblick zu Forschungsstandorten der Geographiedidaktik[3] bietet der Internetauftritt des Hochschulverbandes für Geographiedidaktik (HGD).

Der Verband Deutscher Schulgeographen (VDS) (ggr. 1912) (ca. 5000 Mitglieder), organisiert nach Bundesländern und Fachgruppen (Schularten), dominiert von Gymnasiallehrern, versteht sich als fachspezifische Interessenvertretung, z. B. gegenüber der Kultusbürokratie, dient als Kommunikationsforum der Geographielehrer/-innen untereinander und betreibt eine angewandte (schulpraktische) Forschung. Ehrenmitglied war viele Jahre der Oberstudienrat Richard Bitterling[4] der an der Berliner Leibniz-Schule unterrichtete. Bis zum 30. „Deutschen Schulgeographentag“ in Bremen im Jahr 2006 richtete der Verband alle zwei Jahre an verschiedenen Orten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz den „Deutschen Schulgeographentag“ aus und war beim ebenfalls im zweijährlichen Turnus tagenden Kongress „Deutscher Geographentag“ durch eigene Fachsitzungen vertreten. In Österreich heißt das Schulfach Geographie und Wirtschaftskunde (zur Fachdidaktik in Österreich siehe bei diesem Stichwort dort mehr). Seit 1978 gibt ein Verein für Geographie und Wirtschaftserziehung die repräsentative Fachdidaktikzeitschrift GW-Unterricht[5] heraus. Unregelmäßig findet man auch schulgeographiebezogene Beiträge in den Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft.[6] Dort findet man auch eine bibliographische Zusammenstellung des österreichbezogenen fachdidaktischen Schrifttums der letzten drei Jahrzehnte.[7] Seit dem „Deutschen Geographentag“ in Bayreuth (2007) tritt der VDS in Kooperation mit anderen geographischen Fachverbänden als Veranstalter dieser Kongresse auf, bietet jedoch darüber hinaus weiterhin landesspezifische Schulgeographentage seiner Landesverbände an.[8]

Der Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD)[9] (Gründung 1971) betreibt die universitäre geographiedidaktische Forschung und gibt zwei eigene Schriftenreihen heraus: aperiodisch Geographiedidaktische Forschungen und das Vierteljahresperiodikum Zeitschrift für Geographiedidaktik (ZGD)[10] und die Schriftenreihe Geographiedidaktische Forschungen (GDF)[11]. Die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) gibt die nationalen Bildungsstandards für das Fach Geographie[12] heraus und aktualisiert sie seit 2006 laufend (diese sind in deutscher als auch in englischer Fassung verfügbar).

Der inhaltliche Wandel der Geographiedidaktik bzw. Schulgeographie lässt sich am Beispiel des Deutschen Geographentages 2013 in Passau deutlich ablesen. Standen bei der Gründung des VDS im wilhelminischen Kaiserreich noch vaterländische Erdkunde und Länderkunde im Fokus der Interessen, gestalten die Schulgeographen jetzt drei eigene Leitthemensitzungen mit den Themen „Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung“, „Interkulturelles Lernen“ und „Medien im Geographieunterricht“ sowie darüber hinaus 18 Fachsitzungen zur Fachdidaktik bzw. Schulgeographie.[13]

2015 fand der Deutsche Kongress für Geographie(DKG)[14] (bis 2015 Deutscher Geographentag) in Berlin erstmals mit einem „Tag der Schulgeographie“[15] statt. In Folge wird der „Deutsche Kongress für Geographie“ (DKG) alle vier Jahre veranstaltet, zuletzt 2023 in Frankfurt/Main. Die dortigen Fachsitzungen werden gleichermaßen von Fachgeographen und Fachdidaktikern organisiert und durchgeführt. Im Rahmen des Kongresse vergibt der Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD) seinen wichtigsten wissenschaftlichen Preis, den HGD Dissertationspreis[16], der je nach Bewerberlage alle zwei oder vier Jahre vergeben wird. Die deutsche Schulgeographie vergibt mit ihren Verbänden in diesem Rahmen den Innovationspreis für Schulgeographie (Fritjof-Voss-Stiftung).[17]

Da das Fach Geographie in einigen Bundesländern durch eine Zusammenlegung mit anderen Unterrichtsfächern wie Geschichte und Politik sowie durch Kürzungen in den Stundentafeln andere Bundesländer seit mehreren Jahren zunehmend unter Druck steht, wurde die „Roadmap 2030-Initiative“[18] durch den Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD) begründet in Zusammenarbeit mit Vertretern der Lehrerverbände und der Fachwissenschaft. Ziel der Initiative ist es durch Aktivitäten in verschiedenen politischen, universitären und schulischen Feldern die Geographie in der schulischen Praxis dauerhaft zu stärken, indem der Beitrag des Faches zu geographische Megathemen wie Klimawandel, Migration etc. im Fokus der Öffentlichkeit stehen.

