Friedrich Magirius

Friedrich Magirius (Krakau, Polen, 2021)

Friedrich Magirius (* 26. Juni 1930 in Dresden) ist ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und ehemaliger Kommunalpolitiker. Er war Pfarrer an der Dresdner Kreuzkirche und der Leipziger Nikolaikirche, von 1982 bis 1995 Superintendent des Kirchenbezirks Leipzig-Ost sowie von 1990 bis 1994 Stadtpräsident von Leipzig.

Familie

Vater Martin Magirius (1899–1962)[1] war Amtsgerichtsrat, die Mutter Hannah (geb. Schreckenbach, * 1899)[2] Berufsschullehrerin. Der Kunsthistoriker Heinrich Magirius (1934–2021) war sein jüngerer Bruder, der Archivar und Historiker Hans-Joachim Schreckenbach (1928–2021) sein Cousin.[3]

Beruflicher Werdegang

Friedrich Magirius wuchs bis zum Abitur in Radebeul auf. Er studierte Theologie 1948–1950 an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf in West-Berlin und von 1950 bis 1953 an der Universität Greifswald. Sein Vikariat absolvierte er bei der Inneren Mission in Sachsen und in der Kirchengemeinde Löbau. Ab 1955 wirkte Magirius als Internatsleiter und Lehrer an der Kirchlichen Vorschule am Diakonissenhaus Moritzburg.

1958 trat er seine erste Pfarrstelle in Einsiedel an, später wurde er Pfarrer an der Dresdener Kreuzkirche. Von 1974 bis 1982 war er Leiter der Aktion Sühnezeichen in der DDR, wobei er sich in Polen Ansehen erwarb.

Von 1982 bis zu seiner Pensionierung 1995 war Magirius Superintendent des Kirchenbezirks Leipzig-Ost und gemeinsam mit Christian Führer Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche, wo er Einfluss[4] auf den Verlauf der Leipziger Montagsdemonstrationen und der Revolution von 1989 hatte.[5]

Politisches Wirken

Seine Rolle vor und während der friedlichen Revolution 1989 ist umstritten. Ihm Wohlgesinnte versuchen ihn als „Mann des Ausgleichs“ darzustellen.[6] Viele Leipziger DDR-Bürgerrechtler kritisieren, Magirius habe als Kirchenfunktionär stets gegen sie gearbeitet.[7] Auch als Moderator des „Runden Tisches“ habe er seine Einseitigkeit zugunsten der alten Parteien und Organisationen des SED-Staates nicht zu verbergen vermocht. Er sei für die Beendigung der Montagsdemonstrationen eingetreten, habe sich damit jedoch nie durchsetzen können.

Besonders im Vorfeld von Auszeichnungen wandten sich Akteure aus dem einstigen organisierten Widerstand an die Öffentlichkeit, zuletzt 2005 vor Verleihung der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig.[8]

Die Absetzung des SED-kritischen Pfarrers Christoph Wonneberger als Koordinator für die Friedensgebete an der Leipziger Nikolaikirche im August 1988[9] geht auf eine Entscheidung von Magirius zurück.[10] Er schrieb: „Lieber Bruder Wonneberger […] Wir haben eine neue Gestaltung der Friedensgebete für die nächsten Wochen vorbereitet. Meinerseits stelle ich noch einmal fest, dass Sie damit von Ihrer bisherigen Aufgabe entbunden sind.“[11] Auch Christian Führer, der Pfarrer der Nikolaikirche, beugte sich dem Druck staatlicher Stellen und unterstützte die Superintendentur Ost beim Ausschluss aller Leipziger Bürgerrechtsgruppen von der Gestaltung der Friedensgebete.[12]

Erst nach mehreren Monaten intensiver Protestaktionen konnten Christoph Wonneberger und die organisierte Leipziger Opposition – wie Arbeitsgruppe Menschenrechte, Arbeitskreis Gerechtigkeit Leipzig, Initiativgruppe Leben, Arbeitsgruppe Umweltschutz, Frauen für den Frieden – einen Kompromiss erreichen, der den Gruppen die Gestaltung der Friedensgebete unter der Leitung und Verantwortung jeweils eines Pfarrers ermöglichte. Die Gruppen wurden dann neben Christoph Wonneberger von den evangelischen Pfarrern Klaus Kaden und Rolf-Michael Turek sowie dem katholischen Priester Hans-Friedrich Fischer unterstützt.[13][14]

Magirius selbst verteidigte sein Handeln laut Hamburger Abendblatt vom 15. Februar 1992 mit den Worten: „Als Christ sitzt man immer zwischen den Stühlen. Christus wurde dafür ans Kreuz geschlagen.“

Magirius verhinderte auch erfolgreich ein Kommunikationszentrum (KOZ) ähnlich der Berliner Umweltbibliothek in Leipzig. Zunächst spielte er auf Zeit und gab die Absage der Gemeinde der Heilig-Geist-Kirche nicht an den Trägerkreis des Kommunikationszentrums weiter. Dort hatte Pfarrer Erler, der als IM Amos für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war, den Trägerkreis von November 1988 bis zum Winter 1989 in der Annahme gelassen, es läge eine Zusage der Gemeinde vor. Brigitte Moritz vom Trägerkreis des KOZ sagte 1991, Pfarrer Erler habe „massiv gegen uns gearbeitet“. Magirius beteiligte sich an diesem Spiel.

