Günter Stüttgen
Günter Stüttgen (* 23. Januar 1919 in Düsseldorf; † 21. Oktober 2003 in Berlin) war ein deutscher Dermatologe und Hochschullehrer. Er leitete von 1968 bis 1988 als Ordinarius und Chefarzt die Universitäts-Hautklinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin im Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Bekannt wurde er für seinen humanitären Einsatz für die Verwundeten beider Seiten in der Schlacht im Hürtgenwald.
Leben und Wirken
Studium
Stüttgen studierte nach dem Abitur in Düsseldorf Medizin an den Universitäten in Freiburg, Marburg und Düsseldorf. Das Staatsexamen legt er 1943 ab.
Das „Wunder vom Hürtgenwald“
Internationale Berühmtheit erlangte Stüttgen insbesondere durch seine Tätigkeit als Hauptmann und Truppenarzt bei der Allerseelenschlacht vom 4. bis 12. November 1944, einer der drei Teilschlachten der Schlacht im Hürtgenwald, der längsten Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden, bei der insgesamt 24.000 Kriegstote beider Seiten gezählt wurden. Der schon damals mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnete Arzt behandelte – wie von den Genfer Konventionen vorgesehen – auch amerikanische Kriegsverwundete in seinem Sanitätsstützpunkt. Am 7. November 1944 kam es zu ersten, direkten Kontakten mit amerikanischem Sanitätspersonal, und es gelang Stüttgen insgesamt dreimal, unter Rückendeckung des Regimentskommandeurs Oberst Rösler mehrstündige Kampfpausen auszuhandeln, in denen beide Seiten ihre Verwundeten retten konnten und versorgte Patienten gegenseitig ausgetauscht wurden[1][2]. Zeitweise arbeitete er in seinem Sanitätsunterstand mit amerikanischem Sanitätspersonal zusammen[3]. Hunderte von Soldaten beider Seiten verdankten Stüttgens engagiertem Einsatz ihr Leben. „Wir hatten Respekt voreinander“, erklärte Günter Stüttgen in einem Interview in der Welt vom 23. Juni 2001[4], „Respekt, den nur Soldaten voreinander haben können, die den Schrecken des Krieges kennen.“
Gegen Kriegsende übergab Stüttgen ein an einem anderen Kampfabschnitt gelegenes ganzes Lazarett kampflos in die Hand der anrückenden Alliierten und wurde dafür in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Fast 50 Jahre lang waren die außerordentlichen Vorgänge im Hürtgenwald in Vergessenheit geraten. Zu Beginn der 1990er Jahre weckten die zahlreichen Schilderungen amerikanischer Kriegsteilnehmer über das „Miracle of Hurtgen Forest“ und den „German doctor“ das Interesse amerikanischer Militärhistoriker. Zusammen mit aktiven Angehörigen der 28. US-Infanteriedivision machten sie sich auf die Suche und identifizierten 1996 Günter Stüttgen als den gesuchten „German doctor“.
Für seinen Akt der Humanität gegenüber dem Feind wurde Günter Stüttgen am 12. November 1996 im Rahmen eines Festakts im Capitol in Harrisburg geehrt. Darüber hinaus wurde das Ereignis in einer Ehrenurkunde und einem Gemälde mit dem Titel A Time for Healing festgehalten. Das Original hängt heute im Museum der Nationalgarde. Eine Kopie des Gemäldes sowie der Ehrenurkunde befindet sich im Friedensmuseum in Vossenack.
Eine Gedenkskulptur aus Dolomit des Vettweißer Bildhauers Michael Pohlmann mit dem Namen A Time for Healing, wurde am 7. November 2004 in der Mitte der Kallbrücke aufgestellt. Es zeigt eine roh behauene, ringförmige Scheibe, die durch eine glatt polierte Welle durchdrungen wird. Der Künstler selbst interpretierte es als das raue Umfeld, in dem die humanitäre Begegnung stattfindet. Eine deutsch- und englischsprachige Infotafel des Künstlers Tillmann Schmitten mit den Hintergründen zu den Ereignissen während der Allerseelenschlacht wurde im September 2005 aufgestellt.