Geographiedidaktische Forschungsfelder seit der Kompetenzorientierung

Die nationalen Bildungsstandards für das Fach Geographie wurden von der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG) herausgegeben und werden seit 2006 laufend aktualisiert[19]; seit den Ergebnissen PISA-Studien stellen Bildungsstandards die Voraussetzung dar für die Forschung zu Kompetenzmodellen als Voraussetzung für die Entwicklung von forschungsbasierten unterrichtlichen Fördermaßnahmen. Während kompetenzorientierte Lehrpläne heute in allen Bundesländern verbreitet sind, verfügen die wenigsten Schulfächer über Kompetenzmodelle, die Lehrkräfte in einem kompetenzorientierten Unterricht unterstützen würden; eine Übersicht zu den Lehrplänen in Deutschland findet man auf dem deutschen Bildungsserver[20] oder die Lehrplandatenbank der Kultusminister-Konferenz.[21] Die Diskussion um die fachdidaktischen Konzeptionen kann man in den Reaktionen auf Lehrplanentwicklungen nachvollziehen, bzw. sieht man darin auch unterschiedliche Frontstellungen: So etwa aktuell anhand der Lehrplanentwürfe für Berlin-Brandenburg[22] und den Argumentationslinien in dazu laufenden Petitionen von Fachlehrern.[23]

Fachdidaktische Diskussionen seit den PISA-Studien drehen sich vor allem um die Entwicklung von Kompetenzmodellen sowie Aufgabenformaten und Lernsettings zur kompetenzorientierte Unterrichtsentwicklung. So auch im Feld der großen Zukunftsthemen, in dem sich Geographieunterricht besonders engagiert. Bei Fragen nach dem Umgang mit Globalen Herausforderungen im Geographieunterricht geht es entsprechend ebenfalls um die Wirksamkeit, d. h. darum, wie Schülerinnen und Schüler in der Arbeit an Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) am besten erreicht und beteiligt werden.[24] Hierbei werden verschiedene Positionen diskutiert, die sich kritisch mit dem Ansatz der Problemorientierung im Unterricht auseinandersetzen. So fordert der Geographiedidaktiker Thomas Hoffmann einen lösungsorientierten Ansatz im Geographieunterricht[25] zu verfolgen, da das klassische problembasierte Lernen, das konstruktivistischen, handlungsorientierten Lerntheorien zu Grunde liegt, gerade in Bezug auf kritische Zukunftsthemen bei Schülerinnen und Schülern Frustration und Überforderung hervorrufe.[26] Vertreterinnen und Vertreter einer transformativen Didaktik schließen hingegen an das transformative Lernen nach Jack Mezirow an, bei dem die Veränderung individueller Bedeutungsperspektiven für die Bewertung bzw. Einordnung neuer Erfahrungen und Erkenntnisse im Zentrum steht.[27]

Literatur

  • Detlef Kanwischer (Hrsg.): Geographiedidaktik: Ein Arbeitsbuch zur Gestaltung des Geographieunterrichts. Borntraeger Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-443-07149-3.
  • David Balderstone (Hrsg.): Secondary Geography Handbook. Geographical Association Sheffield. 2006. ISBN 978-1-84377-165-4.
  • Margaret Roberts: Geography Through Enquiry. Approaches to teaching and learning in the secondary School. Geographical Association Sheffield. 2013.
  • Wulf-Dieter Schmidt-Wulffen, Wolfgang Schramke (Hrsg.): Zukunftsfähiger Erdkundeunterricht. Klett-Perthes, 1999.
  • Wolfgang Sitte, Helmut Wohlschlägl (Hrsg.): Beiträge zur Didaktik des „Geographie und Wirtschaftskunde“-Unterrichts. Bd. 16 der Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, 2001. – Auch als online-Handbuch Institut für Geographie der Universität Wien.
  • Herbert Wagner:
    • Lehrereinsatz, Interessenvertretung und didaktische Innovationen: Bildungsökonomische und wissenschaftssoziologische Aspekte zur Lage der Schulgeographie. FISB-Verlag, Bad Bentheim 1991.
    • Geographische Früherziehung. Didaktische Aspekte, Methoden und Beispiele frühpädagogischer Bildungsarbeit im Kindergarten. Geographie und Kindergarten Bde. 1–3. FISB-Verlag, Bad Bentheim 2013, ISBN 978-3-88683-179-1.
  • Tilman Rhode-Jüchtern: Kreative Geographie. Bausteine zur Geographie und ihrer Didaktik. Wochenschau, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-7344-0015-5.
  • Jander, Schramke, Wenzel (Hrsg.): Metzler Handbuch für den Geographieunterricht. Metzlerverlag, Stuttgart 1982.
  • Sybille Reinfried, Hartwig Haubrich (Hrsg.): Geographie unterrichten lernen – Die Didaktik der Geographie. Neu bearbeitete Auflage, Cornelsen, Berlin 2015, ISBN 978-3-06-065212-9
  • Philip Sierra (Hrsg.): La géographie: concepts, savoirs et enseignements. Armand Colin. Paris 2011.
  • Gisbert Rinschede: Geographiedidaktik. 3. Auflage. Schöningh-UTB-Verlag. Paderborn/München/Wien/Zürich 2007.
  • Johann-Bernhard Haversath: Geographiedidaktik: Theorie – Themen – Forschung. Westermann-Verlag, Braunschweig 2012.
  • Manfred Rolfes und Anke Uhlenwinkel (Hrsg.): Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht. Westermann, Braunschweig 2013. Dazu Online-Ergänzungsband Methoden. [1]
  • Hartwig Haubrich (Hrsg.): Geographie unterrichten lernen. Die neue Didaktik der Geographie konkret. 2. Auflage. Oldenbourg-Verlag, München/Düsseldorf/Stuttgart 2006, ISBN 978-3-637-00345-3.
  • Arnold Schultze (Hrsg.): 40 Texte zur Didaktik der Geographie. Klett-Perthes, 1996.