Der Trägerkreis des KOZ wollte danach aus taktischen Gründen zunächst einmal nur eine Gemeindebibliothek in der Markusgemeinde einrichten, wo Rolf-Michael Turek Pfarrer war. Superintendent Magirius sprach sich im Juli 1989 gegen den Trägerkreis und gegen die Installierung eines KOZ aus und gab Turek telefonisch zu verstehen gegeben, daß der Trägerkreis des KOZ kein von der Kirche gewolltes Gremium ist. Der Trägerkreis sei demzufolge „gegenüber dem Kirchenvorstand der Markusgemeinde nicht antragsberechtigt“.[15]

Schon im Herbst 1989 war ein Kommunikationszentrum der kirchlichen Oppositionskreise von der Geschichte überholt worden (siehe Wende und friedliche Revolution in der DDR). Magirius hatte es erfolgreich verhindert.

Magirius moderierte während des Umbruchs 1989/90 den Leipziger Runden Tisch. Die nach der Friedlichen Revolution frei gewählte Stadtverordnetenversammlung von Leipzig wählte ihn am 30. Mai 1990 zu ihrem Präsidenten. Magirius hatte das nur während dieser Übergangszeit existierende Ehrenamt des Stadtpräsidenten bis 1994 inne.[16]

Ehrungen

  • 1989 Verleihung der „Goldenen Kamera“[17]
  • 1990 wurde Friedrich Magirius der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis in der Paulskirche verliehen, wo „Bürgerrechtler das Transparent mit der Aufschrift ‚Superintrigent Magirius – Revolutionsheld nach Sendeschluß‘ entrollten.“[14] Der Neologismus „Superintrigent“ war gewollt wertende Anspielung auf Amt wie Handlungsweise.
  • 1995 Ernennung zum „Offizier der Ehrenlegion“ durch den französischen Generalkonsul Eugène Berg in Leipzig[18][19]
  • 1997 Verleihung des Kommandeurkreuzes des „Verdienstordens der Republik Polen“ durch den Generalkonsul der Republik Polen in Leipzig in Anwesenheit des Botschafters Andrzej Byrt[20]
  • 2005 Verleihung der Ehrenbürgerwürde der polnischen Stadt Kraków/Krakau.
  • 2005 Verleihung der „Ehrenmedaille der Stadt Leipzig[21]
  • Friedrich Magirius ist Ehrenmitglied des StadtSchülerRats Leipzig (Grund: Mitbegründer des SSR Leipzig)[22]
  • 2022 Verleihung der Ehrenbürgerwürde von Leipzig