Auszug aus der Rede anlässlich der Gedenkfeier 60 Jahre Kämpfe im Hürtgenwald und Einweihung der Gedenkskulptur am 7. November 2004 von John A. Brogan III, US-Generalkonsul a. D.[5]:
„Unmöglich rationale Worte zu finden, um das ungestüme Töten, das tobende Auslöschen von Leben zu beschreiben. Es ist ein gottverlassenes Fleckchen deutscher Erde, erfüllt vom Nachhall berstender Explosionen. Erfüllt auch vom Widerhall von Todesschreien und gebadet in Blut. Und dann, im Moment größter Not, in der dunkelsten Stunde, dann wenn nur noch Verzweiflung herrscht, zeigt sich, dass dieser Ort größter Misere nicht von Gott verlassen ist. Denn jetzt geschieht ein unfassbares Wunder. […] Sechzig Jahre sind es her und an diesem Tag betritt ein nobler und heldenhafter deutscher Militärarzt mit seinen Sanitätern langsam das Schlachtfeld. Hauptmann Günther Stüttgen traut sich hervor, um die Toten zu bergen und den Verletzten zu helfen, und zwar ohne zu unterscheiden, ob amerikanisch oder deutsch, und erwirkt einen De-facto-Waffenstillstand, der den Tod für drei unvergessliche Tage besiegt. […] Der Mut und sein Anstand werden immer geehrt werden – nicht nur dann, wenn ehemalige Soldaten, die hier kämpften, sich treffen. Auch für uns Amerikaner ist Hauptmann Stüttgen sowohl Vorbild wie auch Sinnbild des Helden.“
Stüttgen ist damit neben Friedrich Lengfeld der zweite deutsche Soldat und Teilnehmer der Schlacht im Hürtgenwald, der von seinen ehemaligen Gegnern geehrt wurde.
Medizinische Karriere
Bereits 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, setzte er seine Arbeit als Arzt fort. 1962 kam er als einziger kompetenter Arzt aus freiem Willen in die Eifel nach Simmerath und in dessen Ortsteil Lammersdorf, um dort eine Pockenepidemie zu bekämpfen. Er erkrankte selbst an der von den Behörden anfangs nicht erkannten Krankheit, wurde aber wieder gesund. 1963 wurde er für sein Engagement in Simmerath mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, überreicht durch Ministerpräsident Franz Meyers.[6][7] Später wurde er leitender Oberarzt der Hautklinik der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 1951 wurde er allein unter Anerkennung seiner bis dahin publizierten Arbeiten und ohne Habilitationsschrift für die Fächer Dermatologie und Venerologie habilitiert.[8] Im Jahre 1957 erhielt er eine außerordentliche Professur. Stüttgen forschte insbesondere im Bereich der Penetrationskinetik von Substanzen durch die Haut. Insbesondere ist sein Name verbunden mit der Anwendung von Vitamin A bzw. der Retinoiden in der Dermatologie. Stüttgen war darüber hinaus Mitglied der Arzneimittelkommission A des früheren Bundesgesundheitsamtes, welche nach der Thalidomid-Katastrophe (Contergan) gegründet wurde.
Mit Constantin E. Orfanos war er 1962 bei einem Pockenausbruch in Lammersdorf, das am Hürtgenwald liegt, im Einsatz.[9] Beide waren später Kollegen an der FU Berlin und sie verband eine enge Freundschaft.[9][10]
Von 1968 bis 1988 leitete er als Ordinarius und Chefarzt die Universitäts-Hautklinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin im Rudolf-Virchow-Krankenhaus im Berliner Stadtteil Wedding.
Die Günter-Stüttgen-Medaille
Anlässlich der Feier zum 80. Geburtstag von Günter Stüttgen (Januar 1999) stiftete die älteste Fachvereinigung deutscher Dermatologen, die Berliner Dermatologische Gesellschaft (BDG), die „Günter-Stüttgen-Medaille“.
Auszug aus der Satzung der BDG[11]: „Die Günter-Stüttgen-Medaille für herausragende wissenschaftliche Verdienste in der Dermatologie stellt die höchste Auszeichnung dar, die von der Berliner Dermatologischen Gesellschaft verliehen wird. Mit der Günter-Stüttgen-Medaille soll das überragende Lebenswerk eines/r international renommierten Dermatologen/in oder Arzt/Ärztin eines medizinischen oder naturwissenschaftlichen Fachgebietes geehrt werden, der/die für die Dermatologie relevante, grundlegende Erkenntnisse gewonnen oder wesentliche therapeutische Fortschritte auf dem Gebiet der Dermatologie möglich gemacht hat. Die Günter-Stüttgen-Medaille wird erstmals im Jahr 2000 und danach aus gegebenem Anlass, jedoch nicht häufiger als alle 2 Jahre verliehen. Der Vorstand der Berliner Dermatologischen Gesellschaft bestimmt jeweils den Zeitpunkt für eine weitere Vergabe der Günter-Stüttgen-Medaille. Die Günter-Stüttgen-Medaille kann jeweils nur an einen Preisträger/in vergeben werden und ist nicht mit einer finanziellen Zuwendung verbunden“.