Weblinks

Hochschulverband für Geographie und ihre Didaktik (HGD):

Landesverbände des Verbandes Deutscher Schulgeographen:

Fachportale für den Unterricht:

Fachzeitschriften zur Fachdidaktik Geographie:

Einzelnachweise

  1. Janis Fögele, Oliver Sesemann & Nils Westphal: Mit Basiskonzepten die fachliche Tiefenstruktur des Geographieunterrichts gestalten. In: Terrasse-Online. Klett-Verlag, 18. Juni 2021 (klett.de).
  2. Janis Fögele, Olivier Sesemann & Nils Westphal: Basiskonzepte der Geographie. Universität Hildesheim - Institut für Geographie - Geographiedidaktik, abgerufen am 30. September 2021 (mobile Applikation).
  3. Forschungsstandorte der Geographiedidaktik (=Lehrstühle). In: Hochschulverband für Geographiedidaktik. 2023, abgerufen am 21. Oktober 2023.
  4. DNB-Eintrag
  5. Vergleiche www.gw-unterricht.at
  6. vgl. 150 Jahre ÖGG - ihre schulbezogenen Beiträge in den "Mitteilungen"; in GW-Unterricht H. 103 2006
  7. Bibliographie des wichtigsten Fachdidaktikschriftums zu GW in Österreich der letzten 3 Jahrzehnte - Qu. MÖGG 2016 (Memento vom 30. September 2015 im Internet Archive)
  8. Vergleiche www.erdkunde.com (Memento vom 21. Februar 2014 im Internet Archive)
  9. Hochschulverband für Geographiedidaktik. In: Hochschulverband für Geographiedidaktik. 2023, abgerufen am 21. Oktober 2023.
  10. Zeitschrift für Geographiedidaktik (ZGD). Abgerufen am 27. August 2023.
  11. Geographiedidaktische Forschungen (GDF). Hochschulverband für Geographiedidaktik, 2023, abgerufen am 21. Oktober 2023.
  12. DGfG: Bildungsstandards für das Fach Geographie
  13. Vergleiche www.geographentag.uni-passau.de
  14. Deutscher Kongress für Geographie 2015 Berlin
  15. Tag der Schulgeographie 2015 in Berlin (Memento vom 16. Februar 2015 im Internet Archive)
  16. HGD Dissertationspreis. In: Hochschulverband für Geographiedidaktik. 2023, abgerufen am 21. Oktober 2023.
  17. Innovationspreis für Schulgeographie. In: Frithjof-Voss-Stiftung. 2023, abgerufen am 21. Oktober 2023.
  18. Roadmap 2030. In: Hochschulverband für Geographiedidaktik. 2023, abgerufen am 21. Oktober 2023.
  19. Nationale Bildungsstandards für das Fach Geographie der DGfG
  20. deutscher Bildungsserver - Lehrpläne
  21. Datenbank KMK zur Lehrplansuche
  22. Rahmenlehrplanentwurf Berlin Brandenburg 2014
  23. Petition zum Berliner LP-Entwurf
  24. Stefan Applis: Wertorientierter Geographieunterricht im Kontext Globales Lernen. In: Geographiedidaktische Schriften. 1. Auflage. Band 51. Selbstverlag des Hochschulverbandes für Geographiedidaktik, Weingarten 2012, ISBN 978-3-925319-36-5, S. 27 ff.
  25. Lösungsorientiert denken – The Future We Want. In: doing geo & ethics | Unterricht digital & analog entwickeln. 15. Juni 2021, abgerufen am 20. Oktober 2023 (deutsch).
  26. Stefan Applis, Rainer Mehren, Marie Ulrich-Riedhammer: Nachhaltigkeit und Ethisches Lernen im Kontext einer lösungsorientierten Didaktik. In: Mirka Dickel, Georg Gudat, Jochen Laub (Hrsg.): Ethik für die Geographiedidaktik. Transkript, Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8376-6229-0, S. 107 ff.
  27. Eva Noethen, Verena Schreiber (Hrsg.): Transformative Geographische Bildung. Schlüsselprobleme, Theoriezugänge, Forschungsweisen, Vermittlungspraktiken. Springer: Spektrum, Berlin 2023, ISBN 3-662-66481-X.