Literatur

  • Karl Czok (Hrsg.): Nikolaikirche, offen für alle. Hrsg. auf der Grundlage der Handakten von Christian Führer und Friedrich Magirius. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 1999, ISBN 3-374-01740-1.
  • Ehrhart NeubertMagirius, Friedrich. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Friedrich Magirius: Gelebte Versöhnung – Meine Erinnerungen. Autobiographie. Mitteldeutscher Verlag Halle/Saale 2017, ISBN 978-3-95462-796-7
  • Friedrich Magirius in: Internationales Biographisches Archiv 50/1997 vom 1. Dezember 1997, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  • Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller, Christoph Wonneberger (Hrsg.): Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis zum Dezember 1989. Bd. 1, Leipzig, Araki, 2014, ISBN 978-3-941848-17-7; Vorwort als Leseprobe.
  • Hermann Geyer: Nikolaikirche, montags um fünf: die politischen Gottesdienste der Wendezeit in Leipzig. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007 (Universität Leipzig, Habil.-Schr. 2006), ISBN 978-3-534-18482-8, Inhaltsverzeichnis.
  • Hermann Geyer: Nikolaikirche, montags um fünf. Die politischen Gottesdienste der Wendezeit in Leipzig. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-18482-8 (Habilitationsschrift, Universität Leipzig, 2006; Inhaltsverzeichnis).
  • Sylvia Kabus: Neunzehnhundertneunundachtzig. Psychogramm einer Stadt. Beucha, Sax Verlag, 2009, ISBN 978-3-86729-041-8, S. 157, 160 f., 164–168, 170–175.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Geburtsregistereintrag Friedrich Martin Magirius, Standesamt Dresden IV, 1899, Nr. 649, verfügbar bei Ancestry.com, abgerufen am 26. Dezember 2023.
  2. Heiratsregistereintrag Friedrich Martin Magirius, Standesamt Dresden X, 1927, Nr. 68, verfügbar bei Ancestry.com, abgerufen am 26. Dezember 2023.
  3. Friedrich Beck und Klaus Neitmann: Hans-Joachim Schreckenbach. Geb. 19. September 1928 Dresden, gest. 19. September 2021 Köln. In: Archivar. Band 75, Heft 3, 2022, Seite 292.
  4. Vgl. Gesellschaft für Zeitgeschichte: Friedensgebete
  5. Vgl. Christian Dietrich, Uwe Schwabe (Hrsg. im Auftrag des Archives Bürgerbewegung e. V. Leipzig): Freunde und Feinde. Friedensgebete in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989. Dokumentation. (PDF-Datei; 3,91 MB) Mit einem Vorwort von Harald Wagner, Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt, 1994.
  6. Christine Reuther: Ein Mann des Ausgleichs. In: Der Sonntag. Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens. 24. Juni 2010, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. März 2014; abgerufen am 5. August 2018.
  7. Offener Brief ehemaliger Mitwirkender in subversiven Gruppen Leipzigs an Friedrich Magirius anlässlich einer geplanten Ehrung; 22. Februar 1995.
  8. Offener Brief an OBM Wolfgang Tiefensee vom 14. Juni 2005 sowie Offener Brief an Friedrich Magirius vom 23. Juni 2005
  9. Robert-Havemann-Gesellschaft: Friedliche Revolution 1989/ 90.
  10. Neues Forum Leipzig: Zur Geschichte der Friedensgebete. 25 Jahre Friedensgebete in St. Nikolai 2007.
    Vgl. Rubrik Stasi: Pfarrer denunzierte Pfarrer. In: FOCUS-Magazin Nr. 2 vom 9. Januar 1995, S. 13.
  11. Peter Wensierski: Handeln statt Beten. In: Der Spiegel 43 (2009) vom 19. Oktober 2009, S. 42–46, hier S. 45.
  12. Robert-Havemann-Gesellschaft: Friedliche Revolution 1989/90. Vgl. Christian Dietrich, Uwe Schwabe: Freunde und Feinde. Dokumente zu den Friedensgebeten in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989. Hrsg. im Auftrag des Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V., Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 1994, ISBN 3-374-01551-4.
  13. Christian Dietrich: Fallstudie Leipzig 1987–1989. Die politisch-alternativen Gruppen in Leipzig vor der Revolution. Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ Band VII/1, 1995; Christian Dietrich, Uwe Schwabe im Auftrag des Archiv Bürgerbewegung e. V. (Hrsg.): Freunde und Feinde. Dokumente zu den Friedensgebete in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989; Leipzig 1994.
  14. a b Peter Wensierski: Handeln statt Beten. In: Der Spiegel 43/2009 vom 19. Oktober 2009, S. 42–46.
  15. Wie die Leipziger Stasi ein „KOZ“ verhinderte. Durch indirekten Einfluß über IMs und über direkten Einfluß auf die Kirchenleitung verhinderte die Staatssicherheit eine Leipziger „Umweltbibliothek“. Die Tageszeitung (Taz) vom 25. Februar 1991.
  16. Biografie des ehemaligen Nikolaikirche-Pfarrers Friedrich Magirius erschienen. In: lichtfest.leipziger-freiheit.de. 10. März 2017, abgerufen am 5. August 2018.
  17. GOLDENE KAMERA 1990 – 25. Verleihung. In: Goldenekamera.de. Abgerufen am 5. August 2018.
  18. Ehrenhafter Stasi-Spitzel. In: Focus 9/1995 vom 25. Februar 1995, S. 15.
  19. Frank Feiertag: Magirius – Offizier in besonderem Einsatz an Präsident Mitterrands [sic] Hoftafel. In: telegraph, Heft 2 (1995), Berlin, S. 11–12 (PDF-Datei; 3,50 MB)
  20. Magirius bekommt Kommandeurkreuz, in: Leipziger Volkszeitung vom 18. Juni 1997, S. 19.
  21. Offener Brief an OBM Wolfgang Tiefensee vom 14. Juni 2005.
  22. Ehrenmitglieder. Abgerufen am 21. Juni 2018 (deutsch).

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Pastor Friedrich Magirius podczas spotkania z przedstawicielami Krakowa w restauracji Biała Róża.