Tod und Grabstätte
Günter Stüttgen starb im Oktober 2003 im Alter von 84 Jahren in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Schmargendorf.[12]
Weiterführende Literatur
- W. C. Marsch: Günter Stüttgen (1919–2003). In: Clinics in Dermatology. Band 23, Nummer 5, 2005 Sep-Oct, S. 532–534, ISSN 0738-081X. doi:10.1016/j.clindermatol.2005.05.003. PMID 16179191.
- G. Goerz: [Günter Stüttgen on his 60th birthday]. In: Zeitschrift für Hautkrankheiten. Band 54, Nummer 2, Januar 1979, S. 39–41, ISSN 0301-0481. PMID 366938.
- H. Ippen: [The 60th anniversary of Günter Stüttgen]. In: Der Hautarzt. Band 30, Nummer 1, Januar 1979, S. 56, ISSN 0017-8470. PMID 370065.
- U. Blume-Peytavi, C. E. Orfanos: 80. Geburtstag Professor Dr. Günter Stüttgen. In: Der Hautarzt. Band 50, Nummer 12, 1999, S. 898–899. doi:10.1007/s001050051008
Weblinks
- Thomas Böhm: Günter Stüttgen und das „Wunder vom Hürtgenwald“ – Die den Schrecken des Krieges kennen. (mp3-Audio, 45,1 MB, 49:22 Minuten) In: Deutschlandfunk-Sendung „Das Feature“. 29. November 2019 .
- Steffen Kopetzky: Epidemie in der Eifel 1962: Die Attacke der gefährlichen Pocken. In: Spiegel Online. 26. März 2020 .
- Gedenkskulptur „A Time for Healing“: Infotafel und Gedenkskulptur im Kalltal, Gemeinde Hürtgenwald-Simonskall. In: konejung-stiftung.de. 28. Dezember 2005 (deutsch, englisch).
- Literatur von und über Günter Stüttgen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Guido Heinen: Das Wunder vom Hürtgenwald. In: Die Welt. 23. Juni 2001 .
Einzelnachweise
- ↑ Prof. Dr. Günter Stüttgen – „the german doctor“
- ↑ Interview Günter Stüttgen: Schlacht im Hürtgenwald 1944 (2) (Memento vom 1. August 2016 im Internet Archive)
- ↑ Interview Günter Stüttgen: Schlacht im Hürtgenwald 1944 (3)
- ↑ Guido Heinen: Das Wunder vom Hürtgenwald. In: Die Welt. 23. Juni 2001, abgerufen am 30. November 2019.
- ↑ Rede anlässlich der Gedenkfeier "60 Jahre Kämpfe im Hürtgenwald". 7. November 2004 von John A. Brogan III (orthografisch redigiert)
- ↑ Bescheidener Held und unerschrockener Arzt - Fotostrecke 3/16, SPon 4. Oktober 2019, abgerufen am 20. November 2019.
- ↑ Steffen Kopetzky: Epidemie in der Eifel: Die Attacke der gefährlichen Pocken. Spiegel Online vom 26. März 2020, gesehen am 11. April 2021
- ↑ Prof. Dr. Günter Stüttgen In Der Hautarzt. Band 55, Nummer 12, 2004, S. 1172–1174. (Nachruf)
- ↑ a b Steffen Kopetzky: Epidemie in der Eifel 1962: Die Attacke der gefährlichen Pocken. In: Spiegel Online. 26. März 2020, abgerufen am 26. März 2020.
- ↑ Interview mit C. E. Orfanos zum 125. Jubiläum der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft auf Derma.de. (mp4-Video, 59,5 MB, 16:47 Minuten) In: derma.de. Archiviert vom am 19. März 2015; abgerufen am 26. März 2020.
- ↑ Satzung der Berliner Dermatologischen Gesellschaft (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) (PDF; 23 kB)
- ↑ Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1. S. 453.
Personendaten | |
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NAME | Stüttgen, Günter |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Dermatologe |
GEBURTSDATUM | 23. Januar 1919 |
GEBURTSORT | Düsseldorf |
STERBEDATUM | 21. Oktober 2003 |
STERBEORT | Berlin |
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Grab von Günther Stüttgen auf dem Friedhof Schmargendorf in Berlin.
Autor/Urheber: Xamos, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Gedenkstein "A Time For Healing", Hürtgenwald, Deutschland.